
Wie hast du Belarussisch gelernt?
Ich lerne es immer noch. Während meines sechzehnmonatigen Ersatzdienstes in Minsk 1998/99 habe ich Russisch gelernt, mit dem Belarussischen kam ich nur sporadisch in Kontakt. Es war damals kaum zu hören, jedenfalls nicht in den Kreisen, in denen ich unterwegs war. Freunde haben uns ein paar belarussische Lieder beigebracht und wir haben uns bei den einschlägigen Dealern Musikcassetten und CDs besorgt. Zurück in Deutschland, während meines Übersetzerstudiums in Leipzig, wollte ich dann genauer hinschauen, habe eine Einführung in die belarussische Sprachwissenschaft und ein Literaturseminar besucht, im Konversationskurs saß ich alleine. Das Interesse an der Nische war geweckt, ich wollte wissen, was Leute aus meiner Generation so schrieben und warum sie sich bewusst gegen das Russische mit seiner Reichweite entschieden.
Wie sieht die belarussische Literaturszene aus?
Ich bin nicht nah genug dran an der Szene, um sie kompetent beschreiben zu können. Und ich werde mich hüten, mich zu weit auf das Strippengezerre und die Eifersüchteleien einzulassen, die wohl in Konstrukten dieser Größenordnung mit ihren umfänglichen Verbandelungen unvermeidlich sind. Zuversichtlich stimmt mich, dass die früher strikte Trennung zwischen belarussisch- und russischsprachigen Autoren nicht mehr so dogmatisch vorgenommen wird und auch Autoren jiddischer Sprache wie zuletzt der wiederentdeckte Moische Kulbak ihren Platz in der belarussischen Literatur beanspruchen dürfen. Spannend ist vielleicht noch zu erwähnen, dass kaum ein Autor, gleich welchen Genres, nicht auch gleichzeitig Übersetzer ist.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Man sollte sich die beiden Anthologien vornehmen, die der Slawist und Übersetzer Norbert Randow (1929–2013) für Volk und Welt und Reclam Leipzig erarbeitet hat. In Störche über den Sümpfen (1971) und Die junge Eiche (1984) sind viele wichtige Erzähler versammelt. Randows mit seiner Schwester Gundula und deren Mann Wladimir Tschepego erarbeitete Übersetzung von Maxim Harezkis Zwei Seelen erschien posthum im Premierenprogramm des Guggolz Verlags, flankiert von lesenswerten Nachworten der Kollegen Martin Pollack und Andreas Tretner. Wassil Bykaŭ ist umfangreich auf Deutsch verfügbar, wenn auch häufig auf dem Umweg übers Russische übersetzt. Swetlana Alexijewitsch ist bei Ganna-Maria Braungardt und Hanser Berlin in besten Händen. Den Lyriker Aleś Razanaŭ (übersetzt u. a. von Elke Erb) sollte man dringend und staunend zur Kenntnis nehmen. Alhierd Bacharevič würde ich gerne weiter übersetzen, seinen furiosen Roman Die Hunde Europas zum Beispiel. Und Artur Klinaŭs Minsk. Sonnenstadt der Träume (aus dem Russischen von Volker Weichsel) ist immer noch ein schöner Titel zum Einstieg.
Was ist noch nicht übersetzt?
Die Positivliste ist erschreckend kurz und ein Buchmesseschwerpunkt Belarus schwer vorstellbar.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Belarussischen? Wie gehst du damit um?
Ich übersetze in der Regel Zeitgenossen, die ich hemmungslos befrage, wenn ich konkrete Schwierigkeiten mit ihren Texten habe. Für entlegenere Texte habe ich meine Gewährsleute, zumeist Übersetzerkolleg*innen von der Gegenfahrbahn. Zu meinen Lieblingsschwierigkeiten gehört die ausgeprägte Vorliebe belarussischer Prosaschriftsteller für Lyrik und Zitate und die Verwendung der Mischsprache Trassjanka oder anderer Einsprengsel aus benachbarten Slawinen. Da sind meine Russisch- und Polnischkenntnisse und der heiße Draht zu den Ukrainisch-Kolleginnen unentbehrlich. Wo immer möglich versuche ich zudem, in Nachworten oder Anmerkungen meine Übersetzungen zu flankieren, um den Hintergrund ein bisschen aufzuhellen.
Was kann Belarussisch, was Deutsch nicht kann?
Das Belarussische leistet sich Extravaganzen, von denen das Deutsche nur träumen kann: zwei konkurrierende Orthografiesysteme, ein lateinisches Alphabet neben dem kyrillischen, eine russisch eingefärbte Mischsprache, durchlässige Grenzen auch zum Ukrainischen, Polnischen …

(Foto: D. Drangmeister)