Der wil­de Wes­ten ganz zahm

Tillie Walden erfindet in ihrer Graphic Novel „West, West Texas“ den amerikanischen Roadtrip-Mythos neu. Der raue Südstaaten-Dialekt des Originals gerät in der deutschen Übersetzung jedoch deutlich nüchterner. Von

Bea und Lou auf der Fahrt durch Texas. © Tillie Walden/Reprodukt (Ausschnitt)

Vor genau zwei Jah­ren gewann die erst 24-jäh­ri­ge Ame­ri­ka­ne­rin Til­lie Wal­den für ihre Gra­phic Novel Spin­ning den Eis­ner Award, den wich­tigs­ten Comic-Preis in Nord­ame­ri­ka. Ihre neus­te Gra­phic Novel West, West Texas (Ori­gi­nal­ti­tel: Are you lis­tening?) nimmt sei­ne Lese­rin­nen und Leser mit auf einen auf­wüh­len­den, sur­rea­len Road­trip. Wal­den – eine Meis­te­rin der Atmo­sphä­re – gelingt es, eine bild­ge­wal­ti­ge Geschich­te zu erzäh­len, deren vom „Sou­thern Dialect“ gepräg­ter Dia­log im eng­li­schen Ori­gi­nal sehr authen­tisch wirkt. Die deut­sche Über­set­zung von Bar­ba­ra König ist klar und kor­rekt, büßt jedoch durch ihre Nüch­tern­heit eini­ges an Bedeu­tung ein.

West, West Texas han­delt von der 18-jäh­ri­gen Aus­rei­ße­rin Bea, die an einer Tank­stel­le im US-ame­ri­ka­ni­schen Süden auf die 27-jäh­ri­ge, offen­her­zi­ge Lou trifft. Die­se ist mit Auto inklu­si­ve Schlaf­an­hän­ger auf dem Weg zu ihrer Groß­tan­te. Unter dem Vor­wand, Freun­de zu besu­chen, fährt Bea mit Lou mit. Die jun­gen Frau­en bege­ben sich auf eine Rei­se durch die texa­ni­sche Land­schaft, die sich mit ihnen und ihren Gefüh­len ver­än­dert. Unter­wegs fin­den sie eine Kat­ze mit schein­bar magi­schen Fähig­kei­ten und beschlie­ßen, sie mit­zu­neh­men und zurück zu ihren Besit­zern zu brin­gen. Im Lau­fe der Rei­se freun­den sie sich lang­sam an, Trau­ma­ta kom­men ans Licht und der Road­trip wirkt kathar­tisch. Par­al­lel dazu ereig­nen sich magi­sche, vor­erst uner­klär­li­che Dinge.

Zu den magi­schen Bege­ben­hei­ten und der bedrü­cken­den Stim­mung pas­sen die kon­trast­rei­chen, oft­mals mono­chro­men Bild­wel­ten aus­ge­zeich­net. Wal­den zau­bert kräf­ti­ge Farb­kom­po­si­tio­nen her­vor und beschränkt sich größ­ten­teils auf Blau- und Rot­tö­ne. Dadurch ergibt sich die gan­ze Gra­phic Novel hin­durch eine fas­zi­nie­ren­de, melan­cho­li­sche und unheim­li­che Atmo­sphä­re. Die­se spie­gelt die Ereig­nis­se und die Gefüh­le der Prot­ago­nis­tin­nen wider. Die Erzäh­lung fin­det nur über die Bil­der und den Dia­log in den Sprech­bla­sen statt, es gibt kei­nen außen­ste­hen­den Erzäh­ler. Das sorgt für Unmit­tel­bar­keit: Der Leser wird direkt ins Gesche­hen gewor­fen und fühlt sich als Teil des Gesche­hens. Stel­len­wei­se kommt die Gra­phic Novel sogar ohne Dia­log aus. Dann spre­chen die Bil­der für sich und las­sen die Lese­rin in eine skur­ri­le Welt ein­tau­chen, die an einen Fie­ber­traum erinnert.

Auf der zwei­ten Bedeu­tungs­ebe­ne, der Spra­che, fällt in der Über­set­zung als Ers­tes der Titel auf: Are you lis­tening? wird zu West, West Texas. Dabei geht lei­der eini­ges von der Dring­lich­keit des eng­li­schen Titels ver­lo­ren. Die­ser kann als ein Auf­ruf, hin­zu­hö­ren und hin­zu­schau­en, inter­pre­tiert wer­den. Wal­den unter­streicht damit die Bot­schaft, dass die zwei Mäd­chen ein­an­der im Lau­fe des Road­trips immer mehr zuhö­ren. Ob es ums Coming Out oder um ihr jewei­li­ges Trau­ma geht: Der Road­trip löst in ihnen aus, dass sie sich nach und nach öff­nen. Doch im Gegen­satz zum viel­schich­ti­gen Ori­gi­nal­ti­tel bezieht sich der Titel der Über­set­zung nur aufs Set­ting. Die Mäd­chen fin­den eine Kat­ze, auf deren Chip steht, dass sie in West wohnt. Und West befin­det sich in West Texas. Also fah­ren sie dort­hin, um sie zurückzubringen.

Die­se Nüch­tern­heit in der Über­set­zung zeigt sich auch in den Dia­lo­gen. Einer­seits bleibt König dem Ori­gi­nal sprach­lich treu und über­setzt in ein knap­pes, prä­zi­ses Deutsch. Das funk­tio­niert sehr gut, wo die Figu­ren ein neu­tra­les Eng­lisch spre­chen. Figu­ren, zum Bei­spiel die Groß­tan­te oder die Leu­te, wel­che die bei­den jun­gen Frau­en auf ihrem Trip antref­fen, spre­chen texa­ni­schen Slang. Dies trägt beim Lesen des Ori­gi­nals zum Gefühl bei, sich mit den Prot­ago­nis­tin­nen auf einem Trip durch Texas zu befin­den. Und unter­streicht so die Authen­ti­zi­tät. Es ist natür­lich eine Her­aus­for­de­rung, eine Dia­lekt­fär­bung von einer Spra­che in die ande­re zu über­tra­gen. Über­setzt man einen ame­ri­ka­ni­schen Dia­lekt mit einem deut­schen, der ähn­li­che Asso­zia­tio­nen wach­ruft? Wel­cher wäre das? Die Ent­schei­dung von Bar­ba­ra König, ins Stan­dard­deut­sche zu über­set­zen, ist also einer­seits ver­ständ­lich. Ande­rer­seits könn­te man mehr wagen. Zum Bei­spiel mit Ellip­sen, salop­pen und umgangs­sprach­li­chen Aus­drü­cken oder das laut­li­che Zusam­men­zie­hen von Wör­tern. Denn eine der Cha­rak­te­ris­ti­ken von Gra­phic Novels und Comics ist ihre Nähe zur münd­li­chen Sprache.

Ein illus­trie­ren­des Bei­spiel ist das für die süd­li­che USA typi­sche „y’all“. Unter­wegs machen die jun­gen Frau­en Rast in einem Diner und der neu­gie­ri­ge Besit­zer möch­te wis­sen: „What brings y’all to the­se parts?“. Bar­ba­ra König über­setzt die­sen Satz mit „Was bringt euch zu uns?“. Eine Kon­trak­ti­on „Was bringt n’euch zu uns“ oder „Was bringt n’euch in die­se Gegend?“ hät­te den Dia­log umgangs­sprach­li­cher und somit dem Ori­gi­nal näher gemacht. Die Aus­sa­ge des Besit­zers „Be careful out the­re. Lot­ta lakes pop­pin‘ up recent­ly“ wird zu einem ver­schrift­lich­ten „Vor­sicht da drau­ßen. In letz­ter Zeit tau­chen über­all plötz­lich Seen auf“. Auch die Sze­ne, wo mit­ten in der texa­ni­schen Pam­pa ein jun­ger Mann anhält, weil er denkt, sie hät­ten eine Pan­ne, wirkt in der deut­schen Über­set­zung zu gene­risch. Er erzählt ihnen vom einem Restau­rant, in dem sie früh­stü­cken kön­nen. Auf Lous Fra­ge, ob sie heu­te geschlos­sen haben, sagt er „Clo­sed? ‚Cour­se not. They’­re always open“. Das wird über­setzt mit „Geschlos­sen? Natür­lich nicht, sie haben immer offen“. Durch die feh­len­de Umgangs­sprach­lich­keit geht der Lese­rin viel von der Authen­ti­zi­tät des rura­len, texa­ni­schen Set­tings abhanden.

© Til­lie Walden/Reprodukt

Mehr Cha­rak­ter in der Über­set­zung wünscht man sich auch an ande­ren Stel­len, wo umgangs­sprach­li­che Aus­drü­cke vor­kom­men. Bea outet sich gegen­über Lou, als sie durch Texas fah­ren. Ein Ver­trau­ens­be­weis für eine erst auf­kei­men­de Freund­schaft. Das Schö­ne ist, dass ihr Lou mit ihrem Humor die Ner­vo­si­tät nimmt und damit ein erns­tes und schwie­ri­ges The­ma auf­lo­ckert. Dies funk­tio­niert wahr­schein­lich auch des­halb so gut, weil Bea sel­ber auch les­bisch ist und weiß, wie sich ein Coming-out anfühlt. Sie gibt ihr nicht ganz ernst­ge­mein­te „Tipps“, wie man Frau­en anspricht: „I fuck women. What’s your name?“. Die Aus­sa­ge wirkt durch den umgangs­sprach­li­chen Aus­druck „fuck“ salopp und rau. Lei­der hinkt die Über­set­zung etwas hin­ter­her und wird zu einem harm­lo­sen „… und ich schla­fe mit Frau­en. Wie heißt du?“. Ein salop­pe­rer Aus­druck als „mit­ein­an­der schla­fen“ hät­te den Ein­druck von Iro­nie und Nicht-ganz-so-ernst-mei­nen bes­ser vermittelt.

© Til­lie Walden/Reprodukt

 Eine wei­te­re Schwie­rig­keit beim Über­set­zen von Gra­phic Novels ist, dass jede Spra­che unter­schied­lich lan­ge Wör­ter hat. Eng­lisch hat zum Bei­spiel oft kür­ze­re Wör­ter als Deutsch. Der Platz in den Sprech­bla­sen ist jedoch beschränkt und bleibt bei der über­setz­ten Ver­si­on gleich. In die­sem Punkt hat König gute Arbeit geleis­tet. Die Sät­ze in der Über­set­zung sind – trotz feh­len­der Umgangs­sprach­lich­keit – kurz und kna­ckig. So, wie man es von einer Gra­phic Novel, wo Bil­der eine genau­so wich­ti­ge Rol­le spie­len wie Text, erwartet.

Dass in einer Über­set­zung eini­ges vom Lokal­ko­lo­rit des Ori­gi­nals ver­lo­ren geht, ist klar. Schließ­lich kann ein Dia­lekt der einen Spra­che nicht ein­fach in einen belie­bi­gen der ande­ren Spra­che über­tra­gen wer­den, ohne dass dies bedeu­tungs­tech­ni­sche, viel­leicht sogar uner­wünsch­te Kon­se­quen­zen hat. Hier hät­te man sich zwar salop­pe­re, umgangs­sprach­li­che­re Aus­drü­cke an eini­gen Stel­len gewünscht. Trotz­dem ist Bar­ba­ra König eine sau­be­re Über­set­zung gelun­gen, die mit den Bil­dern als Gesam­tes stim­mig wirkt. Und da die Gra­phic Novel von Til­lie Wal­den sowie­so stark von ihrer inten­si­ve Bild­spra­che lebt, fal­len all­fäl­lig wün­schens­wer­te umgangs­sprach­li­che­re Dia­lo­ge nicht so stark ins Gewicht. Wenn man nicht gera­de das Ori­gi­nal neben sich lie­gen hat.

Til­lie Walden/Barbara König: West, West Texas (Im eng­li­schen Ori­gi­nal: Are you listening?)

Repro­dukt 2019 ⋅ 320 Sei­ten ⋅ 29 Euro

www.reprodukt.com/Produkt/comics/west-west-texas/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert