Gro­ße klei­ne Spra­che Belarussisch

Belarussisch ist eine ostslawische Sprache und neben Russisch eine der beiden Amtssprachen in Belarus. Von

Stilleben mit Rochen, 1924, des im heutigen Weißrussland geborenen Chaim Soutine. Quelle: Wikiart.
Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt; davon wird aber nur ein win­zi­ger Bruch­teil ins Deut­sche über­setzt. In die­ser Rubrik fra­gen wir Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Hier geht es zu den wei­te­ren Bei­trä­gen die­ser Kategorie.

Wie hast du Bela­rus­sisch gelernt?

Ich ler­ne es immer noch. Wäh­rend mei­nes sech­zehn­mo­na­ti­gen Ersatz­diens­tes in Minsk 1998/99 habe ich Rus­sisch gelernt, mit dem Bela­rus­si­schen kam ich nur spo­ra­disch in Kon­takt. Es war damals kaum zu hören, jeden­falls nicht in den Krei­sen, in denen ich unter­wegs war. Freun­de haben uns ein paar bela­rus­si­sche Lie­der bei­gebracht und wir haben uns bei den ein­schlä­gi­gen Dea­lern Musik­cas­set­ten und CDs besorgt. Zurück in Deutsch­land, wäh­rend mei­nes Über­set­zer­stu­di­ums in Leip­zig, woll­te ich dann genau­er hin­schau­en, habe eine Ein­füh­rung in die bela­rus­si­sche Sprach­wis­sen­schaft und ein Lite­ra­tur­se­mi­nar besucht, im Kon­ver­sa­ti­ons­kurs saß ich allei­ne. Das Inter­es­se an der Nische war geweckt, ich woll­te wis­sen, was Leu­te aus mei­ner Gene­ra­ti­on so schrie­ben und war­um sie sich bewusst gegen das Rus­si­sche mit sei­ner Reich­wei­te entschieden.

Wie sieht die bela­rus­si­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Ich bin nicht nah genug dran an der Sze­ne, um sie kom­pe­tent beschrei­ben zu kön­nen. Und ich wer­de mich hüten, mich zu weit auf das Strip­pen­ge­zer­re und die Eifer­süch­te­lei­en ein­zu­las­sen, die wohl in Kon­struk­ten die­ser Grö­ßen­ord­nung mit ihren umfäng­li­chen Ver­ban­de­lun­gen unver­meid­lich sind. Zuver­sicht­lich stimmt mich, dass die frü­her strik­te Tren­nung zwi­schen bela­rus­sisch- und rus­sisch­spra­chi­gen Autoren nicht mehr so dog­ma­tisch vor­ge­nom­men wird und auch Autoren jid­di­scher Spra­che wie zuletzt der wie­der­ent­deck­te Moi­sche Kul­bak ihren Platz in der bela­rus­si­schen Lite­ra­tur bean­spru­chen dür­fen. Span­nend ist viel­leicht noch zu erwäh­nen, dass kaum ein Autor, gleich wel­chen Gen­res, nicht auch gleich­zei­tig Über­set­zer ist.

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben?

Man soll­te sich die bei­den Antho­lo­gien vor­neh­men, die der Sla­wist und Über­set­zer Nor­bert Ran­dow (1929–2013) für Volk und Welt und Reclam Leip­zig erar­bei­tet hat. In Stör­che über den Sümp­fen (1971) und Die jun­ge Eiche (1984) sind vie­le wich­ti­ge Erzäh­ler ver­sam­melt. Ran­dows mit sei­ner Schwes­ter Gun­du­la und deren Mann Wla­di­mir Tsche­pe­go erar­bei­te­te Über­set­zung von Maxim Harez­kis Zwei See­len erschien post­hum im Pre­mie­ren­pro­gramm des Gug­golz Ver­lags, flan­kiert von lesens­wer­ten Nach­wor­ten der Kol­le­gen Mar­tin Pol­lack und Andre­as Tret­ner. Was­sil Bykaŭ ist umfang­reich auf Deutsch ver­füg­bar, wenn auch häu­fig auf dem Umweg übers Rus­si­sche über­setzt. Swet­la­na Ale­xi­je­witsch ist bei Gan­na-Maria Braun­gardt und Han­ser Ber­lin in bes­ten Hän­den. Den Lyri­ker Aleś Raz­anaŭ (über­setzt u. a. von Elke Erb) soll­te man drin­gend und stau­nend zur Kennt­nis neh­men. Alhierd Bachare­vič wür­de ich ger­ne wei­ter über­set­zen, sei­nen furio­sen Roman Die Hun­de Euro­pas zum Bei­spiel. Und Artur Kli­naŭs Minsk. Son­nen­stadt der Träu­me (aus dem Rus­si­schen von Vol­ker Weich­sel) ist immer noch ein schö­ner Titel zum Einstieg.

Was ist noch nicht übersetzt?

Die Posi­tiv­lis­te ist erschre­ckend kurz und ein Buch­mes­se­schwer­punkt Bela­rus schwer vorstellbar.

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Bela­rus­si­schen? Wie gehst du damit um?

Ich über­set­ze in der Regel Zeit­ge­nos­sen, die ich hem­mungs­los befra­ge, wenn ich kon­kre­te Schwie­rig­kei­ten mit ihren Tex­ten habe. Für ent­le­ge­ne­re Tex­te habe ich mei­ne Gewährs­leu­te, zumeist Übersetzerkolleg*innen von der Gegen­fahr­bahn. Zu mei­nen Lieb­lings­schwie­rig­kei­ten gehört die aus­ge­präg­te Vor­lie­be bela­rus­si­scher Pro­sa­schrift­stel­ler für Lyrik und Zita­te und die Ver­wen­dung der Misch­spra­che Trass­jan­ka oder ande­rer Ein­spreng­sel aus benach­bar­ten Sla­wi­nen. Da sind mei­ne Rus­sisch- und Pol­nisch­kennt­nis­se und der hei­ße Draht zu den Ukrai­nisch-Kol­le­gin­nen unent­behr­lich. Wo immer mög­lich ver­su­che ich zudem, in Nach­wor­ten oder Anmer­kun­gen mei­ne Über­set­zun­gen zu flan­kie­ren, um den Hin­ter­grund ein biss­chen aufzuhellen.

Was kann Bela­rus­sisch, was Deutsch nicht kann?

Das Bela­rus­si­sche leis­tet sich Extra­va­gan­zen, von denen das Deut­sche nur träu­men kann: zwei kon­kur­rie­ren­de Ortho­gra­fie­sys­te­me, ein latei­ni­sches Alpha­bet neben dem kyril­li­schen, eine rus­sisch ein­ge­färb­te Misch­spra­che, durch­läs­si­ge Gren­zen auch zum Ukrai­ni­schen, Polnischen …

Wir suchen für die Rubrik „Gro­ße klei­ne Spra­che“ Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, die Lust haben, ihre „klei­ne“ Spra­che mit unse­rem Fra­ge­bo­gen vor­zu­stel­len. Wenn du dich ange­spro­chen fühlst, mel­de dich ger­ne unter redaktion@tralalit.de.
Tho­mas Wei­ler, gebo­ren 1978 im Schwarz­wald, leis­te­te 1998/99 sei­nen Ersatz­dienst in der Behin­der­ten­ar­beit in Minsk/Belarus. Es folg­te ein Über­set­zer­stu­di­um (Rus­sisch, Pol­nisch) in Leip­zig, Ber­lin und St. Petersburg.Seit 2007 arbei­tet er als frei­er Über­set­zer aus dem Bela­rus­si­schen, Rus­si­schen und Pol­ni­schen und ist enga­gier­ter Ver­mitt­ler bela­rus­si­scher Lite­ra­tur. Zusam­men mit zwei Kol­le­gin­nen orga­ni­siert er das Über­set­zer­zen­trum auf der Leip­zi­ger Buch­mes­se. Tho­mas lebt mit sei­ner Frau und drei Kin­dern auf dem Plei­ßen­hof in Mark­klee­berg, süd­lich von Leip­zig. Er ist augezeich­net mit dem För­der­preis zum Strae­l­e­ner Über­set­zer­preis, sowie dem Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­preis und ist Mit­glied des Lite­ra­tur­über­set­zer­ver­ban­des VdÜ.
(Foto: D. Drangmeister) 

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