Gro­ße klei­ne Spra­che Indonesisch

Die indonesischen Sprachvarietäten gehören zu den meistgesprochenen der Erde, in Deutschland stößt man jedoch nur selten auf indonesische Literatur. Sabine Müller übersetzt aus dieser großen kleinen Sprache. Von

In Indonesien gibt es über 70 aktive Vulkane und an die 250 sprachliche Varietäten. Bild von Abdullah Suriosubroto, Quelle: Wikiart.

Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt; davon wird aber nur ein win­zi­ger Bruch­teil ins Deut­sche über­setzt. In die­ser Rubrik fra­gen wir Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Bis­he­ri­ge Bei­trä­ge in die­ser Rubrik:

Wie hast du Indo­ne­sisch gelernt?

Es war ein­mal … der Malaio­lo­gi­sche Appa­rat an der Uni Köln. An die­ser, am Islam­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tut ange­glie­der­ten Ein­rich­tung konn­te man Indo­ne­si­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, Spra­che und Kul­tur stu­die­ren. Die­se Orchi­dee mit ins­ge­samt etwa 30 Stu­die­ren­den war ide­al, um sich inten­siv mit den Stu­di­en­in­hal­ten zu beschäf­ti­gen und sich mit dem ein­zi­gen Pro­fes­sor und den weni­gen Dozent*innen sowie den ande­ren ange­hen­den Malaio­lo­gen aus­zu­tau­schen. Lei­der gibt es die­sen umtrie­bi­gen Appa­rat nicht mehr, in weni­gen Modu­len kön­nen Stu­die­ren­de heu­te am Insti­tut für Süd­asi­en- und Süd­ost­asi­en-Stu­di­en noch Indo­ne­sisch lernen.

Außer­dem habe ich für zwei Aus­lands­se­mes­ter an der Gad­ja Mada Uni­ver­si­tät in Yog­ya­kar­ta, Zen­tral­ja­va, Indo­ne­sisch stu­diert. In tie­fe­re Gefil­de des Indo­ne­si­schen bin ich dann aber wäh­rend mei­nes fünf­jäh­ri­gen Arbeits­auf­ent­halts an einer Fach­hoch­schu­le in Bandung und am Goe­the-Insti­tut Jakar­ta ein­ge­taucht. In die­ser Zeit habe ich schließ­lich auch mit dem Über­set­zen angefangen.

Wie sieht die indo­ne­si­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Enorm leben­dig und viel­sei­tig. In dem Land, das sich über drei Zeit­zo­nen erstreckt, gibt es jede Men­ge lite­ra­ri­sche Ent­de­ckun­gen zu machen. Jähr­lich erscheint bei über 1000 Ver­la­gen eine Viel­zahl von Büchern unter­schied­li­cher Gen­res aus der Feder ins­be­son­de­re auch jun­ger Autorin­nen und Autoren. Gera­de nach dem Sturz Suhar­tos 1998 und die fol­gen­de Ära der soge­nann­ten Reforma­si hat zu deut­lich mehr und auch kri­ti­scher Lite­ra­tur geführt. Bücher sind jedoch gemes­sen am Durch­schnitts­ein­kom­men der Men­schen rela­tiv teu­er, die Biblio­the­ken sind häu­fig nur mäßig gut aus­ge­stat­tet und der Buch­han­del blüht vor­nehm­lich nur auf der Haupt­in­sel Java oder auf Bali. Dafür gibt es unheim­lich vie­le enga­gier­te Lite­ra­tur­freun­de, die öffent­li­che und kos­ten­freie Treff­punk­te zum Lesen und Dis­ku­tie­ren ein­rich­ten. Lyrik und Thea­ter haben einen hohen Stel­len­wert und öffent­li­che Lesun­gen mit anschlie­ßen­den Gesprä­chen ver­sam­meln immer ein gro­ßes inter­es­sier­tes Publikum.

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben?

Auf Deutsch ist bis­her lei­der nur eine über­schau­ba­re Zahl an Wer­ken indo­ne­si­scher Autoren und Autorin­nen erschie­nen. Unbe­dingt lesen soll­te man Pra­moe­dya Anan­ta Toer, der ein­zi­ge indo­ne­si­sche Autor, der für den Lite­ra­tur­no­bel­preis nomi­niert wur­de. Er war wie vie­le der als links gel­ten­den Autoren und Künst­ler der Ver­fol­gung durch Prä­si­dent Suhar­to, der 30 Jah­re lang das Land regier­te, aus­ge­setzt. Er schrieb unter ande­rem sei­ne bekann­te Tetra­lo­gie auf der Gefäng­nis­in­sel Buru. Über­setzt von Bri­git­te Schnee­be­li und Giok Hiang Gor­nik sind die ein­zel­nen Titel auf Deutsch erhält­lich. Außer­dem emp­feh­lens­wert sind die Über­set­zun­gen von Mar­ti­na Heinschke: Tiger­mann von Eka Kur­nia­wan oder Alle Far­ben Rot von Laks­mi Pam­unt­jak. Eben­falls auf Deutsch erschie­nen und sehr lesens­wert: Saman und Larung, bei­de geschrie­ben von der Autorin Ayu Utami und in der Über­set­zung von Peter Sterna­gel. Ganz frisch auf Deutsch erschie­nen ist der groß­ar­ti­ge Gedicht­band gras­wur­zel­lie­der des Wider­stands­ak­ti­vis­ten Wiji Thu­kul, eben­falls über­setzt von Peter Sterna­gel. Es lohnt sich nach allen aus dem Indo­ne­si­schen über­setz­ten Titeln zu suchen und sich selbst ein Bild von der viel­sei­ti­gen Lite­ra­tur­sze­ne des Lan­des zu machen.

Was ist noch nicht übersetzt?

Jede Men­ge! Sowohl Klas­si­ker von lei­der bereits ver­stor­be­nen Autor*innen als auch span­nen­de Lite­ra­tur der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on. Ich lese Nuril Bas­ri, Ahmad Toh­a­ri, Ratih Kuma­la, Mar­tin Alei­da, Tri­yan­to Tri­wi­kro­mo, Zen Hae, Okky Mada­sa­ri … eini­ge Wer­ke die­ser Autor*innen wur­den bereits ins Deut­sche über­setzt, vie­les aber noch nicht.

2015 war Indo­ne­si­en Ehren­gast der Frank­fur­ter Buch­mes­se. Der erhoff­te Durch­bruch auf dem hie­si­gen Buch­markt und die Nach­fra­ge nach indo­ne­si­scher Lite­ra­tur lässt aber auf sich warten.

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Indonesischen? 

Es heißt ganz oft „Ach, Indo­ne­sisch ist leicht zu ler­nen, da gibt es ja kei­ne Zei­ten, kein Kon­junk­tiv“. Und eben das ist häu­fig ein Pro­blem. Ob im indo­ne­si­schen Satz etwa ein Irrea­lis liegt, höre ich manch­mal erst nach mehr­ma­li­gem Lesen.

Etli­che Anre­de­for­men und Per­so­nal­pro­no­mi­na spie­geln sozia­les Gefäl­le in der indo­ne­si­schen Gesell­schaft. In vie­len moder­nen Roma­nen spielt das immer weni­ger eine Rol­le, aber bei Wer­ken, die zum Bei­spiel wäh­rend der nie­der­län­di­schen Kolo­ni­al­zeit spie­len, sieht es ganz anders aus. Das Indo­ne­si­sche kann sehr blu­mig sein, da lau­tet die Fra­ge „Ist das Kon­ven­ti­on oder Stil und was mache ich damit?“ Vie­le Lehn­wör­ter stam­men aus dem Ara­bi­schen, dem Sans­krit oder dem Nie­der­län­di­schen. Auch hier muss ich oft unter­schei­den, ob es einen bestimm­ten Bezug gibt, auf den die Autorin anspielt oder nicht. Die Ver­wen­dung von Begrif­fen aus einer Regio­nal­spra­che – Indo­ne­si­en hat etwa 250 davon! – lässt sich kaum ins Deut­sche über­tra­gen oder man muss erfin­de­risch sein.

Wie gehst du damit um?

Häu­fig nach Gefühl. Und ich lese mir gan­ze Pas­sa­gen mehr­mals laut vor, um eine bestimm­te Kon­no­ta­ti­on „zu hören“. Am liebs­ten fra­ge ich natür­lich Autor oder Autorin, sofern sie denn noch leben. Wenn es sich um einen ver­stor­be­nen Autoren han­delt, ist natür­lich die Unter­stüt­zung von ande­ren indo­ne­si­schen Autorin­nen großartig.

Was kann Indo­ne­sisch, was Deutsch nicht kann?

Indo­ne­sisch gehört zu den aus­tro­ne­si­schen Spra­chen. Mit dem dort weit­ver­brei­te­ten Objekt-Fokus las­sen sich die Din­ge wun­der­bar indi­rekt ver­mit­teln, auch ohne ein Per­so­nal­pro­no­men ver­wen­den zu müs­sen. Bit­ten oder Tade­lei­en klin­gen da weni­ger grob. Inter­es­sant: Die Kate­go­rien von Verb, Sub­stan­tiv, Adjek­tiv gibt es eigent­lich im Indo­ne­si­schen nicht. Dalam kann „tief“ aber auch „die Tie­fe“ sein, je nach Kon­text. Eine gan­ze Rei­he von laut­ma­len­den Wör­tern oder spre­chen­de Namen erfreu­en mich immer wie­der. Oder die Ver­dopp­lun­gen, die ver­schie­de­ne Anwen­dung fin­den, etwa für den Plu­ral: ein Kind ist anak, meh­re­re Kin­der sind anak-anak.

Wir suchen für die Rubrik „Gro­ße klei­ne Spra­che“ Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, die Lust haben, ihre „klei­ne“ Spra­che mit unse­rem Fra­ge­bo­gen vor­zu­stel­len. Wenn du dich ange­spro­chen fühlst, mel­de dich ger­ne unter redaktion@tralalit.de.

Sabi­ne Mül­ler lebt in Köln und arbei­tet als frei­be­ruf­li­che Über­set­ze­rin für Indo­ne­sisch und Eng­lisch.
Außer­dem ist sie als Indo­ne­sisch­do­zen­tin und
Redak­teu­rin für ver­schie­de­ne Online- und Print­me­di­en tätig.

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