„Wenn man etwas liebt, muss man groß­zü­gig sein“

Der Internationale Literaturpreis zeichnet in diesem Jahr sechs verschiedene Bücher aus. Ein Gespräch mit Übersetzer Robin Detje über seine Jury-Arbeit und die prämierte Shortlist. Interview:

Der Autor und Übersetzer Robin Detje. Foto: André Wunstorf
Jedes Jahr lobt das Haus der Kul­tu­ren der Welt (HKW) in Ber­lin den Inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur­preis (ILP) aus. Die­ser in Deutsch­land ein­zig­ar­ti­ge Preis für „über­setz­te Gegen­warts­li­te­ra­tu­ren“ geht in die­sem Jahr gleich an sechs Autorin­nen und Autoren samt ihren Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern. Als offi­zi­el­ler Medi­en­part­ner des Inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur­prei­ses bie­tet TraLaLit in die­sem Jahr exklu­si­ve Einblicke.

Dein Kol­le­ge Tobi­as Lehm­kuhl hat im ver­gan­ge­nen Jahr gesagt, dass eine gute Jury­sit­zung eine recht „emo­tio­na­le“ Erfah­rung ist. Konn­te 2020 über­haupt eine Sit­zung statt­fin­den, und wie emo­tio­nal war die Dis­kus­si­on die­ses Jahr?

Robin Det­je: Die ers­te Sit­zung fand statt, die zwei­te war eine wirk­lich anstren­gen­de drei­stün­di­ge Sky­pe­sit­zung – ich mei­ne von der rei­nen Sprech­si­tua­ti­on her. Man kann ja beim Sky­pen nicht ein­fach zwi­schen­durch auf­ste­hen und sich an der The­ke einen Kaf­fee holen. Das ist im gro­ßen Bespre­chungs­zim­mer im HKW schon viel gemüt­li­cher. Die Sit­zung, auf die Tobi­as Lehm­kuhl sich viel­leicht bezieht, habe ich ver­passt. Ich war immer bei den fried­li­chen Sitzungen.

Hit­zi­ge Dis­kus­sio­nen sind also nicht der Nor­mal­zu­stand bei Jurysitzungen?

Man benutzt in Jurys das stil­le Gift oder das schar­fe Mes­ser. Hit­zig wird es natür­lich mit dem Mes­ser. Man benutzt aber auch Waf­fen wie gegen­sei­ti­gen Respekt oder Zuhö­ren, das ist bei uns weit verbreitet.

Im Jury-State­ment heißt es, es sei „der Jury wich­tig, anstatt einen der Titel geson­dert her­aus­zu­he­ben, die gesam­te Short­list als Kon­stel­la­ti­on von sechs aus­ge­zeich­ne­ten Büchern auf­zu­fas­sen und das Preis­geld unter allen auf­zu­tei­len.“ Wie kam es zu die­ser Entscheidung?

Ich weiß gar nicht mehr, von wem die Idee kam, aber das wur­de sehr kol­lek­tiv beschlos­sen. Das HKW ist sehr unhier­ar­chisch, was toll für die Zusam­men­ar­beit ist. In die­ser Lage, die so schwie­rig ist für alle, „Gipfelstürmer*innen“ aus­zu­zeich­nen und zu ver­su­chen, eine Ver­an­stal­tung zu machen, von der man gar nicht weiß, ob sie statt­fin­den kann, wo dann stell­ver­tre­tend für alle zwei Men­schen aus­ge­zeich­net wer­den … Das Gefühl war eher: Lasst uns in die Brei­te gehen und auch aner­ken­nen, dass es gera­de allen schlecht geht und dass wir alle Unter­stüt­zung brauchen.

Der ILP steht unter der Fra­ge: „Zu wel­chen For­men fin­det zeit­ge­nös­si­sches Erzäh­len?“ Wel­che Ant­wort habt ihr gefunden?

Die Short­list zeigt ein Kalei­do­skop an Erzähl­wei­sen. Der Weg von Gei­le Deko zu Glück­li­che Fäl­le zum Bei­spiel ist ja ästhe­tisch ganz, ganz weit. Ich fän­de eine Art Trend­scou­ting auch sehr unin­ter­es­sant. Also aus der Short­list etwas abzu­lei­ten wie „der neue Trend sind Roma­ne, die im Wald spielen“.

Gibt es denn auf der Short­list Tex­te, die durch eine unge­wöhn­li­che Form hervorstechen?

Bei James Noël dach­te ich zum Bei­spiel: Wow, das ist aber mutig, einen lyri­schen Text hier aus­zu­zeich­nen, der gleich­zei­tig so poli­tisch ist. Gei­le Deko ist natür­lich auch ein Buch, das mei­ne Under­ground-Sehn­süch­te zurück ins Jahr 1984 befrie­digt, aber auf eine ganz humor­vol­le und auch poli­tisch tol­le Wei­se, und dazu in einer tol­len Über­set­zung. Dann gibt es die­se ganz lyri­schen und hoch lite­ra­ri­schen, mär­chen­haf­ten Sachen von Yev­ge­nia Bel­o­ru­sets, und es gibt einen ganz poli­ti­schen Roman aus Bul­ga­ri­en. Die Spann­brei­te der Short­list ist unglaub­lich weit und beweist eigent­lich, dass es kei­ne ein­deu­ti­gen Trends in der Welt­li­te­ra­tur gibt. Danach haben wir auch nicht gesucht.

Mei­ne Wahr­neh­mung war, dass es ins­ge­samt main­strea­mi­ger und waren­haf­ter wird, was uns ange­bo­ten wird, beson­ders von den Kon­zern­ver­la­gen. Die Erzähl­for­men und das Mate­ri­al wer­den erprob­ter, das ist neu­er Wein in alten Schläu­chen, damit man das auch sicher ver­kau­fen kann. Ich hat­te einen gan­zen Sta­pel von neu­er, jun­ger Lite­ra­tur von schwar­zen Autor*innen, wo ich das Gefühl hat­te, die wol­len die „schwar­ze Mar­ga­ret Mit­chell“ wer­den und schrei­ben jetzt halt das „schwar­ze“ Vom Win­de ver­weht. Das war ein Trend – eine Bran­che in Angst um Gewinn­ein­bu­ßen, die immer mehr auf Num­mer sicher spielt.

Ein gro­ßer Kri­tik­punkt an Lite­ra­tur­prei­sen in den letz­ten Jah­ren war, dass die Ver­ga­be und Aus­wahl sehr markt­ori­en­tiert sind. Wel­che Rol­le spie­len sol­che außer­li­te­ra­ri­schen Kri­te­ri­en wie Unter­hal­tungs­wert oder Markt­fä­hig­keit beim ILP, und inwie­weit kann man sich als Juror davon lösen?

Auch wenn eine befreun­de­te Buch­händ­le­rin mir immer sagt: Macht doch mal was, das ich ver­kau­fen kann – die­ser Preis hat nicht den Anspruch, markt­gän­gi­ge Bücher aus­zu­zeich­nen. Und das hat auch nie­mand in der Jury ver­sucht. Es gibt viel­leicht manch­mal eher die Über­le­gung, na ja, das ist eh schon ein Welt­best­sel­ler, das muss nicht auch noch bei uns aus­ge­zeich­net wer­den. Bei allen Jury­mit­glie­dern gab es die­ses Jahr eine gro­ße Bereit­schaft und ein Bedürf­nis, ins Spe­zi­el­le zu gucken. Mein Anspruch ist, Sachen zu suchen, die uns aus unse­rer euro­päi­schen Per­spek­ti­ve raus­rei­ßen und unsern Blick umkeh­ren – die uns bewusst machen, dass Euro­pa ganz schön klein ist.

Oft hat man ja mas­sen­wei­se Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen vor sich und muss dann gezielt schau­en, was es noch an inter­es­san­ten Tex­ten aus ande­ren Spra­chen gibt.

Natür­lich ver­sucht man, über das Eng­li­sche, Ame­ri­ka­ni­sche hin­aus­zu­schau­en. Das kann aber auch ein Pro­blem wer­den. Es gibt auch Autoren wie Chi­go­zie Obio­ma, der als Nige­ria­ner auf Eng­lisch schreibt, weil er – zu Recht – annimmt, dass es kei­ne aus­rei­chend guten Über­set­zer aus nige­ria­ni­schen Spra­chen ins Deut­sche gibt. Soll man den jetzt raus­neh­men? Was ist mit den Leu­ten, die sich an den Markt anpas­sen und sagen „Ich wer­de über­haupt nicht gehört, wenn ich nicht auf Eng­lisch schrei­be“? Fällt das jetzt wirk­lich schon unter: Wir haben zu viel Eng­lisch, wir war­ten lie­ber mal auf die­se eine Urein­woh­ne­rin, die in ihrer alten Spra­che schreibt, damit es uns authen­tisch genug ist? Die­ser Authen­ti­zi­täts­wunsch ist viel­leicht auch ein biss­chen folkloristisch.

Bei der Bewer­tung von Lite­ra­tur spie­len auch „unaus­ge­spro­che­ne Vor­ur­tei­le“ eine Rol­le. Oft wird bei­spiels­wei­se kri­ti­siert, dass männ­li­che Autoren bei der Preis­ver­ga­be bevor­zugt wer­den. Wie sehr war euch als Jury die­ses Pro­blem bewusst?

Das war uns sicher allen bewusst, und das war auch immer ein The­ma, schon im letz­ten Jahr. Natür­lich woll­ten wir nicht sechs fünf­zig­jäh­ri­ge wei­ße Män­ner aus­zeich­nen, da ist sich die Jury in die­ser Zusam­men­set­zung auch völ­lig einig. Es gibt kei­ne kon­ser­va­ti­ven Stim­men in die­ser Jury, die sagen, das wäre jetzt aber eine Dis­kri­mi­nie­rung von Män­nern. Der Lite­ra­tur­be­trieb kann extrem reak­tio­när sein, sol­che Stim­men gibt es da durch­aus, aber bei uns habe ich das nicht erlebt. Wir ach­ten dar­auf und fin­den das, glau­be ich, auch alle gut.

Liegt das auch am Selbst­ver­ständ­nis die­ses Preises?

Das HKW ver­tritt natür­lich schon einen Begriff von der Welt, der zum Bei­spiel mir von vorn­her­ein gut gefällt, weil da Deutsch­land – oder Euro­pa – nicht im Mit­tel­punkt stehen.

In einem Essay für den Per­len­tau­cher kri­ti­siert der Autor Felix Phil­ipp Ingold den „Kon­sens­druck“ inner­halb der Lite­ra­tur­bran­che. Hast du den als Jury-Mit­glied je verspürt? 

Nein. Ich bin aber auch als so ein bies­ti­ger Mensch bekannt, da den­ken die viel­leicht, bei dem müs­sen wir es gar nicht erst ver­su­chen. Ich glaub auch nicht, dass es so funk­tio­niert, dass jemand anruft und sagt „Mach mal Kon­sens“. Wenn so etwas vor­kommt, dann hat das eher damit zu tun, dass der deut­sche Lite­ra­tur­be­trieb sehr eng gestrickt ist. Es gibt zu gute Kon­tak­te zwi­schen Kri­ti­kern, Zei­tun­gen und Ver­la­gen, man­che Zei­tun­gen gehö­ren Kon­zer­nen, denen auch Buch­ver­la­ge gehö­ren. Ich glau­be wirk­lich nicht, dass es da direk­te Ansa­gen gibt, aber jede und jeder ein­zel­ne haben natür­lich ein Bewusst­sein dafür, von wem man abhän­gig ist. Viel­leicht gibt es manch­mal einen vor­aus­ei­len­den Kon­sens­ge­hor­sam, das hängt immer davon ab, wer man selbst ist. Es gibt sicher auch man­che im Lite­ra­tur­be­trieb, die den­ken, sie müss­ten das von vorn­her­ein mit­den­ken und hel­fen, den Markt am Leben zu erhal­ten, der sie ernährt. Und die ver­ges­sen, wie wich­tig Dis­sens ist.

Der ILP wür­digt auch die Arbeit von Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern. In der Jury bist du jedoch der ein­zi­ge Über­set­zer, und nicht in allen Jury-State­ments wird die Über­set­zung aus­drück­lich kom­men­tiert. Wel­che Rol­le spielt Über­set­zungs­kri­tik bei euren Jurysitzungen?

Es ist ja immer min­des­tens ein Über­set­zer oder eine Über­set­ze­rin dabei. Und ich sage schon sehr deut­lich, wenn ich fin­de, das geht von der Über­set­zung her nicht. Übri­gens gar nicht als ein­zi­ger in der Jury. Weil die Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer mit aus­ge­zeich­net wer­den, hat die­ser Preis durch­aus die Auf­ga­be, die Ver­la­ge ein biss­chen zu schu­len, dass sie wirk­lich auch auf die Über­set­zung ach­ten. Wir hat­ten zum Bei­spiel einen sehr, sehr bekann­ten Ver­lag, der ein Werk her­aus­ge­bracht hat, von dem er gedacht hat, das wird sowie­so ein Best­sel­ler, da mache ich die Über­set­zung schnell und bil­lig. Das ist ein Desas­ter gewor­den, auch für den Autor. Es ist ein tol­les Buch, kann aber unse­ren Preis nicht gewin­nen. Die­se ver­le­ge­ri­sche Stra­te­gie muss auf­hö­ren. Wenn man ein Buch von einem bestimm­ten Autor oder einer Autorin ver­le­gen will, dann muss man sagen: Wir lie­ben sie, wir lie­ben ihn, des­halb bekommt das Buch auch die bes­te Über­set­zung. Das ist die ein­zi­ge Art und Wei­se, Bücher mit Herz zu verlegen.

Ande­rer­seits gibt es gera­de bei den klei­ne­ren Ver­la­gen oft Fäl­le, wo man sagt: Ihr seid super­toll beim The­men- und Autor*innenfinden, ihr müsst das jetzt aber so auf den Stand brin­gen, dass man das qua­li­ta­tiv gut genug fin­det. Es gibt Ein-Mann- oder Ein-Frau-Ver­la­ge, da merkt man, dass sie kei­ne Ener­gie mehr für das Lek­to­rat haben. Da kön­nen wir nur sagen: Wir fin­den euch gut und seh­nen uns danach, dass ihr die­sen Sprung macht. Ganz spek­ta­ku­lär ist das jetzt dem eta Ver­lag gelun­gen, der sich sehr geschickt Über­set­zungs­för­de­rung geholt und wirk­lich Wert dar­auf gelegt hat. Und es ist eine extrem tol­le Über­set­zung gewor­den – so gut möch­te ich auch mal über­set­zen kön­nen. Ein Ver­lag, der so etwas macht, muss belohnt werden.

Eine Schwie­rig­keit ist auch Über­set­zungs­kri­tik ohne Kennt­nis des Ori­gi­nals. Wie beur­teilt eine Jury Über­set­zun­gen, wenn sie die Aus­gangs­spra­che nicht kennt? 

Zum Teil holen wir uns in sol­chen Fäl­len Gut­ach­ten, im letz­ten Jahr zum Bei­spiel für ein Buch aus Indi­en. Und mit etwas Erfah­rung kann man schlecht Über­setz­tes auch gleich erken­nen. Zum Bei­spiel, wenn man das im Kopf zurück­über­set­zen kann und merkt, da wird jetzt die eng­li­sche oder fran­zö­si­sche Gram­ma­tik abge­bil­det. Das lebt ein­fach noch nicht, das müss­te man noch mal neu machen. Man hat schon ein gewis­ses Schmerzempfinden.

In der Lau­da­tio vom letz­ten Jahr sagst du über die Gewin­ne­rin Ange­li­ca Ammar: „Das Über­set­zen ist bei ihr ein auf wun­der­ba­re Wei­se unauf­fäl­li­ger Leis­tungs­sport.“ Ist eine Über­set­zung dann gut, wenn man ihr nicht anmerkt, dass es eine Über­set­zung ist?

Ich möch­te nicht, dass die Leu­te an mich den­ken, wenn sie was lesen, was ich über­setzt hab. Es soll ein Lese­fluss sein, ich möch­te aber ver­ges­sen wer­den beim Lesen. Natür­lich ist das Ziel, etwas soweit über­setzt zu haben, dass man es lesen kann, ohne dass es über­setzt wirkt. Ich möch­te weg sein beim Lesen.

Ande­rer­seits ver­schlei­ert man so, dass ein Buch aus einer frem­den Kul­tur kommt, die viel­leicht gar nicht 1:1 ins Deut­sche über­trag­bar ist.

Das stimmt. Kurz bevor die Coro­na-Kri­se aus­brach, waren wir in Viet­nam. Und in Hanoi habe ich den Lei­ter des Goe­the-Insti­tuts, Wil­fried Eck­stein, ein biss­chen aus­ge­fragt, weil wir uns in der Jury manch­mal ärgern, dass es viet­na­me­si­sche Lite­ra­tur nur gibt, wenn jemand nach Ame­ri­ka aus­wan­dert und dann von dort aus schreibt. Das ärgert ihn auch, und er sagt, es gibt ein­fach ein Pro­blem zwi­schen den Spra­chen. Die viet­na­me­si­sche Spra­che hät­te im Grun­de kein Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen, im Wesent­li­chen löst sie alles über Beschrei­bun­gen und nicht über Begrif­fe. Er hat uns erzählt, dass mal eine Über­set­zung von Kant ins Viet­na­me­si­sche erschie­nen ist, die offen­bar zum Tot­la­chen war, weil es die­se Mög­lich­kei­ten, das aus­zu­drü­cken, nicht gibt. Das bringt einen auf ein unglaub­lich span­nen­des Feld. Wie löst man das? Das wäre jetzt noch mal eine völ­lig ande­re Ebe­ne, eine Spra­che zu erfor­schen, die so weit weg von unse­rer ist, die teil­wei­se Spu­ren von alten Urein­woh­ner­stäm­men hat und dann noch drauf­ge­setz­tes Chi­ne­sisch. Ein tol­les The­ma! Wenn ich noch mal lebe, beschäf­ti­ge ich mich damit.

Inter­es­sant, dass Unsicht­bar­keit für dich so wich­tig ist, denn die Unsicht­bar­keit der Über­set­zer ist ja ein heiß debat­tier­tes The­ma in der Szene. 

Was ich mei­ne, ist, dass ich mich nicht selbst bewusst in ein Buch rein­schrei­ben will. Natür­lich ver­su­che ich bei der Arbeit, mich weit­ge­hend zu ver­ges­sen, es ist ja kei­ne Autor­schaft. Aber die Unsicht­bar­keit der Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung ist natür­lich ein gro­ßes Pro­blem. Trotz­dem gibt so eine Ecke, wo ich den­ke, ich will auch nicht in die Über­set­zer­kir­che gehen. Das drin­gen­de Bedürf­nis, als gleich­wer­tig mit den Autor*innen aner­kannt zu wer­den, habe ich nicht. Ich die­ne ger­ne. Aber natür­lich mache ich außer dem Über­set­zen auch noch ande­re Sachen und bekom­me ver­hält­nis­mä­ßig viel Lie­be von außen, das macht es einfacher.

Inwie­weit ist ein Preis wie die­ser auch Indi­ka­tor für lite­ra­ri­sche Qualität?

Von allen Prei­sen ist die­ser der ein­zi­ge völ­lig gül­ti­ge Stan­dard für lite­ra­ri­sche Qua­li­tät in Deutsch­land. Nein, klei­ner Scherz. Die­ser Preis ist viel­leicht mehr Indi­ka­tor für eine Qua­li­tät, die wir uns öfter wün­schen. Wir sind sehr trau­rig, dass wir nach den preis­wür­di­gen Büchern so lan­ge suchen müs­sen, dass wir sie bei den Kon­zern­ver­la­gen kaum noch fin­den. Ich kann nicht für die gan­ze Jury spre­chen, aber nicht nur ich fin­de, dass unse­re Short­list auch eine Mah­nung an die Kon­zern­ver­la­ge ist, die da nicht vor­kom­men: Ihr müsst da mal ein biss­chen Leben in die Bude bringen.

War­um braucht ein Lite­ra­tur­preis über­haupt eine Jury? Man könn­te ja zum Bei­spiel auch die Lese­rin­nen und Leser abstim­men lassen.

Wenn die Che­mie stimmt, dann ist eine Jury super, weil alle die Schwä­chen der ande­ren aus­glei­chen. Kol­le­gen, die bei uns für Lite­ra­tur­schön­heit plä­diert haben, glei­chen natür­lich mei­ne Schwä­che aus, das Poli­ti­sche zu suchen, und das ist sehr wich­tig. Es gibt aber natür­lich immer wie­der Jury-Unfäl­le. Über die Jury-Ent­schei­dun­gen des Deut­schen Buch­prei­ses war ich in den letz­ten Jah­ren oft ver­zwei­felt. Aber jetzt haben wir auch da plötz­lich eine Jury, wo man denkt: „Wow, Deutsch­land kann Gene­ra­ti­ons­wech­sel!“ Das ist natür­lich der Ham­mer. Da bin ich echt gespannt.

Gab es ein Buch, das du per­sön­lich noch ger­ne auf der Lis­te gese­hen hättest?

Über­ra­schen­der­wei­se nicht. Ich bin ja mit Gei­le Deko sehr zufrie­den und freue mich sehr, dass das Buch auf der Lis­te steht.

Wie sehr hat man bei der Aus­wahl im Hin­ter­kopf, dass man viel­leicht ein Buch von einer Autorin oder einer Über­set­ze­rin aus­zeich­nen möch­te, die einen Preis ver­dient, weil sie sehr lan­ge schon sehr gute Arbeit leistet?

Natür­lich hat man das im Hin­ter­kopf. Man möch­te wür­di­ge Preisträger*innen fin­den. Aber es gibt natür­lich kein Senio­ri­täts­prin­zip. Und es soll auch nicht pas­sie­ren, dass Autor*in oder Übersetzer*in für ein schwa­ches Buch aus­ge­zeich­net wer­den, weil sie mal ein tol­les geschrie­ben oder toll über­setzt wer­den. Es muss schon stim­men. Aber das ist ein Ele­ment, das zu die­ser Stim­mig­keit gehö­ren kann.

Gibt es im Lite­ra­tur­be­trieb all­ge­mein auch eine Ten­denz, wenn dann mal so ein gut über­setz­tes Buch aus einer weni­ger gän­gi­gen Spra­che kommt, die­ses eine Buch zu mit zu vie­len Prei­sen zu überhäufen?

Ich bin als Juror kei­ne Gou­ver­nan­te, die sagt: Kin­der, ihr dürft nicht zu viel erwar­ten, ihr hat­tet schon was Süßes zum Mit­tag, also gibt’s heu­te Abend kei­ne Süß­spei­se mehr. Wenn man etwas liebt, muss man groß­zü­gig sein.

Robin Det­je ist aus­ge­bil­de­ter Schau­spie­ler und war Theater‑, Film- und Lite­ra­tur­kri­ti­ker und Feuil­le­ton­re­dak­teur der Zeit und der Ber­li­ner Zei­tung und Autor der Süd­deut­schen Zei­tung. Heu­te schreibt er vor allem für Zeit Online. Er ist Autor der Frank-Cas­torf-Bio­gra­fie Cas­torf – Pro­vo­ka­ti­on aus Prin­zip (2002). Als bil­den­der Künst­ler grün­de­te er 2009 mit Eli­sa Duca die Grup­pe böse­di­va, die mit ihren Arbei­ten u. a. nach Banga­lo­re und Tai­peh ein­ge­la­den wur­de. Als Lite­ra­tur­über­set­zer (unter ande­rem von Kiran Desai, Denis John­son, Wil­liam T. Voll­mann, Joshua Cohen, Brit Ben­nett) wur­de er 2014 mit dem Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se und 2017 mit dem Preis der Hein­rich Maria Ledig-Rowohlt-Stif­tung aus­ge­zeich­net. Er lebt in Ber­lin und glaubt nicht, dass das Inter­net wie­der weggeht.

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