Juwe­len­spra­che

Manga gelten nicht gerade als feministische Kunstform. Doch Haruko Ichikawa führt mit ihrem mehrbändigen Epos „Das Land der Juwelen“ ihre Übersetzerin und ihre Leserschaft über die Grenzen der geschlechtlichen Sprache hinaus. Von

So sehen Figuren ohne Geschlechter aus © HARUKO ICHIKAWA Manga Cult

Über Man­ga gibt es mehr Vor­ur­tei­le als ich Fin­ger und Zehen habe: voll mit Sex und Gewalt, anspruchs­los und ober­fläch­lich, grau­sam und ver­wir­rend, äußerst sim­pel gezeich­net, gleich­zei­tig kin­disch … Dabei han­delt es sich bei dem Begriff, der ursprüng­lich „ziel­lo­se Bil­der“ bedeu­te­te, spä­tes­tens seit Beginn des 20. Jahr­hun­derts schlicht um die japa­ni­sche Bezeich­nung für Comics jeg­li­cher Couleur.

Die japa­ni­sche Spiel­art zeich­net sich vor allem dadurch aus, dass die Sei­ten fast durch­gän­gig schwarz-weiß gehal­ten sind. Sei­ten­auf­bau und Erzähl­stil erschei­nen im Ver­gleich zu euro­päi­schen und US-ame­ri­ka­ni­schen Comics oft dyna­mi­scher, da es die grö­ße­re Sei­ten­an­zahl von Man­ga-Taschen­bü­chern erlaubt, den Text ins­ge­samt mehr zu ver­tei­len und so ent­ste­hen­de Frei­räu­me z.B. für Clos­eups oder aus­ufern­de Action-Sze­nen zu verwenden.

In Japan wer­den Man­ga zunächst kapi­tel- bzw. geschich­ten­wei­se in tele­fon­buch­di­cken Maga­zi­nen ver­öf­fent­licht. Erst wenn genug Mate­ri­al zusam­men­ge­kom­men ist, wer­den die­se in ca. 200 Sei­ten star­ken Taschen­bü­chern zusam­men­ge­fasst, die wie alle japa­ni­schen Bücher „von hin­ten nach vor­ne“ gele­sen werden.

Die Wahr­heit über Man­ga ist also schlicht und ergrei­fend, dass die­se so viel­fäl­tig sind wie deut­sche Pro­sa­li­te­ra­tur. Man­ches mag ein­fach und anspruchs­los sein, vie­les ist aber gera­de auch aus Über­set­ze­rin­nen-Sicht sehr kom­plex und anspruchs­voll. Hier­zu zäh­le ich eines mei­ner aktu­el­len Pro­jek­te, die Serie Das Land der Juwe­len von Haru­ko Ichikawa.

Ichi­ka­wa, gebo­ren 1980, zählt zu den Aus­nah­me­erschei­nun­gen im Bereich Man­ga. Wäh­rend die meis­ten japa­ni­schen Man­ga-Schaf­fen­den schon in der Schu­le anfan­gen zu zeich­nen oder sogar zu ver­öf­fent­li­chen, liest Ichi­ka­wa ledig­lich und auch nur ver­ein­zel­te Titel. Erst als sie schon als Desi­gne­rin arbei­tet, beginnt in ihr der Wunsch zu rei­fen, eige­ne Geschich­ten zu Papier zu brin­gen. 2006 erscheint ihr ers­ter Kurz-Man­ga Mushi to uta („Das Insekt und das Lied“, der­zeit unüber­setzt) im Man­ga-Maga­zin Gek­kan After­noon, es fol­gen wei­te­re Kurz­ge­schich­ten. Seit 2012 läuft im sel­ben Maga­zin ihre ers­te Serie, Das Land der Juwe­len (japa­nisch Hōse­ki no kuni), die es bis­her auf neun Sam­mel­bän­de gebracht hat und auch als Ani­me (Zeichentrick)-Fernsehserie adap­tiert wurde.

Das Land der Juwe­len lässt sich am ehes­ten als Fan­ta­sy-Coming-of-Age-Geschich­te beschrei­ben in deren Mit­tel­punkt das Juwel Phos­pho­phyl­lit (genannt Phos) steht. Der ers­te Band bie­tet in ers­ter Linie einen Über­blick über die Welt und ihre Figu­ren, die eigent­li­che Geschich­te geht erst in Band 2 los, um in Band 3 einen ers­ten dra­ma­ti­schen Höhe­punkt zu errei­chen. Das Land der Juwe­len spielt auf einem Pla­ne­ten, auf dem es nach meh­re­ren Kome­ten­ein­schlä­gen nur noch einen ein­zi­gen Kon­ti­nent gibt. Die­ser wird von leben­den Juwe­len in Men­schen­form bewohnt, die dort nicht nur ver­schie­de­nen Arbei­ten nach­ge­hen, son­dern sich vor allem der Angrif­fe des mys­te­riö­sen Mond­volks erweh­ren müs­sen. Das Mond­volk ist von der Schön­heit der Juwe­len fas­zi­niert und ent­führt die­se, um sie zu Schmuck und Waf­fen zu verarbeiten.

Set­ting und Hand­lung von Das Land der Juwe­len ste­chen aus der Mas­se der Man­ga her­aus. Viel­leicht sind sie aber sogar etwas zu unge­wöhn­lich, denn anders als bei ande­ren Titeln zöger­ten hier die aus­län­di­schen Lizenz­neh­mer recht lan­ge. Die ers­te Über­set­zung, ins Fran­zö­si­sche (L’Ère des Cristaux, Über­set­zung Anne-Sophie Thé­ve­non) erschien erst ab 2016, ab 2017 dann die eng­li­sche Fas­sung (Land of the Lus­trous, Über­set­zung Alethea und Athe­na Nibley) und seit 2018 schließ­lich die deut­sche Version.

Zur Popu­la­ri­tät im Aus­land bei­getra­gen haben dürf­te die Art, wie die­ser Man­ga mit Geschlecht umgeht. Optisch wir­ken alle Figu­ren zunächst andro­gyn, ohne auf­fal­len­de Brüs­te oder Hüf­ten, aber (man­ga­ty­pisch) mit gro­ßen Augen, klei­nen Mün­dern und (meist) Lang­haar­fri­su­ren aus­ge­stat­tet. Bei den Per­so­nal­pro­no­men ist die Sache hin­ge­gen zumin­dest augen­schein­lich ein­deu­ti­ger. Das Japa­ni­sche kennt eine gan­ze Rei­he an Wör­tern, die äqui­va­lent zu „ich“ sind und die­se sind in aller Regel geschlecht­lich mar­kiert. In Das Land der Juwe­len tref­fen wir auf boku und ore, die ein­deu­tig zum männ­li­chen Regis­ter gehö­ren, ers­te­res eher für jün­ge­re, zwei­te­res eher für älte­re Män­ner. Glei­ches gilt für die Äqui­va­len­te für „du“: hier kom­men vor allem kimi und omae zum Ein­satz, auch die­se gehö­ren zum männ­li­chen Regis­ter. Wenn die Juwe­len über­ein­an­der spre­chen, benut­zen sie zumeist kare, was als Äqui­va­lent zum Deut­schen „er“ gilt.

Im japa­ni­schen Ori­gi­nal: „Ha ha! Yūs­hū na kimi mo boku no kanōs­ei ni wa ase­ru to mie­ru.“ © HARUKO ICHIKAWA Man­ga Cult

Die geschlecht­li­chen Kon­no­ta­tio­nen der Pro­no­men der ers­ten und zwei­ten Per­son Sin­gu­lar, des­sen sind sich Japa­nisch-Über­set­ze­rin­nen und ‑Über­set­zer schmerz­lich bewusst, las­sen sich nicht ins Deut­sche ret­ten. Aber was ist mit der drit­ten Per­son Sin­gu­lar? Nahe­lie­gend wäre es, die Juwe­len trotz ihrer andro­gy­nen Gestalt als Män­ner zu inter­pre­tie­ren und durch­gän­gig von „er“ zu spre­chen. Jedoch sagt die Autorin Haru­ko Ichi­ka­wa expli­zit, dass die Figu­ren kein Geschlecht haben und so wur­de für die US-ame­ri­ka­ni­sche Fas­sung beschlos­sen, für die drit­te Per­son Sin­gu­lar das geschlechts­neu­tra­le Pro­no­men they zu ver­wen­den –die fran­zö­si­sche Über­set­zung ver­wen­det der­weil das Pro­no­men il („er“).

Für die deut­sche Fas­sung stell­te das den Ver­lag Man­ga Cult mit sei­ner Redak­teu­rin Lea Hei­den­reich und mich als Über­set­ze­rin vor eini­ge Her­aus­for­de­run­gen. (Wobei wir uns noch glück­lich schät­zen dür­fen, dass im Deut­schen nur die drit­te Per­son Sin­gu­lar ein­deu­tig geschlecht­lich fest­ge­legt ist, Ver­bin­dun­gen hin­ge­gen aber zum Bei­spiel grund­sätz­lich neu­tral sind.)

Das jun­ge, inter­net­af­fi­ne Publi­kum von Man­ga und Ani­me in Deutsch­land weiß, wel­che Man­ga und Ani­me in den USA ver­öf­fent­licht wer­den. Folg­lich muss­ten wir davon aus­ge­hen, dass die dor­ti­ge Ver­wen­dung des Pro­no­mens they für die Juwe­len bekannt war. Inso­fern schied für die deut­sche Fas­sung die Ver­wen­dung der Pro­no­men „er“ bzw. „sie“ von vor­ne­her­ein aus. Die Mög­lich­keit der Über­set­zung mit „es“ ver­war­fen wir eben­falls, da die mensch­lich agie­ren­den Juwe­len so wie rei­ne Sachen erschie­nen wären und zusätz­lich auch Bezü­ge im Satz hät­ten unklar wer­den kön­nen: Da im Man­ga Sät­ze ger­ne mal ein­fach abge­bro­chen wer­den, wäre zum Bei­spiel eine Zei­le wie „Es ist nicht sicher …“ unfrei­wil­lig dop­pel­deu­tig geworden.

Da ein völ­li­ger Ver­zicht auf Pro­no­men nicht prak­ti­ka­bel war und ein stän­di­ger Rück­griff auf die Namen der Figu­ren aus Platz- und Ästhe­tik­grün­den eben­falls unmög­lich schien, muss­te also ein geschlechts­neu­tra­les Pro­no­men her. Nun hat man sich im Deut­schen, anders als z.B. im Eng­li­schen oder Schwe­di­schen, noch auf kein uni­ver­sel­les geschlechts­neu­tra­les Pro­no­men geei­nigt, noch nicht ein­mal inner­halb der Com­mu­ni­ty der nicht­bi­nä­ren Per­so­nen, wie per­sön­li­che Gesprä­che erga­ben. Unse­re Recher­che ende­te mit einer lan­gen Lis­te an Mög­lich­kei­ten für mei­ne Über­set­zung, u.a.:

  • hen / hän
  • nin
  • sier
  • sir
  • xier

„Hen“ bzw. „hän“ schie­den für mich gleich zu Beginn aus, da hen auf Japa­nisch „selt­sam, merk­wür­dig“ bzw. „per­vers“ bedeu­tet, unse­rer Inten­ti­on als völ­lig ent­ge­gen­lief. An den Vor­schlä­gen „nin“, „sier“ und „sir“ (letz­te­res ein Vor­schlag der Duden-Redak­ti­ons­lei­te­rin) fand ich aus sprach­li­cher Sicht pro­ble­ma­tisch, dass sie nicht oder nur ansatz­wei­se dekli­niert werden:

Nin nimmt nim­se Jacke und steigt in nims Auto.
Hast du nin gese­hen? Nims Auto ist rot.

Nomi­na­tiv oder Akku­sa­tiv machen hier also für die Wort­form des Pos­ses­siv­pro­no­mens kei­nen Unter­schied. In einem Text, der auch voll­stän­dig dekli­nier­te Pro­no­men wie „sie“ ent­hält, schien mir das ungüns­tig. Das neue Pro­no­men soll­te sich nicht zu stark von den bekann­ten unterscheiden.

Bei den Alter­na­ti­ven „sier“ und „sir“ besteht noch zusätz­lich das Pro­blem, dass es kei­ne ein­deu­ti­gen Regeln für ihre Dekli­na­ti­on bzw. für ihre Ver­wen­dung als Pos­ses­siv­pro­no­men gibt.

Somit blieb noch die Vari­an­te „xier“. „Xier“ wur­de ursprüng­lich von Anna Heger ent­wi­ckelt. Die­se ist unter ande­ren als Comic­künst­le­rin tätig, wes­we­gen die Ver­wen­dung des Pro­no­mens in einem Comic schon mal einen gewis­sen Charme hat­te. „Xier“ ist außer­dem fast die ein­zi­ge Opti­on in der Lis­te, die über eine kom­plet­te Dekli­na­ti­on ver­fügt, und das sowohl als Pro­no­men als auch als Pos­ses­siv­pro­no­men. Die­se ist ange­lehnt an die Dekli­na­ti­on von „er“, was zwar teils kri­ti­siert wird, gleich­zei­tig aber auch bedeu­tet, dass das Wort vom Publi­kum leich­ter als Pro­no­men erkannt wer­den kann. Last but not least sprach auch der ästhe­ti­sche Aspekt für „xier“: Das Land der Juwe­len zeich­net sich durch einen fei­nen, aber kan­ti­gen Strich aus und wie es die Natur von Juwe­len ist, zer­bre­chen die­se auch häu­fig. Inso­fern schien mir das „x“ sehr pas­send für den Cha­rak­ter des Wer­kes als Ganzes.

Die Kom­bi­na­ti­on „ie“ habe ich außer­dem für den bestimm­ten Arti­kel über­nom­men, statt  „Du bist der / die Gebil­dets­te hier!“ schrei­be ich also:

© HARUKO ICHIKAWA Man­ga Cult

Die gesam­te Idee fand Anklang bei der Redak­ti­on von Man­ga Cult und erhielt auch das Okay vom Lizenz­ge­ber aus Japan. Beim Über­set­zen des Comics zeig­te sich indes schnell, dass die Ver­wen­dung von „xier“ vie­le Pro­ble­me lös­te, aber bei wei­tem nicht alle. Ein Satz wie

[D]a sie nicht weiß, wie sie an eine [zün­den­de Idee] kommt, zer­mar­tert sie sich das Hirn.

lässt mich beim Lesen nicht wei­ter stol­pern. Anders jedoch die Umformulierung:

© HARUKO ICHIKAWA Man­ga Cult

Das ist auf den ers­ten Blick etwas unge­wohnt. Ich ver­su­che daher soweit mög­lich, eine Häu­fung von „xier“ zu vermeiden.

Aber die Geschlechts­lo­sig­keit endet ja nicht bei Per­so­nal­pro­no­men. Ein wei­te­res gewich­ti­ges Pro­blem sind Berufs­be­zeich­nun­gen. Im Japa­ni­schen ist dies nicht wei­ter von Belang, da hier alle Nomen und damit auch (fast) alle Berufs­be­zeich­nun­gen per se geschlechts­neu­tral sind. Im Deut­schen ist das anders. In Das Land der Juwe­len tref­fen wir zum Bei­spiel auf Rutil, dier im medi­zi­ni­schen Bereich tätig ist. Da die Bezeich­nun­gen „Arzt“ oder „Ärz­tin“ aus­schei­den, muss­te ich nach ande­ren Mög­lich­kei­ten suchen. Meist ver­wen­de ich „ärzt­li­ches Per­so­nal“, wie es die Web­sei­te Geschickt Gen­dern vor­schlägt, hun­dert­pro­zen­tig zufrie­den bin ich damit aber auch nicht. Gera­de bei Berufs- bzw. Rol­len­be­zeich­nun­gen muss­te ich mich das eine oder ande­re Mal auch geschla­gen geben. In Band 1 bei­spiels­wei­se bezeich­net Phos Rutil als yabu, einen „Kur­pfu­scher“, „Schar­la­tan“ oder „Quack­sal­ber“ – was aber alles männ­li­che Bezeich­nun­gen sind. Der Duden kennt expli­zit auch die „Kur­pfu­sche­rin“, die „Schar­la­ta­nin“ und die „Quack­sal­be­rin“. Ein Umge­hen des Wor­tes mit For­mu­lie­run­gen wie „Du hast ja kei­ne Ahnung von dei­nem Beruf“ o.ä. war auf­grund der Grö­ße der Sprech­bla­se nicht mög­lich und so blieb letz­ten Endes dann doch „Quack­sal­ber“ ste­hen (sie­he oben).

Auch so simp­le Begrif­fe wie „Freun­de“ oder „Kame­ra­den“ wer­den plötz­lich zu rie­si­gen Hür­den, denn auch hier gibt es kei­ne all­ge­mein aner­kann­te geschlechts­lo­se Vari­an­te. Ich for­mu­lie­re des­halb meis­tens „außen drum­rum“ oder behel­fe mir mit Aus­drü­cken wie „die unse­ren“. Die Geschwis­ter­be­zie­hung der drei Dia­man­ten fällt in mei­ner Ver­si­on eben­so fast ein biss­chen unter den Tisch, denn auch für Begrif­fe wie „Bru­der“ und „Schwes­ter“ feh­len geschlechts­neu­tra­le Vari­an­ten (mit Aus­nah­me von „Geschwis­ter­chen“, wofür die Figu­ren aber zu alt aussehen).

Auch Far­ben kön­nen eine Her­aus­for­de­rung dar­stel­len. Die Fami­lie der Dia­man­ten besteht aus Gel­ber Dia­mant, Dia­mant und Bort. Gel­ber Dia­mant heißt im japa­ni­schen Ori­gi­nal Yel­low Dia­mond, wird aber meis­tens „Yel­low“ geru­fen. „Gel­ber“ schei­det als Über­set­zung wegen der feh­len­den Geschlechts­neu­tra­li­tät aus, „Gelb“ klingt aber nicht nach einem Spitz­na­men. Letzt­lich haben wir uns daher für den Spitz­na­men „Cana­ry“ ent­schie­den, abge­lei­tet von der Bezeich­nung „Cana­ry-Dia­mant“ für beson­ders farb­in­ten­si­ve gel­be Diamanten.

Ein letz­ter Punkt sind die Wör­ter „man“, „jemand“ und „nie­mand“, die teil­wei­se als männ­lich kon­no­tier­te Begrif­fe ange­se­hen wer­den. In Das Land der Juwe­len ver­su­che ich daher, sie wo mög­lich zu ver­mei­den und direk­te­re For­mu­lie­run­gen mit „du“ oder „wir“ zu ver­wen­den. „Jemand“ erset­ze ich meist durch „wer“, was für den Comic durch die Kür­ze zusätz­lich von Vor­teil ist, und aus „nie­mand“ wird meis­tens „nir­gend­wer“ – auch wenn der Begriff (noch) nicht im Duden steht. Auch hier muss ich aber vor­sich­tig sein, For­mu­lie­run­gen wie „Nir­gend­wer, der so etwas schon ein­mal erlebt hat“ ver­bie­ten sich auf­grund der feh­len­den Geschlechts­neu­tra­li­tät wieder.

Dies ist nur ein kur­zer Ein­blick in die Über­set­zung die­ses wun­der­ba­ren Comics. Aber wie kommt mei­ne Über­set­zung beim Publi­kum an? Vor der ers­ten Ankün­di­gung der Ver­wen­dung von „xier“ war ich etwas ner­vös, auch wenn ich mir sicher war, dass Fans, die bereit­wil­lig japa­ni­sche Begrif­fe wie sen­s­ei (Leh­rer bzw. Respekts­per­son) ler­nen und sogar deren wört­li­che Über­nah­me in die deut­schen Über­set­zun­gen for­dern, mit neu­en Pro­no­men kei­ne gro­ßen Pro­ble­me haben soll­ten. Als Hil­fe­stel­lung fin­det sich am Ende (fast) jedes Ban­des zusätz­lich eine Sei­te mit einer Deklinationstabelle.

Letzt­lich soll­te ich Recht behal­ten. Die Rück­mel­dun­gen im Inter­net waren und sind zu 90% posi­tiv und auch die meis­ten Rezen­sio­nen berich­ten, sie hät­ten mit „xier“ nach dem ers­ten Ein­ge­wöh­nen kein Pro­blem gehabt (auch wenn das Pro­no­men dann lei­der nicht immer für die Beschrei­bung des Inhalts ver­wen­det wird). Das Land der Juwe­len hat sich in Deutsch­land inzwi­schen eine Fan­ge­mein­de erar­bei­tet und so bleibt mir eigent­lich nur zu hof­fen, dass ich bald auch die Ani­me-Serie über­set­zen darf – natür­lich wei­ter mit „xier“.

Haru­ko Ichikawa/Verena Maser: Das Land der Juwe­len. (Im japa­ni­schen Ori­gi­nal: 宝石の国.)

Man­ga Cult 2018ff. ⋅ Bis­her 6 Bän­de à 192 Sei­ten ⋅ 10 Euro

www.cross-cult.de/titel/das-land-der-juwelen‑1.html

7 Comments

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  1. 1
    ShirouTenki

    Ganz ehr­lich, die­se erfun­de­nen Pro­no­men waren für mich der Grund, den ers­ten Band zu retour­nie­ren und auf die eng­li­sche Vari­an­te umzu­stei­gen. Das „they“ gehört zum Eng­li­schen, und kann dort pas­send ver­wen­det wer­den, ja. Die­ses kom­plett unbe­kann­te und nicht sprach­kon­for­me „xier“ hin­ge­gen stört zumin­dest bei mir den Lese­fluss so sehr, dass ich den Man­ga nicht mehr genie­ßen kann. Klar ist so eine Loka­li­sa­ti­on eine Her­aus­for­de­rung, ich hät­te mir jedoch all­ge­mein aner­kann­tes Deutsch gewünscht. Dabei wäre mir sowohl „er“ (wegen „boku“) als auch „sie“ (wegen des Cha­rak­ter­de­signs) rechtgewesen.
    Womög­lich wird die­se Ent­schei­dung ja für eine Neu­auf­la­ge über­dacht. Ich hof­fe es zumindest.

  2. 3
    Kira

    Wie span­nend!

    Dass das Feh­len eines geschlechts­neu­tra­lem Pro­no­men in der deut­schen Spra­che und auch das bis­he­ri­ge Aus­blei­ben einer Eini­gung inner­halb der Com­mu­ni­ty, eine Autor*in, aber eben auch eine Übersetzer*in durch­aus vor Schwie­rig­kei­ten stel­len kann, ist unter denen, die das schon mal an eige­nen Tex­ten aus­pro­biert haben, weit­hin bekannt.
    Hier aber vor­ge­führt zu bekom­men, wie­viel mehr eigent­lich betrof­fen ist: super inter­es­sant! Auch die Stel­len, an denen es schwie­rig war, sich zu behel­fen – wow, was man alles aus die­sem Arti­kel ler­nen kann.

    Vie­len Dank für den Einblick!

  3. 4
    Nino Singer

    Ich habe nun schon 6 Bän­de mit der deut­schen Über­set­zung gele­sen und bin nach all der Zeit immer noch nicht mit die­sen Kunst­wör­tern warm­ge­wor­den. Auf mich wirkt die Begrün­dung eher wie eine Aus­re­de dafür, das bis­lang gen­der­un­be­fleck­te Medi­um Man­ga dafür zu miss­brau­chen, die per­sön­li­chen Ansich­ten und Vor­lie­ben hin­ein­zu­zwän­gen. Wie im Arti­kel erwähnt wur­de, war die Inten­ti­on des Man­gakas in keins­ter Wei­se Gen­der­neu­tra­li­tät dar­zu­stel­len. Ich per­sön­lich hof­fe auch, dass in einer Neu­auf­la­ge die­se Expe­ri­men­te rück­gän­gig gemacht wer­den. Alle Per­so­nen die ich ken­ne und die­sen Man­ga eigent­lich kau­fen woll­ten, haben es des­we­gen sein­ge­las­sen. Das ist wirk­lich sehr scha­de, dass man dadurch poten­ti­el­le Käu­fer abschreckt.

  4. 5
    Toki

    Wo die Autorin des Arti­kels ihre 90% an posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen her hat, ist mir etwas rät­sel­haft, denn in den meis­ten Com­mu­ni­tys, in denen ich ver­keh­re, und auch abseits davon hab ich eher deut­li­che Kri­tik an der Ent­schei­dung gele­sen, xier ein­zu­set­zen. Und auch ich fin­de die­se Lösung alles ande­re als gelungen.
    Da, wie die Autorin selbst sogar schreibt, bereits im Japa­ni­schen eher männ­li­che Pro­no­men benutzt wer­den, hät­te ich es für voll­kom­men in Ord­nung gefun­den die­se auch im Deut­schen zu ver­wen­den. Dies sorgt auch in Ver­bin­dung mit dem doch eher weib­lich gehal­te­ne­rem Aus­se­hen für einen guten gewoll­ten Kon­trast und hebt die Geschlechts­lo­sig­keit mei­ner Mei­nung nach trotz­dem noch aus­rei­chend hervor.

    War­um man dazu noch auf geschlechts­neu­tra­le Wör­ter wie „nie­mand“ ver­zich­ten will oder ver­sucht das gene­ri­sche Mas­ku­li­num zu ver­mei­den, was nicht mal über­all funk­tio­niert, ver­steh ich dabei noch weniger.

    Man macht die Über­set­zung hier unnö­tig kom­pli­zier­ter als nötig, wodurch ich die Befürch­tung habe, dass dabei das Wesent­li­che aus den Augen ver­lo­ren wird.
    Wozu auch eine ange­neh­mer, ein­fa­cher und ver­ständ­li­cher Lese­fluss gehört. Und die­ser ist unter ande­rem mit „xier“, das unge­wohnt und sper­rig ist, und so unbe­kannt, dass es einer Erl­klä­rung des Wor­tes in fast jedem Band bedarf, defi­ni­tiv nicht gegeben.

    Ich wer­de daher auch eher die deutsspra­chi­ge Aus­ga­be des ansons­ten für mich sehr anspre­chen­den Man­gas mei­den und auf aus­län­di­sche Vari­an­ten zurück­grei­fen, falls man sich nicht doch noch ent­schei­det, die Über­set­zung in einer Neu­auf­la­ge zu überarbeiten.

  5. 6
    Phean

    Den Man­ga hat­te ich seit der Ankün­di­gung im Auge. Ich fand den Zei­chen­stil so schön unge­wöhn­lich. Aller­dings habe ich es mir dann doch ver­knif­fen ihn gleich zum Erschei­nungs­da­tum zu holen, weil ich nicht noch eine Rei­he anfan­gen woll­te. Vor zwei Wochen hat dann die­ser Drang gesiegt und jetzt steht er hier. Noch ungelesen.
    Der Text hier ist aber ein Ansporn jetzt damit anzu­fan­gen. Der Zei­chen­stil ist nach wie vor toll und erin­nert mich etwas an Demon Flower, der auch in der Rich­tung gezeich­net war, nur gefühlt pom­pö­ser. Aber inter­es­sant zu wis­sen, wel­che Schwie­rig­kei­ten es mit sich gebracht hat. Es scheint nicht leicht zu sein und ich wün­sche wei­ter­hin viel Erfolg dabei.
    Der Man­ga bleibt mit Sicher­heit nicht unkommentiert ?

  6. 7
    Hallia

    Abso­lut fan­tas­tisch, dass hier ein Schritt gewagt wur­de, den sonst nie­mand wagt. Der Weg zur gen­der­neu­tra­len Spra­che wird ein stei­ni­ger sein, da so vie­le Leu­te noch immer gegen­steu­ern. Umso mehr zie­he ich mei­nen Hut vor den Muti­gen, die es wagen, die ers­ten Schrit­te zu gehen – und das noch so fun­diert dazu. Danke!

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