Am 22. Oktober 2021 wird der Deutsche Jugendliteraturpreis vergeben. Der mit 10.000 Euro dotierte Sonderpreis „Neue Talente“ geht in diesem Jahr an eine herausragende Nachwuchsübersetzerin. Nominiert sind Marlena Breuer (Polnisch), Lena Dorn (Tschechisch) und Christel Kröning (Englisch).
Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung als „Neues Talent“! Bist du nach der Übersetzung von Piotr Karskis Meer! in deinem Freundeskreis jetzt die Expertin für die sieben Weltmeere?
Das bin ich sowieso. Nach dem Studium habe ich mit meinem Mann mehrere Jahre auf einem Segelschiff gelebt. Als die Anfrage vom Verlag kam, waren wir gerade in Montenegro und Tunesien unterwegs, und ich habe das Buch direkt auf dem Mittelmeer übersetzt. Mit dem Meer kenne ich mich also gut aus, aber vor allem mit praktischen Sachen – über die ganzen Details, die der Autor in seinem Buch behandelt, macht man sich natürlich nicht so viele Gedanken, wenn man auf dem Meer lebt. Also gab es für mich viel Bekanntes, aber auch immer wieder Neues zu entdecken.
Seemannsknoten, Windstärkeskalen, Segelschifftypen, Wolkenformationen … das „Wissens- und Mitmachbuch“ deckt ein beeindruckendes Spektrum ab. Wie hast du das alles recherchiert?
Zugang zu einer richtigen Bibliothek hatte ich auf dem Schiff natürlich nicht. Wir haben eine kleine Bibliothek an Bord, und ansonsten natürlich das Internet. Die Fakten hatte der Autor ja schon recherchiert, die musste ich also nicht mehr so ausführlich nachprüfen, aber es gibt zum Beispiel Begriffe oder Segelschifftypen, von denen ich auf Polnisch noch nie gehört habe und auch nicht wüsste, wie die auf Deutsch heißen. Da muss man sich manchmal einfach sehr viele Bilder im Internet oder in Büchern ansehen, bis man auf das richtige Segelschiff oder den richtigen Knotentyp stößt. Dafür braucht man viel Geduld, aber es macht auch Spaß! Oft konnte mir mein Mann mit seinem Segelwissen weiterhelfen, und außerdem habe ich auf unserer mehrjährigen Tour meinen Hochseesegelschein gemacht. Theorie und Praxis lernt man ja am besten, wenn man auf dem Boot lebt.
Stimmt, einen besseren Rahmen für die Übersetzung kann man sich kaum wünschen. Und wie vermittelt man die vielen Sachinformationen so anschaulich, dass das Buch für Kinder spannend zu lesen ist?
Ich hatte ja eine Vorlage, die funktioniert. In Polen ist das Buch ziemlich beliebt, das heißt, der Autor hat es schon geschafft, die Kinder zu begeistern. Meine Aufgabe war es dann, das Buch in altersgerechte Sprache umzuwandeln – und auch in deutsche Normen. Manche Sachen funktionieren zum Beispiel in Polen, kommen in Deutschland aber total kitschig oder schwülstig rüber.
Dieses Buch war nicht meine erste Übersetzung, aber mein erstes Kinderbuch. Vorher habe ich schon sehr schwierige Texte, auch Gedichte, aus dem Polnischen übersetzt, aber für Erwachsene zu übersetzen ist etwas völlig anderes, denen kann man irgendwie alles zumuten, da gibt eben der Autor den Stil vor, und ich mache nicht irgendwas Leichteres daraus. Wenn ich dagegen für 8- oder 10-Jährige übersetze, muss die Sprache verständlich sein. Damit hatte ich bisher noch nicht so viel Erfahrung. Ich lese zwar gerne Kinderbücher, aber das zum ersten Mal auch selber zu machen, war schon spannend. Und man arbeitet natürlich auch mit dem Lektorat zusammen, damit am Ende ein schönes Buch herauskommt.
Welche Seite war am kniffligsten zu übersetzen?
Auf einer sind 13 verschiedene Segelschifftypen zu sehen. Die kenne ich natürlich nicht auswendig, und es gibt auch keine Quelle, wo man exakt diese 13 Typen findet. Zum Glück kennt sich mein Mann mit solchen Sachen aus. Als erfahrener Segler hat er sich die Bilder angesehen und konnte mir viele Namen direkt sagen.
Hast du auch mal selbst die Fußbodenregatta aus Papier nachgefaltet oder das Flaschen-U-Boot nachgebaut, um zu sehen, ob das wirklich funktioniert?
Einiges habe ich selber ausprobiert. Die Fußbodenregatta nicht, dafür war auf dem Schiff nicht genug Platz, aber zum Beispiel das Luftkissenboot mit der CD, dem Luftballon und dem Verschluss einer Spülmittelflasche. Ich muss gestehen, das hat bei mir gar nicht funktioniert.
Das Ding ist nicht wie ein Luftkissenboot über den Tisch gefahren, sondern hat nur „prrrrr“ gemacht und ist vom Tisch geflogen. Ich hab versucht, die Konstruktion zu verbessern, indem ich eine Camembert-Schachtel druntergeklebt habe, damit die Luft mehr Volumen aufbauen kann, aber das hat noch schlechter funktioniert. Aber der Autor hat das ja auch ausprobiert, und der Verlag dann später auch nochmal mit meiner Übersetzung. Es kommt wohl darauf an, wie genau man bastelt.
Es gibt auch eine interessante Seite, welche Sachen schwimmen und welche nicht. Wenn das Objekt schwerer als Wasser ist, geht es unter. Ein Ei geht zum Beispiel in normalem Wasser unter, in Salzwasser schwimmt es. Das hab ich erstmal ohne Testen so übersetzt und bekam dann eine verzweifelte E‑Mail vom Moritz Verlag in Frankfurt, sie hätten schon sieben Löffel Salz ins Wasser getan und das Ei würde immer noch nicht schwimmen. Da war ich gerade mit dem Boot in Tunesien und hab es auch mal ausprobiert, und schon mit einem Löffel Salz schwamm das Ei oben. Beim Autor in Warschau hat es mit sechs Löffeln Salz funktioniert. Dafür gibt es wahrscheinlich irgendeine physikalische Erklärung, aber es war trotzdem merkwürdig. Lag es vielleicht daran, dass ich den Versuch auf dem Wasser gemacht habe, null Meter über dem Meeresspiegel? Na ja, die Kinder müssen eben selber ausprobieren, wie viele Löffel sie brauchen.
Hast du eine Lieblings-Mitmachseite?
Die mit den Eiern im Glas ist auf jeden Fall eine davon. Aber es fällt mir schwer, eine einzige Seite auszuwählen, denn ich finde sie alle wahnsinnig interessant. Da gibt es zum Beispiel ein Meeresschildkrötenspiel, wo die Männchen gefressen werden oder man vorspringen darf, so eine Art Mensch, ärgere dich nicht, das fand ich wirklich toll. Aber eigentlich sind alle Seiten toll, weil sie eben so vielseitig sind, mal ist es ein Spiel, mal etwas zum Basteln, mal muss man etwas malen. Mein Mann fand die Seite mit den Meerjungfrauen total super, er hat dann mit Begeisterung Meerjungfrauen gemalt.
Wie bist du zum Übersetzen von Kinderliteratur gekommen? War das von Anfang an dein Berufswunsch?
Nein, ich habe eigentlich Literaturwissenschaft und Slawistik in Tübingen studiert. Mit dem Studium – gleich am Anfang eigentlich – kam der Wunsch zu übersetzen. Wir mussten ein Übersetzungsseminar machen, auf das ich mich ein halbes Jahr lang gefreut habe. Auch hinterher war ich so begeistert, dass ich gedacht hab, ich muss unbedingt Übersetzerin werden. Das ist hart, das ist schwierig, das geht auch relativ langsam – soviel war mir klar. Es hat dann auch fünf Jahre gedauert, bis ich Übersetzerin war. Ich habe erst viele Übersetzungsseminare gemacht, viele Kontakte geknüpft, aber über diese Kontakte hat es dann geklappt. Irgendwann kam der erste Auftrag, und danach habe ich einfach nicht mehr losgelassen.
Und warum fiel deine Wahl auf Polnisch?
Ich habe schon in der Schule von der ersten Klasse an Russisch und Englisch gelernt, und das hat mir wahnsinnig gefallen, ich war immer gut in Sprachen. Russisch mochte ich etwas lieber als Englisch, obwohl ich sehr gerne auf Englisch gelesen habe, aber mir gefiel auch, dass es in der Slawistik viel weniger Studienanfänger gab und das Studium viel familiärer war, darum hab ich mich dafür entschieden. Dann hab ich an der Uni neben Russisch als zweite Sprache Polnisch gewählt – und das ist dann die große Liebe geworden. Ich dachte sofort, wow, tolle Sprache, das ist die beste Sprache von allen. Ich wollte auch lieber aus dem Polnischen übersetzen als aus dem Russischen. Es ist etwas einfacher, es gibt weniger Polnisch-Übersetzer und die Literatur ist ein bisschen übersichtlicher, man findet also auch schneller etwas, das man übersetzen kann.
Ist der Beruf so, wie du ihn dir vorgestellt hast?
Ja und nein. Wir hatten an der Uni Seminare mit Übersetzern aus der Praxis und dazu gehörte auch Berufskunde, also hab ich auch erfahren, wie viel man verdient, ob man davon leben kann, wie lange es dauert, um einen Verlag für ein Buch zu finden, wie man da vorgeht. Da war von der ersten Sekunde an klar, das wird schwierig. Das erste Buch, das ich übersetzen wollte, hab ich an zwanzig Verlage geschickt, also in zwanzigfacher Ausführung kopiert, zwanzig Briefmarken abgeschleckt und auf zwanzig Kuverts geklebt. Das kostet Zeit und Geld. Am Ende kamen drei Absagen, und von siebzehn Verlagen habe ich gar nichts gehört. Da hab ich gemerkt, wie schwierig es ist. Aber das hatten die Dozenten ja auch erzählt, ich wusste also, was mich erwartet, aber ich wusste auch, ich muss es irgendwie schaffen.
Ob man davon leben kann, ist eine andere Frage. Klar, wenn du wirklich etabliert bist und regelmäßig Aufträge hast, geht das leichter. Aber die meisten Übersetzerinnen und Übersetzer machen noch andere Sachen nebenher. Ich schreibe auch noch Texte für Internetseiten, so etwa 50 Prozent meiner Zeit, vielleicht etwas weniger. Ich bin noch nicht so bekannt, dass ich ständig Aufträge als Übersetzerin bekomme. Das hat mich aber auch nicht überrascht, ich wusste, dass das dauert. Ich freue mich, dass ich jetzt – fünf Jahre nach meinem ersten Buch – bereits etwa 13 oder 14 übersetzt habe, aber leben kann ich davon noch nicht ganz.
Die Arbeit an sich ist aber genau so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Also, dass ich zu Hause sitze und übersetze, oder in der Bibliothek oder auf dem Schiff, aber allein. Man hat ja keine direkten Kollegen am Arbeitsplatz, es ist also auch etwas einsam. So habe ich mir das aber auch vorgestellt.
Auf dem Boot ganz ohne Ablenkung zu übersetzen war sicher auch etwas Besonderes?
Ja, das war sehr schön. Ich hatte dort kein Festnetztelefon, das andere ausstecken müssen, wenn sie mal Ruhe haben wollen. Ich hatte zwar das Handy, aber alle wussten ja, dass ich gerade in Tunesien oder wo auch immer bin. Heutzutage kann man ja jeden überall und zu jeder Tageszeit anrufen. Das geht auf dem Boot nicht, und das wissen die Leute. Wenn ich arbeite und Internet habe, kann ich auch innerhalb von wenigen Minuten E‑Mails beantworten, aber wenn ich irgendwo auf dem Meer bin, kann es auch sein, dass ich mich einige Tage gar nicht melde. Mit dem Verlag zum Beispiel konnte ich aber auch gut im Voraus planen und dafür sorgen, dass ich zu Zeiten einer Abgabe oder während der Korrekturvorgänge Internet habe und erreichbar bin.
Piotr Karski/Marlena Breuer: Meer! (im polnischen Original: W morze!)
Moritz Verlag ⋅ 224 Seiten ⋅ 20 Euro