Nach wenigen Seiten wusste ich, dass Oreo mir gefallen würde. Ging es dir ähnlich? Wie kamst du zu dem Buch?
Genauso! Ich hatte eine jubelnde Rezension von Marlon James im Guardian gelesen, und die hat mich schon elektrisiert: Das Buch muss ich haben! Wieso ist mir diese Fran Ross entgangen, als ich in den 1980er Jahren für ein Radiofeature über die Literatur von afroamerikanischen Schriftstellerinnen recherchiert hab? Ich hab mir also Oreo besorgt, die ersten drei bis fünf Seiten gelesen, dann durchgeblättert, und meine Augen wurden immer größer. Und dann kamen mir diese drei Adjektive in den Kopf: saukomisch, sauklug, sauschwer – zu übersetzen. Ach, wenn ich das versuchen dürfte!
In der Begründung der Jury zur Preisvergabe heißt es: „Zwischen Mythologie, Rassismuskritik, Slapstick und Psychoanalyse-Satire changierend, brennt Fran Ross in Oreo zudem ein sprachliches Feuerwerk ab, das seinesgleichen sucht. Jiddische Ausdrücke, Gossenslang und akademisches Highbrow-Palaver stellen die Übersetzung vor enorme Herausforderungen“. Was war für dich die größte Herausforderung?
Es steckt ja noch mehr drin – verschiedene schwarz-englische Idiome, jüdische Tradition, Essen, Jazz, Referenzen auf popular culture bits, zum Beispiel Schnökersachen, die es früher im Kino gab, die liebenswert-hanebüchene Privatsprache von Oreos Bruder Jimmy C., die ebenso liebenswert verknautschte Aussprache ihrer Großmutter Louise, auch Seitenhiebe auf politische Aktualitäten … Ich weiß wirklich nicht, was mich am meisten umgetrieben hat.
Die Übersetzung dieses Buches erfordert sehr unterschiedliche Fähigkeiten. Einerseits eine umfangreiche und detaillierte Recherchearbeit und andererseits große Fantasie und Kreativität beim Übertragen ins Deutsche. Wie ging es dir dabei, diese Aspekte unter einen Hut zu bringen?
Es hat einfach irrwitzig Spaß gemacht, und es hat mir die tolle Mithilfe aller möglicher Menschen eingetragen – beim Kapieren: Was heißt das denn? Worauf spielt das an? Beim Mit-Produzieren, beim Redigieren. Ich recherchiere gern, wahrscheinlich ist an mir ein cold cases detective verloren gegangen. Und ich spiele rasend gern mit Sprache/n, dafür kann ich aber nichts, ich bin schon als Kind mit verballhornten Wörtern gefüttert worden und später dann mit allem, was es an Kabarett in den 1960/70ern im Fernsehen zu sehen gab.
Das Buch wird vor allem für seinen Witz gelobt, sowohl das Original als auch deine Übersetzung. Humor ist bekanntlich eine der größten Schwierigkeiten beim Übersetzen. Wie hast du geschafft, den Ton zu treffen?
Ich habe keine Ahnung. Playing it by ear, vielleicht? Doing by learning?
Die Autorin Fran Ross verstarb 1985, du konntest dich also nicht mit ihr absprechen. Hättest du Fragen an sie gehabt?
Das wär mein Traum gewesen! Ich hab ja am liebsten Übersetzungen, bei denen ich einen lebenden und interessierten Autor, allerlei Geschlechts!, fragen kann. Frannie hätte ich gern gefragt, ob mit der „Sibyl“ in dem kleinen Seitenhieb auf freudianisches Tüdelü die antike, orakelnde Sibylle gemeint ist oder vielleicht eine real-existierende Sibyl, womöglich irgendeine Freundin. Oder beides?
Oreo erschien 1974 in den USA. Zu der Zeit waren die gesellschaftlichen Umstände, aber auch der Sprachgebrauch anders. Inwiefern hat das deine Übersetzungsarbeit beeinflusst?
Es ist heute bestimmt leichter, Oreo zu übersetzen. Viele dieser culture bits, nicht nur die musikalischen, sind inzwischen als O‑Ton in die deutsche Sprache eingewandert. Deutsch ist ja nicht nur selbst eine unglaublich reiche Sprache, sondern auch ein Ausbund an Inklusivität, geradezu Willkommenskultur.
Marlon James schreibt in seiner Einleitung zu einer 2018 erschienenen englischen Ausgabe: „Es überrascht natürlich nicht, dass die Köpfe 1974 nicht bereit waren. Viele sind es auch heute nicht. Aber Oreos Zeit ist sicherlich jetzt.” Würdest du zustimmen? Warum ist es wichtig, dieses Buch auch einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen?
Ich denke, er hat recht mit beidem. Und um zu wissen, warum Oreo gerade heute in unsere literarische und politische Landschaft passt, genügt ein kurzer Blick auf die Keilereien zum Thema „Identitätspolitiken“. Fran Ross schmeißt alle Kegel durcheinander, und zwar lustvoll.
Was bedeuten Preise wie der Preis der Leipziger Buchmesse? Für dich persönlich und für dieses Buch?
Ich hoffe inständig, dass er diesem Buch Aufmerksamkeit verschafft. Und mir verschafft er ganz schnöde ein Jahr Freiheit: Leben ohne arbeiten zu müssen. Sowas hat ja für Ü‑70s noch mehr Gewicht als für Ü‑30s, 40s …
Aus deiner Bibliografie geht hervor, dass du viel übersetzt, aber auch als Autorin tätig bist. Dabei bist du in vielen unterschiedlichen Genres zuhause – Sachbücher, Krimis und jetzt eine Übersetzung wie Oreo. Wie hast du es geschafft, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden?
Ich bin immer aus jeder wieder rausgehüpft, mir wird’s schnell zu eng.
Wie geht es jetzt weiter?
Eigentlich wie immer, außer dass ich zurzeit mit Oreo nicht tingeln kann. Dabei muss sie dringend raus, an die frische Luft namens Publikum.
Pieke Biermann, geboren 1950, studierte Deutsche Literatur und Sprache bei Hans Mayer sowie Anglistik und Politische Wissenschaft in Hannover und Padua. Sie lebt seit 1976 in Berlin als freie Schriftstellerin und Übersetzerin, u.a. von Stefano Benni, Dacia Maraini, Dorothy Parker, Anya Ulinich, Tom Rachman und Ben Fountain. Ihre eigenen Bücher wurden drei Mal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Ihre Übersetzung von Fran Ross’ Roman Oreo wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2020 gewürdigt.