„Ein­fach mal rum­spin­nen und mit Wor­ten rumspielen“

Drei erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchübersetzerinnen sind dieses Jahr für den Preis "Neue Talente" nominiert. Wir haben mit der Tschechischübersetzerin Lena Dorn gesprochen.

Interview: und

"Lena Dorns Kunst fängt dort an, wo das Wörterbuch endet", heißt es in der Jurybegründung zum Sonderpreis "Neue Talente". Bild von Lena Dorn: Beatrice Barth.

Am 22. Okto­ber 2021 wird der Deut­sche Jugend­li­te­ra­tur­preis ver­ge­ben. Der mit 10.000 Euro dotier­te Son­der­preis „Neue Talen­te“ geht in die­sem Jahr an eine her­aus­ra­gen­de Nach­wuchs­über­set­ze­rin. Nomi­niert sind Mar­le­na Breu­er (Pol­nisch), Lena Dorn (Tsche­chisch) und Chris­tel Krö­ning (Eng­lisch).

Herz­li­chen Glück­wunsch zur Nomi­nie­rung als „Neu­es Talent“! Du hast für den Karl Rauch Ver­lag Tip­po und Fleck von Bar­bo­ra Klá­ro­vá und Tomáš Kon­čin­s­ký über­setzt. Wie bist du eigent­lich auf die Idee gekom­men, Tsche­chisch zu lernen?

Vie­len Dank! Das wird man bei so klei­nen Spra­chen ja oft gefragt … Es gibt kei­ne ganz ein­deu­ti­ge Ant­wort dar­auf. In der Schu­le hat­te ich Eng­lisch, Fran­zö­sisch, Latein und ein klei­nes biss­chen Spa­nisch, und ich woll­te immer ger­ne noch mehr Spra­chen ler­nen. Nach der Schu­le war ich über einen Frei­wil­li­gen­dienst ein Jahr in Tsche­chi­en. Ich hab mir das natür­lich selbst aus­ge­sucht, aber es hät­te auch ein ande­res Land wer­den kön­nen, ein biss­chen Zufall war in dem Moment also schon dabei, aber ich hat­te ein­fach Lust, die Spra­che zu ler­nen. Danach habe ich ange­fan­gen, Sla­wis­tik zu stu­die­ren, mit Tsche­chisch und Rus­sisch, Slo­wa­kisch hab ich selbst­stän­dig dazu gelernt.

Über­setzt du auch aus den ande­ren bei­den Sprachen?

Ich über­set­ze vor allem aus dem Tsche­chi­schen. Aus dem Slo­wa­ki­schen hab ich auch schon über­setzt, aus dem Rus­si­schen noch nicht, jeden­falls nicht für die Öffent­lich­keit. Ich habe auch nicht Über­set­zen stu­diert, son­dern Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, und bin dann wäh­rend des Stu­di­ums zum Über­set­zen gekommen. 

Was war das ers­te Buch, das du über­setzt hast?

Das ers­te, das ver­öf­fent­licht wur­de, waren Kurz­ge­schich­ten. Der Auf­trag hat sich gegen Ende mei­nes Stu­di­ums eher zufäl­lig erge­ben, Bekann­te von Bekann­ten haben jeman­den zum Über­set­zen gesucht, und ich konn­te eben die Spra­che gut. Es gibt natür­lich auch nicht so vie­le Leu­te, die Tsche­chisch ler­nen, des­we­gen sind da die Wege manch­mal ein biss­chen kür­zer. Und als ich mich zum ers­ten Mal da rein­ge­fuchst hab, hat es mich so rich­tig gepackt, da hab ich erst gemerkt, wie span­nend das Lite­ra­tur­über­set­zen ist, wie ver­rückt und rät­sel­haft und abge­fah­ren, und was da eigent­lich alles drinsteckt.

Und wie bist du zum Über­set­zen von Kin­der­li­te­ra­tur gekommen? 

Ich hat­te schon vor­her Kon­tak­te in der tsche­chi­schen Kin­der­buch­sze­ne, aber mein ers­tes Kin­der­buch – Wie kommt die Kunst ins Muse­um? – war ein Auf­trag vom Ver­lag. Der hat­te sich das Buch sel­ber aus­ge­sucht und auch schon den Kon­takt zum Künst­ler auf­ge­baut, und ich war dann die letz­te, die noch mit auf den Zug auf­ge­sprun­gen ist. Und dann hab ich natür­lich damit wei­ter­ge­macht, weil ich es toll fand.

Der Erfolg bestä­tigt dei­ne Ent­schei­dung, du hast ja 2020 auch schon den Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­preis für dei­ne Über­set­zung von A wie Ant­ark­tis (David Böhm) gewon­nen. Ist der Beruf denn so, wie du ihn dir vor­ge­stellt hast, oder bist du damit ins kal­te Was­ser gesprungen?

Ich hat­te nicht so rich­tig fes­te Vor­stel­lun­gen davon. Als ich mit dem Lite­ra­tur­über­set­zen ange­fan­gen habe, habe ich mit ein paar Tsche­chisch­über­set­ze­rin­nen gespro­chen, die ich toll fin­de, und die haben mir recht schnell zu ver­ste­hen gege­ben, dass man vom Tsche­chisch­über­set­zen nicht unbe­dingt leben kann. Ich brau­che eigent­lich immer min­des­tens zwei Stand­bei­ne – so stellt man sich einen Beruf natür­lich erst­mal nicht vor. Aber ich fin­de es trotz­dem schön, Über­set­ze­rin zu sein, und begrei­fe mich auch so. Und dann kom­men halt noch ver­wand­te Auf­ga­ben hin­zu, wie Lek­to­rat, Kura­tie­ren oder Mode­ra­ti­on von Lite­ra­tur­ver­an­stal­tun­gen. Zwei Jah­re lang hab ich auch an einem For­schungs­pro­jekt am Regens­bur­ger Bohe­mi­cum mit­ge­ar­bei­tet, denn von der Aus­bil­dung her bin ich ja Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin. Jetzt muss ich mir bald wie­der was Neu­es ausdenken.

Du schreibst auch selbst, z. B. Gedich­te. Emp­fin­dest du die­se bei­den Tätig­kei­ten als ähn­lich oder völ­lig unter­schied­lich? Und hilft dir das eige­ne Schrei­ben beim Über­set­zen oder umgekehrt?

Kei­ne ein­fa­che Fra­ge … ich glaub schon, dass es mich beein­flusst und mir auch hilft. Es gibt natür­lich ein paar Unter­schie­de: Wenn man Tex­te von jemand ande­rem über­setzt, ist die Gefahr manch­mal, dass man zu sehr über­legt „Wie wür­de ich das jetzt machen?“ Da kann man dann nicht so ein­grei­fen. Aber viel­leicht hilft’s auch gera­de des­halb, sich dann mal so rich­tig aus­zu­to­ben. Gera­de bei den Kin­der­bü­chern hab ich oft sehr spie­le­ri­sche Pha­sen, wo ich ver­su­che rum­zu­spin­nen – dann kann man ja immer noch gucken, was man davon wirk­lich gebrau­chen kann. Inso­fern gibt’s auf jeden Fall auch Ähn­lich­kei­ten. Das letz­te Buch, das ich über­setzt hab, ist ein Kin­der­buch über die Angst (Wer hat Angst vor der Angst?), und die Angst schreibt Gedich­te. Ich habe schnell ent­schie­den, dass ich die 10–11 Gedich­te im Buch auch in der Über­set­zung rei­men will. Gera­de bei Kin­der­bü­chern geht es viel um Klang, die liest man ja auch oft vor.

Bei Tip­po und Fleck konn­test du eben­falls krea­tiv wer­den. Einen gro­ßen Teil sei­nes Humors bezieht das Buch aus den spre­chen­den Namen: Pro­fes­sor Block­druck, der Insekt­zoo­lo­ge Lau­sen, Onkel Har­zer, die Klas­sen­clowns Popel und Fur­zek, Haus­meis­ter Kehr­wisch und Dipl.-Ingenieurin Farb­i­ne, die Erfin­de­rin der Kleck­se … Wie gehst du an die Über­tra­gung sol­cher Namen heran?

Illus­tra­ti­on von Dani­el Špaček,
© Karl Rauch Verlag

Es gibt min­des­tens drei Wege: Der nahe­lie­gends­te und viel­leicht auch häu­figs­te Weg ist, seman­tisch nah dran zu blei­ben. Der Har­zer (Roma­důr) ist eben ein stin­ken­der Käse, und Luft­lan­der Leck sorgt dafür, dass Brun­nen aus­lau­fen. Sein tsche­chi­scher Name (Prosá­klo) lei­tet sich davon ab, dass alles durch­nässt und durch­tränkt ist. In sol­chen Fäl­len ver­su­che ich, dem seman­ti­schen Pfad zu fol­gen, den das Autoren­duo vor­gibt. Aber dabei muss es auch gut klin­gen – das steht über allem.

Illus­tra­ti­on von Dani­el Špaček, © Karl Rauch Verlag

An ande­ren Stel­len hab ich viel mehr auf den Klang als auf die Bedeu­tung geach­tet. Das gilt zum Bei­spiel für die Titel­fi­gu­ren Tip­po und Fleck, die müs­sen zusam­men gut klin­gen, und eben­so für Popel und Fur­zek, die sind halt ein Team. Im Ori­gi­nal hei­ßen sie Žoužel und Puka­vec, wobei man Žoužel eher mit Unge­zie­fer asso­zi­iert, und Puka­vec kommt von „pukat“, das heißt „zer­bers­ten“, also eher sowas wie kaputt­ge­hen. Da bin ich also rela­tiv weit weg­ge­gan­gen von der Wort­be­deu­tung, weil ich etwas fin­den woll­te, was gut klingt, aber auch ein biss­chen eklig ist. Nicht so, dass man gleich kot­zen muss, aber doch zumin­dest ein biss­chen abge­sto­ßen ist.

Illus­tra­ti­on von Dani­el Špaček, © Karl Rauch Verlag

Und dann fal­len mir sel­ber manch­mal noch Begrif­fe oder Wort­spie­le ein, die ich ver­su­che unter­zu­brin­gen. Wenn ich ein Buch lese, wo es um’s Kaputt­ge­hen und Altern und Stin­ken und Ver­we­sen geht, den­ke ich natür­lich auch im All­tag dar­an. Außer­dem hat man von Anfang an unter­schied­li­ches Sprach­ma­te­ri­al zur Ver­fü­gung. Zwi­schen­durch kam es mir echt so vor, als hät­te das Tsche­chi­sche viel mehr Wör­ter für Dreck- und Schmutz­vor­gän­ge als das Deut­sche. Kei­ne Ahnung, ob das stimmt, aber man merkt eben, dass das Mate­ri­al sehr unter­schied­lich ist. Beim „Misti­fi­ka­tor“ zum Bei­spiel war zuerst das Wort da, und ich dach­te mir, das passt zum Humor des Buchs, das hät­ten sich die AutorIn­nen viel­leicht aus­ge­dacht, wenn sie das Buch auf Deutsch geschrie­ben hät­ten. Das kommt natür­lich nicht oft vor, aber wenn es so spie­le­ri­sche Mög­lich­kei­ten gibt und ich es mit gutem Grund ver­tre­ten kann, geht das auch mal. So ein Buch ist ja ein Gesamt­kunst­werk, und wenn man an einer Stel­le ein Wort­kunst­stück kom­plett ver­liert, weil es sich par­tout nicht über­set­zen lässt, dann kann das ein Argu­ment sein, so ein ähn­li­ches woan­ders unterzubringen.

Der Misti­fi­ka­tor ist nur eine der spe­zi­el­len Alte­rungs­tech­no­lo­gien, mit denen die Entro­pie­wich­te ihr Unwe­sen trei­ben. Mit­hil­fe von Scho­ko­fle­cka­tor, Esels­oh­rer und Staub­bü­schel­ka­no­ne sor­gen sie dafür, dass unse­re Welt tag­täg­lich ein Stück schmut­zi­ger, unor­dent­li­cher und abge­nutz­ter aus­sieht. Was ist dein Lieblingsgerät?

Der Kabel­salato­mat. Ich mag das Wort, und es ist für mich eine sehr anknüpf­ba­re All­tags­er­fah­rung: Egal, wie ordent­lich man die Kabel auf­rollt, sie gehen doch immer in Rich­tung Entro­pie und Cha­os, ganz von allein, wenn man sie lässt.

Woher beziehst du dei­ne Inspiration?

Zwei wich­ti­ge Metho­den sind Spa­zie­ren­ge­hen und Drü­ber­schla­fen. Und natür­lich auch ein­fach mal rum­spin­nen und mit Wor­ten rum­spie­len. Auf lan­gen Zug­fahr­ten, als mir irgend­wann mal stink­lang­wei­lig war, hab ich zum Bei­spiel ange­fan­gen, mir Schüt­tel­rei­me zu über­le­gen. Es gibt immer wie­der Pha­sen in mei­nem All­tag, wo ich ein­fach nur über Wör­ter nach­den­ke. Und natür­lich lese ich beim Über­set­zen auch Bücher, die sprach­lich oder the­ma­tisch nah dran sind, um die Maschi­ne ein biss­chen anzuregen.

Tip­pos Spe­zia­li­tät sind, wie der Name schon sagt, Tipp­feh­ler. Beson­ders ger­ne tobt er sich in Band­wurm­wör­tern wie Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft aus. Was steht da im Original?

© Karl Rauch Verlag

Im Tsche­chi­schen steht an der Stel­le „Nelaho­ze­ves“. Das ist der Geburts­ort von Antonín Dvořák, des­halb ken­nen die Kin­der das Wort aus der Schu­le. Aus der Per­spek­ti­ve des Tsche­chi­schen ist es außer­dem schon ein rela­tiv lan­ges Wort. Aber im Deut­schen sind super­lan­ge Wör­ter ja völ­lig nor­mal und gar nichts Erstaun­li­ches. Des­we­gen habe ich mich hier für die Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft ent­schie­den, weil es das para­dig­ma­ti­sche lan­ge, zusam­men­ge­setz­te Wort im Deut­schen ist. Ich dach­te, das ist die soli­des­te Lösung, weil das tsche­chi­sche Wort auch ein Bei­spiel für einen unge­wöhn­lich lan­gen Namen ist.

In den letz­ten Jah­ren kommt viel span­nen­de und fri­sche Kin­der­li­te­ra­tur aus Tsche­chi­en und ande­ren mit­tel­ost­eu­ro­päi­schen Län­dern. Was könn­te der Grund dafür sein? Trau­en sich die Ver­la­ge dort mehr?

Auf Lite­ra­tur­fes­ti­vals hat­te ich immer den Ein­druck, dass die Kin­der­buch­au­torin­nen und ‑autoren, die Künst­le­rin­nen und Künst­ler und die Ver­la­ge dort rela­tiv eng ver­netzt sind. Natür­lich ist Tsche­chi­en ein klei­nes Land, und man läuft sich schnel­ler über den Weg, wenn man Bücher macht. Aber ich habe auch den Ein­druck, dass dort alles nicht so stark getrennt abläuft. Es gibt ganz sicher auch in Deutsch­land sehr gute Kin­der­bü­cher, aber ich habe erst in der Beschäf­ti­gung mit den tsche­chi­schen Kin­der­bü­chern gemerkt, was das für ein tol­les Gen­re ist, wie man da die ver­schie­de­nen Ebe­nen von Sprach­kunst und Bild­kunst ver­bin­den kann und wie offen das letzt­end­lich auch ist. Bei Erwach­se­nen­bü­chern ist es ja sehr viel schwie­ri­ger, in Gen­res zu schrei­ben, die nicht ganz ein­deu­tig sind, die ein biss­chen Sach­buch, ein biss­chen Lyrik, ein biss­chen dies, ein biss­chen das sind. Je län­ger ich mich mit Kin­der­bü­chern beschäf­ti­ge, des­to tol­ler fin­de ich es, dass die­se Gen­re­fra­ge so spie­le­risch funk­tio­niert und dadurch zum Teil mehr mög­lich ist als auf dem Erwachsenenbuchmarkt.

Wie wür­dest du einem Kind erklä­ren, wor­auf es bei dei­nem Beruf ankommt?

Beim Lite­ra­tur­über­set­zen soll­te man auf jeden Fall Spaß dar­an haben, Tex­te zu lesen und sehr genau zu beob­ach­ten und Sachen ver­ste­hen zu wol­len, die man nicht gleich ver­steht. Und es ist auch wich­tig, dass man Lust dar­auf hat, sich mit dem Klang von Wör­tern zu beschäf­ti­gen und zuzu­hö­ren, wie die Wör­ter klin­gen. Und am Ende muss man natür­lich noch einen zusam­men­hän­gen­den und ver­ständ­li­chen Text schreiben.

Lena Dorn ist in Ulm auf­ge­wach­sen und dann über Brno, Göt­tin­gen, Prag, Ost­ra­va, Regens­burg und (etwas län­ger) Leip­zig neu­er­dings nach Ber­lin gekom­men. Sie hat Sla­wis­tik und Geschich­te stu­diert und wäh­rend des Stu­di­ums aus Zufall und Neu­gier mit dem Über­set­zen aus dem Tsche­chi­schen begon­nen. Fort­an woll­te sie Über­set­ze­rin sein. Außer­dem forscht sie zur euro­päi­schen Kul­tur­ge­schich­te, schreibt Gedich­te und Essays und ist seit 2020 Jury-Mit­glied für den tsche­chisch-slo­wa­kisch-pol­nisch-deut­schen Václav-Burian-Preis. 


Bar­bo­ra Klá­ro­vá und Tomás Končinský/Daniel Špaček/Lena Dorn: Tip­po und Fleck (im tsche­chi­schen Ori­gi­nal: Pře­klep a Škraloup)

Karl Rauch Ver­lag 2018 ⋅ 128 Sei­ten ⋅ 18 Euro

karl-rauch-verlag.de/tippo-und-fleck/

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