
The English original of this essay is available here.
Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei, hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um die Ecke, andere Autos schoben sich nach. So ein Krach! Und die vielen Menschen auf den Fußsteigen! Und von allen Seiten Straßenbahnen, Fuhrwerke, zweistöckige Autobusse! … Und hohe, hohe Häuser.
Das war also Berlin.
Motor cars rushed past with horns honking and screeching brakes. They signalled right-hand turns and left-hand turns, and swung off down side streets while other cars came swooping up behind them. The noise was indescribable, and on the pavements crowds of people kept hurrying by. Out of every turning vans and lorries, trams and double-decker buses swarmed into the main thoroughfare… And all the buildings stretched up and up into the sky.
So this was Berlin!
(Eileen Hall)
Ein berauschendes Durcheinander, das die Energie der Stadt in den 1920er Jahren einfängt – das ist das Berlin, das die Titelfigur in Erich Kästners Kinderbuchklassiker Emil und die Detektive bei seiner Ankunft erlebt. Die vielen „hastigen Autos“ und die „hohen, hohen Häuser“ stehen im Kontrast zu dem vorherigen Alltagstempo. Kästner bricht auch mit den damaligen Trends der Kinderliteratur, die größtenteils aus moralisierenden Geschichten oder Märchen bestand, fernab der Realitäten des Alltags. Sein Emil setzt sich mit dem wahren Berlin der Zeit auseinander, mit seinen Bewohnern, die alle – nämlich nicht nur die skrupellosen! – ungeniert berlinern.
Das ist genau die Problematik, der sich die verschiedenen Übersetzerinnen und Übersetzer ins Englische stellen mussten. Wie kann man ein Buch übersetzen, das so eng mit Zeit und Ort der Handlung verbunden ist? Wie kann man jungen englischsprachigen Lesern Emils Worte vermitteln, ohne die Eigenheiten zu verlieren, die ja zu einem großen Teil den Charme des Buchs ausmachen?
Die erste englische Übersetzung von Emil ließ nicht lange auf sich warten. Das Buch erschien 1929 und die ersten englischen Ausgaben kamen bereits 1930 von May Massee (USA) und 1931 von Margaret Goldsmith (UK) auf den Markt. Die am weitesten verbreitete Fassung auf dem europäischen Markt ist momentan die Übersetzung von Eileen Hall aus dem Jahre 1959, auch wenn sie sich seit 2007 die Bühne mit einer Übersetzung von W. Martin teilen muss. Halls Übersetzung ist in der Regel flüssiger als die ihrer Vorgängerinnen, berücksichtigt aber einen wichtigen Aspekt des Originals – den spezifisch lokalen Sprachgebrauch Emils und der Kinderbande, die er in Berlin trifft.
Da wär ich dir kolossal dankbar
I’d be most frightfully grateful
(Goldsmith)I’d be awfully glad
(Hall)
In Kästners Werk sprechen Gustav und seine Bande mit einem spezifischen urbanen Dialekt. Das naheliegendste britische Äquivalent – wenn man von Berlin ausgeht – wäre Londoner Cockney. Sowohl Goldsmith als auch Hall entscheiden sich für ein Register, das eher Privatschulen der oberen Mittelklasse zuzuordnen wäre. Das platziert das Buch sofort inmitten der bequemen Tradition britischer Kinderbücher, „domestiziert“ es, indem die Sprache an Autorinnen und Autoren wie die unglaublich produktive Enid Blyton angepasst wird, deren Bücher voller „lashings of pop“ und „jolly good fun“ sind. Das erfüllt die Erwartungen der damaligen Leserschaft – und verfehlt beinahe gänzlich die Intention von Kästners bewusst niedrigerem Register.
Geschickt findet Hall gute Alternativen für Kästners Sprache. Sie gebraucht spezifisch britischen Slang und umgangssprachliche Ausdrücke, an Stellen, wo sich keine passenden spezifischen Ausdrücke finden. Während sie den Satz „[nennen wir] uns alle von morgen ab nur noch Moritz“ beispielsweise einfach mit „we shall be disgraced“ übersetzt, macht Hall aus „schon sieht er auch“ zu „he’ll sport you sure as eggs is eggs.“ Bei allem Geschick und innerer Stimmigkeit vernachlässigt die Wahl des Registers der oberen Mittelklasse jedoch die Art und Weise, wie Kästner mit dem Ton der Mainstream-Kinderliteratur der Zeit bricht. Der konkrete Schauplatz und der urbane Dialekt der alltäglichen Figuren waren eine radikale Neuheit – Halls Slang hingegen nicht.
Donnerwetter noch mal … gibt’s in Berlin famose Eltern!
My word, parents in Berlin are jolly decent.
(Hall)Berlin parents are so cool!
(Martin)
Das Beispiel zeigt erneut Halls Anlehnung an den Privatschul-Sprech, der Kästners Einordnung des sozialen Milieus mit einem breiten Pinsel der oberen Mittelklasse überschmiert. Ein Blick auf die Übersetzung von 2007 zeigt, dass Martin eine völlig andere Richtung einschlägt als seine Vorgängerin. Das Register entspricht schon eher dem Geist des Originals, die modernen Ausdrücke entsprechen hingegen nicht dem klaren zeitlichen Bezug des Buches und irritieren auf eine plakativere Art und Weise als bei Hall. Der Schauplatz und die Handlung gehören natürlich in eine frühere Zeit, aber die Figuren sprechen wie moderne Kinder. Während Hall den Schauplatz und die soziale Klasse weichzeichnet, verpasst Martin den Abgleich von Sprache und Zeitspanne.
Kästners Sprachgebrauch in Emil ist nicht die einzige Falle, in die die Übersetzerinnen und Übersetzer getappt sind. Das Buch ist auch fest in einem realen Berlin verankert, mit konkreten Straßennamen und klar definierten Geldbeträgen, die ausgetauscht (und natürlich verloren) werden. Mit dem Oberklasse-Jargon entfernt sich Hall bereits einen Schritt von Kästners ursprünglichem Ton und geht noch einen Schritt weiter, indem sie Pfund und Schilling statt Mark verwendet und die Namen einiger Nebenfiguren der englischen Aussprache anpasst – so wird aus Mittenzwey etwa Mittler. Martins Übersetzung löst sich hingegen klar vom Original.
Neustadt
Herr GrundeisNeustadt
Herr Grundeis
(Massee)
Neustadt
Mr Grundeis
(Hall)New Town
Mr Groundsnow
(Martin)
Massee, die ursprüngliche US-amerikanische Übersetzerin, behält die deutschen Ortsbezeichnungen und sogar die deutschen Anreden bei – zusammen mit einer kurzen Erklärung zu Beginn des Buches, wo sie den Leserinnen und Lesern erklärt, dass Herr für Mr steht. Hall übernimmt viele der Ortsnamen oder passt sie geringfügig an, so wird aus der Kaiserallee die Kaiser Avenue und aus Trautenaustraße die Trautenau Street. Martin hingegen überträgt deutlich mehr der Begriffe, wie etwa die Lehnübersetzung von Herrn Grundeis mit Mr Groundsnow und sogar Emil Tischbein, der zu Emil Tabletoe wird. Dies verdeutlicht den englischen Lesern die Bedeutungen vieler der ursprünglichen Namen oder vermittelt einen ähnlichen Effekt, aber es passiert etwas willkürlich, denn einige Namen bleiben unerklärlicherweise auf Deutsch stehen, was weitere Spannungen mit dem deutlichen Berliner Schauplatz erzeugt. Emil Tabletoe aus New Town vermittelt nun mal nicht dasselbe Lokalkolorit wie Emil Tischbein aus Neustadt.
Übersetzen ist immer ein Verhandeln und das wird bei allen englischen Übersetzungen von Emil klar. Von Hall, die das Buch mit der Sprache der gehobenen Mittelklasse metaphorisch den halben Weg nach England zieht, bis hin zu Martin, die das richtige Register trifft, aber die falsche Zeit, finden alle Übersetzungen ihr eigenes Gleichgewicht zwischen den Spezifika des Originals und den Erwartungen ihrer (jungen) englischsprachigen Leserschaft, auch wenn diese Art von Überlegungen wohl eher Erwachsene als Kinder interessieren dürfte. Die andauernde Beliebtheit des Buches im englischen Sprachraum zeigt, dass britische Kinder sich, ohne den Sprachgebrauch zu hinterfragen, immer noch in den Bann der Geschichte ziehen lassen, solange dieser mit Kästners unfehlbarer Fähigkeit einhergeht, die Freude der jungen Detektive zu vermitteln, die sich ihren abenteuerlichen Prüfungen stellen und am Ende triumphieren. Und solange Emil immer wieder neu übersetzt und herausgegeben wird, werden Leserinnen und Leser auch weiterhin an diesem Triumph teilhaben.
Erich Kästner/W. Martin: Emil and the Detectives. (Originaltitel: Emil und die Detektive)
Harry N Abrams Inc 2014 ⋅ 159 Seiten ⋅ 16,32 Dollar
Erich Kästner/Eileen Hall: Emil and the Detectives. (Originaltitel: Emil und die Detektive)
Puffin Penguin Books 1967 ⋅ 127 pages ⋅ antiquarisch erhältlich