Fins­ter­nis übersetzen

Die amerikanische Übersetzerin Lara Vergnaud schreibt über ihre Erfahrungen beim Übersetzen von Gewalt- und Missbrauchsszenen. Tobias Eberhard hat ihren Essay ins Deutsche gebracht.

Von

Stehende Frau. Foto: Christina Gottardi via Unsplash.
Über­set­zung: Tobi­as Eber­hard.
Der Text erschien in dem Maga­zin Words wit­hout Bor­ders.

Ich hät­te die­se Über­set­zung bei­na­he abge­lehnt. Das Buch war zu düs­ter, zu bru­tal, zu expli­zit. Und doch habe ich wei­ter­ge­le­sen. Die Geschich­te spielt im länd­li­chen Frank­reich, irgend­wann im 19. Jahr­hun­dert. Rose ist vier­zehn Jah­re alt, als ihr Vater sie an einen rei­chen Grund­be­sit­zer ver­kauft. Sie wird ver­ge­wal­tigt, mehr­fach, und wird schwan­ger. Das Kind wird ihr sie­ben Tage nach der Geburt weg­ge­nom­men. Dar­auf folgt mehr Gewalt, wenn auch in ande­rer Form.

Ich las die ers­te Hälf­te des Buches und ent­schied: Nein, das ist zu viel. Nach drei Vier­teln dach­te ich: viel­leicht. Zum Ende hin war ich dann bei einem Ja. Ein Ja, denn das Buch ist wun­der­schön geschrie­ben, das dar­in beschrie­be­ne Grau­en immer wie­der unter­bro­chen von aus­schwei­fen­den, faul­k­ne­res­ken Sät­zen, in denen man durch­at­men kann. Eines spä­ten Abends las ich, nach­dem ich mein trot­zi­ges Klein­kind zurück ins Bett gebracht hat­te, einen Abschnitt, der mich inne­hal­ten ließ. Es ging dar­um, dass Män­ner die ein­zig wah­ren Erd­be­woh­ner sei­en und Frau­en und Kin­der eher den Vögeln gli­chen. Da wur­de mir klar: Ich muss die Per­son sein, die das über­setzt. Natür­lich bedeu­te­te das, dass ich auch den Rest wür­de über­set­zen müssen.

Als ich dar­über nach­dach­te, ob ich den Roman Born of No Woman des fran­zö­si­schen Autors Franck Bouys­se über­set­zen soll, bestand mei­ne Sor­ge dar­in, die­ses Erzähl­mus­ter auf­recht­zu­er­hal­ten, mit dem Gewalt an Frau­en zu einer Form der Unter­hal­tung gemacht wird. Ganz kon­kret mach­te ich mir Sor­gen dar­über, wie sich das mona­te­lan­ge Über­set­zen einer so düs­te­ren Erzäh­lung auf mei­ne emo­tio­na­le Gesund­heit aus­wir­ken wür­de. Doch dem gegen­über stand für mich der lite­ra­ri­sche Wert des Buches. Die dem Roman zugrun­de lie­gen­de Gewalt ist Teil eines umfas­sen­de­ren und tief­ge­hen­den Blicks dar­auf, wie Men­schen auf trau­ma­ti­sche Erleb­nis­se reagie­ren und die­se bewäl­ti­gen. Und obwohl der Roman vor fast zwei­hun­dert Jah­ren spielt, ist die Bei­läu­fig­keit, mit der die männ­li­chen Figu­ren Frau­en miss­brau­chen, auch heu­te noch auf ärger­li­che Wei­se rele­vant. Eben­so ver­hält es sich mit der Mit­tä­ter­schaft durch das Nicht-Han­deln; in Bouys­ses Roman gibt es immer eine Per­son, die zuschaut, jedoch nichts unternimmt.

Dazu kommt: Born of No Woman liest sich nicht wie ein Roman, der von einem Mann geschrie­ben wur­de. Damit mei­ne ich, es liest sich nicht wie ein Roman, der dar­über geschrie­ben wur­de, wie eine Frau mut­maß­lich fühlt, oder wie es von ihr erwar­tet wird zu füh­len. Bouys­ses Beschrei­bun­gen kör­per­li­cher und sexua­li­sier­ter Gewalt sind grob und ver­stö­rend, aber nie­mals will­kür­lich oder redu­zie­rend. Beson­ders die Sze­ne, in der Rose zum ers­ten Mal ver­ge­wal­tigt wird, spie­gelt sich in einer eben­so bild­haf­ten Geburts­sze­ne wider, die sprach­lich so über­zeu­gend wie­der­ge­ge­ben wird, dass ich mich als Mut­ter frag­te: Woher weiß er das?

Mit einem Text und der Per­son, die ihn ver­fasst hat, beschäf­tigt man sich wahr­schein­lich nie­mals ein­ge­hen­der, kommt ihnen nie­mals näher als beim Akt des lite­ra­ri­schen Über­set­zens. Damit man als Übersetzer*in die Pro­sa von einer Spra­che in eine ande­re über­tra­gen kann, darf nichts unein­deu­tig blei­ben. Jedes seman­ti­sche und ortho­gra­phi­sche Ele­ment muss abge­wo­gen wer­den; selbst der Inter­punk­ti­on kommt eine absurd gro­ße Bedeu­tung zu. Man kann nicht in den Kopf der Autor*innen hin­ein­bli­cken, aber fast. Und um die bes­te Über­set­zung zu erhal­ten, bei der es nicht dar­um geht, die akku­ra­tes­ten Wor­te mit der genau­es­ten Bedeu­tungs­ent­spre­chung zu fin­den, son­dern den emo­tio­na­len Klang eines Tex­tes zu bewah­ren, muss man ihn füh­len. Und manch­mal möch­te man das ein­fach nicht.

Wenn ich an die ver­stö­rends­ten Roman­über­set­zun­gen zurück­den­ke, die ich gele­sen habe, kom­men mir als ers­tes Chris­ti­ne Angots Incest und Jona­than Lit­tells The Kind­ly Ones (auf Deutsch Inzest, über­setzt von Chris­ti­an Ruzics­ka und Colet­te Demon­cey, bzw. Die Wohl­ge­sinn­ten, über­setzt von Hai­ner Kober) in den Sinn. Bei bei­den han­delt es sich um fran­zö­si­sche Roma­ne, die von Frau­en über­setzt wur­den, näm­lich von Tess Lewis bezie­hungs­wei­se Char­lot­te Man­dell. Ers­te­rer behan­delt sexu­el­le Trau­ma­ta, letz­te­rer qua­si jedes Trau­ma, das man sich vor­stel­len kann. (Das fast 1000 Sei­ten star­ke Opus sind die fik­tio­na­li­sier­ten Memoi­ren eines ehe­ma­li­gen SS-Offi­ziers.) Wenn ich jetzt wie­der in die­sen Büchern blät­te­re, fra­ge ich mich, wie die Übersetzer*innen wohl damit klar­ge­kom­men sind. Daher habe ich ein­fach nach­ge­fragt. Man­dell hat mir per E‑Mail erzählt, dass sie von inten­si­ven, plas­ti­schen Träu­men heim­ge­sucht wur­de. Sie fand sich „im Innern“ von Max Aue, dem erbar­mungs­lo­sen und sadis­ti­schen Prot­ago­nis­ten von The Kind­ly Ones, wie­der. Die­se Meta­mor­pho­se war so stark, dass Man­dell nach der Über­set­zung eine men­ta­le Kehrt­wen­de machen muss­te – ein „Ent-Kind­ly-Ones-sie­rungs-Pro­zess“, wie sie es aus­drück­te. Sie berich­te­te mir noch davon, dass eine befreun­de­te Per­son, die das glei­che Buch in eine ande­re Spra­che über­setz­te, damit auf­hö­ren muss­te; die men­ta­le Belas­tung war zu groß.

Tess Lewis hat­te bei ihrer Über­set­zung mit einem ande­ren Mons­ter zu kämp­fen. Incest fällt in die­ses amor­phe, ach-so-fran­zö­si­sche Gen­re der Auto­fik­ti­on, bei dem die Gren­zen zwi­schen Fik­ti­on und Auto­bio­gra­phie ver­schwim­men. Dar­aus ergibt sich eine pro­ble­ma­ti­sche Nähe zum wah­ren Leben. Tess erklär­te mir, dass die Pro­ble­ma­tik für sie weni­ger dar­in lag, „dass das Mate­ri­al expli­zit oder beson­ders anschau­lich war. Das Pro­blem war eher, dass es Angot gelingt, für die Leser*innen die klaus­tro­pho­bi­sche psy­cho­lo­gi­sche Erfah­rung einer Per­son, die sexua­li­sier­te Gewalt bzw. Inzest erfah­ren hat, her­auf­zu­be­schwö­ren. […] Es gibt kei­nen Ausweg.“

Die Ant­wor­ten mei­ner Kol­le­gin­nen schät­ze ich beson­ders, da ich sonst nur weni­ge per­sön­li­che Erfah­rungs­be­rich­te (auf Eng­lisch) zur Über­set­zung von trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen in der Lite­ra­tur gefun­den habe. Häu­fi­ger fin­det man Arti­kel und Stu­di­en über das Über­set­zen oder Dol­met­schen von his­to­ri­schen oder kol­lek­ti­ven Trau­ma­ta, so etwa Erfah­rungs­be­rich­te von Holo­caust-Über­le­ben­den und ande­re Berich­te von Geno­zid-Opfern. Ich bin auf eine wis­sen­schaft­li­che Arbeit zum Über­set­zen gesto­ßen, die, wenn auch nicht in Bezug auf Trau­ma­ta, den Balan­ce­akt zwi­schen Emo­tio­na­lem und Hand­werk­li­chem, den ich aus­zu­drü­cken ver­su­che, einfängt:

… die erfolg­rei­che Anfer­ti­gung einer Über­set­zung ent­stammt nicht dem Fin­den von Ent­spre­chun­gen ein­zel­ner Wör­ter oder Sät­ze, son­dern wird anhand eines men­tal aus­ge­ar­bei­te­ten Gesamt­bil­des, einer umfas­sen­den Ein­heit aus lin­gu­is­ti­scher Aus­ge­stal­tung und visua­li­sier­ter Sze­ne, erreicht.

Mit ande­ren Wor­ten, lexi­ka­li­sche Äqui­va­lenz zwi­schen zwei Spra­chen reicht nicht aus. Das Gele­se­ne muss visua­li­siert und beim Über­set­zen nach­ge­bil­det werden.

In der Regel über­set­ze ich anhand einer PDF-Datei, die Augen stets auf den Bild­schirm gehef­tet. Im Fall von Born of No Woman griff ich auf die Papier­ver­si­on zurück, unter­strich Pas­sa­gen und umkrin­gel­te Wör­ter mit mei­nem Blei­stift, knick­te Sei­ten – ver­schie­de­ne Kni­cke mit eige­nen Bedeu­tun­gen – fuhr mit mei­nem Fin­ger über den schwar­zen Text, wie­der und wie­der, ganz so, als ob ich die Wor­te bes­ser über­set­zen könn­te, wenn ich sie berühr­te. Das Buch immer in Reich­wei­te zu haben, bedeu­te­te auch, stän­dig das Cover aus dem Augen­win­kel zu sehen: die Sepia-Foto­gra­fie einer Mut­ter, die ihr Kind stillt, die Brust ent­blößt, mus­ku­lö­se Arme, uner­schüt­ter­lich. Auch das löst etwas in mir aus.

Im Janu­ar fing ich an zu über­set­zen. Ein Groß­teil von Bouys­ses Roman ist aus der Sicht von Rose geschrie­ben, ihre Pei­ni­gung in Tage­buch­ein­trä­gen fest­ge­hal­ten. Die­se Kapi­tel waren beson­ders schwie­rig. Ich hat­te einen ein­fa­chen und wohl auch nai­ven Plan gefasst: die trau­ma­tischs­ten Sze­nen – Ver­ge­wal­ti­gung, Mord, Fol­ter – mit Kar­tei­kar­ten abzu­de­cken und dann um die ver­deck­ten Sei­ten her­um zu über­set­zen. Pro­kras­ti­na­ti­on als Schutzmechanismus.

Aber im Febru­ar, als mir das nicht-chro­no­lo­gi­sche Über­set­zen, das stän­di­ge Über­sprin­gen von zen­tra­len Sze­nen auf die Ner­ven ging, acker­te ich die mar­kier­ten Kapi­tel durch. An einem ver­reg­ne­ten Nach­mit­tag, am Tag vor Valen­tins­tag, rief mein Mann mich von der Arbeit aus an, um Plä­ne zu machen. Ich sag­te ihm, dass ich mit Über­set­zen beschäf­tigt sei, und brach in Trä­nen aus. Ich leg­te auf, war irra­tio­nal­er­wei­se wütend auf ihn, auf Har­vey Wein­stein, über­haupt auf alle Män­ner die­ser Welt.

Fast den gesam­ten Monat hin­durch wur­de ich von tage­lan­gen Migrä­ne­an­fäl­len geplagt, ich konn­te nur noch ver­schwom­men sehen, mich nicht mehr kon­zen­trie­ren. Alles viel­leicht nur Zufall? Mir kam es so vor, als sei die Migrä­ne eine Mani­fes­ta­ti­on mei­nes emo­tio­na­len Zustands.

An ande­rer Stel­le habe ich schon über die Kör­per­lich­keit des lite­ra­ri­schen Über­set­zens geschrie­ben, etwas, was ich als immersi­ves Über­set­zen bezeich­ne – das Auf­bau­en einer Ver­bin­dung zum Text auf Sin­nes­ebe­ne. Oft­mals bemer­ke ich, und das geht ande­ren Übersetzer*innen mit Sicher­heit auch so, dass ich beim Über­set­zen Hän­de, Arme, Bei­ne und Kopf ganz unbe­wusst bewe­ge. Bei die­ser Über­set­zung zog ich die Schul­tern hoch, ahm­te eine Mut­ter nach, die den Arm durch die Hals­öff­nung ihres Nacht­hemds schiebt, um ihr Kind zu stil­len. Ich schnipp­te mit dem Fin­ger in der Luft, stell­te mir mich selbst als Rau­cher vor, der einen Schau­er von Ziga­ret­ten­asche in sei­ne Hand nie­der­reg­nen lässt. Bewe­gung als Mit­tel zur Sprachfindung.

Die ers­te Ver­ge­wal­ti­gungs­sze­ne war die schwie­rigs­te. Rose weiß nicht, was auf sie zukommt, sie begreift erst, als es schon zu spät ist. Ich ver­dreh­te mei­nen Kör­per so, wie sie es tat, erst beim Lesen, dann wie­der beim Über­set­zen. Zusam­men­zucken, ducken, anspan­nen, kau­ern. Um die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den, muss man sie sehen. Wie war das noch in die­ser wis­sen­schaft­li­chen Arbeit? „Eine umfas­sen­de Ein­heit aus lin­gu­is­ti­scher Aus­ge­stal­tung und visua­li­sier­ter Szene.“

Ich bezweif­le, dass Leser*innen sich dar­über bewusst sind, wie oft ein ein­zi­ger Satz über­setzt, genau­er gesagt, umge­schrie­ben wird. Ein Dut­zend Mal? Min­des­tens. Wenn es sich um einen düs­te­ren Satz han­delt und eine län­ge­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der Über­set­zung eines Wor­tes, etwa „ein­drin­gen“ (engl. “pene­tra­te”), erfor­der­lich ist, kann sich die Lau­ne der über­set­zen­den Per­son nur auch verdüstern.

Etwas zu beschrei­ben oder zu über­set­zen, ist natür­lich nicht gleich­be­deu­tend damit, dies auch zu durch­le­ben. Empa­thie ja, Äqui­va­lenz nein. Ich war noch nie Opfer eines Über­griffs. Bezie­hungs­wei­se, ich war noch nie Opfer eines Über­griffs, weil zwei jun­ge Män­ner einen ande­ren jun­gen Mann in einer gewis­sen „Situa­ti­on“ auf­ge­hal­ten haben. Ich schrei­be das nicht ger­ne, aber ich tue es, weil ich mich fra­ge, ob es Aus­wir­kun­gen auf mein Über­set­zen hat. Die­se Über­le­gung führt mich zu einer wei­te­ren Zwick­müh­le: Wie bleibt man unsicht­bar? Ein*e Übersetzer*in hat grund­sätz­lich zwei Auf­ga­ben – die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den und selbst unbe­merkt zu blei­ben. Aber es ist nicht so ein­fach, Abstand zu den eige­nen Erfah­run­gen auf­zu­bau­en. Kann ich, als Frau und Mut­ter, nichts von mir selbst in der eng­li­schen Ver­si­on eines Romans hin­ter­las­sen, der sich so sehr mit der Fra­ge beschäf­tigt, was es bedeu­tet, Frau und Mut­ter zu sein? Natür­lich nicht.

Gera­de in Anbe­tracht der aktu­el­len Lage ist viel­leicht das Wich­tigs­te, das man im Hin­ter­kopf behält, dass das Mensch­sein, trotz aller Weit­läu­fig­keit, eine gemein­schaft­li­che Erfah­rung dar­stellt. Es ist nicht schwer, sich einen Kör­per vor­zu­stel­len, der den eige­nen nie­der­drückt, eine Kraft, die die eige­ne über­steigt, einen unbe­kann­ten, unlieb­sa­men Geruch. Wir alle kön­nen uns das vor­stel­len, auch wenn wir das lie­ber nicht tun wollen.

Den ers­ten Ent­wurf von Born of No Woman voll­ende­te ich Ende März 2020, ein paar Wochen, nach­dem die Social-Distancing-Maß­nah­men ein­ge­führt wur­den. Das Buch wird im Herbst bei Other Press erschei­nen. Ange­sichts all der vor mir lie­gen­den Mona­te, die ich mit der Über­ar­bei­tung ver­brin­gen wer­de, begeg­ne ich die­ser emo­tio­na­len Hür­de wie­der ein­mal mit Ratio­na­li­tät – ich mar­kie­re die ver­stö­ren­den Abschnit­te mit über­gro­ßen Büro­klam­mern und las­se sie bei der Über­ar­bei­tung vor­erst aus, klei­ne Befes­ti­gungs­an­la­gen, die so lan­ge bestehen blei­ben wer­den, bis ich mich men­tal dafür gewapp­net füh­le, sie in Angriff zu neh­men. Nie­mals zuvor erschien mir das geschwun­ge­ne Metall so unheildrohend.

Eigent­lich woll­te ich einen Text über Selbst­schutz­me­cha­nis­men für Übersetzer*innen schrei­ben, über prak­ti­sche Tipps, wie man Leben und Arbeit von­ein­an­der tren­nen kann, dar­über, wie wich­tig es ist, zwi­schen Tex­ten unter­schied­li­cher Inten­si­tät hin und her zu wech­seln, Pau­sen zu machen usw. Doch dann zog sich die Welt zurück wie eine Schild­krö­te in ihren Pan­zer. Jetzt arbei­te ich, wie jeder ande­re Mensch auch, umzin­gelt von Ängs­ten, Furcht und ste­tig wach­sen­der Iso­la­ti­on. In den ers­ten Tagen des Coro­na­vi­rus-Aus­bruchs in den USA, bevor die Bedro­hung deut­lich wur­de, mach­te auf Twit­ter der Witz die Run­de, dass Übersetzer*innen von Natur aus wie für Social Distancing gemacht sei­en. Da ist mit Sicher­heit etwas dran. Man wird sich wohl kaum ent­schei­den, Übersetzer*in zu wer­den, wenn man nicht gut damit zurecht­kommt, über einen län­ge­ren Zeit­raum hin­weg allei­ne zu sein, in voll­kom­me­ner Stil­le oder nur vom Klang der eige­nen, lei­se vor­le­sen­den Stim­me beglei­tet. Aber wie gestal­tet sich das Über­set­zen von düs­te­rer Lite­ra­tur in die­ser neu­en, dich­te­ren Stille?

Die bit­te­re Wahr­heit lau­tet, dass das Über­set­zen des Schmer­zes und der Schre­cken eines Tex­tes dem, was in der Welt vor sich geht, viel­leicht vor­zu­zie­hen ist. Zumin­dest gibt der Text uns genü­gend Raum, um uns vor­zu­be­rei­ten, uns so lan­ge wie nötig Zeit zu neh­men. Ich wür­de daher fol­gen­den Selbst­schutz­me­cha­nis­mus vor­schla­gen: Wenn es inmit­ten der Fins­ter­nis schon nicht mög­lich ist, im Licht zu ver­wei­len, soll­te man zumin­dest den Ver­such unter­neh­men, im Schat­ten zu bleiben.

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