Literatur soll relevant sein – und das um jeden Preis. Eine andere Daseinsberechtigung scheint es für sie in den Feuilletons unserer Zeit nicht zu geben. Wichtig ist sie nur dann, wenn sie uns etwas über unsere jetzige Existenz erzählt, das politische Klima mit Hilfe offensichtlicher Schemata verarbeitet, den Zeitgeist einfängt, ohne jedoch zu subversiv zu sein, zu ungemütlich.
Vorzeigebeispiele für diese durchaus bedauernswerte Tendenz sind zwei Erzählbände, die in den letzten Monaten in Deutschland erschienen sind. Die Anthologie Sagte sie: 17 Erzählungen über Sex und Macht wurde bereits im Sommer 2018 veröffentlicht und sammelt Texte von deutschsprachigen Autorinnen, darunter Antonia Baum, Nora Gomringer, Helene Hegemann und Fatma Aydemir, mit Verweis auf die #MeToo-Bewegung im Vorwort. Vor wenigen Wochen ist zudem die erste Kurzgeschichtensammlung der Amerikanerin Kristen Roupenian auf Deutsch erschienen. Ihre Kurzgeschichte „Cat Person“ hatte sich Ende 2017 zum meistgelesenen Beitrag auf der Webseite des New Yorkers entwickelt. Die Geschichte handelt von einem Date, das mit amerikanischen Kitsch-Floskeln beginnt und in schlechtem Sex endet. Erzählt wird aus der Perspektive einer jungen Frau, die sich hin- und hergerissen auf die Erfahrung einlässt und sich dafür am Schluss von dem Mann, den sie nach der gemeinsamen Nacht zurückweist, als „whore“ – „Schlampe“ bezeichnen lassen muss.
Die englischsprachigen Medien bescheinigten Roupenian, den Text zur allgegenwärtigen #MeToo-Debatte geliefert zu haben. Zu selten jedoch hinterfragt die Literaturkritik die Marketingstrategien hinter der gezielten Veröffentlichung solcher Erzählungen, die nur in den wenigsten Fällen tatsächlich etwas mit den politischen Bewegungen zu tun haben. Noch dringlicher ist allerdings die Frage: Warum sollte man gerade diese Geschichten lesen, um etwas über die Geschlechterdynamiken der Gegenwart zu erfahren?
Die Kurzgeschichten von Kristen Roupenian, deren Sammlung in Deutschland nach der Erfolgsgeschichte Cat Person benannt wurde, gibt auf diese Frage keine befriedigende Antwort, was der durchwachsenen literarischen Qualität ihrer Erzählungen geschuldet ist. Gemessen an dem Zeitabstand zwischen der Veröffentlichung im New Yorker und dem Erscheinen ihrer Sammlung ist dies auch wenig überraschend. Berichten zufolge erhielt Roupenian für ihren Deal mit dem Verlagshaus Simon & Schuster (der zwei Bücher umfasst) eine Million US-Dollar. Dementsprechend wird es sowohl im Interesse der Autorin als auch des Verlages gewesen sein, möglichst wenig an Momentum zu verlieren.
Von den insgesamt zwölf Kurzgeschichten ist „Cat Person“ noch die gelungenste und technisch versierteste Erzählung. Der Rest der Sammlung zeugt weniger von Roupenians Können als von ihrer ungehemmten Experimentierfreude mit literarischen Gestaltungsmitteln. Sie probiert sich an verschiedenen Erzählperspektiven aus (das „we“ in der Erzählung „Bad Boy“ ist erstaunlich wirkungsvoll), schreibt aus der Sicht von Frauen und Männern, lässt sich von verschiedenen Genres inspirieren und ihre Geschichten in verschiedenen Milieus und Jahrzehnten spielen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Dasselbe lässt sich auch über die von Lina Muzur herausgegebene Anthologie Sagte sie konstatieren, in der insgesamt 17 (!) Autorinnen von den patriarchalen Machtmechanismen in unserer Gesellschaft erzählen. Im Vorwort schreibt die Herausgeberin, es gehe in dem Band um Macht, Begehren, Wut und Ängste, vor allem aber um die weibliche Sichtweise, den weiblichen Blick – dementsprechend vielfältig sind auch hier die Perspektiven und Gestaltungsmittel.
Muzur betont, dass es sich bei den Erzählungen „wohlgemerkt“ um Literatur handle. Diesen Disclaimer braucht es offenbar, um zu verhindern, dass die Autorinnen mit ihren Erzählerinnen gleichgesetzt werden. Er umreißt jedoch auch das Programm dieser Anthologie: Was dem Leser hier serviert werden soll, ist eine Kunstform, nämlich die Kunst des Erzählens, der fiktiven Verarbeitung eines Ereignisses. Warum also, so fragt man sich als Leserin dieser Anthologie (wie auch bei den Kurzgeschichten Roupenians), hat man nicht mehr Zeit in die literarische Qualität dieser Geschichten investiert? Und warum hat man nicht besser den Anspruch, nicht nur gezielt einen Beitrag zu aktuellen Debatten, sondern auch zur deutschsprachigen Literatur zu leisten?
Es ist erstaunlich, dass der Band, der so zielgerichtet eine politische Bewegung kapitalisiert, ohne jegliches Traditionsbewusstsein daherkommt. Denn die Erzählungen in Sagte sie lesen sich, als hätte es die gesamte, mitunter auch als feministisch zu bezeichnende deutsche Literatur von Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nie gegeben. Dabei haben Autorinnen wie Elfriede Jelinek, Christa Wolf oder auch Verena Stefan große Vorarbeit geleistet und dies mitunter deutlich radikaler als die Autorinnen der Gegenwart. Anfang der neunziger Jahre veröffentlichte Jelinek den besonders sperrigen Roman Lust, den sie nach eigenen Angaben ursprünglich als pornographisches Werk aus weiblicher Sicht konzipiert hatte. Jelinek selbst erklärte das Projekt für gescheitert, weil es keine weibliche Pornosprache gebe. Sie scheiterte an den großen Fragen ihrer Zeit, die – das ist wohl kaum bestreitbar – noch immer zentrale Fragen unserer Gegenwartsliteratur sind: Wie schreiben Frauen über Macht und Sex? Und wie schreiben Frauen mit einer Sprache, die jahrhundertelang vom Patriarchat geformt wurde?
Von diesem Diskurs ist in dem vorliegenden Band wenig zu finden. Stattdessen häufen sich gängige Dichotomien, die zu selten zerlegt werden, mitunter klischeehafte Plot Twists und nur wenige distinktive Erzählstimmen. Geübten Leserinnen wird schnell auffallen, dass ein Großteil der Autorinnen dieses Bands zu sehr mit dem Inhalt ihrer Erzählungen und ihren politisch korrekten, zum Teil didaktisch anmutenden Dialogen („Du sollst dich nicht entschuldigen!“) beschäftigt war, um sich genauer mit der Form und Sprache ihrer Texte auseinanderzusetzen. Dabei sollte es doch der Anspruch von Literatur sein, das Radikale, die ungestüme Kritik, nicht nur über den Inhalt zu definieren, sondern mit den Mitteln der Sprache. Denn dass Frauen auch in Deutschland schon seit längerem über Sex und Macht schreiben, dürfte seit Sophie von La Roches Roman Geschichte des Fräuleins von Sternheim bekannt sein.
Kristen Roupenian schafft es immerhin, ihren Kurzgeschichten einen eigenwilligen und zuweilen individuellen Klang zu geben. Das Originelle an Cat Person sind schließlich weder die Formexperimente noch die angebliche Relevanz ihrer Erzählungen. Interessant ist vor allem die Sprache, die einem aus dem Band entgegenschlägt und die ein wenig an ihre Kolleginnen Ottessa Moshfegh oder Sally Rooney erinnert, deren Roman Normal People bereits nach Erscheinen als neuer Klassiker gefeiert wurde. Roupenian distanzierter und trockener Tonfall hat einen nicht zu unterschätzenden Wiedererkennungswert, der für komische Momente sorgt und ihre Erzählstimmen distinktiver erscheinen lässt als die meisten Stimmen in der Anthologie Sagte sie.
An den gelungenen Stellen in diesem Erzählband unterstützt der lakonische Tonfall die angedeutete Situationskomik oder lässt die beschriebene Brutalität stärker hervortreten. Man gewöhnt sich jedoch als Leser allzu schnell an dieses Kontrastprogramm von simpler Sprache und inhaltlichen Schockelementen. Es scheint, als habe die Autorin Angst vor zu viel sprachlicher Opulenz gehabt, mit dem Ergebnis, dass die Erzählungen – trotz Figurenvielfalt und fantastischer, durchaus kafkaesk anmutender Elemente – bemerkenswert einfallslos wirken.
Die zwei Übersetzerinnen, Nella Beljan und Friederike Schilbach, hatten mit Roupenians Texten also keine leichte Aufgabe, zumal man davon ausgehen kann, dass sie unter hohem Termindruck standen, damit die deutsche Version zeitgleich mit der amerikanischen erscheinen konnte. Besser sind die Kurzgeschichten dadurch nicht geworden, eher noch langatmiger und literarisch endgültig irrelevant.
Die sprachlichen Mängel der Übersetzung betonen auf unvorteilhafte Weise die Schwächen von Roupenians Kurzgeschichten. Zwei Aspekte trüben den Gesamteindruck der Übersetzung dabei besonders stark. Zum einen ist die Sprache an einigen Stellen zu altmodisch wiedergegeben (ein Problem, das auch Moshfeghs Übersetzung hatte). Dies zeigt sich am deutlichsten bei der Übersetzung des Verbs „texting“. Im Englischen kann „texting“ alles Mögliche bedeuten, hier wird es jedoch fast immer (und das Wort kommt überaus häufig vor) mit „SMS schreiben“ übersetzt – was zu Netflix-schauenden Figuren, die im 21. Jahrhundert verankert sind, nicht passen will. Andere Redewendungen werden wiederum zu wörtlich ins Deutsche übersetzt, so dass der Tonfall des Originals nicht angemessen übertragen wird und der Text an Komik verliert:
Yes, the suffering was there but good God it was hard to muster sympathy for someone with so little insight into the causes of his own problems.Ja, das Leiden war echt, aber guter Gott, es war wirklich mühsam, Mitgefühl für jemanden aufzubringen, der so wenig Einsicht in die Ursachen seiner Probleme hatte.
Ein noch viel größeres Problem dieser Übersetzung sind jedoch die Satzkonstruktionen. Wie ihre Zeitgenossinnen hat auch Roupenian einen Hang zu staccatohaften Hauptsätzen, gefolgt von endlosen Aufzählungen mit „and“ als Konjunktion. Diese werden stellenweise sehr ungeschickt übersetzt:
We laughed at all his jokes and ordered a second bottle of wine and gave him life advice.Wir lachten über seine Witze und bestellten eine zweite Flasche Wein und gaben ihm gute Ratschläge.
Komplexer werden die Sätze bei Roupenian nur, wenn sie versucht, die stets rastlosen Gedankenströme ihrer aufgewühlten Figuren zu Papier zu bringen. Was im Englischen noch halbwegs funktionieren mag, hört sich im Deutschen ungelenk an. Hier nur eines der vielen Beispiele:
Of course, it was hard to feel entirely self-righteous about all this when the reason he knew what was coming was that this was not the first such conversation he’d had with a woman.Natürlich war es schwer, das alles an sich abprallen zulassen, denn der Grund dafür, dass er wusste, was als Nächstes kam, war der, dass es nicht die erste Unterhaltung dieser Art war.
Die Übersetzerinnen hatten offensichtlich Probleme, sich von der englischen Vorlage zu lösen und Konstruktionen zu finden, die im Deutschen modern und gekonnt wirken. Zu oft folgen sie dem Fluss der Vorlage. Das Resultat sind Schachtelsätze mit zu vielen Einschüben und „das(s)“-Konstruktionen. Der Übersetzung hätte eine stärkere Distanzierung von den Konventionen der englischen Sprache gut getan.
Insgesamt fehlt es den beiden Anthologien Cat Person und Sagte sie an literarischer Qualität und Größe. Dies ist durchaus bedauernswert, da es sich bei einigen der Autorinnen um die großen Talente der Gegenwartsliteratur handelt. Noch bedauernswerter ist, dass die Mängel dieser Erzählungen (und deren Übersetzung) sowohl von Seiten der Verlage als auch der Literaturkritik in Kauf genommen werden, um mit dem (Schein-)Argument der Relevanz die Existenzberechtigung von Literatur zu untermauern.
Die sprachlichen Fehler kann man den Übersetzerinnen noch verzeihen. Weniger nachsichtig sollte man jedoch mit der Veröffentlichung dieser unausgereiften Erzählungen sein, die weder den Übersetzerinnen noch den Autorinnen selbst einen Gefallen tun. Denn so manchen Texten, egal ob übersetzt oder nicht, täte es gut, zwei, drei Jahre länger in der Schublade zu liegen.
Kristen Roupenian/Nella Beljan/Friederike Schilbach: Cat Person (im englischen Original: You know you want this)
Aufbau Verlag 2018 ⋅ 288 Seiten ⋅ 20 Euro
Lina Muzur (Hrsg.): Sagte sie: 17 Erzählungen über Sex und Macht
Hanser Berlin 2018 ⋅ 224 Seiten ⋅ 20 Euro