Seit Hanni und Nanni Sullivan in den 1960er Jahren in das Internat Lindenhof gekommen sind, haben sie es nicht mehr verlassen. In dieser Zeit haben sie viel erlebt, oder vielmehr immer dasselbe in Variationen. Sie haben Unterricht in Französisch, Mathematik, Geschichte, Englisch (oder Deutsch?) und Zeichnen gehabt, mal Schuluniformen getragen und mal nicht, waren die Neuen an der Schule und Schülersprecherinnen, haben Handball, Theater und allerlei mehr oder weniger lustige Streiche gespielt, sich um neue Mitschülerinnen gekümmert, Pferde und ihre Schule vor dem Verkauf gerettet, waren in Geisterschlössern, auf Mallorca und in New York, haben Mitternachtspartys gefeiert und Entführer verjagt.
Hanni und Nanni heißen eigentlich Patricia und Isabel O’Sullivan und kommen aus England. Sie leben in den 1940er Jahren, stammen aus der oberen Mittelschicht, haben zu Hause Dienstboten und sprechen mit irischem Akzent. Mit 14 Jahren kommen sie in das Internat St. Clare’s, wo sie bis zur sechsten Klasse bleiben. An ihrer Schule wird Lacrosse gespielt und morgens gebetet. Ihre Abenteuer wurden zwischen 1941 und 1945 in sechs Bänden von der britischen Kinderbuchautorin Enid Blyton erzählt.
Hannis und Nannis Erlebnisse kann man hingegen in 39 Bänden nachlesen. Generationen von Mädchen sind damit aufgewachsen. Allerdings nicht unbedingt mit den Geschichten, die Enid Blyton geschrieben hat. Denn während diese das Leben in einem englischen Mädcheninternat der 1940er Jahre weitgehend realistisch beschreibt und dabei ein paar erinnerungswürdige Charaktere erschafft, spielen die übersetzten deutschen Bände in einer Hybridwelt, und die späteren überhaupt in einer Fantasiewelt, in der die Figuren immer stereotyper agieren.
Die ursprüngliche Serie umfasst folgende Bände:
Band 1–6 von Enid Blyton | Deutsche Übersetzung von Christa Kupfer |
The Twins At St. Clare’s (1941) | Bd. 1: Hanni und Nanni sind immer dagegen (1965) |
The O’Sullivan Twins (1942) | Bd. 2: Hanni und Nanni schmieden neue Pläne (1965) |
Summer Term At St. Clare’s (1943) | Bd. 3: Hanni und Nanni in neuen Abenteuern (1965) |
Second Form At St. Clare’s (1944) | Bd. 4: Kein Spaß ohne Hanni und Nanni (1965) |
Claudine At St. Clare’s (1944) | Bd. 11: Lustige Streiche mit Hanni und Nanni (1967) |
Fifth Formers At St. Clare’s (1945) | Bd. 13: Fröhliche Tage für Hanni und Nanni (1967) |
Hanni und Nanni sind immer dagegen erschien 1965 im Franz Schneider Verlag, also 24 Jahre nach dem Original. „Deutsche Bearbeitung: Franz Schneider Verlag“, steht im Impressum. Diese deutsche Bearbeitung war wohl auch dafür verantwortlich, dass die von Christa Kupfer übersetzte Version um einiges kürzer ausfällt als die ursprüngliche. Immer wieder fehlen einzelne Sätze und Absätze. Viel Handlung geht dabei meistens nicht verloren (dass ein Pfund nicht aus 14 Unzen besteht, müssen die deutschen Leserinnen nicht unbedingt wissen), aber die englische Version liest sich dadurch, dass viele Dialoge ausführlicher sind, etwas lebendiger. Gegen Ende fehlt schließlich ein ganzes Kapitel, das sich um ein moralisches Dilemma Isabels dreht.
Die Handlung des ersten Bandes beginnt damit, dass die Zwillinge Patricia und Isabel O’Sullivan gerne mit ihren Freundinnen Mary und Frances Waters in die vornehme Ringmere-Schule gehen wollen. Ihre Eltern finden aber, dass die Mädchen in ihrer vorigen Schule ein bisschen zu eingebildet geworden sind, und schicken sie in das ihrer Ansicht nach viel vernünftigere St. Clare’s, wo es keine Mägde gibt, um die Sachen der Mädchen zu flicken, und wo die jüngeren Schülerinnen Dienste für die älteren verrichten müssen. Die Zwillinge fühlen sich dort anfangs gar nicht wohl und sehen auf alles herab. Schon bald aber leben sie sich ein und halten St. Clare’s für die beste Schule, in die sie kommen konnten.
Damit ist der wichtigste Handlungsbogen, die charakterliche Entwicklung von Hanni und Nanni, im Wesentlichen abgeschlossen. Der Rest des Bandes verläuft sehr episodenhaft, beschäftigt sich mit den Problemen anderer Schülerinnen und mit albernen Streichen. Die fünf weiteren Originalbände begleiten den Werdegang der Zwillinge bis zur vorletzten Klasse, wobei die beiden nicht mehr unbedingt durchgehend die Hauptrolle spielen.
Englisch-deutsche Hybridwelt
„Isabel and Patricia O’Sullivan were so alike that only a few people could tell which was Pat and which was Isabel“, erfährt man in der englischen Version; auf Deutsch heißen sie auch noch fast gleich, sodass sich die Frage aufdrängt, wie die beiden an ihrer neuen Schule überhaupt irgendwer jemals unterscheiden soll. Zwar lauten die vollen Namen Hanna und Marianne, diese werden aber von niemandem verwendet. Die Spitznamen sind ein Symptom dafür, dass die deutsche Variante überhaupt etwas verkindlicht und verniedlicht daherkommt: So sind die Zwillinge 12 Jahre alt und nicht wie im Original 14; was einerseits wohl mehr dem Alter der intendierten Leserinnen entspricht, andererseits auch dem durchwegs präpubertären Verhalten der Schülerinnen. Es ist schon erstaunlich, wie viel Freude Enid Blyton 14-Jährigen an albernen Streichen zuschreibt.
Auch wenn Blytons Geschichten in einer abstrahierten Welt spielen, die weder zeitlich noch räumlich genau definiert werden kann und außerhalb des weltpolitischen Geschehens existiert, so merkt man den Geschichten an einigen Stellen doch ihr Alter an. Einzelne Details werden folglich in der deutschen Version angepasst, etwa das Grammophon im Gemeinschaftsraum durch einen Plattenspieler ersetzt, und während die englischen Mädchen das Internatsgebäude mit Hut und Mantel verlassen, ziehen die deutschen Mädchen nur einen Mantel an. Im englischen St. Clare’s wird morgens gebetet, im deutschen Lindenhof nicht. Das Trimester endet in St. Clare’s mit dem gemeinsamen Singen der Schulhymne, während in Lindenhof lediglich ein „gemeinsames Lied“ gesungen wird. Etwas gewundert haben sich deutschsprachige Leserinnen der 1960er Jahre vielleicht darüber, dass es in den Klassenräumen und Studierzimmern offene Kamine gibt und es üblich ist, dass Zwölfjährige selbstständig Feuer machen.
Wo genau St. Clare’s liegt, ist unbekannt, denn im ganzen ersten Band findet sich nur ein einziger geographischer Hinweis – der Schulzug fährt von Paddington ab, auf Deutsch von Hofkirchen; einen Ort dieses Namens gibt es in Bayern. Dass es aber in England sein muss, merkt man an einigen sehr spezifisch britischen Sitten und Gebräuchen, die großteils nicht übernommen wurden. Im englischen Internat gibt es afternoon tea, im deutschen Nachmittagskaffee. Die Schülerinnen von St. Clare’s tragen grey coats als Schuluniformen. Diese werden in der deutschen Version, zumindest im ersten Band, nicht erwähnt; in einigen späteren Bänden, die keine englische Vorlage mehr haben, gibt es allerdings wieder Schuluniformen.
Bezahlt wird in Lindenhof mit Mark und Pfennig. Das Ballspiel Lacrosse, das selbst heute im deutschsprachigen Raum nicht sehr bekannt ist, wird in der Übersetzung zu Handball, wobei sich schon viele sportkundige Leserinnen gewundert haben, warum bei den Spielen oft nur drei bis vier Tore geschossen werden – was beim Lacrosse durchaus üblich ist, für ein Handballmatch aber sehr wenig.
Dass die englischen Vornamen der Mädchen fast immer eingedeutscht werden, die Nachnamen jedoch großteils nicht, führt zu seltsamen englisch-deutschen Hybriden: Hanni und Nanni Sullivan, Katrin Gregory, Suse Naylor, Mary und Fränzi Waters.
Sprache als Statussymbol
Während die Sprache im Original sehr geradlinig und schnörkellos wirkt, kommt sie in der Übersetzung manchmal arg gestelzt daher, vor allem wenn man bedenkt, dass hier Zwölfjährige reden:
„We’ll go and see what she wants. But I’m not doing any boot-cleaning or fire-lighting, that’s certain. And neither are you!“„Wir werden uns erkundigen, was sie will. Aber du kannst versichert sein, daß ich weder Schuhe putze noch Feuer anmache.“
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der englischen und der deutschen Version ist, dass in ersterer die Klassenunterschiede viel deutlicher spürbar und Patricia und Isabel wohl um einiges wohlhabender als Hanni und Nanni sind. Lieber als nach St. Clare’s/Lindenhof wären die Zwillinge ja mit ihren Freundinnen nach Ringmere/Ringmeer gegangen: „[…] eine ausnehmend gute Schule, nur Kinder von wohlhabenden Leuten gingen dorthin, und man fände so nette Freundinnen.“ In der englischen Version erfährt man allerdings um einiges mehr: „It’s such a nice exclusive school, […]. You know – only girls of rich parents, very well-bred, go there, […].“ Und abends sind evening dresses üblich.
Hanni und Nanni sind traurig, weil sie nach Lindenhof müssen, „wo jeder hingehen kann, wo sechs oder acht Mädchen in einem Raum schlafen“. Patricia und Isabel merken zusätzlich an: „[the dormitories] aren’t nearly as nicely furnished as the maids’ bedrooms are at home!“ Aus dem deutschen Sullivan-Haushalt wurden die Dienstboten gestrichen, ebenso wie an allen anderen Stellen, an denen sie im Original erwähnt werden. Doch die Mutter der Zwillinge findet, die alte Schule habe sie ein bisschen zu sehr verwöhnt, „and nowadays we have to learn to live much more simply“. Wenn man bedenkt, dass dieser Band 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, veröffentlicht wurde, erscheint dieser Gedanke vernünftig. Dieser Zusammenhang wird im Buch selber allerdings nicht ausgeführt, und es ist auch unklar, wann die Geschichten eigentlich spielen. Hinweise auf Krieg gibt es jedenfalls nicht.
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht spielt in der englischen Version eine weitaus größere Rolle als in der deutschen, und diese äußert sich auch in der Sprache. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Schülerin Sheila/Suse, deren Eltern einfache Leute sind, die es zu Wohlstand gebracht haben. Das merkt man an ihrer Sprechweise, die sich von jener der decent people unterscheidet.
„Hark at Sheila! ‚Didn’t ought to!‘ Good heavens, Sheila where were you brought up? Haven’t you learnt by now that decent people don’t say ‚Didn’t ought to!‘“
Was auch immer an dieser Ausdrucksweise englische Mittelschichts-Mädchen der 1940er Jahre empört haben mag, es ist auf Deutsch nicht nachvollziehbar, denn die deutsche Suse sagt „du hättest nicht gesollt“. Die anderen Mädchen mögen Sheila nicht, weil sie ständig mit ihrem Reichtum angibt:
„My goodness, you talk about your servants, and your Rolls Royce cars, your horse and your lake and goodness knows what – and then you talk like the daughter of the dustman!“
– auf Deutsch etwas holprig wiedergegeben mit „aber zur gleichen Zeit hast du die Sprechweise eines Straßenkehrers!“ Die deutsche Suse gibt außerdem nicht mit ihren Rolls Royce-Autos an, sondern mit ihren Mercedes-Wagen. Servants erwähnt sie nicht: Diese werden in der Übersetzung, wie erwähnt, konsequent gestrichen. Die anderen Mädchen betonen die Zugehörigkeit zu ihrer Schicht durch Redewendungen wie „I say“, „golly“, „my word“ etc. In der deutschen Version fallen diese ersatzlos weg.
Decent oder mean? Abschwächung britischer Werte
Am Anfang fühlen sich die Zwillinge im Internat nicht wohl. Denn in ihrer alten Schule Redroofs/Neuenburg waren sie jemand: Head Girls, Tennis- und Hockey Captain. In ihrer neuen Schule St. Clare’s/Lindenhof hingegen sind sie nur zwei von vielen und gehören außerdem zu den Jüngsten. Das große Thema im ersten Band ist, dass die Zwillinge versuchen, somebodies instead of nobodies zu werden. Diese Formulierung findet sich im Original immer wieder, in der deutschen Version wird sie hingegen immer unterschiedlich wiedergegeben oder überhaupt weggelassen.
Decent ist im englischen Buch ebenfalls ein sehr wichtiges Wort, Ehrgefühl spielt in allen englischen Büchern eine große Rolle. In der deutschen Version dagegen wird ein ganzes Kapitel, das sich nur um dieses Thema dreht – Isabel gerät in ein moralisches Dilemma, weil sie versehentlich die Fragen für die anstehende Geographieprüfung gesehen hat – weggelassen. Im Übrigen ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, was in St. Clare’s als decent gilt und was nicht. Eine Lehrerin zu mobben, die es nicht schafft, in der Klasse für Disziplin zu sorgen, ist mit dem sense of honour der Schülerinnen vereinbar; ein schlechtes Gewissen haben sie erst, als sie mitbekommen, dass die Lehrerin kündigen will und deshalb finanzielle Probeme bekäme. Decent ist man auch, wenn man seinen Mitschülerinnen großzügige Geschenke macht, was zu der absurden Situation führt, dass ein weniger mit Bargeld gesegnetes Mädchen deswegen seine Mitschülerinnen bestiehlt, was ja wiederum nicht decent, sondern mean ist. In der deutschen Übersetzung ist das alles nicht so markant.
Sechs Bände sind nicht genug
„Als Hanni und Nanni aber zu den Lieblingen der Mädchen wurden, sind wir gedrängt worden, immer mehr Bücher zu bringen“, ist hinten im ersten Band im Namen der „Hanni und Nanni-Redaktion im Franz Schneider Verlag“ zu lesen. Diesem „Drängen“ kam der Verlag nach und brachte weitere Bände heraus. Dass diese gar nicht von Enid Blyton stammen, verrät der Verlag allerdings nicht, im Gegenteil: Als Autorin wird Enid Blyton genannt, eine Übersetzerangabe fehlt. Wer die Geschichten wirklich verfasst hat, wurde nie offiziell verraten.
Die neuen Bände beschreiben jene Schulstufen und Trimester, die Enid Blyton ausgelassen hat, oder spielen in den Ferien und wurden zwischen den bereits übersetzten Originalbänden eingeschoben. Das sorgte schon damals für Kontinuitätsprobleme. So wird beispielsweise im neuen Band 6 (1972 erschienen) die Mitschülerin Claudine erwähnt, die aber erst im nunmehrigen Band 11 (1967 erschienen) dazukommt.
1973 brachte der Schneider Verlag zudem eine Sonderausgabe mit Vokabeln heraus: Adventures with Hanni and Nanni I & II entspricht (bis auf einige Kürzungen) aufgeteilt auf zwei Bände dem Text von The Twins at St. Clare’s. Der Schock, dass die Zwillinge im Original Patricia und Isabel heißen, wurde den Leserinnen allerdings erspart: Die englischen Namen wurden durch „Hanni and Nanni“ ersetzt.
Einige der ersten Fortsetzungsbände fügen sich noch einigermaßen gut in die Serie ein, auch wenn sich die Schülerinnen Dirndlkleider nähen, doch entfernen sie sich zunehmend von den Originalen. In Band 15, der 1971 erschien, machen die Mädchen ihren Abschluss, und es war wohl geplant, die Serie damit enden zu lassen. Doch es ging weiter: In den Jahren 1984 bis 1988 wurde die Reihe mit den Bänden 16 bis 19 erneut fortgesetzt. In den Bänden 16 bis 22 findet sich folgendes Vorwort:
Liebe Hanni-und-Nanni-Fans!
Die Bücher von Enid Blyton über Hanni und Nanni, die lustigen Zwillinge, gibt es seit vielen Jahren, Millionen begeisterte Leserinnen haben sie verschlungen, und wir haben zahlreiche Leserbriefe zu dieser Serie bekommen. Viele Mädchen haben uns gebeten, es solle weitergehen mit Hanni und Nanni.
Da wir noch einige unveröffentlichte Manuskripte von Enid Blyton haben, entschlossen wir uns weiterzumachen. Die neuen Geschichten knüpfen aber nicht an den Abschied vom Internat Lindenhof an, sondern an die lustigsten und aufregendsten Erlebnisse der Zwillinge im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren. Ab Band 16 geht es also mit diesen neuen Abenteuern weiter.
Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!
Euer Franz Schneider Verlag
Die Behauptung, es gäbe unveröffentlichte Hanni und Nanni-Manuskripte von Enid Blyton, ist eine dreiste Lesertäuschung, die aber funktionierte.
Mit Band 16 beginnt eigentlich eine völlig neue Serie, die mit der ursprünglichen Serie nur noch den Namen, Teile des Figurenensembles und den Rahmen gemeinsam hat. Die Bände 16 bis 19 spielen eigentlich zur selben Zeit wie die bereits erschienenen, lassen sich aber nicht mit ihnen vereinbaren. Neue Figuren werden eingeführt, die Handlung wird nun endgültig nach Deutschland verlegt und modernisiert. Lindenhof liegt in Bayern, die Personen sprechen Deutsch. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass im Internat Nachmittagstee serviert wird, nicht wie in den ersten Bänden Kaffee. Die Mädchen lesen Karl May und SchneiderBücher (sic!), hören Schlager, trinken Cola, tragen Jeans und schlafen nicht mehr in Schlafsälen, sondern in Vierbettzimmern.
Stark verändert hat sich auch die Sprache der Schülerinnen, die zuweilen betont modern und umgangssprachlich erscheinen will („Ach Kinder, mich kotzt alles an“), vor allem Hanni und Nanni amüsieren sich mit ungewöhnlichen Formulierungen wie „Mich laust die grüne Haselmaus“ und sprechen einander mit „Große“, „Schwestermauseschwänzchen“ und ähnlichen albernen Spitznamen an. Sehr anders ist auch der Erzählstil, der sich durch viel interne Fokalisierung und Ironie auszeichnet, beides Eigenschaften, die bei Enid Blyton so gut wie nicht vorkommen.
Englische Fortsetzungen und deutsches Chaos
Im Jahr 2000 ergänzte die englische Autorin Pamela Cox die St. Clare’s-Serie um die von Blyton nicht beschriebenen Schuljahre 3 und 6. Die beiden Fortsetzungsbände wurden – in stark gekürzter Übersetzung – als Band 20 und 21 in die deutsche Reihe eingegliedert, obwohl eben diese Schuljahre dort bereits ganz anders erzählt worden waren und sich diese in eine völlig andere Richtung entwickelt hatte. Dazu kommt, dass die Person, die diese Bände übersetzt hat – ihr Name wird im Impressum nicht genannt – offenbar nicht sehr gut mit den bisherigen deutschen Büchern vertraut war, denn viele Namen sind anders übersetzt als bisher, einige Namen sogar den falschen Personen zugeordnet. Ab diesem Band fehlt im Vorwort der Satz mit den „unveröffentlichten Manuskripten“, dafür steht der Name der Verfasserin im Impressum.
Fortsetzung von Pamela Cox | Deutsche Übersetzung (ohne Übersetzerangabe) |
The Third Form at St. Clare’s (2000) | Bd. 20: Gute Zeiten mit Hanni und Nanni (2000) |
The Sixth Form at St. Clare’s (2000) | Bd. 21: Hanni und Nanni kommen groß raus (2000) |
Offenbar wurde Hanni und Nanni durch diese Bände wieder aktuell, denn noch im selben Jahr erschien ein weiterer deutscher Fortsetzungsband von der Jugendbuchautorin Sarah Bosse, die auch die Fünf Freunde-Serie fortgesetzt hat. Ihre Geschichte ignoriert die vorigen beiden Bände und schließt wieder an Band 19 an. Bemerkenswert daran ist, dass er sich insofern gänzlich vom britischen Ursprung verabschiedet, als er in einem sehr deutschen Umfeld spielt und die Mädchen britische Kultur als fremd wahrnehmen: Für einen Tanz wollen sie „britisch“ aussehen und organisieren ein Büffet mit britischem Essen.
Nach Band 22 folgte eine siebenjährige Pause, dann ging es mit den Bänden 23 bis 27 aus der Feder der Jugendbuchautorin Brigitte Endres weiter. Parallel dazu erschienen acht Sonderbände von Pascale Kessler und Waltraud Moegle, die zu einer anderen Ära spielen. In der Neugestaltung zum 50-jährigen Hanni und Nanni-Jubiläum im Jahr 2015 wurden sie als Band 28 bis 35 in die Serie eingegliedert. Im selben Jahr ging es mit Band 36 weiter, Autor ist Mark Stichler. 2018 erschien mit Nr. 39 der bislang letzte Band der Serie. Hanni und Nanni sind also – zählt man nur die deutschen Bände – seit 55 Jahren in der Schule. An die 60 Klassenkameradinnen haben sie auf ihrem Weg begleitet. Sie haben alles erlebt, was man in einer Mädchenschule erleben kann, und das oft mehrmals.
Die Fortsetzungsbände haben das Problem, das alle Serien haben, die auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden: Wirkliche Entwicklung ist nicht möglich. So verkommen die Figuren zunehmend zu Stereotypen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Figuren auf Vorbildern aus den 1940er Jahren basieren, sodass vieles 80 Jahre später fragwürdig erscheint. Enid Blytons Geschichten sind Produkte ihrer Zeit, und wenn es für ein Mädchen in den 1940er Jahren als moralisch verwerflich dargestellt wird, dass es sich für Mode und Schminke interessiert, ist das eine Sache; wenn aber ein Mädchen in einem Buch aus den 2010er Jahren von seinen Mitschülerinnen gemobbt wird, weil es sich mehr für Mode als für Sport interessiert, drängt sich schon die Frage auf, ob die Serie wirklich unbedingt weitergeführt werden muss.
„Generationen von Mädchen haben Hanni und Nanni heimlich unter der Bettdecke gelesen“, wirbt der Verlag auf der Buchrückseite unter der Überschrift „Der Klassiker“, und dem deutschen Verlag war es offensichtlich ein Anliegen, jeder Generation ihre eigene Hanni und Nanni-Serie zur Verfügung zu stellen.