
Hannah Witton ist eine Youtuberin, deren Videos über Sexualität und Beziehungen von Millionen von Menschen geschaut werden. Ihre sehr eigene Art zu reden, ist besonders bei mir hängen geblieben. Wenn ich das englische Original lese, höre ich inzwischen Hannah. Hattet ihr ihre Stimme beim Übersetzen im Ohr?
Jennifer Thomas: Ihre Sprechweise einzufangen, war auf jeden Fall einer der Schwerpunkte, den wir bei der Übertragung ins Deutsche gesetzt haben. Schließlich können sich durch ihre Videos auf YouTube die Leser einen guten Eindruck verschaffen und sollten auch beim Lesen der Übersetzung möglichst ihre Stimme im Kopf haben.
Hanna Ch. Fliedner: Wir haben uns den Youtube-Kanal angeschaut, sobald klar war, dass wir ihr Buch übersetzen würden. Viele der Themen des Buches bespricht sie ja auch in ihren Videos. Ich glaube, was wir daraus mitgenommen haben, war, dass es einen Plauderton braucht. Wir haben versucht, es möglichst umgangssprachlich zu machen. Sie schreibt ja auch in ihrem Vorwort, dass sie wie eine Freundin klingen will. Wir hoffen, dass es gelungen ist.
Eine Schwierigkeit beim Übersetzen ist es, den richtigen Ton zu treffen. Die Texte jüngerer Autorinnen klingen für mich in der Übersetzung oft etwas altmodischer als das Original, was bei dieser Übersetzung allerdings nicht der Fall war. Spielt Alter beim Übersetzen eine Rolle?
Hanna: Ich glaube ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir wegen unseres Alters diesen Auftrag bekommen haben. Ich war gerade noch Ende zwanzig und Jenny mit 26 fast genau im selben Alter wie Hannah Witton. Wir haben uns aber auch bei Leuten umgehört, die noch mal deutlich jünger sind als wir, Bekannte, Geschwister, Mitbewohnerinnen. Ich glaube schon, dass wir da besser den Ton treffen konnten als vielleicht manche ältere Übersetzer*innen.
Jenny: Sicher ist es sprachlich ein Vorteil im etwa gleichen Alter wie die Autorin zu sein, aber ich halte es nicht für unbedingt notwendig, um den Ton zu treffen. Wäre ich allerdings viel älter gewesen, wären mir bestimmt einige inhaltliche Anspielungen entgangen. Hannah Witton hat damals offensichtlich dieselben Filme geguckt wie wir, und nicht immer sind die Zitate, die sie daraus verwendet, als Zitate gekennzeichnet. So hat sie zum Beispiel einen Satz aus dem Film „Mean Girls“, einer dieser typischen Teenie-Komödien, als Zwischenüberschrift genutzt.
Wie schafft man es, dass ein Text authentisch klingt?
Hanna: Das ist wirklich eine absolute Gratwanderung. Man ist natürlich versucht, bestimmte Sachen im Deutschen abzuschwächen, zum Beispiel, wenn besonders viele Schimpfwörter vorkommen. Bei Hannah Witton aber geht es zum Beispiel auch um Themen wie Schlampen-Bashing. Da nützt es auch gar nichts, das zu umschreiben. Bei ihr ist es ganz wichtig, dass man die Dinge wirklich auch beim Namen nennt. Das entspricht auch ihrer Persönlichkeit.
Jenny: Da kann ich nur zustimmen. Aber gerade bei Jugendbüchern sollte man meiner Meinung nach aufpassen, dass die „Jugendsprache“ nicht zu bemüht klingt. Da Trendwörter schnell wieder aus der Mode kommen, wäre es nicht klug, den Text mit allzu vielen davon zu dekorieren. Eine Einstreuung gewisser Marker – die ja auch im englischen Original enthalten sind – können allerdings sehr wirkungsvoll sein.
Sie versteht sich auch als Aufklärerin und nennt sich selbst „Sex Educator“.
Hanna: Genau, als „Sexpertin“.
Jenny: Sie thematisiert Dinge, die viele Jugendliche und oft auch noch Erwachsene beschäftigen und über die sich nur wenige zu sprechen trauen, weil sie sehr intim sind. Allerdings spricht sie nicht nur offen und ehrlich über die Themen Sex und Liebe, sondern plädiert auch immer wieder für Respekt und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen.
Ihr habt den Text zusammen übersetzt. Wie kam es dazu? Und wie lässt man zu zweit einen einheitlichen Tonfall entstehen?
Jenny: Auf der Übersetzertagung in Wolfenbüttel wurden wir zusammen unserer Lektorin Wiebke Andersen-Oberschäfer vorgestellt, was dann letztendlich auch zu der Teamarbeit führte. Ich bin sehr glücklich darüber, mit Hanna zusammen an dem Buch gearbeitet zu haben. Da wir beide noch relativ am Anfang unserer Übersetzerlaufbahn standen, war es doch eine Erleichterung, mit so ernsten und komplizierten Themen wie Pornografie, Konsens und LGBTQ+ nicht allein dazustehen. Ich denke, es ist sehr wichtig, sich gegenseitig zu lektorieren und die ganze Zeit über eng zusammenzuarbeiten, damit ein einheitlicher Tonfall entsteht.
Hanna: Ich war auch sehr froh über die Zusammenarbeit. Wir haben den Text zuerst aufgeteilt und geschaut, dass die Kapitel gerecht verteilt sind. Das Buch muss man ja auch nicht von vorne nach hinten lesen, das war ganz praktisch. Gegen Ende haben wir die Texte gegenseitig lektoriert und intensiv besprochen. Man entdeckt im Teil der anderen zum Beispiel Lieblingswörter oder Regionalismen. Im Idealfall stuft man das ein bisschen herunter. Ob der einheitliche Tonfall gelungen ist, würde ich den Lesern und Leserinnen überlassen.
Geht man vom deutschen Cover aus, scheint das Buch vor allem an Teenager gerichtet zu sein. Hannah Witton hat jedoch auch viele Videos, die eher Mittzwanziger ansprechen sollen, und auch das amerikanische Cover suggeriert ein anderes Publikum. Welche Zielgruppe hattet ihr beim Übersetzen im Auge?
Hanna: Sie selbst schreibt im Vorwort, dass das Buch für junge Leute ab 14 Jahren ist. Wenn man jünger ist und Lust drauf hat, kann man in das Buch natürlich schon früher reinschauen. Dasselbe gilt laut Hannah Witton für Ältere, weil man ja nie aufhört zu lernen. Wir sind schon sehr klar mit der Zielgruppe um die 14 und aufwärts an die Übersetzung gegangen. Auch vom Verlag wurde die Zielgruppe so definiert. Ein bisschen erinnert mich das Cover an die Reihe „Freche Mädchen, freche Bücher“.
Jenny: Ich stimme der Autorin zu und würde sagen, das Buch ist ebenso gut für Mittzwanziger geeignet. Grundsätzlich lernt man nie aus, vor allem nicht im positiven Umgang mit sich und anderen Menschen.
Hannahs Sprache würde ich als eine Art „Millenial-English“ beschreiben. Ich denke dabei an Wendungen wie „spoiler alert“ oder Wörter wie „Sexting“, die natürlich auch Einzug in die deutsche Jugendsprache erhalten haben. Wie habt ihr entschieden, welche Wörter ihr ins Deutsche übertragt und welche aus dem Englischen übernommen werden?
Hanna: Die Grenze ist sehr fließend. Im Prinzip fragen wir sehr viel rum: „Kennt ihr den Begriff, würdet ihr ihn benutzen?“ Wir fragen Leute in unserem Alter, aber eben auch Jüngere, das sind vor allem Freunde und Bekannte. Teilweise haben wir auch deutsche Youtube-Kanäle angeschaut, zum Beispiel Bedside Stories oder Klein aber Hannah, um zu schauen, wie darin gesporchen wird. Bei Wörtern wie „Sexting“ ist es natürlich schwierig, überhaupt deutsche Versionen zu finden, der Begriff muss irgendwie auch im Deutschen verwendet werden. Es gibt Websites wie Profamilia oder die der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, von denen haben wir auch Begriffe übernommen. Aber das muss man von Situation zu Situation entscheiden. Die Angst, dass das Jugendliche lesen und sich fragen, was das für Begriffe sein sollen, ist natürlich trotzdem immer da.
Jenny: Meistens kommt es auch darauf an, wie selbsterklärend die Wörter sind. Sexting kannte ich vorher zum Beispiel auch nicht, aber aus dem Kontext wird sehr deutlich, was damit gemeint ist.
In der Übersetzung gibt es Fußnoten, die auf die Gesetzeslage in Deutschland (im Vergleich zur UK) verweisen und die Unterschiede zwischen den beiden Länder hervorheben. Habt ihr die eingefügt?
Hanna: Als wir das Manuskript gelesen haben, ist uns direkt aufgefallen, dass es da ganze Passagen gibt, die sich mit der britischen Rechtslage beschäftigen. Das funktioniert in Deutschland natürlich anders. Da das Buch aber als Ratgeber für deutsche Jugendliche dienen soll, mussten wir eingreifen. Wir hatten überlegt, die Kapitel rauszunehmen, dann kam aber die Ansage, dass wir das erstmal übersetzen und dann später die Unterschiede recherchieren sollen. Das war eine weitaus größere Aufgabe, als wir es zunächst gedacht haben. Wir sind natürlich keine Juristinnen und mussten uns die Gesetzestexte im Internet anschauen. Die Gesetze zu interpretieren ist natürlich noch mal eine ganz andere Aufgabe, da der Bereich sehr schwierig ist. Die Fassungen haben wir dann Leuten geschickt, die sich mit der Rechtslage auskennen.
Jenny: Diese Aufgabe haben wir wirklich grandios unterschätzt. Aber ich bin sehr froh, dass wir die Fußnoten eingefügt haben. Schließlich soll dieses Buch Jugendliche in Deutschland informieren, da sind diese Angaben unumgänglich. Auch die Internetseiten im letzten Teil, auf denen man zu bestimmten Themen noch etwas nachlesen kann, mussten wir für das deutsche Publikum anpassen.
Hannah Witton verwendet in ihrem Buch das englische Wort „partner“, wenn sie Beziehungsdynamiken beschreibt. Ihr habt euch in der deutschen Übersetzung entschieden an solchen Stellen zu gendern und das Gendersternchen verwendet, das in den Medien noch immer heftig umstritten ist. Wie kam es dazu?
Hanna: Uns ist aufgefallen, dass Hannah Witton immer die Pluralform „they“ nutzt, auch wenn es um einzelne Personen geht. Im Englischen ist das natürlich sehr dezent; es fällt Leuten zwar auf, allerdings eben auch nicht zu doll. Trotzdem ist klar, dass damit alle Geschlechter und Identitäten gemeint sind. Zunächst war die Idee in der deutschen Ausgabe eine Notiz mit einzufügen, die erklärt, dass wir die männliche Form zwar verwenden, aber mit dieser eigentlich alle gemeint sind. Wir haben dann angefangen zu übersetzen und gemerkt, dass das eigentlich nicht reicht und auch nicht Hannah Wittons Selbstverständnis als Feministin gerecht wird. Dann haben wir die Lektorin noch mal angesprochen und gesagt, dass wir damit noch nicht so ganz glücklich sind und ein bisschen mehr machen müssen. Sie war sehr aufgeschlossen. Ich glaube tatsächlich, dass es da auch eine Besprechung im Verlag gab und Carlsen da sehr lange überlegt hat.
Jenny: Hannah Witton legt besonderen Wert darauf, alle Menschen einzubeziehen. Das betont sie selbst in ihren Videos immer wieder. Uns blieb also gar nicht viel anderes übrig, als die Übersetzung ebenfalls möglichst genderneutral zu halten. Im Verlauf der Übersetzung ist mir, und ich denke auch Hanna, immer klarer geworden, dass alle anderen Lösungen diesem Buch nicht gerecht geworden wären.
Und warum gerade das Sternchen und nicht beispielsweise das Binnen‑I oder eine Ausschreibung?
Hanna: Die Sternchen-Variante wird von offiziellen Stellen empfohlen, zum Beispiel von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Außerdem schließt das Sternchen im Gegensatz zum Binnen‑I nicht nur Männer und Frauen, sondern alle Identitäten mit ein. Wir hatten den Eindruck, dass das Sternchen die Gegenwart am besten abbildet. Vielleicht ist das auch nur eine Momentaufnahme.
Jenny: Ausschreibungen haben wir manchmal auch verwendet, allerdings hätte das einige Sätze sehr in die Länge gezogen.
Es gibt aber auch viele Gegenstimmen. Viele streiten die Notwendigkeit des Genderns ab.
Jenny: Lange Zeit habe ich das Gendern ebenfalls für ein unnötiges Verkomplizieren von Texten, Reden, Anschreiben, etc. gehalten – bis mir jemand von dem Chefarzt-Rätsel berichtete.
Hanna: Die Ableitung der weiblichen Form aus der männlichen entspricht einer Sichtweise, in der der Mann die Regel und die Frau das Beiwerk ist, die aber heute nicht mehr zeitgemäß ist. Man kann natürlich behaupten, dass das Gendern übertrieben wird, dass alles historisch gewachsen ist, und dass es sich „nur“ um Sprache handelt. Trotzdem fühlt man sich als Frau nicht unbedingt angesprochen, wenn, wie in dem von Jenny genannten Beispiel, ein Chefarzt erwähnt wird. Reden wir von einem „Arzt“, denken wir an einen Mann. Wir haben natürlich ausprobiert, nicht zu gendern, aber das funktionierte nicht. Bei Sätzen wie „Sprich mit deinem Partner darüber“ schließt man automatisch daraus, dass die Leserin sich mit ihrem Freund, einem Mann, auseinandersetzen soll. Wenn es irgendwie möglich war, haben wir auch beide Formen ausgeschrieben (z. B. Partner und Partnerin). Das Geschlecht der Lesenden ist ja auch nicht immer bekannt. Durch das Sternchen bzw. die Ausschreibung sind alle gemeint.
In gewisser Weise tragt ihr als Übersetzerinnen auch einen Generationenkonflikt aus.
Jenny: Einerseits kommt einem das wie eine schier unmögliche Aufgabe vor, andererseits ist es toll, wenn man mit seiner Übersetzung etwas bewegen kann.
Hanna: Wir verstehen das sicherlich auch als Auftrag, vor allem im Sinne der jungen Autorin. Gerade weil sich das Buch an junge Leute richtet, war es umso wichtiger eine adäquate Sprache zu finden. Wenn junge Leute damit nicht aufwachsen oder sich Gedanken darüber machen, wer dann? Wie soll sich dann irgendwas ändern? In vielen Bereichen ist Gendern ja inzwischen normal. Man kann sich daran auch gewöhnen. Am Anfang ist es sicherlich komisch, aber irgendwann entsteht das Gefühl, dass es dazugehört. Darf ich eine Rückfrage stellen? Wie ist es denn mit der Sternchen-Variante – hat die beim Lesen irritiert?
Man stolpert natürlich darüber, weil das Sternchen optisch so hervorsticht. Es irritiert eigentlich nur, wenn es mehrmals in einem Absatz vorkommt. Richtig gestört hat es mich in diesem Text allerdings nicht. Das liegt vielleicht daran, dass es sich um einen Ratgeber handelt. Würdet ihr auch in einem literarischen Werk das Gendersternchen verwenden?
Hanna: In Sachbüchern wird geschlechtergerechte Sprache auf jeden Fall eher akzeptiert. Ich glaube auch, dass der Verlag deswegen so bereitwillig darauf eingegangen ist. Es wird ja oft argumentiert, dass durch das Gendern die Sprache „verschandelt“ wird, das will man natürlich nicht. Es stimmt auch, dass der Lesefluss dadurch unterbrochen wird. Gendern ergibt vor allem dann Sinn, wenn ein Innehalten und eine Auseinandersetzung mit der Thematik erfolgen soll. Ich habe für mich noch nicht geklärt, wie ich damit grundsätzlich umgehe. In dem Projekt war mir aber wichtig, dass es gemacht wird.
Jenny: In fiktionalen Werken taucht dieses Problem eher weniger auf, da an vielen Stellen klar ist, welches Geschlecht gemeint ist. Sonst gäbe es natürlich noch die Möglichkeit, die Autorinnen und Autoren zu fragen, welches Geschlecht sie beim Schreiben im Kopf hatten. Gerade in englischen Originalen wird bei weniger wichtigen Charakteren nicht immer deutlich, welches Geschlecht nun gemeint ist. Und es gibt ja auch noch andere Strategien, zum Beispiel ein geschlechterspezifisches Nomen bzw. Pronomen durch eine neutrale Variante auszutauschen oder den Satz so umzuformulieren, dass explizites Gendern nicht mehr nötig ist. Allerdings sollte man es damit auch nicht übertreiben.
Sprache ändert sich ständig und vieles, was vor Jahrzehnten noch ungewohnt schien, ist es jetzt nicht mehr. Hat das Gendersternchen außerhalb von Hannah Wittons Text eine Zukunft?
Jenny: Das ist schwer zu sagen, wir zumindest haben uns relativ schnell an die Sternchen-Variante gewöhnt.
Hanna: Ich glaube, dass es zum jetzigen Zeitpunkt eben noch ungewohnt ist, weshalb sich so viele auch daran stoßen. Vielleicht ist es tatsächlich in ein paar Jahren, wie du sagst, normal. Oder es hat jemand eben eine bessere Lösung gefunden.

Hanna Christine Fliedner hat in Düsseldorf Literaturübersetzen studiert. Nach Abstechern kreuz und quer durch die weite und nicht ganz so weite Welt überträgt sie nun Literatur aus dem Englischen, Spanischen und Portugiesischen ins Deutsche.

Jennifer Thomas hat ebenfalls Literaturübersetzen in Düsseldorf studiert und ist heute freiberuflich tätig. Sie übersetzt aus dem Englischen und Spanischen und hat u.a. Andrew Morton und Sir Arthur Conan Doyle ins Deutsche übertragen.

Hannah Witton/Hanna Christine Fliedner/Jennifer Thomas: Untendrumherumreden – Alles über Liebe und Sex. (Im englischen Original: Doing it.)
Carlsen 2019 ⋅ 304 Seiten ⋅ 8,99 Euro
www.carlsen.de/taschenbuch/untendrumherumreden-alles-ueber-liebe-und-sex/96381