Gro­ße klei­ne Spra­che Altisländisch

Wer die faszinierenden Sagas der nordischen Mythologie im Original lesen will, muss Altisländisch können. Für alle anderen gibt es zum Glück Übersetzungen. Wir stellen die quicklebendige tote Sprache vor. Von

„Die Norweger landen in Island, 872“, Oscar Wergeland, 1877, Quelle: WikiCommons
Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt, doch nur ein win­zi­ger Bruch­teil davon wird ins Deut­sche über­setzt. In die­ser Rubrik inter­view­en wir Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Alle Bei­trä­ge der Rubrik fin­det ihr hier.

Was ist Altisländisch?

Alt­is­län­disch wird oft auch all­ge­mei­ner als Alt­nor­disch bezeich­net. Die­se Bezeich­nung ist jedoch etwas unge­nau, da „Alt­nor­disch“ eigent­lich der Über­be­griff für alle mit­tel­al­ter­li­chen skan­di­na­vi­schen Dia­lek­te ist und dabei das Alt­west­nor­di­sche (wel­ches das Alt­is­län­di­sche und Alt­nor­we­gi­sche umfasst) und das Altost­nor­di­sche (also das Alt­dä­ni­sche und Alt­schwe­di­sche) zusam­men­fasst. Da die über­le­ben­den Text­zeug­nis­se aber vor allem aus dem Alt­is­län­di­schen stam­men, ver­wen­det man den Begriff Alt­nor­disch oft syn­onym mit Alt­is­län­disch. Durch die iso­lier­te Lage hat sich die islän­di­sche Spra­che in den letz­ten Jahr­hun­der­ten ver­hält­nis­mä­ßig wenig wei­ter­ent­wi­ckelt. Die Islän­der kön­nen Alt­is­län­disch ohne grö­ße­re Pro­ble­me ver­ste­hen und lesen bei­spiels­wei­se die Sagas im alt­is­län­di­schen Original.

Wie haben Sie Alt­is­län­disch gelernt?

An der Uni­ver­si­tät. In den meis­ten grund­stän­di­gen Skan­di­na­vis­tik-Stu­di­en­gän­gen ist ein Semes­ter­kurs Alt­is­län­disch obli­ga­to­risch und Vor­aus­set­zung für die Bele­gung der medi­ävis­tisch aus­ge­rich­te­ten Modu­le, wo die Sprach­kennt­nis­se dann ange­wandt wer­den. Ich selbst habe an der Uni Bonn stu­diert und dort Alt­is­län­disch- und Medi­ävis­tik-Semi­na­re bei Rudolf Simek und Sabi­ne Walt­her belegt.

Wie sieht die alt­is­län­di­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Die bekann­tes­te Pro­sa­ga­t­tung bil­det wohl die umfang­rei­che und in ihrer Form ein­zig­ar­ti­ge Saga-Lite­ra­tur. Unter Sagas ver­steht man unter­schied­lich lan­ge Geschich­ten (man­che kön­nen um die 100 Sei­ten lang sein), die größ­ten­teils zwi­schen dem 12. und 14. Jahr­hun­dert nie­der­ge­schrie­ben wur­den. Man kann davon aus­ge­hen, dass die Geschich­ten tat­säch­lich aber noch älter sind. Da die Sagas jedoch eine offe­ne Text­gat­tung dar­stel­len und von ihren Schrei­bern und der even­tu­el­len münd­li­chen Tra­die­rung vor der Nie­der­schrei­bung ver­än­dert, gekürzt oder ver­län­gert wer­den konn­ten, lässt sich in kei­nem bekann­ten Fall ein Urtext fest­stel­len oder auch die genaue Ent­ste­hungs­zeit nachvollziehen.

Inhalt­lich sind die Tex­te sehr viel­fäl­tig: Eini­ge Sagas trans­por­tie­ren his­to­ri­sche oder pseu­do-his­to­ri­sche Stof­fe, eini­ge befas­sen sich mit der islän­di­schen Bevöl­ke­rung und dem Leben und den Feh­den der mit­tel­al­ter­li­chen islän­di­schen Bau­ern. „Bau­ern prü­geln sich“ fasst Hei­ko Uecker in sei­ner Geschich­te der alt­nor­di­schen Lite­ra­tur zusam­men und bedient sich dabei eines sehr tref­fen­den und schon seit Län­ge­rem durch die Saga-For­schung gehen­den Leit­spruchs. Wie­der ande­re Sagas bil­den fan­tas­ti­sche Wel­ten ab und berich­ten von Wikin­ger­fahr­ten, Rie­sen, Dra­chen und Fahr­ten in exo­ti­sche Gefil­de, zu Zei­ten lan­ge vor der islän­di­schen Besiedlung.

Auch in der Dich­tung blickt Island auf eine beein­dru­cken­de Lite­ra­tur­ge­schich­te zurück: Zwei hier zu nen­nen­de Grup­pen sind die Eddik und die Skal­dik. Die Edda ist ein Werk, in wel­chem mytho­lo­gi­sche Gedich­te und Hel­den­lie­der ent­hal­ten sind. Unter Skal­dik ver­steht man eine sil­ben­zäh­len­de Dicht­form, die in Island wohl ein­zig­ar­tig ist. Inhalt­lich haben wir es hier mit Fürs­ten­preis, Spott gegen Fein­de, Lie­be, Trau­er, Kampf, mytho­lo­gi­schen Stof­fen und christ­li­chen Inhal­ten zu tun.

Was soll man unbe­dingt gele­sen haben?

Für Inter­es­sier­te lohnt sich sicher ein Blick in die Edda. Außer­dem ist unter den vie­len mitt­ler­wei­le ja auch ins Deut­sche über­setz­ten Sagas für jeden Geschmack etwas dabei. Beson­ders nen­nens­wert sind hier­bei bei­spiels­wei­se die Gret­tis saga, die Njáls saga als einer der längs­ten Tex­te, die Lax­dæ­la-Saga, die Eyr­bygg­ja saga oder die Egils saga Skal­la­g­ríms­so­nar. Im Krö­ner-Ver­lag gibt es eine drei­bän­di­ge Aus­ga­be mit über 30 zum Teil erst­mals ins Deut­sche über­setz­ten Sagas aus dem oben erwähn­ten The­men-Bereich der fan­tas­ti­schen Sagas, der soge­nann­ten Vor­zeits­agas (isl. Forn­al­dar­sö­gur). Die­se Grup­pe ist in jedem Fall die unter­halt­sams­te mit rol­len­den Köp­fen, wan­deln­den Unto­ten, bru­ta­len Fami­li­en­feh­den und Trol­len, deren Geni­ta­li­en bis zum Boden reichen.

Was ist noch nicht übersetzt?

Gera­de im Bereich der Sagas gibt es noch eini­ge, die nicht über­setzt sind, so wie vie­le jün­ge­re, nach­mit­tel­al­ter­li­che Tex­te. Ande­re lie­gen nur in sehr alten Über­set­zun­gen vor, die drin­gend einer Über­ar­bei­tung oder neu­en Über­set­zung bedür­fen. Dann gäbe es wei­te­re Text­gat­tun­gen wie umfang­rei­che Rechts­text­samm­lun­gen, die für ein brei­tes und nicht-wis­sen­schaft­li­ches Publi­kum jedoch nicht von son­der­lich gro­ßem Inter­es­se sein dürften.

Was sind die gro­ßen Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Alt­is­län­di­schen? Wie gehen Sie damit um?

Ein Pro­blem stellt zum Bei­spiel die Wie­der­ga­be von Eigen- und Orts­na­men dar. Hier geht es vor allem um Ein­heit­lich­keit in der Über­set­zung. Geo­gra­fi­sche Namen ber­gen das zusätz­li­che Pro­blem, dass sie sich oft­mals nicht ein­fach über­set­zen las­sen, da sich der geo­gra­phi­sche Raum, den sie his­to­risch bezeich­nen, nicht mit dem heu­ti­gen geo­gra­phi­schen Gebiet deckt. Ein Bei­spiel ist das alt­is­län­di­sche Wort Sax­land – Sach­sen, das natür­lich nicht deckungs­gleich mit dem heu­ti­gen Sach­sen ist, aller­dings auch in kei­nem Fall ein­fach mit ‚Deutsch­land‘ über­setzt wer­den kann. Wich­ti­ge wie­der­keh­ren­de Begrif­fe kann man zum Bei­spiel mit­hil­fe eines Glos­sars klären.

Was kann Alt­is­län­disch, was Deutsch nicht kann?

Hier fal­len mir eini­ge schö­ne Wort­schöp­fun­gen ein:

  • fagnaðarǫl: ‚Wil­kom­mens­bier‘ (= Will­kom­mens­trunk), zusam­men­ge­setzt aus fagnaðr = Freude/gutes Ereig­nis; Willkommen/gastl. Auf­nah­me + ǫl = Bier
  • erfiǫl: ‚Grab­bier, Erb­bier‘ (= Toten­mahl), aus erfi = Leichenschmaus/Begräbnis + ǫl = Bier
  • und Flos­keln wie: ‚Mögen dich die Trol­le holen!‘ (als Beschimp­fung), ‚jeman­dem schei­nen Trol­le vor der Tür zu ste­hen‘ (wenn man Angst hat) oder ‚Alben ver­trei­ben‘ (für den Gang zur Toilette)
Wir suchen für die Rubrik „Gro­ße klei­ne Spra­che“ Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, die Lust haben, ihre „klei­ne“ Spra­che mit unse­rem Fra­ge­bo­gen vor­zu­stel­len. Wenn du dich ange­spro­chen fühlst, mel­de dich ger­ne unter redaktion@tralalit.de.

Sarah Onkels stammt aus dem Rhein­land, stu­dier­te Ger­ma­nis­tik, Skan­di­na­vis­tik und Kel­to­lo­gie in Bonn, Köln und Tur­ku und pro­mo­viert der­zeit zum The­ma Wikin­ger im Kin­der­buch. Ihre Lie­be zu Fremd­spra­chen brach­te sie zum Rei­sen, das Rei­sen zu dem Wunsch, län­ge­re Zeit im Aus­land zu ver­brin­gen, und unter­schied­li­che Anläs­se in Stu­di­um, Berufs- und Pri­vat­le­ben zu län­ge­ren Auf­ent­hal­ten in Finn­land, Island, den USA und Kana­da. Sie lebt als freie Über­set­ze­rin und Sprach­leh­re­rin in Bonn.

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    Irina

    Freut mich sehr, dass eini­ge Mona­te nach mei­nem Bei­trag zu Chré­ti­en de Troyes die „toten“ Spra­chen mal wie­der zu ihrem Recht kom­men. Habe die­sen Text mit beson­de­rem Inter­es­se gelesen.
    Lie­be Sarah, an der Kel­to­lo­gie der Uni Bonn könn­ten Sie jeman­dem begeg­net sein, den ich einst an der Indo­ger­ma­nis­tik der Uni Jena ken­nen­lern­te und der uns bei­brach­te, in der alt­iri­schen Lite­ra­tur gehe es u. a. dar­um, dass Leu­te sich „gegen­sei­tig die Vie­cher klau­en“ (passt doch super zu den prü­geln­den Bauern).
    Und ob wohl die Vor­zeits­agas bru­ta­ler sind als die alt­fran­zö­si­sche Chan­son de ges­te? Es käme auf einen Ver­gleich an… (Ich bie­te Schwert­hie­be, die nicht nur den auf dem Pferd Sit­zen­den in zwei Hälf­ten tei­len, son­dern das Pferd gleich mit.)

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