„Ich woll­te kei­nen musea­len Kos­tüm­film produzieren“

Frank Heibert gilt als Spezialist für sprachlich herausfordernde Literatur. Jetzt ist seine Neuübersetzung von Raymond Queneaus Klassiker „Zazie in der Metro“ erschienen. Ein Gespräch über dreifache Reime, verdoppelte Subjekte und die Prinzipien des Übersetzens. Interview:

Le traducteur dans le métro. Zum Glück ist aus Zazie in der Metro im Deutschen keine Marie in der BVG geworden. Foto: Felix Pütter

Wann ist dir Zazie zum ers­ten Mal begegnet?

Wie fast allen Roma­nis­tik­stu­den­ten im Stu­di­um, in den Acht­zi­ger­jah­ren. Beim ers­ten Lesen war ich teils amü­siert, teils über­for­dert und habe mich gefragt, ob ich klei­ner Fran­zö­sisch­stu­dent wohl alles kapie­re, was da sprach­lich pas­siert. Schon damals fand ich das aber sehr span­nend, weil es kaum Autoren gibt, die so schreiben.

Das fran­zö­si­sche Ori­gi­nal ist 1959 erschie­nen; ein Jahr spä­ter ver­öf­fent­lich­te der Suhr­kamp Ver­lag schon die ers­te Über­set­zung aus der Feder von Eugen Helm­lé. Wann hast du die ken­nen gelernt?

Die hat­te ich wäh­rend des Stu­di­ums natür­lich auch. Ich habe nur eine dif­fu­se Erin­ne­rung dar­an, aber ich weiß noch, dass sie mir schon damals – ohne das genau­er ana­ly­siert zu haben – ein biss­chen stau­big vorkam.

Aber damals hast du noch nicht dar­an gedacht, die­sen Text ins Deut­sche zu übersetzen.

Nein, um Got­tes Willen.

Que­neau zu über­set­zen galt lan­ge als unmög­lich. Helm­lés Über­set­zung war trotz­dem, oder gera­de des­halb, von Anfang an äußerst umstrit­ten. Es gab hef­ti­ge Ver­ris­se. Noch 1994 hat die Düs­sel­dor­fer Roma­nis­tin und Über­set­zungs­wis­sen­schaft­le­rin Mona Wodsak in einem lan­gen und sehr detail­lier­ten Auf­satz1 dar­ge­legt, wo die Schwä­chen die­ser Fas­sung lie­gen, und für eine Neu­über­set­zung plä­diert. War­um hat es den­noch so lan­ge gedauert?

Es liegt in der Natur der Sache, dass man sol­che Wer­ke nur Über­set­zern geben kann, die das als ihr Ver­gnü­gen, ihre Mis­si­on, ihren Auf­trag emp­fin­den und Lust dazu haben. Und außer­dem hat sich die­ses Buch von der Back­list ja kon­ti­nu­ier­lich wei­ter ver­kauft. Da gibt es aus Ver­lags­sicht erst­mal wenig Anlass, dar­an etwas zu ändern, es sei denn, durch eine edi­to­ri­sche Ent­schei­dung. Die Neu­über­set­zung von Zazie ergab sich denn auch aus dem Vor­gän­ger­pro­jekt: den Stil­übun­gen, die ich gemein­sam mit Hin­rich Schmidt-Hen­kel über­setzt hat­te.

Hast du denn vom Ver­lag einen inhalt­li­chen „Auf­trag“ bekommen?

Ich habe zusam­men mit dem Lek­tor Frank Weg­ner Ori­gi­nal und ers­te Über­set­zung noch ein­mal genau ange­schaut, um für uns klar­zu­stel­len, ob es eine Neu­über­set­zung braucht. Die Ant­wort war ein ent­schie­de­nes Ja.

Was waren da die ent­schei­den­den Argumente?

An Stel­len, wo es um die psy­cho­lo­gi­sche Plau­si­bi­li­tät von Sprech­wei­sen sowohl der Figu­ren als auch der Erzäh­ler­stim­me geht, bleibt Helm­lé nah am Ori­gi­nal. Das liest sich dann oft steif oder umständ­lich, was an vie­len Stel­len ein­fach die Wir­kung min­dert. Man merkt, dass der Text wit­zig oder iro­nisch sein will, das Ori­gi­nal winkt einem ver­stoh­len zu, aber die Über­set­zung bringt die­se Absicht nicht direkt genug raus – oder nur mit den Mit­teln eines älte­ren Sprach­stan­des. Zu Helm­lés Ver­tei­di­gung muss man aber auch sagen, dass er mit sei­nem expe­ri­men­tell-avant­gar­dis­ti­schen Ansatz auch ein neu­es Kapi­tel für die Rezep­ti­on fran­zö­sisch­spra­chi­ger Lite­ra­tur in Deutsch­land auf­ge­schla­gen hat. „Expe­ri­men­tell-avant­gar­dis­tisch“ heißt ja nun ein­mal: Weg vom Natu­ra­lis­mus, weg vom Rea­lis­mus, also weg von genau dem, was ich bei Helm­lé heu­te ver­mis­se. Nur: Que­neau macht bei­des. Er arbei­tet sehr sprach­spie­le­risch, dar­in oft expe­ri­men­tell und für sei­ne Zeit auch avant­gar­dis­tisch, aber er macht das immer auf einem Nähr­bo­den von psy­cho­lo­gi­scher Plau­si­bi­li­tät. Das macht es ja so wit­zig: Figu­ren, die einem als glaub­wür­dig prä­sen­tiert wer­den, machen und sagen dann die ver­rück­tes­ten Din­ge. Helm­lé hat mei­nem Gefühl nach die­sen Dop­pel­weg nicht ver­folgt, son­dern sich auf den expe­ri­men­tel­len Aspekt kon­zen­triert und vie­les mit gro­ßer Wört­lich­keit behandelt.

Wer ein Buch über­setzt, der muss ja immer einer­seits akri­bisch recher­chie­ren und ande­rer­seits mit gro­ßer Sprach­fan­ta­sie an den Text her­an­ge­hen. Oft über­wiegt einer der bei­den Aspek­te – bei Zazie mit ihren viel­fäl­ti­gen his­to­ri­schen und lite­ra­ri­schen Bezü­gen ist aber bei­des gleich wich­tig. Haben sich die­se bei­den Aspek­te beim Über­set­zen eher befruch­tet oder behindert?

Die­se bei­den Aspek­te waren in ver­schie­de­nen Sta­di­en des Über­set­zungs­pro­zes­ses unter­schied­lich prä­sent. Ich habe mit einer ers­ten Fas­sung begon­nen, in der schon viel recher­chiert und viel Spie­le­ri­sches ver­sucht war. Bei die­sem viel­schich­ti­gen Buch war mir aber klar, dass ich einen fran­zö­si­schen Mut­ter­sprach­ler als Gegen­le­ser brau­che. Den hat­te ich in der Per­son von Alex­and­re Pateau, einem sehr guten Über­set­zer aus dem Deut­schen ins Fran­zö­si­sche, der genau liest und Spaß an Que­ne­aus Anspie­lungs­reich­tum hat. Der hat mich auf vie­les hin­ge­wie­sen. Ich muss­te dann abwä­gen, wel­che Spie­le­rei­en unbe­dingt hin­ein muss­ten, weil ver­mut­lich Que­neau beim Schrei­ben die­bisch geki­chert hat, und wel­che viel­leicht nur eine fünf­te Kon­no­ta­ti­on waren, die mit­schwin­gen kann, aber nicht muss. Der Blick von außen war wich­tig. Bei die­sem Werk kann man ein­fach nicht mit der Hybris antre­ten, zu sagen, dass man das ganz allei­ne kann.

Im Haus­blog des Suhr­kamp Ver­lags hast Du einen klei­nen Ein­blick in den Arbeits­pro­zess gege­ben und eine Wort­spie­le­rei ver­öf­fent­licht, die der Über­ar­bei­tung irgend­wann zum Opfer gefal­len ist. Hät­test du noch viel frei­er sein kön­nen oder hast du die Hecken­sche­re schon im Kopf angesetzt?

Ich habe mei­ne Fan­ta­sie erst ein­mal nicht beschnit­ten, weil Que­neau das auch nicht tut. Ich bin sowie­so der Ansicht, dass erst das Lek­to­rat dazu da ist, die „Lek­to­rats­fas­sung“ her­zu­stel­len – das schon vor­her zu machen ist wie Auto­fah­ren mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se. Wenn ein Text mich inspi­riert, dann habe ich natür­lich manch­mal mehr Ideen, als das Ori­gi­nal zwin­gend erfor­der­lich macht. Zu mei­nem Ethos als Über­set­zer gehört aber auch immer die Selbst­be­fra­gung: Ist die­se Idee wirk­lich zwin­gend? Kann ich die ver­tre­ten? Oder ist das nicht nur eine klei­ne Pra­li­ne, die mir halt ein­ge­fal­len ist, die ich mir aber doch bes­ser ver­knei­fen soll­te? Das habe ich mit gro­ßer Stren­ge durch­ge­zo­gen – aller­dings in einem spä­ten Sta­di­um. Ich habe noch in den Fah­nen so einen „Dar­ling“ gekillt.

Was denn?

Zazi­es ers­ter Satz auf dem Bahn­steig lau­tet: „Chsu­is Zazie, jpa­rie que tu es mon ton­ton Gabri­el.“ Dar­in steckt der drei­fa­che Reim „chsu­is“ – „Zazie“ – „jpa­rie“. Das ist natür­lich auf­fäl­lig, und wenn man Que­neau über­setzt und schon alle Wort­spiel-Anten­nen aus­ge­fah­ren hat, umso mehr. Irgend­wann hat­te ich ein­mal die Idee, dass Zazie alle Leu­te mit einem gereim­ten Stan­dard­spruch begrüßt: „Ich bin Zazie, und wer sind Sie?“ Und dann wür­de sie hier fort­fah­ren mit „Wet­ten, du bist …“ – um durch das Du klar zu machen, dass das nur ein Stan­dard­spruch von ihr ist, der nichts mit ihrem Onkel zu tun hat. Wenn man die­ses Reim­spiel für abso­lut zwin­gend erklä­ren könn­te, wäre es eigent­lich ganz lus­tig gewe­sen. Aber natür­lich steht rein gar nichts à la „Wer sind Sie?“ im Ori­gi­nal. Das ging mir dann zu weit. Obwohl es im Geis­te von Zazie und viel­leicht auch im Geis­te von Que­neau gewe­sen wäre, habe ich mich letzt­lich dage­gen entschieden.

Kom­men wir noch ein­mal zur Fra­ge nach den über­set­ze­ri­schen Prin­zi­pi­en. Eva Ruth Wem­me hat uns nach ihrer Aus­zeich­nung mit dem Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se im Inter­view gesagt: „Es ist mein Cre­do, dass das Rumä­ni­sche ein biss­chen durch­schim­mern soll. Ein über­setz­ter Text muss trans­pa­rent sein.“ Ich habe dich immer so ver­stan­den, dass du eher dar­auf hin­aus­willst, etwas zu pro­du­zie­ren, das auch von einem deut­schen Autor hät­te stam­men kön­nen. Stimmt das?

Ich fin­de schon, dass eine Über­set­zung von ihrem lite­ra­ri­schen Kali­ber her gleich­wer­tig sein, das heißt idea­ler­wei­se als ein gleich­ran­gi­ges deutsch­spra­chi­ges lite­ra­ri­sches Werk antre­ten kön­nen muss. Das bedeu­tet aber nicht, dass man nicht trotz­dem mer­ken dürf­te, dass es eine Über­set­zung ist. Das schließt sich nicht aus. Und „mer­ken“ ver­ste­he ich nicht in dem Sin­ne man­cher Über­set­zungs­kri­ti­ken, die sprach­li­che Stör­fak­to­ren, Inter­fe­ren­zen mei­nen. Es ist ja auch eine Qua­li­tät, dass man merkt: Die­ses Werk kommt aus einer ande­ren Kul­tur, einer ande­ren Men­ta­li­tät. Die wie­der­um ein­zu­deut­schen fän­de ich total falsch. Es gibt außer­dem bestimm­te Cha­rak­te­ris­ti­ka ande­rer Spra­chen, die man im Deut­schen stär­ker beto­nen kann, ohne dass es des­we­gen komi­sches Deutsch wür­de. Man hat ja im Deut­schen – zum Bei­spiel beim Umgang mit Meta­phern oder Satz­bau und Rhyth­mus – vie­le Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten. Da kann man durch­aus vom Ori­gi­nal inspi­rier­te Lösun­gen wäh­len, die vom Stan­dard­deut­schen nicht immer benutzt wür­den, die aber auch nicht falsch sind. Und damit das Deut­sche viel­schich­ti­ger machen – statt dass Über­set­zun­gen, wie David Bel­los kon­sta­tiert, sprach­lich immer main­strea­mi­ger, durch­schnitt­li­cher aus­fal­len als ihre Ori­gi­na­le. Oder man dehnt die Spra­che noch ein klei­nes biss­chen über das Gän­gi­ge hin­aus – die­se Posi­ti­on ver­tritt zum Bei­spiel, natür­lich nur dort, wo das Ori­gi­nal es ver­langt, die Kol­le­gin Miri­am Man­del­kow mit sehr span­nen­den Übersetzungslösungen.

Ein Bei­spiel, das auch Mona Wodsak auf­zählt, ist die Ver­dopp­lung oder Vor­weg­nah­me des Sub­jekts, der die Aste­rix-Über­set­ze­rin Gud­run Penn­dorf mit dem Spruch „Die spin­nen, die Römer“ ein Denk­mal gesetzt hat. Zazie spricht auch oft so, du hast das aber meis­tens eliminiert. 

Die­ses Mit­tel soll im Fran­zö­si­schen ent­we­der eine Beto­nung anzei­gen oder Bezugs­si­cher­heit her­stel­len, weil die Bezü­ge wegen der man­geln­den Dekli­na­ti­on der Sub­stan­ti­ve sonst oft nicht klar wären. Das brau­chen wir im (dekli­nie­ren­den) Deut­schen aber in der Regel nicht, um die Bezü­ge zu sichern, also mache ich es auch nicht. Beto­nun­gen kann man im Deut­schen anders her­stel­len, zum Bei­spiel durch syn­tak­ti­sche Umstel­lun­gen. Die­se Sub­jekt­ver­dopp­lun­gen in Über­set­zun­gen aus dem Fran­zö­si­schen sind für mich eher ein Zei­chen, dass da jemand zu nah am Ori­gi­nal geblie­ben ist.

Gibt es eine Figur, die dir beson­ders leicht gefal­len ist? Mit der du dich iden­ti­fi­zie­ren kannst?

Nein. Ich fand sie alle amü­sant, aber iden­ti­fi­ziert habe ich mich mit kei­ner von ihnen. Aber das muss man auch nicht. Am ehes­ten habe ich ver­sucht, mich mit die­sem lie­be­vol­len, spöt­ti­schen und süf­fi­san­ten Erzäh­ler­blick zu iden­ti­fi­zie­ren. Denn das ist ja wirk­lich ein all­wis­sen­der, ja all­mäch­ti­ger Erzäh­ler, und du musst dich bei die­sem Buch auch als all­mäch­ti­ger Über­set­zer posi­tio­nie­ren, sonst brauchst du gar nicht anzufangen.

Du maßt dir ja auch an, min­des­tens der Hälf­te der Figu­ren neue Namen zu geben. Zazi­es Mut­ter bei­spiels­wei­se, im Ori­gi­nal und in Helm­lés Über­set­zung Madame Laloc­hè­re, heißt bei dir jetzt Madame Grossestittes.

Es gibt eine bestimm­te Art von Lite­ra­tur, in der spre­chen­de Namen von einem all­mäch­ti­gen Autor zur Iro­ni­sie­rung einer Figur ein­ge­setzt wer­den. Nicht alle spre­chen­den Namen haben die­se Funk­ti­on. Aber bei den Wer­ken, wo ich das bis­her gemacht habe, näm­lich bei Boris Vians Gischt der Tage und eben hier, soll der Leser nun ein­mal gemein­sam mit dem Autor über die­sen spre­chen­den Namen lachen, weil der die Figur noch ein­mal cha­rak­te­ri­siert. Des­halb ist es mir wich­tig, dass die Namen ver­ständ­lich sind und nicht ein­fach als irgend­ein fran­zö­si­scher Name gele­sen wer­den. Und so erfin­de ich einen deut­schen spre­chen­den Namen (bedeu­tungs­äqui­va­lent zum Ori­gi­nal: „les loches“ sind im Argot die „(gro­ßen) Tit­ten“) und schrei­be ihn so hin, als wäre er mit fran­zö­si­schen Akzent gespro­chen bzw. fran­zö­si­s­iert, so dass er wei­ter­hin nach einem fran­zö­si­schen Namen aus­sieht und doch die deut­sche Bedeu­tung trägt: Grossestittes.

Muss­test du den Ver­lag von dei­nen Namens­än­de­run­gen überzeugen?

Nein. Frank Weg­ner hat sich gefreut!

Die Fra­ge, wie viel hin­ter die­sen gan­zen Spä­ßen steckt, ist aber durch­aus legi­tim. Der Kri­ti­ker Klaus Nüch­tern schrieb kürz­lich im öster­rei­chi­schen Fal­ter: „Abge­se­hen ein­mal davon, dass die Zotig- und Schlüpf­rig­kei­ten, das gan­ze Getue und Gemut­ma­ße um die ‚Hor­mo­ses­sua­li­tät‘ Gabri­els heu­te eher ver­klemmt als kühn wir­ken, ent­puppt sich auch die sprach­li­che Kühn­heit bei nähe­rem Hin­se­hen meist als mat­tes Avant­gar­dis­ten­ge­wit­zel.“ Dei­ne Ant­wort darauf?

Den Ver­dacht einer gewis­sen Ver­klemmt­heit hat­te ich zu einem gewis­sen Zeit­punkt selbst auch. Aber dann ist mir auf­ge­fal­len, dass eigent­lich nur gewis­se Figu­ren, über die Que­neau sich sowie­so lus­tig macht, damit ein Pro­blem haben. Die direkt Betrof­fe­nen, näm­lich Gabri­el und Mar­ce­li­ne, blei­ben da ganz ruhig; sie sagen, nein, ist er nicht, aber sie empö­ren sich nicht ob der Unter­stel­lung, was eigent­lich zeit­ty­pisch gewe­sen wäre. Der Grund, war­um Zazie sich so sehr für die­ses The­ma inter­es­siert, ist eher, dass sie merkt, die meis­ten Erwach­se­nen druck­sen bei dem The­ma her­um. Sie will es dann, wie immer, genau wis­sen. Que­neau macht sich also über die spie­ßi­ge Bür­ger­lich­keit sei­ner Zeit lus­tig und ist kei­nes­wegs sel­ber verklemmt.

Ist Gabri­el wirk­lich so cool? Zazi­es stän­di­ge Nach­fra­gen sind ihm doch ziem­lich peinlich.

Das gan­ze Thea­ter ist ihm pein­lich. Er weiß natür­lich auch, dass ein Schwu­ler 1959 nichts zu lachen hat. Aber er begibt sich nicht in die typi­sche Ent­rüs­tung des recht­schaf­fe­nen Man­nes, dem etwas Ehr­ab­schnei­den­des ange­dich­tet wird. Und auch Gri­doux, der Schus­ter, weist den Poli­zis­ten zurecht – nach dem Mot­to: Hey, der arbei­tet halt als Tra­ves­tie­künst­ler, was soll das Pro­blem sein?

Nüch­tern kri­ti­siert auch, dass du bei der Über­set­zung münd­li­cher Rede Ver­satz­stü­cke ver­schie­de­ner Zeit­ebe­nen vermischst.

Die Ana­ly­se stimmt. Das ist mein Ver­such, die­sen Zeit­ab­stand zu über­brü­cken. Ich woll­te ja sprach­lich weder einen musea­len Kos­tüm­film pro­du­zie­ren noch in der „Cool-krass-geil“-Ecke lan­den – eine Mischung aus Münd­lich­keits­si­gna­len ver­schie­de­ner Jahr­zehn­te zwi­schen damals und heu­te ergab sich damit gera­de­zu zwangs­läu­fig. Wie auf­fäl­lig das ist, hängt stark von der Sprach­prä­gung jedes ein­zel­nen Lesers ab. Da kann ich nicht jeden glück­lich machen. Wenn es einem auf­fällt, kann man es auch als Teil eines – hof­fent­lich amü­san­ten – Spiels mit Spra­che begreifen.

Aber steckt in dem Buch nicht mehr als ein his­to­ri­sches Zeug­nis einer­seits und ein wit­zi­ges Sprach­spiel ande­rer­seits? Die Refe­ren­zen bei­spiels­wei­se auf Proust sind doch kaum zu übersehen.

Die­se Bezü­ge gibt es, aber eher als Ange­bo­te. Zum Glück kann man den Roman auch genie­ßen, ohne die alle zu kapie­ren. Zeit­los ist für mich vor allem Que­ne­aus Respekt­lo­sig­keit. Er tritt den Auto­ri­tä­ten per­ma­nent vors Schien­bein. So etwas ist immer groß­ar­tig. Und wie er das macht, ist immer noch wit­zig. Denn selbst wenn heu­te die Kin­der viel­leicht fre­cher reden als sie es damals durf­ten, so dass Zazi­es Kod­der­schnau­ze heu­te weni­ger scho­ckie­rend wirkt, amü­siert einen das in die­sem his­to­ri­schen Rah­men ja immer noch. Die Hand­lung muss man neh­men wie ein Road­mo­vie. Da geht es ja auch nicht um die ein­zel­nen Sta­tio­nen, son­dern um die Akku­mu­la­ti­on von kurio­sen Begeg­nun­gen und Situa­tio­nen. Das fin­det sei­nen Sinn eher auf einer über­ge­ord­ne­ten Ebe­ne – in die­sem Fall geht es um das Fla­nie­ren durch die Groß­stadt Paris. Und inso­fern ist auch die­ser Blick auf die Welt der eines neu­gie­ri­gen Fla­neurs und nicht ein plot-ziel­ge­rich­ter Blick von A nach B.

Ist das auch dein Blick auf die Welt?

Ja. Zwei Sachen lie­gen mir nahe: einer­seits die­se Neu­gier­de auf sozia­le Sze­ne­rien, wenn ich unter­wegs bin. Tou­ris­ten­grup­pen, die Bli­cke der Ein­hei­mi­schen, Inter­ak­tio­nen an der Super­markt­kas­se – all das beob­ach­te ich ger­ne und amü­sie­re mich drü­ber. Und zwei­tens natür­lich der Spaß an sprach­li­chen Viel­schich­tig­kei­ten und Ele­men­ten. Das habe ich mit Men­schen wie Que­neau oder auch mei­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Autoren Lor­rie Moo­re und Geor­ge Saun­ders gemein­sam – ich glau­be, die bemer­ken über­all Phä­no­me­ne und For­mu­lie­run­gen mit irgend­ei­ner ver­steck­ten zwei­ten Bedeu­tungs­ebe­ne. Den Spre­chen­den fällt die in der Situa­ti­on nicht auf – aber den Autoren schon. Und mir eben auch. Ein Hauptvergnügen.

Frank Hei­bert, gebo­ren 1960 in Essen, lebt in Ber­lin. Seit 1983 arbei­tet er als Lite­ra­tur- und Thea­ter­über­set­zer aus dem Eng­li­schen, Fran­zö­si­schen, Ita­lie­ni­schen und Por­tu­gie­si­schen.
Frei­es Lek­to­rat; Projektleitung/Moderation von Lite­ra­tur­ver­an­stal­tun­gen; Lite­ra­tur­kri­ti­ken; Seminare/Vorträge zu Über­set­zungs­the­men. Autor. Jazzsänger.

Ray­mond Queneau/Frank Hei­bert: Zazie in der Metro. (Im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal: Zazie dans le métro.)

Suhr­kamp 2019 ⋅ 240 Sei­ten ⋅ 22 Euro

www.suhrkamp.de/buecher/zazie_in_der_metro-raymond_queneau_42861.html

  1. Wodsak, Mona: „Un déli­re tapé à la machi­ne par un roman­cier idi­ot“? Zum Pro­blem der Über­set­zung von Ray­mond Que­ne­aus Zazie dans le mét­ro. In: Hen­ning Krauß (Hrsg.): Offe­ne Gefü­ge. Lite­ra­tur­sys­tem und Lebens­wirk­lich­keit. Gun­ter Narr 1994, S. 295–316.

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