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„Ein Berliner Verlag für englische Bücher – welch bizarre Vorstellung.“ So heißt es mit ironischem Unterton im Glossar von Journey through a Tragicomic Century (dt. Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert von Francis Nenik), einer der ersten drei Erscheinungen des neugegründeten Verlags V&Q Books. Das Buch zeigt, wofür V&Q Books steht: interessante Inhalte, selbstbewusste Übersetzungsentscheidungen und eine ordentliche Prise Humor.
Bei V&Q Books handelt es sich um einen englischsprachigen Imprint des unabhängigen Verlagshauses Voland & Quist. Erklärtes Ziel ist es, Leserinnen und Lesern in Großbritannien und Irland beginnend mit drei ersten Titeln diesen Herbst „bemerkenswerte Literatur aus Deutschland“ näherzubringen. Programmleiterin ist die Literaturübersetzerin Katy Derbyshire. Sie übersetzt seit vielen Jahren aus dem Deutschen ins Englische, darunter Autoren wie Clemens Meyer und Christa Wolf, und ist Mitbegründerin des Warwick Prize for Women in Translation – bei V&Q Books ist sie jetzt als Herausgeberin tätig.
Alles begann mit Derbyshires Wunsch, mehr Kontrolle über ihre eigene Arbeit zu erlangen. Nachdem sie im Jahr 2018 Voland & Quist auf der Frankfurter Buchmesse von ihrer Idee erzählte, wurde der Wunsch Realität. Der Ansatz passt gut zum Verlag Voland & Quist, der den Fokus auf Literatur abseits des Mainstream legt, wie Karina Fenner, eine der Verlagsleiterinnen betont:
Für uns ist der Blick über den Tellerrand seit jeher ganz wichtig – wir lieben Texte abseits des Mainstreams und haben ein Faible für Übersetzungen mittel- und osteuropäischer Literatur. Katy Derbyshires Idee von englischsprachigen Übersetzungen fanden wir erstmal ziemlich wahnsinnig und dann wahnsinnig gut: Und jetzt haben wir dieses aufregende Imprint, eine begeisterte Kollegin und viele großartige Autor*innen dazugewonnen.
Dieser Enthusiasmus war auch nicht zu übersehen, als wir mit Katy Derbyshire über ihre ersten Erfahrungen im Büchermachen und in der Leitung des Projekts sprachen. Neben ihr bilden sechs weitere Personen den Kern von V&Q Books, die fast alle im Berliner Büro arbeiten und sich um alles von Buchhaltung bis Cover-Gestaltung kümmern. Derbyshire sieht ihre eigene Rolle als Mädchen für alles, vor allem für „die Dinge, die auf Englisch passieren müssen“, sei es die Kommunikation mit Übersetzerinnen und Übersetzern oder Diskussionen mit ihren freiberuflichen Agenten in London – und, nicht zu vergessen, Übersetzung.
Zwei der ersten drei Bücher hat sie selbst übersetzt, darunter Journey through a Tragicomic Century, das die faszinierende Lebensgeschichte des in Vergessenheit geratenen Schriftstellers Hasso Grabner nacherzählt. Die anderen beiden Titel sind Paula von Sandra Hoffmann, ein fiktionalisiertes Porträt der Beziehung der Autorin zu ihrer Großmutter, und Daughters von Lucy Fricke (dt. Töchter, übersetzt von Sinéad Crowe), ein von schwarzem Humor gekennzeichneter Roman über zwei Frauen auf einem Road Trip und ihre Auseinandersetzungen mit schwierigen Vätern.
„Ownership on the part of the translator“1 – „Sich die Werke zu eigen machen“
Die ersten drei Titel von V&Q Books sind allesamt aus dem Deutschen übersetzt, auch wenn der Verlag sich zum Ziel gesetzt hat, zukünftig auch Bücher aus anderen Sprachen herauszugeben, sowie in Deutschland verfasste englischsprachige Literatur. Bei der Auswahl der Titel kommen laut Katy Derbyshire einige unterschiedliche Faktoren ins Spiel:
Sie müssen sich gut ins Verlagsprogramm einfügen; man will nicht zwei sehr ähnliche Bücher haben, und nicht zu viele Autoren vom gleichen Schlag, mit ähnlicher Lebensgeschichte und vergleichbarem Stil. Wir wählen Bücher, die aus der Reihe tanzen, aber es hängt auch davon ab, welche Fördermittel wir bekommen.
In dieser ersten Runde erscheinen ein Roman, ein erzählendes Sachbuch und ein autofiktionales Buch. Hinter der Auswahl steckt vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, Derbyshire selbst. Paula hatte sie zum Beispiel schon lange auf dem Schirm und lange vergeblich versucht, in Großbritannien einen Verlag dafür zu finden. Dann fehlten nur noch die notwendigen Übersetzungsrechte sowie ein auf die Marktlücken ausgerichtetes Konzept – und fertig war das erste Verlagsprogramm.
Kehren wir für einen Blick auf die Wirkung der Übersetzungen zum eingangs zitierten Glossareintrag über den kommunistischen Autor Bruno Apitz zurück:
Sein Schlüsselwerk Naked Among Wolves aus dem Jahr 1958 spielt im Konzentrationslager Buchenwald und ist in dreißig Sprachen übersetzt. Die englische Version (übersetzt von Edith Anderson) erschien bei Seven Seas, einem Berliner Verlag für englische Bücher – welch bizarre Vorstellung.
Im gesamten Glossar klingt Katy Derbyshires Stimme unverkennbar und selbstbewusst durch. Wie etwa auch im Eintrag zu Rainer Maria Rilke: „Toter weißer Mann, deutscher Dichter. Mochte große Katzen.“ Ein anderer Eintrag beschreibt das überwältigende Gefühl von Ehrfurcht in der Anwesenheit von Autor Volker Braun. Bei Alexander Solschenizyn erzählt Derbyshire, wie ihr Vater einmal für den russischen Autor gehalten wurde. Derbyshires Position als Leiterin des Imprints erlaubt ihr diese radikale neue Rolle: eine dritte Stimme im Buch, die gut mit dem wunderbar seltsamen Ton des Textes und den Erläuterungen der Autorin einhergeht. Sie gibt ihr die Freiheit, nicht nur ein Glossar hinzuzufügen, sondern dies auch auf eine mutige Art zu tun, die mehr als nur Anhang ist und mit dem Text spielt. Für Derbyshire liegt darin der Spaß in der Rolle als herausgebende Übersetzerin:
Ich habe in meinen Entscheidungen etwas mehr Freiheit. Das Glossar hätte ich anderswo lange erklären müssen!
„The author and I“2 – „Der Autor und ich“
Diese Doppelrolle als Übersetzerin und Herausgeberin macht die einzelnen Bücher noch interessanter. In Paula, das ganz oben auf Derbyshires Liste stand, als sie mit Voland & Quist über konkrete Titel sprach, verbergen sich zum Beispiel einige spezielle Übersetzungsschwierigkeiten. In ihrem Nachwort der Übersetzerin schreibt Derbyshire über ihr Problem mit der gängigen Annahme, dass manche Wörter und Bücher einfach „unübersetzbar“ seien:
Sie verlangen eine kreative Übersetzung, Überarbeitungen, gewagte Entscheidungen. Die Übersetzerin muss sie sich zu eigen machen, wenn man so will.
Dieses Selbstbewusstsein spiegelt sich in den ersten Zeilen von Paula wider:
Schweigen ist anders als still sein.We have a word in German: schweigen. It means deliberately remaining silent; it is different to merely being quiet.
Den ersten Satz des Buches so stark zu verändern ist ein drastischer Eingriff; ein Eingriff, der aber das Übersetzungsproblem des Wortes „schweigen“, das im gesamten Roman eine zentrale Rolle spielt, nachhaltig aus dem Weg räumt. Sandra Hoffmann stimmte der Entscheidung zu; Derbyshire konsultierte sie während des Übersetzungsprozesses. Somit ist sichergestellt, dass sowohl die Autorin als auch die Übersetzerin/Herausgeberin mit Änderungen einverstanden sind, die die Konventionen der Welt der kommerziellen Übersetzung sprengen.
„The uproarious side of German literature“3 – „Die ausgelassene Seite der deutschen Literatur“
Sinéad Crowe, die Übersetzerin des dritten Buches dieses ersten Programms (Daughters von Lucy Fricke) betont in ihrer Anmerkung der Übersetzerin, dass sie den Witz der deutschen Literatur mit Leserinnen und Lesern in Großbritannien und Irland teilen möchte, die sonst vor allem die mürrische und ernste Seite der deutschen Literaturlandschaft kennen. Der Drang, diese Nische zu füllen, ist Derbyshire ein besonderes Anliegen: „Das nervt mich seit vielen Jahren. Ich denke, die deutsche Literatur hat viel mehr Humor als ihr zugestanden wird.“
Sie hat auch ein Faible für Bücher, die eine gewisse Ortsgebundenheit haben (was nicht unbedingt in Deutschland sein muss):
Ich habe das Gefühl, dass Übersetzungen das oft brauchen. Sie brauchen einen spezifischen Handlungsort, denn warum würden wir sonst überhaupt übersetzen, vor allem ins Englische, in das ohnehin kaum übersetzt wird.
Diese Eigenschaften kennzeichnen alle drei Bücher stark, von dem geistreich erzählten Road-Trip in Daughters zu den absurden Reisen Hasso Grabners in Journey through a Tragicomic Century.
Zusammen ergeben die drei Bücher ein starkes Debüt. Sie funktionieren gut als Programm, jedes unverkennbar individuell, doch mit einigen Gemeinsamkeiten, die sie verbinden: eine gewisse Ortsgebundenheit, Humor, potenziell schwierige, aber interessante Übersetzungsentscheidungen. Und als zusätzliche Bereicherung eine deutlich vernehmbare, selbstbewusste Stimme der Übersetzerinnen, die Besonderheiten des Originals weder verrät noch verdeckt. Man kann nur hoffen, dass die Werke ihr Publikum in Großbritannien und Irland finden – und wir dürfen auf die nächsten Bände aus dem Hause V&Q Books gespannt sein.