Ein Die­ner ist kein Sklave

Dass alles Lesen, alles Übersetzen auch Interpretieren ist – geschenkt. Aber das allein befreit uns Übersetzer nicht aus der Verantwortung vor dem Originaltext.

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Die treue Dienerin lüftet den Vorhang der Übersetzung und gibt den Blick auf das Original frei. © Banksy, Quelle: wikiart.org
Die bis­he­ri­gen Debat­ten­bei­trä­ge im Überblick:
(1) Sieg­lin­de Gei­sel: Über­set­zen heißt ant­wor­ten (27. Juni 2018)
(2) Felix Püt­ter: Ant­wor­ten heißt inter­pre­tie­ren (11. Juli 2018)
(3) Sieg­lin­de Gei­sel: Über­set­zen – im Geist des Ori­gi­nals (17. Juli 2018)
(4) Felix Püt­ter: Kri­tik – Im Geist der Über­set­zung (12. Sep­tem­ber 2018)
(5) Dirk van Guns­te­ren: Ver­fäl­schen ist kein Über­set­zen (7. Okto­ber 2018)
(6) Mah­moud Hassan­ein: Nicht inter­pre­tie­ren heißt nicht über­set­zen (24. Okto­ber 2018)

Lie­ber Mahmoud,

was das Die­nen betrifft, hast Du mich offen­bar miss­ver­stan­den. Als Über­set­zer darf man sich kei­nem, wirk­lich kei­nem Autor auf Knien nähern. Wer Ohr­fei­gen, Peit­schen­hie­be, usw. fürch­ten muss, ist kein Die­ner, son­dern ein Sklave.

Ich habe zu den aller­meis­ten der Autoren, die ich über­setzt habe, ein herz­li­ches bis freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis, aber mir ist immer klar, dass er der­je­ni­ge ist, der den Kurs vor­gibt – immer­hin hat er sich die­se Geschich­te aus­ge­dacht und in eine ihm ange­mes­sen erschei­nen­de Form gebracht, mit ande­ren Wor­ten: Von ihm stammt das Ori­gi­nal, und er ist es, der die Richt­schnur gespannt hat. Und wenn wir im Rah­men einer Lese­rei­se einen gemein­sa­men Auf­tritt haben, neh­me ich an, dass die Zuschau­er in ers­ter Linie gekom­men sind, um den Autor des Werks zu sehen und zu hören. Das fin­de ich völ­lig in Ord­nung. Beim Über­set­zen habe ich mit dem Die­nen kein Pro­blem, denn ich tue es freiwillig.

(Den Satz „Das Gegen­teil von gut ist gut gemeint“ fin­de ich übri­gens ziem­lich zynisch – das Gegen­teil von gut ist mei­nes Erach­tens schlecht -, aber das kön­nen wir ein ander­mal erörtern.)

Dass alles Lesen (und somit erst recht alles Über­set­zen) Inter­pre­tie­ren ist – geschenkt. Die eigent­li­che Fra­ge ist: Fol­ge ich als Über­set­zer dem Ori­gi­nal? Nicht nur in Wort­wahl, Syn­tax, sprach­li­cher Gestalt, Klang­struk­tur, usw., son­dern auch in Hin­blick auf die Inten­ti­on, die Hal­tung, den Geist des Buchs? Dar­in sehe ich die Ver­ant­wor­tung des Über­set­zers: Das Buch soll auf den deut­schen Leser eine mög­lichst glei­che Wir­kung haben wie auf den Leser des Ori­gi­nals, und die soll mit mög­lichst glei­chen sprach­li­chen Mit­teln erzeugt wer­den (über die man dann schön dis­ku­tie­ren kann).

Die Inten­ti­on, die Hal­tung, der Geist eines Buchs ist dage­gen nur sehr begrenzt inter­pre­tier­bar. Um Dein Bei­spiel der R‑Phoneme auf­zu­grei­fen: Wenn ein R wie­der­ge­ge­ben wer­den soll, ist es eini­ger­ma­ßen egal, ob es als Rosen­hei­mer Zungen‑R oder als Rot­ter­da­mer Gaumen‑R gespro­chen wird, denn bei­des wird als R wahr­ge­nom­men und ver­stan­den. Schwie­ri­ger wird es schon, wenn der Spre­cher Inder oder Japa­ner ist – aus „Gras“ wird dann leicht so was wie „Glas“. Das heißt, um die rich­ti­ge Infor­ma­ti­on zu geben, darfst du bei der Wie­der­ga­be eines R den pho­ne­ti­schen R‑Korridor nicht verlassen.

Ich habe mal zwölf Über­set­zun­gen von Heart of Dark­ness ver­gli­chen. Ohne jetzt auf die jewei­li­gen sprach­li­chen Män­gel oder Vor­zü­ge ein­zu­ge­hen – alle Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen waren in die­sem Kor­ri­dor des Dunk­len und Abgrün­di­gen geblie­ben und hat­ten es geschafft, das Fieb­ri­ge des Ori­gi­nals zu trans­por­tie­ren, und das erscheint mir nicht weni­ger wich­tig als die Nach­bil­dung von Con­rads wun­der­schö­nen, aber sehr kniff­li­gen Sätzen.

Den Geist des Buchs muss man auch aus­hal­ten kön­nen. Einen 1100-Sei­ten-Roman wie The Tun­nel von Wil­liam Gass mit sei­nen wider­wär­ti­gen, hass­erfüll­ten, ras­sis­ti­schen, obs­zö­nen, faschis­ti­schen Pas­sa­gen zu über­set­zen, ist eine Her­aus­for­de­rung, der nicht jede® gewach­sen ist. Bevor man einen sol­chen Auf­trag annimmt, soll­te man sich schon fra­gen, ob man sich das auch zutraut.

Ich kom­me noch mal auf Mar­cus Ingen­da­ay und sei­ne Gad­dis-Über­set­zung zurück. In dem von Frau Gei­sel ver­link­ten Radio­fea­ture sagt Ingen­da­ay: „Ich glau­be, dass das Buch auf Deutsch les­ba­rer und viel lus­ti­ger und hel­ler ist, als im Ori­gi­nal. Das Ori­gi­nal ist rigo­ros und wirk­lich abso­lut düs­ter. Düs­ter auf eine Art, die ich per­sön­lich nicht ertra­ge. Und des­halb habe ich den Roman so ein biss­chen ange­ho­ben von sei­ner Stim­mung her.“ Weil der Über­set­zer das Dunk­le nicht aus­ge­hal­ten hat, kriegt der deut­sche Leser jetzt was Hüb­sches, Hel­les zu sehen? Oha! Aber das ist nicht der ein­zi­ge Grund – das zwei­te Motiv für die­sen tie­fen Ein­griff folgt im nächs­ten Satz: „Wenn Sie so lan­ge an einem Buch arbei­ten, dann tun Sie etwas für den Autor und sagen: Ich sor­ge dafür, dass es dir hier, in der deut­schen Ver­si­on, bes­ser geht als im Ori­gi­nal.“ Da kommt also das Ego ins Spiel, denn wenn das Buch hier so viel bes­ser auf­ge­nom­men wird als in den USA, dann muss das wohl am Über­set­zer lie­gen (der das Buch ein­fach viel lus­ti­ger gemacht hat). Was aber, wenn der Geist des Buchs eben rigo­ros und düs­ter ist? Dann hat Mar­cus Ingen­da­ay, bei allem Respekt vor dem Wort­zau­be­rer, der er ja auch ist, am Ori­gi­nal vor­bei übersetzt.

Dass die Über­set­zung „anders“ ist als das Ori­gi­nal – wer wür­de das bestrei­ten? Die Fra­ge ist: Inwie­fern ist sie anders? Darf man Düs­te­res auf­hel­len, Obs­zö­nes mil­dern, Lang­wei­li­ges auf­mot­zen? Eigent­lich nicht, oder?

Die Debat­te nimmt Fahrt auf. Wir freu­en uns über noch mehr sach­dien­li­che Bei­trä­ge, ent­we­der unten in den Kom­men­ta­ren oder per Mail an redaktion@tralalit.de. Wir freu­en uns!

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