Über­set­zung des Monats: Ich bin Tiere

Ein Glück, dass dieses Buch nicht im englischen Original, sondern zuerst in der Übersetzung von Dieter Böge erschienen ist. Man sollte es rückübersetzen lassen. Von

Im Bil­der­buch Ich bin Tie­re ver­wan­delt sich ein Kind nach­ein­an­der in wil­de Tie­re. Die­ter Böge ver­wan­delt den eher kon­ven­tio­nel­len eng­li­schen Text mit sei­ner Über­set­zung in ein magisch-mit­rei­ßen­des Abenteuer.
Über­set­zung des Monats September
Titel

Ich bin Tiere

Autor

Ama­de­us Henhapl

Über­setzt von

Die­ter Böge

Illus­tra­ti­on

Elsa Kle­ver

Ori­gi­nal­spra­che

Eng­lisch

Ori­gi­nal­ti­tel

I am animals

Link zur Verlagsseite

www.tulipan-verlag.de/ich-bin-tiere/

„Das Buch mußt du in der Über­set­zung von Har­ry Rowohlt lesen“, rät ein Biblio­theks­gän­ger sei­ner Freun­din in einem berühm­ten Car­toon des Zeichn­er­du­os Hauck & Bau­er, „im Ori­gi­nal geht da viel ver­lo­ren“. Und auch wenn die Fra­ge, ob eine Über­set­zung ihr Ori­gi­nal gewis­ser­ma­ßen „ver­bes­sern“ dür­fe, in Fach­krei­sen hit­zig umstrit­ten ist, so muss doch der Anspruch, ein Werk von glei­chem oder gar höhe­rem lite­ra­ri­schen Rang zu schaf­fen, an jede über­set­ze­ri­sche Tätig­keit ange­legt wer­den dürfen.

Einer jener Glücks­fäl­le, die man in der Über­set­zung lesen soll­te, weil im Ori­gi­nal tat­säch­lich „viel ver­lo­ren“ geht, ist Die­ter Böges Buch Ich bin Tie­re nach der eng­li­schen Vor­la­ge von Ama­de­us Hen­hapl. Hier ist zu bestau­nen, wie der deut­sche Text das soge­nann­te Ori­gi­nal über­flü­gelt und sei­ne eige­ne, ganz neue lite­ra­ri­sche Wirk­lich­keit zu erschaf­fen ver­mag, und das ohne sei­nem eigent­li­chen Auf­trag in irgend­ei­ner Wei­se untreu zu werden.

I am ani­mals ist ein Bil­der­buch im dop­pel­ten Sin­ne. Sein spar­sa­mer, in Ver­sen ver­fass­ter Text mit einem Reim pro Sei­te folgt einer­seits der Kon­ven­ti­on des Gen­res. Doch ande­rer­seits reflek­tiert das Buch auch das eige­ne Medi­um, denn im Zen­trum sei­ner Hand­lung steht die „Tier­ver­wand­lungs­aben­teu­er­mal­an­lei­tung“, kunst­theo­re­ti­scher for­mu­liert: die trans­for­ma­to­ri­sche Kraft der Bil­der. Mit ihr gelingt es dem Prot­ago­nis­ten Theo aus einem lang­wei­li­gen Regen­tag ohne Beschäf­ti­gung das auf­re­gends­te Erleb­nis sei­nes Lebens zu machen. Kurz, das Buch wächst über sich hin­aus, indem es sei­ne Haupt­fi­gur und uns selbst zum Über-uns-Hin­aus­wach­sen inspiriert.

Das eigent­li­che Kraft­zen­trum, viel mehr als nur „Illus­tra­ti­on“, bil­den hier fol­ge­rich­tig nicht die Wor­te, son­dern Elsa Kle­vers schlich­te, aber wirk­mäch­ti­ge Bil­der. Ihr Stil über­win­det spie­lend die Gren­zen zwi­schen Zwei- und Drei­di­men­sio­na­li­tät, zwi­schen Flä­che und Raum, zwi­schen Traum und Wirk­lich­keit. Wer das Buch durch­blät­tert, dem wer­den wie bei den flir­ren­den 3D-Trug­bil­dern, die man sich vor die Augen hält, bis man Kopf­schmer­zen bekommt, irgend­wann die Hand­lungs­ebe­nen vor den Augen ver­schwim­men, der wird sich der Kunst vor sich und sei­ner selbst nicht mehr sicher füh­len und glau­ben, so wie Theo selbst zum Löwen und Bären gewor­den zu sein. Ist das nicht das Höchs­te, das man mit Bil­dern errei­chen kann?

Neben dem in eng­li­scher Spra­che ver­fass­ten Ori­gi­nal­text von Ama­de­us Hen­hapl, der eigent­lich deut­scher Mut­ter­sprach­ler ist, hat der Über­set­zer Die­ter Böge also auch noch der Bild­spra­che Elsa Kle­vers gerecht zu wer­den. Der Grat ist schmal, doch Böge ver­steht, dass er ihn nur tan­zend über­que­ren wird.

Und Böge tanzt. Sein deut­scher Text funk­tio­niert auf allen Ebe­nen: Er hat Rhyth­mus, Reim und Witz und ver­fällt nicht in jene dump­fe Vers­meie­rei, der gedich­te­te Kin­der­bü­cher in den Hän­den weni­ger sprach­be­gab­ter Autorin­nen oder Autoren all­zu oft anheimfallen.

Wie man es von einem guten Über­set­zer erwar­tet, nimmt sich Böge die Frei­heit, weit vom Ori­gi­nal abzu­wei­chen, wenn des­sen Kom­po­si­ti­on es erfor­dert. Sei­ne deut­schen Lösun­gen sind dabei sel­ten im Ein­klang mit Hen­hapls eng­li­schem Wort­laut, immer aber mit des­sen Inten­ti­on, und noch wich­ti­ger: mit Elsa Kle­vers Illus­tra­tio­nen. Das beginnt schon auf der ers­ten Sei­te des Buches, die in Hen­hapls Ori­gi­nal so aussieht:

In der deut­schen Über­set­zung liest sich der Zwei­zei­ler so:

An einem reg­ne­ri­schen Morgen
macht sich Theo ernst­haft Sorgen.

Aus Hen­hapls „Satur­day“ ist bei Böge ein belie­bi­ger „Mor­gen“ gewor­den, aus dem wit­zi­gen, aber auch dif­fu­sen (wer spricht hier?) „no-good-could-be-bet­ter day“ ein sich „ernst­haft Sor­gen“ machen­der Theo. Doch Böges Abwei­chun­gen sind kei­ne Feh­ler, sie inten­si­vie­ren, ja: ver­bes­sern den Text.

Der „Satur­day“ im Ori­gi­nal mit der leuch­ten­den Steh­lam­pe im Bild sieht eher nach Spät­nach­mit­tag aus – Böge aber ver­legt den Beginn der Hand­lung auf den „Mor­gen“. Wenn wir alle Aben­teu­er hin­ter uns haben und Theo am Ende schla­fend auf dem Wohn­zim­mer­tep­pich liegt, ist es erkenn­bar Abend. Wäh­rend also bei Hen­hapl ein ins­ge­samt eher undeut­li­ches Zeit­ver­ständ­nis vor­liegt, drängt sich uns deut­schen Lese­rin­nen und Lesern der Ein­druck einer gera­de­zu magisch gedehn­ten, fast unend­li­chen Zeit auf: Das, was wir hier auf knapp 50 Bil­der­buch­sei­ten in zwan­zig Minu­ten durch­blät­tern, hat für Theo den gan­zen Tag gedauert!

Nicht nur fehlt die­ser Effekt bei Hen­hapl, es fehlt auch der Prot­ago­nist. Wir sehen ihn zwar in roman­ti­scher Rücken­an­sicht vor dem Fens­ter, aber der Text läuft gleich­sam an ihm vor­bei. Böge führt mit dem „sich Sor­gen machen­den“ Theo (des­sen Name im eng­li­schen Text erst im drit­ten Vers folgt) den per­so­na­len Erzäh­ler von Anfang an ein und lässt gar kei­ne Zwei­fel an der Erzähl­per­spek­ti­ve aufkommen.

Bei­de Aspek­te, die dra­ma­tur­gi­sche Inten­si­vie­rung und die psy­cho­lo­gi­sche Kon­tu­rie­rung der Haupt­fi­gur, zie­hen sich durch Die­ter Böges gesam­te Über­set­zung und erge­ben einen Text, der sei­nem eng­li­schen Text in jeder Hin­sicht über­le­gen ist. Wei­ter geht die Geschich­te so:

Theo was stuck at granny’s place
and made a dis­ap­poin­ted face.
Er ist bei Oma einquartiert
und ahnt schon, dass hier nichts passiert.

Hen­hapl nennt zwar nun The­os Namen, wech­selt aber mit „made a dis­ap­poin­ted face“ sofort zurück in die Außen‑, fast schon in die Erwach­se­nen­per­spek­ti­ve. Böges deut­scher Erzäh­ler hin­ge­gen ist per­so­nal und leben­dig, zeigt uns mit kind­ge­rech­tem Gal­gen­hu­mor The­os Gefühls­welt. Böges Theo ist eine lite­ra­ri­sche Figur, wäh­rend Hen­hapl sich offen­bar nur für sei­ne Geschich­te, nicht aber für die­sen Jun­gen interessiert.

Der zwei­te Vor­zug von Böges Über­set­zung, sein prä­zi­ses dra­ma­tur­gi­sches Gespür, wird ganz beson­ders an jenem Wen­de­punkt der Geschich­te deut­lich, als Theo das alte Buch mit der Zau­ber-Ver­wand­lungs­for­mel in die Hän­de fällt.

Nicht nur ver­wirrt die­se Ein­be­zie­hung der Fra­ge („Will you draw me a mask?“) in den ohne­hin schon holp­ri­gen Reim. Der expli­zi­te Rekurs auf die Mas­ke nimmt der Geschich­te auch eine poe­ti­sche Dimen­si­on: Denn wer glaubt denn wirk­lich noch, dass Theo sich in einen Löwen oder Bären ver­wan­delt, wenn es doch eigent­lich nur um „Mas­ken“ geht?

Böge spürt das und macht es in sei­ner Fas­sung bes­ser, und Elsa Kle­ver ändert für die deut­sche Fas­sung sogar das Bild:

Was für ein Wort, was für ein Buch­ti­tel! Wer woll­te eine sol­che Anlei­tung nicht aus­pro­bie­ren? Kein Zwei­fel, wer sie nur befolgt, wird sich wirk­lich in ein Tier ver­wan­deln! (Prak­tisch zudem, dass Die­ter Böge die „Tier­ver­wand­lungs­aben­teu­er­mal­an­lei­tung“, die es im Ori­gi­nal nicht gibt, gewis­ser­ma­ßen als Bonus Track auf der letz­ten Sei­te mitliefert.)

Als „Hom­mage an die Kraft der Fan­ta­sie“ bewirbt der Tuli­pan Ver­lag die­ses Buch – ob damit die Kraft der fan­ta­sie­vol­len Über­set­zung gemeint war, darf bezwei­felt wer­den, schließ­lich hat es Die­ter Böges Name noch nicht ein­mal auf das Cover des Buches geschafft. Und doch ist es sei­ne künst­le­ri­sche Leis­tung, die aus Hen­hapls eher mit­tel­mä­ßi­ger lite­ra­ri­scher Vor­la­ge ein klei­nes Meis­ter­werk erschafft. So ist die­ser Text zugleich eine Hom­mage an die Kraft der über­set­ze­ri­schen Fan­ta­sie, die in ihrem ste­ten Ver­wand­lungs­ei­fer vor kei­ner Grenz­über­schrei­tung zurückschreckt.

Drei Fra­gen an Die­ter Böge

Ist Über­set­zen ein­fach nur Illus­trie­ren mit ande­ren Mitteln?
Beim Über­set­zen besteht die Auf­ga­be nach mei­nem Ver­ständ­nis dar­in, die Über­tra­gungs­ver­lus­te mög­lichst gering zu hal­ten. Das ursprüng­li­che Werk ist ja eigent­lich fer­tig. Beim Illus­trie­ren ist es anders. Es gibt viel­leicht eine Geschich­te, aber die Bil­der wie­der­ho­len nicht den Text. Wie sie aus­se­hen könn­ten, ist offen. Die Illus­tra­to­rin Elsa Kle­ver hat für Ich bin Tie­re eine Farb­welt und eine Sti­lis­tik gefun­den, die im Text mit kei­nem Wort erwähnt wer­den. Man hat den Ein­druck, die Orte und die Figu­ren könn­ten gar nicht anders aus­se­hen, aber sie hat sich das alles aus­ge­dacht. Jeden Strich, den Rhyth­mus der Flä­chen, unzäh­li­ge Details, jede Ges­te, jeden Blick. Für mich als Über­set­zer ist ein Frei­raum nur ent­stan­den, weil der Text im Ori­gi­nal gereimt ist. Das Reim­sche­ma ist vor­ge­ge­ben, der Humor, die Län­ge der Sät­ze usw., aber wort­wört­lich kriegt man das nicht hin und dadurch konn­te ich ersatz­wei­se eige­ne Rei­min­hal­te bei­steu­ern. Das sind jedoch kei­ne Bil­der, son­dern Wor­te. Sie gehö­ren zur abs­trak­ten Welt der Begrif­fe, obwohl sie bild­haf­te Asso­zia­tio­nen aus­lö­sen kön­nen. Illus­tra­tio­nen sind ech­te Bil­der und wer­den kon­kre­ter und unbe­wuss­ter wahr­ge­nom­men. An den Wör­tern vor­bei, sozu­sa­gen. Dar­um braucht man sie auch nicht zu übersetzen.

Ama­de­us Hen­hapl ist gebür­ti­ger Öster­rei­cher, hat das Buch aber auf Eng­lisch geschrie­ben – für Sie wie­der­um war es die ers­te Über­set­zung. Wie kam es zu die­sem unge­wöhn­li­chen Pro­jekt und war der Autor am Über­set­zungs­pro­zess beteiligt?
Elsa Kle­ver hat mir im Ate­lier eini­ge Ent­wür­fe zu Ich bin Tie­re gezeigt und beklagt, dass die­ses Buch nicht auf Deutsch erschei­nen kön­ne, weil man die schö­nen Rei­me nun mal nicht über­set­zen kön­ne. In einer Mischung aus Rit­ter­lich­keit und Hoch­mut habe ich gesagt, ich kön­ne es ja mal ver­su­chen. Der Jun­ge in der Geschich­te heißt übri­gens Theo, genau wie mein Sohn. Das hat mich wahr­schein­lich zusätz­lich ermu­tigt. Ama­de­us Hen­hapl habe ich lei­der noch nicht ken­nen­ge­lernt. Er lebt in Kali­for­ni­en. Ich habe mich aller­dings sehr gefreut, als er Grü­ße aus­rich­ten ließ und mir zu dem deut­schen Text gra­tu­liert hat. Das ist sehr groß­zü­gig, weil in der Über­set­zung aus sei­nem Mas­ken­the­ma eine Geschich­te über das Zeich­nen gewor­den ist. Eine „Tier­ver­wand­lungs­aben­teu­er­mal­an­lei­tung“ war in sei­nem Text nicht vor­ge­se­hen. In mei­ner Ver­si­on ver­liert sich Theo beim Zeich­nen in sei­nen Lini­en und irgend­wann habe ich wohl bei der Arbeit eben­falls den stren­gen Über­set­zungs­auf­trag etwas aus dem Blick ver­lo­ren. Dar­auf bezieht sich viel­leicht Ihre ers­te Fra­ge. Vie­len Dank noch ein­mal, Amadeus!

In wel­ches Tier wür­den Sie sich selbst ger­ne ein­mal verwandeln?
Ich möch­te mich lie­ber nicht in ein Tier ver­wan­deln. Was wür­de mei­ne Frau dazu sagen! Obwohl – sie hät­te viel­leicht gern einen Hund.

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  1. 1
    pociao

    Super­über­set­zung – vie­len Dank für die­se Vor­stel­lung, die jedem Über­set­zer Mut zur Krea­ti­vi­tät machen muss.

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