„Wir kön­nen den Text nicht zensieren“

Über Woody Allens Autobiographie „Ganz nebenbei“ wurde vorab heftig gestritten, auch in Deutschland. Bei TraLaLit äußern sich erstmals drei der beteiligten Übersetzer zu ihrer Arbeit und ihrer Verantwortung vor Autor und Öffentlichkeit.

Interview:

Interviews in Zeiten der Pandemie. Von unten links im Uhrzeigersinn: Jan Schönherr, Andrea O’Brien, Stefanie Jacobs und der Interviewer. © TraLaLit 2020

Woo­dy Allens Auto­bio­gra­phie „Ganz neben­bei“, die ihr gemein­sam mit Hai­ner Kober aus dem ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch über­setzt habt, ist gleich­zei­tig mit dem Ori­gi­nal auch auf Deutsch erschie­nen. Seit wann wuss­tet ihr von dem Buch, und wie lan­ge hat­tet ihr Zeit für die Übersetzung?

Jan Schön­herr: Das Pro­jekt begann Ende Janu­ar. Das Gan­ze lief aller­dings unter hoher Geheim­hal­tung ab. Wir muss­ten erst­mal ein Non-Dis­clo­sure Agree­ment unter­zeich­nen, bevor uns über­haupt mit­ge­teilt wur­de, wor­um es geht. Das Manu­skript kam dann zur ers­ten Ansicht Ende Janu­ar, Anfang Febru­ar. Von da an hat­ten wir ins­ge­samt drei Wochen bis zur Abgabe.

Das heißt, zu dem Zeit­punkt, als die Ver­öf­fent­li­chung bekannt­ge­ge­ben wur­de, war die Über­set­zung qua­si schon fertig.

Schön­herr: Genau. Zumin­dest war unse­re Arbeit erledigt.

Ihr habt den Auf­trag also schon über­nom­men und den Ver­trag unter­schrie­ben, bevor ihr wuss­tet, was das über­haupt für ein Buch ist?

Andrea O’Brien: Die Zusa­ge habe ich zumin­dest münd­lich vor­her schon gege­ben, aber erst nach­dem ich das Non-Dis­clo­sure Agree­ment unter­schrie­ben hat­te, wur­de mir mit­ge­teilt, was es eigent­lich ist.
Schön­herr: Den Ver­trag haben wir aber erst danach unterschrieben.

Und mit wel­cher Gefühls­la­ge habt ihr unter­schrie­ben? Habt ihr gezö­gert, zuzu­sa­gen, oder habt ihr euch auf das Buch gefreut?

Ste­fa­nie Jacobs: Ich habe mich eigent­lich schon gefreut. Die größ­ten Bauch­schmer­zen hat­te ich bei der Fra­ge, ob ich mir so einen Gewalt­marsch jetzt unbe­dingt antun muss. Aber dann fand ich es doch reizvoll.

O’Brien: Das ging mir auch so. Der Gedan­ke „Oh Gott, muss das jetzt sein?!“, der ist mir nicht gekommen.

Soweit ich weiß, hat­te ja kei­ner von euch schon ein­mal ein Buch von Woo­dy Allen über­setzt. Erzählt mal von der Über­set­zung selbst.

Jacobs: Mir floss es eigent­lich ganz gut aus den Fin­gern. Natür­lich gab es Stel­len, die ein biss­chen schwie­ri­ger waren, aber ins­ge­samt moch­te ich den Ton und hat­te Spaß beim Übersetzen.

O’Brien: Ich glau­be, Spaß hat­ten wir alle. Wir haben eine Whats­App-Grup­pe gegrün­det, um Pro­ble­me kurz­fris­tig klä­ren zu kön­nen, ohne sich immer anru­fen oder E‑Mails schrei­ben zu müs­sen. Da ging es recht lus­tig zu. Wenn man sich ein­mal ein­ge­schwun­gen hat­te, ging das eigent­lich recht locker. Man hat­te das Gefühl, den Ton hat man erfasst, den hat man im Ohr, man kennt ihn aus sei­nen Fil­men. Ich erken­ne Woo­dy Allen und sei­nen Ton in dem Buch auch wie­der, ich sehe ihn förm­lich vor mir, mit sei­ner Bril­le und sei­ner Gestik.

Schön­herr: Natür­lich war auch gar nicht genug Zeit dafür, sich über ein­zel­ne Stel­len näch­te­lang den Kopf zu zer­bre­chen. Wir hat­ten das Gan­ze in Tran­chen abzu­ge­ben, haben also jeweils 100 Sei­ten gemacht, und hat­ten erst zu einem bestimm­ten Datum die ers­ten 40 abzu­ge­ben und dann die übri­gen 60. Da über­setzt man dann schon in einer rela­tiv hohen Schlagzahl.

Gab es am Ende noch eine Schluss­re­dak­ti­on vom Verlagslektorat?

O’Brien: Ja, unse­re ein­zel­nen Tei­le haben wir lek­to­riert zurück­be­kom­men, und am Ende wur­de noch ein­mal das Gan­ze lektoriert.

Jacobs: Wobei die Zeit zu knapp war, um auch die Tei­le der ande­ren kom­plett zu lesen. Für unse­re eige­nen Tei­le hat­ten wir ein, zwei Tage.

Machen sol­che „Schnell­über­set­zun­gen“ eigent­lich Spaß? Viel­leicht sogar mehr als das ewi­ge Grü­beln allein?

Jacobs: Ja und nein. Den Gemein­schafts­aspekt fand ich super, weil ich es sonst oft scha­de fin­de, kei­ne Kol­le­gen zu haben, die mit mir an dem­sel­ben Text arbei­ten. Die Eile, die gebo­ten war, fand ich schon aus pri­va­ten Grün­den nicht immer ange­nehm. Sie hat aber auch etwas für sich. Es hat mir gefal­len, dass der Ablauf vom Über­set­zen bis zum Lek­to­rat, zur Fer­tig­stel­lung und zum Ver­kauf im Laden so schnell ist. Es hat etwas für sich, aber es ist kein idea­les Arbei­ten. Das ist, glau­be ich, jedem klar.

Schon die Ankün­di­gung der Ver­öf­fent­li­chung die­ses Buches Anfang März hat in Ame­ri­ka eine gro­ße Dis­kus­si­on aus­ge­löst. Woo­dy Allens Kin­der Ronan und Dylan Far­row äußer­ten sich mit Ver­weis auf die Miss­brauchs­vor­wür­fe gegen Allen kri­tisch über die Ver­öf­fent­li­chung, zwei Tage spä­ter zog der Ver­lag Hachet­te den Titel zurück. Wie habt ihr das erlebt? Wie schätzt ihr die­se Dis­kus­si­on in den USA ein? Fin­det ihr die Kri­tik – auch vor dem Hin­ter­grund des Buches, das ihr da über­setzt habt, berechtigt?

Schön­herr: Das sind zwei ver­schie­de­ne Fra­gen. Als klar war, um wel­ches Buch es geht, habe ich durch­aus kurz geschluckt und über­legt, ob ich mich in das Wes­pen­nest wirk­lich set­zen will. Mei­ne letz­ten Erin­ne­run­gen waren die Wort­mel­dun­gen von Dylan und Ronan Far­row vor zwei Jah­ren gewe­sen, und die kamen mir damals auch recht glaub­haft vor. Als ich dann aber noch ein­mal nach­ge­schaut habe, hat­te ich schnell den Ein­druck, dass die Ange­le­gen­heit längst nicht so klar ist, dass zum Bei­spiel auch schon juris­tisch ent­schie­den wur­de. Und damit sprach für mich nichts dage­gen, dass die­ses Buch erscheint. Es erschei­nen immer wie­der Bücher von ver­ur­teil­ten Straf­tä­tern – mir war nicht klar, war­um ein Buch nicht erschei­nen soll, weil jemand Vor­wür­fe vor­bringt, die nicht bewie­sen wur­den. Die Dis­kus­si­on hin­ge­gen fin­den wir, den­ke ich, alle auch gut. Dass über die­ses The­ma gespro­chen wird, das ist natür­lich gut und rich­tig. Das Buch des­we­gen ganz zu kip­pen, fand ich schwierig.

Jacobs: Sehe ich genau­so. Ich fand es durch­aus über­ra­schend, dass es pas­siert ist. Damit hät­ten wir alle nicht gerech­net. Aber jetzt ist es ja zum Glück erschie­nen, sowohl in Ame­ri­ka als auch hier.

O’Brien: Gro­ße „Dis­kus­sio­nen“ hat es in Ame­ri­ka übri­gens gar nicht gege­ben. Hachet­te hat ein­fach ziem­lich schnell die Sache kaputt gemacht. Da wur­de nicht viel dis­ku­tiert. Hier in Deutsch­land war tat­säch­lich eine Dis­kus­si­on in den Medi­en, ein Hin und Her, ein Diskurs.

Aus­ge­löst wur­de die­ser Dis­kurs in Deutsch­land am 8. März durch einen Offe­nen Brief von Autorin­nen und Autoren des Rowohlt Ver­lags. Da die­ser Brief so wahn­sin­ni­ge Wel­len geschla­gen hat, wür­de mich zunächst mal inter­es­sie­ren, ob die vor­ab mit euch in Kon­takt getre­ten sind.

O’Brien: Nein, das lief an uns vorbei.

Wie hät­tet ihr reagiert, wenn man an euch her­an­ge­tre­ten wäre?

Jacobs: Natür­lich hät­ten wir die besag­ten Argu­men­te vor­ge­bracht, war­um die­ses Buch erschei­nen soll­te. Aber es hat uns nicht erstaunt, dass wir nicht ein­be­zo­gen wur­den, und ich glau­be, es hät­te auch nicht viel gebracht. Hät­te man jeman­den, der so einen Offe­nen Brief for­mu­liert, tat­säch­lich umstim­men kön­nen? Ich bin mir nicht sicher.

Ist es – ganz all­ge­mein – über­haupt denk­bar, dass Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer sich an so einem Boy­kott­auf­ruf beteiligen?

O’Brien: Die Ent­schei­dung, ob ich ein Buch über­set­zen will oder nicht, die tref­fe ich ja vor­her. Mir ist es vor Kur­zem tat­säch­lich pas­siert, dass mir ein Buch ange­bo­ten wur­de und ich abge­lehnt habe, weil ich in so ein Milieu nicht drei Mona­te lang ganz tief ein­stei­gen könn­te. Die­se Ent­schei­dung trifft man ja, auch ohne dass man gleich poli­tisch Stel­lung bezieht. Um ein Buch zu über­set­zen, muss man es ja ganz nah an sich her­an­las­sen, in sei­nen Kopf, in sein Herz. Da muss man sich schon über­le­gen, ob man das aus­hal­ten möch­te. Grundsätzlich.

Schön­herr: Wenn Woo­dy Allen ein über­führ­ter Sexu­al­straf­tä­ter wäre, hät­te ich mir sicher noch bes­ser über­legt, ob ich das wirk­lich machen möch­te. Gar nicht unbe­dingt, weil ich fin­de, das Buch dürf­te dann nicht erschei­nen, son­dern weil ich sel­ber viel­leicht nichts damit zu tun hät­te haben wol­len. Ich könn­te mir aber schon vor­stel­len, mich an einem Boy­kott­auf­ruf zu betei­li­gen, wenn es zum Bei­spiel um ein Buch gin­ge, das offen zu Gewalt und Hass gegen bestimm­te Grup­pen auf­for­dert. Grund­sätz­lich muss man eben, wie gesagt, eine Ent­schei­dung tref­fen. Es ist in die­sem Fall ja übri­gens auch so, dass Woo­dy Allen nicht gera­de ein moder­nes Frau­en­bild ver­tritt. Dar­auf haben wir uns auch ein­ge­las­sen und es auf Deutsch nach­ge­baut, obwohl das sicher­lich nicht unser Frau­en­bild ist.

Jacobs: Wenn man sich ins­ge­samt ent­schei­det, die­sem Buch und die­sem Men­schen eine deut­sche Stim­me zu geben, dann fällt so etwas eben auch mit in die­sen Tole­ranz­be­reich. Wohl wis­send, dass es jetzt nicht das ist, was man sel­ber verficht.

Das heißt: Nach der grund­sätz­li­chen Ent­schei­dung zu Beginn hat man sich als Über­set­ze­rin oder Über­set­zer mit Wert­ur­tei­len zurückzuhalten?

O’Brien: Das ist ja nicht unse­re Auf­ga­be. Ich habe den Ein­druck gehabt, dass in der Pres­se hier und da ange­deu­tet wur­de, wir als Über­set­zer hät­ten dar­an etwas ändern kön­nen. Das ist nicht unse­re Auf­ga­be. Wir kön­nen den Text nicht zen­sie­ren oder so hin­bas­teln, wie wir ihn ger­ne hät­ten, weil wir eine ande­re Mei­nung haben. Das ist nicht Übersetzen.

In dem Offe­nen Brief heißt es: „Nach gän­gi­ger Pra­xis müs­sen wir davon aus­ge­hen, dass ein ‚fact che­cking‘ des Buches auch in Deutsch­land nicht erfol­gen wird.“ Hat­tet ihr die Zeit, noch ein­mal Din­ge zu hin­ter­fra­gen oder in irgend­ei­ner Form ein­zu­grei­fen? Wäre es über­haupt gebo­ten gewesen?

Jacobs: Wir als Über­set­zer kön­nen natür­lich nicht die Gerichts­ak­ten noch ein­mal her­an­zie­hen. „Har­te Fak­ten“ wie zum Bei­spiel Erschei­nungs­da­ten von Fil­men recher­chie­re ich aber immer nach. Das habe ich auch hier getan.

Schön­herr: Das ist dann übri­gens auch im Ver­lag noch ein­mal pas­siert. Mei­nes Wis­sens wer­den sol­che Bücher auch in Ame­ri­ka schon rela­tiv aus­gie­big juris­tisch geprüft, um sich zum Bei­spiel vor mög­li­chen Ver­leum­dungs­kla­gen zu schüt­zen. Aber abge­se­hen davon habe ich mich ohne­hin gefragt, was die Auf­for­de­rung zum „fact che­cking“ bei einer Auto­bio­gra­phie zu bedeu­ten hat, die ja nun schon qua Gen­re sub­jek­tiv ist. Natür­lich ist das Allens Ver­si­on sei­ner Geschich­te. Was sol­len wir da raus­fin­den? „Nein, du warst gar nicht wirk­lich in XY verliebt!“?

Die­ser Offe­ne Brief hat in Deutsch­land eine rie­si­ge, man kann schon fast sagen hys­te­ri­sche Feuil­le­ton­de­bat­te dar­über los­ge­tre­ten, ob das Buch jetzt erschei­nen soll­te oder nicht, wie der Rowohlt Ver­lag sich posi­tio­nie­ren soll­te, ob das „Zen­sur“ sei oder nicht. Wie habt ihr die­se Debat­te gese­hen oder verfolgt? 

O’Brien: Erst ein­mal mit Erleich­te­rung. Ich fand das gut, dass es in Deutsch­land über­haupt eine Debat­te gab. Es gab eini­ge Aus­schlä­ge, die mir nicht gefie­len, aber ins­ge­samt fand ich es erleich­ternd und erfreu­lich, dass man in Deutsch­land so etwas noch dis­ku­tiert und die Sache nicht ein­fach abge­bla­sen wird, weil ein kri­ti­scher Wind weht.

Jacobs: Ich fand auch erfreu­lich, dass vie­le der Bei­trä­ge dif­fe­ren­zier­ter waren als die Posi­ti­on des Offe­nen Briefes.

Schön­herr: Wobei undif­fe­ren­zier­te Stel­lung­nah­men sicher auch aus ver­schie­de­nen Rich­tun­gen kamen. Aber eben auch differenzierte.

Es war im Nach­gang auch die Rede von einem „Tief­punkt der Debat­ten­kul­tur“, einer „Ver­ro­hung der Spra­che“ – so weit wür­det ihr also nicht gehen?

Schön­herr: Ich weiß nicht so genau, was auf Twit­ter alles pas­siert ist. Ich weiß auch nicht, ob ich das wis­sen möch­te. Aber zumin­dest in den Medi­en fand ich es im Wesent­li­chen eigent­lich in Ordnung.

Jacobs: Twit­ter habe ich auch nicht mit­be­kom­men. Und ich habe auch ab einem gewis­sen Punkt auf­ge­hört, Debat­ten in Sozia­len Medi­en zu genau zu ver­fol­gen. Ich habe dann die Zei­tun­gen und die Pres­se­bei­trä­ge dazu gele­sen. Ich fand das auch sehr span­nend und meis­tens kultiviert.

Wie wird sich jetzt das Erschei­nen die­ses Buches und die Tat­sa­che, dass es gele­sen wer­den kann, auf die Beur­tei­lung die­ses Falls oder der Per­son Woo­dy Allen auswirken?

O’Brien: Ich bin nicht ganz sicher, ob es dazu bei­trägt, ihn zu reha­bi­li­tie­ren. Momen­tan habe ich den Ein­druck, dass sich das eher in die ande­re Rich­tung bewegt.

Jacobs: Das ist lei­der auch mein Ein­druck. Ich glau­be, es blei­ben die Lager, die es schon vor­her gab. Wer die Geschich­te schon vor­her für eine Rache­kam­pa­gne sei­ner Ex-Frau Mia Far­row hielt, sieht sich jetzt bestä­tigt, die ande­ren suchen sich die Details her­aus, die ihnen am bes­ten in die Argu­men­ta­ti­on pas­sen, und sehen sich auch bestä­tigt. Ich habe nicht den Ein­druck, dass das Buch bis­her einen gro­ßen Umschwung zu sei­nen Guns­ten bewirkt hätte.

O’Brien: Natür­lich ist jetzt ein Aspekt, an dem sich vie­le sto­ßen, sein über­hol­tes Frau­en­bild. Dann heißt es: „Man sieht ja, wie er über Frau­en denkt, und er ist halt trotz allem irgend­wie ein komi­scher Kauz, oder ein unsym­pa­thi­scher Mensch, und dann ist es jetzt auch egal, ob man ihm da etwas nach­wei­sen kann oder nicht.“

Schön­herr: Und ande­ren fällt das offen­bar auch wie­der gar nicht auf. Es gibt auch die Stim­men, die schrei­ben, was für tol­le Frau­en­fi­gu­ren er immer wie­der geschaf­fen hat in sei­nen Fil­men, was für Arche­ty­pen gera­de­zu für star­ke Frauen.

Jacobs: Ich habe auch ein biss­chen den Ein­druck, für man­che Kri­ti­ker oder Men­schen ganz all­ge­mein kann er jetzt gar nichts rich­tig machen. Einer­seits wird ihm vor­ge­wor­fen, er hät­te sich nie rich­tig mit den Vor­wür­fen aus­ein­an­der­ge­setzt, ande­rer­seits heißt es, er wür­de viel zu bis­sig und klein­tei­lig dar­auf reagie­ren – was soll er denn machen?! Er hat jetzt die­ses Stig­ma, jetzt ist alles, was er macht, irgend­wie falsch, zumin­dest, wenn der Rezen­sent von vorn­her­ein der Mei­nung war.

Mein per­sön­li­cher Ein­druck war, dass das Buch in wei­ten Tei­len eine Recht­fer­ti­gungs­schrift ist, die im Vor­hin­ein im Hin­blick auf die­se zu erwar­ten­de Debat­te geschrie­ben wur­de. Habt ihr auch die­sen Ein­druck, oder soll­te man die­ses Buch, wenn man es kauft, eher wegen der Anek­do­ten aus der Jugend und von hin­ter der Kame­ra kaufen?

Jacobs: Es ist eine ganz nor­ma­le Bio­gra­phie, die aber zwei län­ge­re Recht­fer­ti­gungs­ab­schnit­te ent­hält, in denen er sich – für mei­ne Begrif­fe in schwer­fäl­li­ge­rem und fast äch­zen­dem Ton­fall – zu die­sen gan­zen The­men äußert. Aber rund­her­um, wenn es nicht gera­de um die­se Vor­wür­fe geht, ist es aus mei­ner Sicht eigent­lich eine nett plau­dern­de, fluf­fi­ge Woody-Allen-Biographie.

Schön­herr: Man hat beim Lesen oft die­se Off-Stim­me aus sei­nen frü­he­ren Fil­men im Ohr, man sieht die gan­zen typi­schen Bil­der vor sich. Es gibt die­se eine lus­ti­ge Sze­ne, in der er beschreibt, wie er beschließt, ein Meis­ter­koch zu wer­den und sich eine Koch­leh­re­rin enga­giert, was natür­lich völ­lig schief­geht. Sol­che sei­ten­lan­gen Slap­stick-Sze­nen sind da auch drin.

AOB: Ja, oder wie er sei­nen Nach­barn immer dazu bezirzt hat, das Band der Schreib­ma­schi­ne aus­zu­wech­seln, indem er ihm einen Hack­bra­ten gemacht hat: Jedes Mal, wenn das Schreib­ma­schi­nen­band nicht mehr ging, hat er sei­nen Nach­barn zum Hack­bra­ten ein­ge­la­den, ihn mit klas­si­scher Musik hoch­ge­pusht und dann ins Neben­zim­mer gelockt, damit er neben­bei noch das Band aus­wech­selt und gar nicht merkt, dass er nur des­we­gen ein­ge­la­den wur­de. Das ist typisch Woo­dy Allen, wie aus einem Film.

Schön­herr: Die­se Sze­nen haben auch wirk­lich Spaß gemacht zu über­set­zen. Sein Humor, die lus­ti­gen Anek­do­ten. War schön.

Jan Schön­herr lebt in Mün­chen und über­setzt Lite­ra­tur und Sach­bü­cher aus dem Eng­li­schen, Fran­zö­si­schen und Ita­lie­ni­schen. Andrea O’Brien lebt eben­falls in Mün­chen und über­setzt zeit­ge­nös­si­sche Lite­ra­tur aus dem Eng­li­schen. Ste­fa­nie Jacobs lebt in Wup­per­tal und über­setzt aus dem Eng­li­schen und Französischen.


Woo­dy Allen/Hainer Kober/Jan Schönherr/Andrea O’Brien/Stefanie Jacobs: Ganz neben­bei. (Im eng­li­schen Ori­gi­nal: Apro­pos of Nothing.)

Rowohlt 2020 ⋅ 448 Sei­ten ⋅ 25 Euro

www.rowohlt.de/hardcover/woody-allen-ganz-nebenbei.html

4 Comments

Add Yours
  1. 1
    Christiane Bergfeld

    Scha­de. Ich ken­ne weder das Ori­gi­nal noch die­se Über­set­zung, dafür aber ver­schie­de­ne Rezen­sio­nen, die jeweils unter­schied­li­che Aspek­te beto­nen. Nach­dem ich die­se Stern­kri­tik mit­samt der Über­set­z­erschel­te gele­sen hat­te, https://www.stern.de/kultur/buecher/woody-allen–die-schonungslose-autobiografie-des-filmemachers-9198176.html
    erhoff­te ich mir hier Auf­schluss über die bean­stan­de­te alt­mo­di­sche Wort­wahl. (Ers­ter Absatz unter „Schlech­te Über­set­zung“) Ging die­se denn auf das Kon­to des Lek­to­rats? (Der Rezen­sent behaup­tet, der Ver­lag habe das Buch über­setzt.) Als Über­set­ze­rin habe ich kei­ne Beden­ken, auch mal in die „Abstell­kam­mer der Spra­che“ zu grei­fen und mei­ne Wahl zu ver­tei­di­gen. Was nicht mehr geläu­fig ist, lässt sich doch heu­te mühe­los recher­chie­ren und macht auch einen gewis­sen Reiz aus? Kürz­lich habe ich einem knapp hun­dert­jäh­ri­gen Prot­ago­nis­ten eben­falls einen alten Wort­schatz in den Mund gelegt, weil er mei­ner Mei­nung nach bes­ser pass­te. Sicher trifft das nicht jeden Geschmack, schon gar nicht den der Rezensent*innen, aber das ande­re Extrem, eine Über­frach­tung mit locker-flo­ckig gemein­ten Angli­zis­men wohl auch nicht. Die ver­ste­hen auch nicht alle.

  2. 2
    Else Verwoerd

    Ich bin ein Leh­rer. Ich glau­be, es gehört zu mei­nem Beruf, poli­tisch neu­tral zu leh­ren, mei­ne Stu­den­ten nicht bewusst zu beein­flus­sen, und kei­ne Stim­mung gegen­über den Wis­sen­schaft­lern zu machen, deren Wis­sen ich vermittle.

    Sie sind Über­set­zer. Ich glau­be, dass es zu Ihrem Beruf gehört, poli­tisch neu­tral zu über­set­zen, Ihre Leser nicht zu beein­flus­sen, und kei­ne Stim­mung gegen­über dem Autor zu machen, den Sie übersetzen.

    Es ist daher frag­lich, ob es klug ist, wenn ich mei­nen Stu­den­ten (oder sie Ihren Lesern) sagen, dass das „Frau­en­bild nicht das unse­re“ ist. Sei es Woo­dy Allen oder Gün­ther Grass.

    Onkel Hein­rich kann das sagen; aber ein Leh­rer nicht. Auch kein Über­set­zer. Das ist nun mal die Natur unse­res Berufes.

    Das Glei­che gilt, wenn ein Über­set­zer meint, er müs­se sagen, dass der Autor Din­ge sagt, die er selbst nicht für wahr hält. Die öffent­li­che Aus­sa­ge, dass man Din­ge ver­öf­fent­licht die man für Lügen hält, ist an sich schon unter­mi­nie­rend. Dies ist für den Beruf des Über­set­zers nicht angemessen.

    Ver­zei­hung, aber die „Frei­heit der Mei­nungs­äu­ße­rung“ von Leh­rern und Über­set­zern ist ein­ge­schränkt. Nicht nur in den Büro­zei­ten. Unse­re öffent­li­chen poli­ti­schen Aus­sa­gen unter­gra­ben die Glaub­wür­dig­keit, die wir benö­ti­gen für unse­re wich­ti­ge Arbeit.

    Mehr­fach beschwe­ren sich die Über­set­zer über das „alt­mo­di­sche Frau­en­bild“, das aus der Auto­bio­gra­fie des 85-jäh­ri­gen Woo­dy Allen ent­stün­de. Das ist ein poli­ti­scher Punkt. In unse­rer Gesell­schaft sehen wir, dass die gro­ße Mehr­heit der Men­schen kein Pro­blem damit hat, wenn Frau­en Kom­pli­men­te für ihre kör­per­li­che Schön­heit erhal­ten. Die Rea­li­tät ist, dass Hol­ly­wood, Felli­ni, die Cos­ta Bra­va, Net­flix, die WDR, ihre Nach­bar­schaft, und ihre Ehe dar­auf gebaut sind. Nur eine klei­ne Min­der­heit fin­det die­se Rea­li­tät völ­lig inak­zep­ta­bel. Die Über­set­zer schei­nen sich mit ihren Kom­men­ta­ren die­ser modi­schen Min­der­heit anzu­schlie­ßen. Eine typi­sche poli­ti­sche Aussage.

    Wirk­lich, ich bin froh, dass sich die Über­set­zer die Mühe machen, ein nuan­cier­tes Bild zu prä­sen­tie­ren. Aber auch sie haben sich zu poli­ti­schen Aus­sa­gen hin­rei­ßen las­sen. Es zeigt nur, zu welch enor­mer Macht der „Lösch-Mob“ fähig ist: auch wohl­mei­nen­de Men­schen mit Mehl im Mund spre­chen zu lassen.

    • 3
      redaktion

      Lie­be Frau Verwoerd,
      vie­len Dank für Ihren Kommentar.
      Übersetzer*innen ste­hen vor allem im Dienst des Tex­tes, da haben Sie recht. Ihre Auf­ga­be ist es aller­dings nicht, poli­tisch neu­tral zu über­set­zen, wie Sie es schrei­ben. Es ist ihre Ver­ant­wor­tung, die Aus­sa­gen der Autor*innen wahr­heits­ge­treu wider­zu­ge­ben. Dazu zäh­len auch deren poli­ti­sche Meinungen.
      Aller­dings bedeu­tet die Wie­der­ga­be von (poli­ti­schen) Mei­nun­gen unse­rer Ansicht nach nicht, dass die Übersetzer*innen sel­ber kei­ne – mög­li­cher­wei­se abwei­chen­de – Mei­nung zu dem Text haben dürf­ten. Ihre Mei­nung darf den Text nicht über­mä­ßig beein­flus­sen, den­noch dür­fen sie die­se, wie alle ande­ren Men­schen auch, zum Aus­druck bringen.
      Es gilt, die Balan­ce zwi­schen den Gren­zen und Frei­hei­ten des Tex­tes und den Erwar­tun­gen und der Zeit der Leser*innen zu fin­den. Das schließt auch ein, dass man bei ver­al­te­ten, mög­li­cher­wei­se dis­kri­mi­nie­ren­den Begrif­fen erklä­rend ein­greift, und das schließt auch ein, dass im Werk repro­du­zier­te gesell­schaft­li­che Ungleich­hei­ten bei­spiels­wei­se durch so ein Inter­view kon­tex­tua­li­siert werden.
      Vie­le Grü­ße aus der TraLaLit-Redaktion

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert