Ver­giss nie, dass du Rumä­ne bist

Georg Aescht findet für seine Neuübersetzung von Liviu Rebreanus hundert Jahre altem „Wald der Gehenkten“ eine Sprache, die zugleich aktueller und altertümlicher klingt als die Erstübersetzung aus den sechziger Jahren. Von

Am 21. März wer­den die Prei­se der Leip­zi­ger Buch­mes­se ver­ge­ben, unter ande­rem in der Kate­go­rie Über­set­zung. Auf TraLaLit stel­len wir in den Wochen vor der Buch­mes­se alle fünf Nomi­nier­ten vor. Alle Fol­gen der Rei­he sind hier zu finden.

Das Buch

„Ich tue nur mei­ne Pflicht.“ Ein Satz, der sich durch die Geschich­te der Mensch­heit zieht wie ein roter Faden der Recht­fer­ti­gung für das Aus­üben von Gräu­el­ta­ten. Ein Satz, des­sen Bit­ter­keit auch Der Wald der Gehenk­ten in vol­lem Aus­maß begreif­bar macht. Was es heißt, wenn jemand sei­ne Pflicht ver­wei­gert, erleb­te der 1885 gebo­re­ne rumä­ni­sche Autor Liviu Rebre­a­nu am Schick­sal sei­nes eige­nen Bru­ders, der als Sol­dat im Ers­ten Welt­krieg deser­tier­te, um nicht auf die rumä­ni­sche Zivil­be­völ­ke­rung schie­ßen zu müs­sen, und dafür hin­ge­rich­tet wur­de. In Anleh­nung an den Bru­der zeich­net Rebre­a­nu die Figur des rumä­nisch­stäm­mi­gen k. u. k. Leut­nants Apos­tol Bolo­ga, der ganz zu Beginn des Romans noch aus vol­ler Über­zeu­gung für die Hin­rich­tung eines Deser­teurs stimmt, aber bereits im Lau­fe die­ser düs­te­ren, fast apo­ka­lyp­ti­schen Ein­gangs­sze­ne ers­te Zwei­fel hegt:

— Dom­nu­le căpi­tan, pede­ap­sa… cri­ma… legea, bol­bo­ro­si Apos­tol Bolo­ga, sper­i­at de între­barea căpitanului.
— Da, da… și totuși… omul! murm­ură Klap­ka întunecat.
„Herr Haupt­mann, die Stra­fe … das Ver­bre­chen … das Gesetz“, stam­mel­te Apos­tol Bolo­ga, erschro­cken über die Fra­ge des Hauptmanns.
„Jaja … und den­noch … der Mensch“, mur­mel­te Klap­ka düs­ter.

Immer wie­der wirft der 1922 erschie­ne­ne Roman und Klas­si­ker der rumä­ni­schen Lite­ra­tur die Fra­ge nach der Pflicht des Ein­zel­nen auf. Wem oder was ist der Mensch ver­pflich­tet? Dem Gesetz, selbst wenn es den eige­nen Moral­vor­stel­lun­gen wider­spricht? Ein­zig dem Leben und dem Schutz des­sel­ben, wie Haupt­mann Klap­ka, der Hin­rich­tung nur durch einen Akt der Feig­heit ent­ron­nen, vehe­ment behaup­tet? Dem eige­nen Volk? Der Lie­be? Oder gar dem Hass? Rast­los sucht Bolo­ga nach einer Wahr­heit, die auch den Wir­run­gen des Krie­ges stand­hal­ten kann. Ein ums ande­re Mal ver­wirft er sei­ne „törich­ten Ent­wür­fe“, bis er sich zuletzt selbst auf der Sei­te der Gerich­te­ten wiederfindet.

Die Jury­be­grün­dung

Die Lie­be zu Gott, zum eige­nen Volk und zur schö­nen Ilo­na: Wie der Krieg die Gefüh­le auf die Spit­ze treibt und den ein­zel­nen inner­lich zer­reisst, zeigt die­se Neu­über­set­zung. Zwi­schen expres­sio­nis­ti­schem Furor und stot­tern­der Ver­zweif­lung trifft sie stets den Ton.

Die Über­set­zung

Wer sich an eine Neu­über­set­zung wagt, ist ent­we­der ver­dammt gut oder ver­dammt selbst­si­cher. Georg Aescht gehört wohl zu den ver­dammt Guten. In Sie­ben­bür­gen auf­ge­wach­sen, ist er Her­aus­ge­ber rumä­ni­en­deut­scher Lite­ra­tur, Publi­zist und Über­set­zer aus dem Fran­zö­si­schen und Rumä­ni­schen. Der Wald der Gehenk­ten ist sei­ne Neu­über­tra­gung von Liviu Rebre­a­nus 1966 erst­mals auf Deutsch erschie­ne­nem Roman.

Aus heu­ti­ger Sicht mögen des­sen aus­la­den­de expres­sio­nis­ti­sche Beschrei­bun­gen fast schon barock anmu­ten, in der Über­set­zung von Aescht wir­ken die­se aber auch heu­te noch schlicht­weg verzaubernd:

Ein trau­ri­ger feuch­ter Herbst­wind weh­te von dem im Nebel hin­däm­mern­den Dorf her­über und trug auf sei­nen Schwin­gen den Nach­hall erstick­ter Seuf­zer heran.

Ein Über­maß an Beschrei­bun­gen stra­pa­ziert in so man­chem Buch die Ner­ven der Leser­schaft (gelobt sei der Autor, der den dreis­ten Mut besaß, „[HIER NOCH EIN BISSCHEN LONDON EINFÜGEN – LEUTE UND FRISUREN UND MODE UND SACHEN]“ in einen Roman zu knal­len und sich alles Wei­te­re zu spa­ren!). Den­noch oder gera­de des­halb genießt man die lang­ge­zo­ge­ne Aus­schmü­ckung umso mehr, näm­lich dann, wenn das Beschrie­be­ne tat­säch­lich eine Rele­vanz hat. In Der Wald der Gehenk­ten han­gelt man sich gie­rig von Beschrei­bung zu Beschrei­bung und liest selbst über das Wet­ter, als gin­ge es um Leben und Tod: „Es folg­ten drei bös­ar­tig ver­reg­ne­te Tage, die Trau­er über die Welt sprühten.“

Mit Prä­zi­si­on lässt der Über­set­zer das Pathos in die deut­schen Sät­ze rie­seln und beweist in die­sem kai­ser­lich-könig­li­chen Spra­chen­pulk ein gutes Gespür für die Ton­la­gen. Leicht ver­gisst man beim Lesen, dass hier nicht nur ver­schie­de­ne Eth­ni­en, son­dern auch ver­schie­de­ne sozia­le Schich­ten inner­halb die­ser Eth­ni­en zu Wort kom­men und was für eine Her­aus­for­de­rung es ist, dem Rumä­nisch der dama­li­gen Zeit unter Berück­sich­ti­gung die­ser Viel­stim­mig­keit ein pas­sen­des Deutsch ent­ge­gen­zu­stel­len. Das bedeu­tet für den Über­set­zer viel Recher­che und ver­langt ihm ein gro­ßes Fin­ger­spit­zen­ge­fühl ab.

Um Georg Aeschts Fin­ger­spit­zen­ge­fühl zu erah­nen, reicht bereits ein Ver­gleich der ers­ten paar Sei­ten mit Valen­tin Lupes­cus Erst­über­set­zung aus dem Jahr 1966. Wie weit sich Lupes­cu vom rumä­ni­schen Ori­gi­nal weg­be­wegt, erkennt selbst ein des Rumä­ni­schen Unkun­di­ger an einem simp­len for­ma­len Merk­mal: der Inter­punk­ti­on. Wäh­rend in der Erst­über­set­zung die lan­gen, gewun­de­nen Sät­ze Rebre­a­nus zu mund­ge­rech­ten Hap­pen por­tio­niert wer­den und der Rhyth­mus des Tex­tes stel­len­wei­se fast einem lako­ni­schen Stak­ka­to gleicht, bleibt Aescht mit der Syn­tax näher am Ori­gi­nal dran. Wie viel mehr sprach­li­che Schär­fe der Neu­über­set­zung außer­dem inne­wohnt, zeigt im Grun­de schon ein Ver­gleich des ers­ten Sat­zes. Auf Rumä­nisch steht da, kom­ma­reich und geschwungen:

Sub cerul cen­ușiu de toam­nă ca un clo­pot uriaș de sticlă abu­ri­tă, spân­zu­ră­to­area nouă și sfi­dă­toare, înfip­tă la mar­gi­nea satu­lui, înt­in­dea brațul cu ștre­an­gul spre câm­pia neagră, înțe­pa­tâ ici-colo cu arbo­ri arâmii.

Im Deut­schen wird dar­aus bei Lupes­cu (links) und Aescht (rechts):

Regen­grau­er Herbst­him­mel hing her­ab wie eine rie­si­ge beschla­ge­ne Glas­glo­cke. Her­aus­for­dernd streck­te der neue Gal­gen am Dorf­rand den Quer­bal­ken mit dem Strang dar­an in die dunk­le Ebe­ne. Reg­los stan­den hier und da kup­fer­far­be­ne Bäume.
Unter dem grau­en Herbst­him­mel, der wie eine rie­si­ge Glo­cke aus Rauch­glas alles über­wölb­te, reck­te der neue, am Dorf­rand errich­te­te Gal­gen sei­nen Arm mit dem Strang feind­se­lig hin­aus auf das schwar­ze Feld, aus dem hier und da kup­fer­ro­te Bäu­me emporstachen.

Nahe­zu harm­los und plät­schernd wirkt die Erst­über­set­zung, wäh­rend Aescht sehr viel atmo­sphä­ri­scher zu über­set­zen ver­mag. Auch den Klang der Epo­che trifft er durch den Ein­satz einer anti­quier­ten, manch­mal hoch­tra­ben­den Spra­che (mit Wen­dun­gen wie „ein­ge­denk der Tat­sa­che“, „er gab sich Rechen­schaft, dass“ oder „er beflei­ßig­te sich einer Red­se­lig­keit, die ihm offen­sicht­lich nicht eigen war“) wesent­lich sicherer.

Mit die­sem hohen Ton scheint Aescht übri­gens dem Zeit­geist der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur zu ent­spre­chen. Inwie­weit es auch die­sem Trend geschul­det ist, dass er es aus­ge­rech­net mit die­ser Über­set­zung auf die Nomi­nier­ten­lis­te des Prei­ses der Leip­zi­ger Buch­mes­se geschafft hat, ist eine ande­re Frage.

Lieb­lings­satz

Die graue Däm­me­rung tropf­te durch die Fens­ter­schei­ben, rann zwi­schen den schläf­ri­gen Pelar­go­ni­en hin­durch und umfing ihn mit einem Glücksgespinst.

Zwei Fra­gen an den Nominierten

Was macht das Buch aus?
Georg Aescht: Liviu Rebre­a­nus Wald der Gehenk­ten hun­dert Jah­re nach den Kriegs­er­eig­nis­sen, die das Buch dar­stellt, wie­der­auf­zu­le­gen erscheint nicht gera­de stra­te­gisch markt­ge­recht. Den­noch hal­te ich die Neu­über­set­zung und Edi­ti­on für rich­tig, wenn nicht gar not­wen­dig. Die Gegen­wart teilt sich uns heu­te zumeist elek­tro­nisch mit, das unmit­tel­ba­re Erle­ben – auch des Ster­bens – wird in media­len Kon­ser­ven ver­kauft. Gera­de des­halb soll ins Bewusst­sein geru­fen wer­den, wozu der Mensch fähig ist und wozu er gezwun­gen wer­den kann – und das nicht allein in neun­zig­mi­nü­ti­gen oder drei­hun­dert­sei­ti­gen Fol­gen von Bil­dern, Sze­nen und Dia­lo­gen, son­dern ein­zig und allein durch die Spra­che, eine Spra­che, in der die Ver­zweif­lung über den Men­schen mit­klingt. Krieg und Unmensch­lich­keit wer­den in den neu­en Medi­en – auch in den „neu­en“ Büchern – illus­triert, bebil­dert. Rebre­a­nu gönnt sich und dem Leser nicht die Muße der erbau­li­chen Betrach­tung. Sein Text springt jeden, der zu lesen weiß, unmit­tel­bar an.

Was haben Sie beim Über­set­zen gelernt?
Georg Aescht: Gelernt habe ich in ers­ter Linie, wie weit die Span­ne zwi­schen einem hun­dert Jah­re alten, exal­tier­ten Rumä­nisch und dem heu­ti­gen, nüch­ter­nen Deutsch ist – und dass man sie nur auf eine Art über­win­den kann: indem man sie Schritt für Schritt durch­misst, vor und zurück. Eine drit­te Grö­ße, die im Auge behal­ten wer­den muss, ist die eigen­ar­ti­ge Sprech- und Sprach­hal­tung in der öster­rei­chisch-unga­ri­schen Mon­ar­chie, in der sich Men­schen ver­schie­dens­ter Natio­na­li­tä­ten und Mut­ter­spra­chen eines obrig­keit­lich bestimm­ten Deutschs zu beflei­ßi­gen hat­ten. So bewegt man sich beim Über­set­zen zwi­schen ganz ver­schie­de­nen Schich­ten und muss bestän­dig dar­auf bedacht sein, sie nicht zu ver­mi­schen, nicht zuzu­las­sen, dass sie sich gegen­sei­tig ein­trü­ben. Ins­ge­samt wird einem bestä­tigt, was man bei jedem Buch neu erlebt: Über­set­zen ist weni­ger die Suche nach der bes­ten Lösung unter den vie­len mög­li­chen als die nach der am wenigs­ten falschen.


Liviu Rebreanu/Georg Aescht: Der Wald der Gehenk­ten (im rumä­ni­schen Ori­gi­nal: Pădu­rea Spînzuraților)

Zsol­nay 2018 ⋅ 352 Sei­ten ⋅ 26 Euro

www.hanser-literaturverlage.de/buch/der-wald-der-gehenkten/978–3‑552–05903‑0/

Anm. d. Red.: Die­se Rezen­si­on wur­de ohne Kennt­nis der Ori­gi­nal­spra­che ver­fasst. Mehr zum The­ma hier.

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