
Ich bin Tiere
Amadeus Henhapl
Dieter Böge
Elsa Klever
Englisch
I am animals
„Das Buch mußt du in der Übersetzung von Harry Rowohlt lesen“, rät ein Bibliotheksgänger seiner Freundin in einem berühmten Cartoon des Zeichnerduos Hauck & Bauer, „im Original geht da viel verloren“. Und auch wenn die Frage, ob eine Übersetzung ihr Original gewissermaßen „verbessern“ dürfe, in Fachkreisen hitzig umstritten ist, so muss doch der Anspruch, ein Werk von gleichem oder gar höherem literarischen Rang zu schaffen, an jede übersetzerische Tätigkeit angelegt werden dürfen.
Einer jener Glücksfälle, die man in der Übersetzung lesen sollte, weil im Original tatsächlich „viel verloren“ geht, ist Dieter Böges Buch Ich bin Tiere nach der englischen Vorlage von Amadeus Henhapl. Hier ist zu bestaunen, wie der deutsche Text das sogenannte Original überflügelt und seine eigene, ganz neue literarische Wirklichkeit zu erschaffen vermag, und das ohne seinem eigentlichen Auftrag in irgendeiner Weise untreu zu werden.
I am animals ist ein Bilderbuch im doppelten Sinne. Sein sparsamer, in Versen verfasster Text mit einem Reim pro Seite folgt einerseits der Konvention des Genres. Doch andererseits reflektiert das Buch auch das eigene Medium, denn im Zentrum seiner Handlung steht die „Tierverwandlungsabenteuermalanleitung“, kunsttheoretischer formuliert: die transformatorische Kraft der Bilder. Mit ihr gelingt es dem Protagonisten Theo aus einem langweiligen Regentag ohne Beschäftigung das aufregendste Erlebnis seines Lebens zu machen. Kurz, das Buch wächst über sich hinaus, indem es seine Hauptfigur und uns selbst zum Über-uns-Hinauswachsen inspiriert.
Das eigentliche Kraftzentrum, viel mehr als nur „Illustration“, bilden hier folgerichtig nicht die Worte, sondern Elsa Klevers schlichte, aber wirkmächtige Bilder. Ihr Stil überwindet spielend die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Fläche und Raum, zwischen Traum und Wirklichkeit. Wer das Buch durchblättert, dem werden wie bei den flirrenden 3D-Trugbildern, die man sich vor die Augen hält, bis man Kopfschmerzen bekommt, irgendwann die Handlungsebenen vor den Augen verschwimmen, der wird sich der Kunst vor sich und seiner selbst nicht mehr sicher fühlen und glauben, so wie Theo selbst zum Löwen und Bären geworden zu sein. Ist das nicht das Höchste, das man mit Bildern erreichen kann?

Neben dem in englischer Sprache verfassten Originaltext von Amadeus Henhapl, der eigentlich deutscher Muttersprachler ist, hat der Übersetzer Dieter Böge also auch noch der Bildsprache Elsa Klevers gerecht zu werden. Der Grat ist schmal, doch Böge versteht, dass er ihn nur tanzend überqueren wird.
Und Böge tanzt. Sein deutscher Text funktioniert auf allen Ebenen: Er hat Rhythmus, Reim und Witz und verfällt nicht in jene dumpfe Versmeierei, der gedichtete Kinderbücher in den Händen weniger sprachbegabter Autorinnen oder Autoren allzu oft anheimfallen.
Wie man es von einem guten Übersetzer erwartet, nimmt sich Böge die Freiheit, weit vom Original abzuweichen, wenn dessen Komposition es erfordert. Seine deutschen Lösungen sind dabei selten im Einklang mit Henhapls englischem Wortlaut, immer aber mit dessen Intention, und noch wichtiger: mit Elsa Klevers Illustrationen. Das beginnt schon auf der ersten Seite des Buches, die in Henhapls Original so aussieht:
In der deutschen Übersetzung liest sich der Zweizeiler so:
An einem regnerischen Morgenmacht sich Theo ernsthaft Sorgen.
Aus Henhapls „Saturday“ ist bei Böge ein beliebiger „Morgen“ geworden, aus dem witzigen, aber auch diffusen (wer spricht hier?) „no-good-could-be-better day“ ein sich „ernsthaft Sorgen“ machender Theo. Doch Böges Abweichungen sind keine Fehler, sie intensivieren, ja: verbessern den Text.
Der „Saturday“ im Original mit der leuchtenden Stehlampe im Bild sieht eher nach Spätnachmittag aus – Böge aber verlegt den Beginn der Handlung auf den „Morgen“. Wenn wir alle Abenteuer hinter uns haben und Theo am Ende schlafend auf dem Wohnzimmerteppich liegt, ist es erkennbar Abend. Während also bei Henhapl ein insgesamt eher undeutliches Zeitverständnis vorliegt, drängt sich uns deutschen Leserinnen und Lesern der Eindruck einer geradezu magisch gedehnten, fast unendlichen Zeit auf: Das, was wir hier auf knapp 50 Bilderbuchseiten in zwanzig Minuten durchblättern, hat für Theo den ganzen Tag gedauert!
Nicht nur fehlt dieser Effekt bei Henhapl, es fehlt auch der Protagonist. Wir sehen ihn zwar in romantischer Rückenansicht vor dem Fenster, aber der Text läuft gleichsam an ihm vorbei. Böge führt mit dem „sich Sorgen machenden“ Theo (dessen Name im englischen Text erst im dritten Vers folgt) den personalen Erzähler von Anfang an ein und lässt gar keine Zweifel an der Erzählperspektive aufkommen.
Beide Aspekte, die dramaturgische Intensivierung und die psychologische Konturierung der Hauptfigur, ziehen sich durch Dieter Böges gesamte Übersetzung und ergeben einen Text, der seinem englischen Text in jeder Hinsicht überlegen ist. Weiter geht die Geschichte so:
Theo was stuck at granny’s placeand made a disappointed face.Er ist bei Oma einquartiertund ahnt schon, dass hier nichts passiert.
Henhapl nennt zwar nun Theos Namen, wechselt aber mit „made a disappointed face“ sofort zurück in die Außen‑, fast schon in die Erwachsenenperspektive. Böges deutscher Erzähler hingegen ist personal und lebendig, zeigt uns mit kindgerechtem Galgenhumor Theos Gefühlswelt. Böges Theo ist eine literarische Figur, während Henhapl sich offenbar nur für seine Geschichte, nicht aber für diesen Jungen interessiert.
Der zweite Vorzug von Böges Übersetzung, sein präzises dramaturgisches Gespür, wird ganz besonders an jenem Wendepunkt der Geschichte deutlich, als Theo das alte Buch mit der Zauber-Verwandlungsformel in die Hände fällt.
Nicht nur verwirrt diese Einbeziehung der Frage („Will you draw me a mask?“) in den ohnehin schon holprigen Reim. Der explizite Rekurs auf die Maske nimmt der Geschichte auch eine poetische Dimension: Denn wer glaubt denn wirklich noch, dass Theo sich in einen Löwen oder Bären verwandelt, wenn es doch eigentlich nur um „Masken“ geht?
Böge spürt das und macht es in seiner Fassung besser, und Elsa Klever ändert für die deutsche Fassung sogar das Bild:
Was für ein Wort, was für ein Buchtitel! Wer wollte eine solche Anleitung nicht ausprobieren? Kein Zweifel, wer sie nur befolgt, wird sich wirklich in ein Tier verwandeln! (Praktisch zudem, dass Dieter Böge die „Tierverwandlungsabenteuermalanleitung“, die es im Original nicht gibt, gewissermaßen als Bonus Track auf der letzten Seite mitliefert.)
Als „Hommage an die Kraft der Fantasie“ bewirbt der Tulipan Verlag dieses Buch – ob damit die Kraft der fantasievollen Übersetzung gemeint war, darf bezweifelt werden, schließlich hat es Dieter Böges Name noch nicht einmal auf das Cover des Buches geschafft. Und doch ist es seine künstlerische Leistung, die aus Henhapls eher mittelmäßiger literarischer Vorlage ein kleines Meisterwerk erschafft. So ist dieser Text zugleich eine Hommage an die Kraft der übersetzerischen Fantasie, die in ihrem steten Verwandlungseifer vor keiner Grenzüberschreitung zurückschreckt.
Drei Fragen an Dieter Böge
Ist Übersetzen einfach nur Illustrieren mit anderen Mitteln?
Beim Übersetzen besteht die Aufgabe nach meinem Verständnis darin, die Übertragungsverluste möglichst gering zu halten. Das ursprüngliche Werk ist ja eigentlich fertig. Beim Illustrieren ist es anders. Es gibt vielleicht eine Geschichte, aber die Bilder wiederholen nicht den Text. Wie sie aussehen könnten, ist offen. Die Illustratorin Elsa Klever hat für Ich bin Tiere eine Farbwelt und eine Stilistik gefunden, die im Text mit keinem Wort erwähnt werden. Man hat den Eindruck, die Orte und die Figuren könnten gar nicht anders aussehen, aber sie hat sich das alles ausgedacht. Jeden Strich, den Rhythmus der Flächen, unzählige Details, jede Geste, jeden Blick. Für mich als Übersetzer ist ein Freiraum nur entstanden, weil der Text im Original gereimt ist. Das Reimschema ist vorgegeben, der Humor, die Länge der Sätze usw., aber wortwörtlich kriegt man das nicht hin und dadurch konnte ich ersatzweise eigene Reiminhalte beisteuern. Das sind jedoch keine Bilder, sondern Worte. Sie gehören zur abstrakten Welt der Begriffe, obwohl sie bildhafte Assoziationen auslösen können. Illustrationen sind echte Bilder und werden konkreter und unbewusster wahrgenommen. An den Wörtern vorbei, sozusagen. Darum braucht man sie auch nicht zu übersetzen.
Amadeus Henhapl ist gebürtiger Österreicher, hat das Buch aber auf Englisch geschrieben – für Sie wiederum war es die erste Übersetzung. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Projekt und war der Autor am Übersetzungsprozess beteiligt?
Elsa Klever hat mir im Atelier einige Entwürfe zu Ich bin Tiere gezeigt und beklagt, dass dieses Buch nicht auf Deutsch erscheinen könne, weil man die schönen Reime nun mal nicht übersetzen könne. In einer Mischung aus Ritterlichkeit und Hochmut habe ich gesagt, ich könne es ja mal versuchen. Der Junge in der Geschichte heißt übrigens Theo, genau wie mein Sohn. Das hat mich wahrscheinlich zusätzlich ermutigt. Amadeus Henhapl habe ich leider noch nicht kennengelernt. Er lebt in Kalifornien. Ich habe mich allerdings sehr gefreut, als er Grüße ausrichten ließ und mir zu dem deutschen Text gratuliert hat. Das ist sehr großzügig, weil in der Übersetzung aus seinem Maskenthema eine Geschichte über das Zeichnen geworden ist. Eine „Tierverwandlungsabenteuermalanleitung“ war in seinem Text nicht vorgesehen. In meiner Version verliert sich Theo beim Zeichnen in seinen Linien und irgendwann habe ich wohl bei der Arbeit ebenfalls den strengen Übersetzungsauftrag etwas aus dem Blick verloren. Darauf bezieht sich vielleicht Ihre erste Frage. Vielen Dank noch einmal, Amadeus!
In welches Tier würden Sie sich selbst gerne einmal verwandeln?
Ich möchte mich lieber nicht in ein Tier verwandeln. Was würde meine Frau dazu sagen! Obwohl – sie hätte vielleicht gern einen Hund.