„Ich habe das Buch direkt auf dem Mit­tel­meer übersetzt“

Drei erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchübersetzerinnen sind dieses Jahr für den Preis "Neue Talente" nominiert. Wir haben mit der Polnischübersetzerin Marlena Breuer gesprochen.

Interview: und

"Marlena Breuer navigiert mit äußerstem Geschick an allen Untiefen und Klippen der Sach-Bilderbuch-Übersetzung vorbei", heißt es in der Jurybegründung zum Sonderpreis "Neue Talente". Bild von Marlena Breuer: Nikolaus Gutknecht.

Am 22. Okto­ber 2021 wird der Deut­sche Jugend­li­te­ra­tur­preis ver­ge­ben. Der mit 10.000 Euro dotier­te Son­der­preis „Neue Talen­te“ geht in die­sem Jahr an eine her­aus­ra­gen­de Nach­wuchs­über­set­ze­rin. Nomi­niert sind Mar­le­na Breu­er (Pol­nisch), Lena Dorn (Tsche­chisch) und Chris­tel Krö­ning (Eng­lisch).

Herz­li­chen Glück­wunsch zur Nomi­nie­rung als „Neu­es Talent“! Bist du nach der Über­set­zung von Piotr Kar­skis Meer! in dei­nem Freun­des­kreis jetzt die Exper­tin für die sie­ben Weltmeere?

Das bin ich sowie­so. Nach dem Stu­di­um habe ich mit mei­nem Mann meh­re­re Jah­re auf einem Segel­schiff gelebt. Als die Anfra­ge vom Ver­lag kam, waren wir gera­de in Mon­te­ne­gro und Tune­si­en unter­wegs, und ich habe das Buch direkt auf dem Mit­tel­meer über­setzt. Mit dem Meer ken­ne ich mich also gut aus, aber vor allem mit prak­ti­schen Sachen – über die gan­zen Details, die der Autor in sei­nem Buch behan­delt, macht man sich natür­lich nicht so vie­le Gedan­ken, wenn man auf dem Meer lebt. Also gab es für mich viel Bekann­tes, aber auch immer wie­der Neu­es zu entdecken.

See­manns­kno­ten, Wind­stär­kes­ka­len, Segel­schiff­ty­pen, Wol­ken­for­ma­tio­nen … das Wis­sens- und Mit­mach­buch“ deckt ein beein­dru­cken­des Spek­trum ab. Wie hast du das alles recherchiert?

Zugang zu einer rich­ti­gen Biblio­thek hat­te ich auf dem Schiff natür­lich nicht. Wir haben eine klei­ne Biblio­thek an Bord, und ansons­ten natür­lich das Inter­net. Die Fak­ten hat­te der Autor ja schon recher­chiert, die muss­te ich also nicht mehr so aus­führ­lich nach­prü­fen, aber es gibt zum Bei­spiel Begrif­fe oder Segel­schiff­ty­pen, von denen ich auf Pol­nisch noch nie gehört habe und auch nicht wüss­te, wie die auf Deutsch hei­ßen. Da muss man sich manch­mal ein­fach sehr vie­le Bil­der im Inter­net oder in Büchern anse­hen, bis man auf das rich­ti­ge Segel­schiff oder den rich­ti­gen Kno­ten­typ stößt. Dafür braucht man viel Geduld, aber es macht auch Spaß! Oft konn­te mir mein Mann mit sei­nem Segel­wis­sen wei­ter­hel­fen, und außer­dem habe ich auf unse­rer mehr­jäh­ri­gen Tour mei­nen Hoch­see­se­gel­schein gemacht. Theo­rie und Pra­xis lernt man ja am bes­ten, wenn man auf dem Boot lebt.

Stimmt, einen bes­se­ren Rah­men für die Über­set­zung kann man sich kaum wün­schen. Und wie ver­mit­telt man die vie­len Sach­in­for­ma­tio­nen so anschau­lich, dass das Buch für Kin­der span­nend zu lesen ist?

Ich hat­te ja eine Vor­la­ge, die funk­tio­niert. In Polen ist das Buch ziem­lich beliebt, das heißt, der Autor hat es schon geschafft, die Kin­der zu begeis­tern. Mei­ne Auf­ga­be war es dann, das Buch in alters­ge­rech­te Spra­che umzu­wan­deln – und auch in deut­sche Nor­men. Man­che Sachen funk­tio­nie­ren zum Bei­spiel in Polen, kom­men in Deutsch­land aber total kit­schig oder schwüls­tig rüber.

© Moritz Verlag

Die­ses Buch war nicht mei­ne ers­te Über­set­zung, aber mein ers­tes Kin­der­buch. Vor­her habe ich schon sehr schwie­ri­ge Tex­te, auch Gedich­te, aus dem Pol­ni­schen über­setzt, aber für Erwach­se­ne zu über­set­zen ist etwas völ­lig ande­res, denen kann man irgend­wie alles zumu­ten, da gibt eben der Autor den Stil vor, und ich mache nicht irgend­was Leich­te­res dar­aus. Wenn ich dage­gen für 8- oder 10-Jäh­ri­ge über­set­ze, muss die Spra­che ver­ständ­lich sein. Damit hat­te ich bis­her noch nicht so viel Erfah­rung. Ich lese zwar ger­ne Kin­der­bü­cher, aber das zum ers­ten Mal auch sel­ber zu machen, war schon span­nend. Und man arbei­tet natür­lich auch mit dem Lek­to­rat zusam­men, damit am Ende ein schö­nes Buch herauskommt.

Wel­che Sei­te war am kniff­ligs­ten zu übersetzen?

Auf einer sind 13 ver­schie­de­ne Segel­schiff­ty­pen zu sehen. Die ken­ne ich natür­lich nicht aus­wen­dig, und es gibt auch kei­ne Quel­le, wo man exakt die­se 13 Typen fin­det. Zum Glück kennt sich mein Mann mit sol­chen Sachen aus. Als erfah­re­ner Seg­ler hat er sich die Bil­der ange­se­hen und konn­te mir vie­le Namen direkt sagen.

Hast du auch mal selbst die Fuß­bo­den­re­gat­ta aus Papier nach­ge­fal­tet oder das Fla­schen-U-Boot nach­ge­baut, um zu sehen, ob das wirk­lich funktioniert?

Eini­ges habe ich sel­ber aus­pro­biert. Die Fuß­bo­den­re­gat­ta nicht, dafür war auf dem Schiff nicht genug Platz, aber zum Bei­spiel das Luft­kis­sen­boot mit der CD, dem Luft­bal­lon und dem Ver­schluss einer Spül­mit­tel­fla­sche. Ich muss geste­hen, das hat bei mir gar nicht funktioniert. 

Baue ein Luft­kis­sen­boot! © Moritz Verlag

Das Ding ist nicht wie ein Luft­kis­sen­boot über den Tisch gefah­ren, son­dern hat nur „prrrrr“ gemacht und ist vom Tisch geflo­gen. Ich hab ver­sucht, die Kon­struk­ti­on zu ver­bes­sern, indem ich eine Camem­bert-Schach­tel drun­ter­ge­klebt habe, damit die Luft mehr Volu­men auf­bau­en kann, aber das hat noch schlech­ter funk­tio­niert. Aber der Autor hat das ja auch aus­pro­biert, und der Ver­lag dann spä­ter auch noch­mal mit mei­ner Über­set­zung. Es kommt wohl dar­auf an, wie genau man bastelt.

Es gibt auch eine inter­es­san­te Sei­te, wel­che Sachen schwim­men und wel­che nicht. Wenn das Objekt schwe­rer als Was­ser ist, geht es unter. Ein Ei geht zum Bei­spiel in nor­ma­lem Was­ser unter, in Salz­was­ser schwimmt es. Das hab ich erst­mal ohne Tes­ten so über­setzt und bekam dann eine ver­zwei­fel­te E‑Mail vom Moritz Ver­lag in Frank­furt, sie hät­ten schon sie­ben Löf­fel Salz ins Was­ser getan und das Ei wür­de immer noch nicht schwim­men. Da war ich gera­de mit dem Boot in Tune­si­en und hab es auch mal aus­pro­biert, und schon mit einem Löf­fel Salz schwamm das Ei oben. Beim Autor in War­schau hat es mit sechs Löf­feln Salz funk­tio­niert. Dafür gibt es wahr­schein­lich irgend­ei­ne phy­si­ka­li­sche Erklä­rung, aber es war trotz­dem merk­wür­dig. Lag es viel­leicht dar­an, dass ich den Ver­such auf dem Was­ser gemacht habe, null Meter über dem Mee­res­spie­gel? Na ja, die Kin­der müs­sen eben sel­ber aus­pro­bie­ren, wie vie­le Löf­fel sie brauchen.

Hast du eine Lieblings-Mitmachseite?

Die mit den Eiern im Glas ist auf jeden Fall eine davon. Aber es fällt mir schwer, eine ein­zi­ge Sei­te aus­zu­wäh­len, denn ich fin­de sie alle wahn­sin­nig inter­es­sant. Da gibt es zum Bei­spiel ein Mee­res­schild­krö­ten­spiel, wo die Männ­chen gefres­sen wer­den oder man vor­sprin­gen darf, so eine Art Mensch, ärge­re dich nicht, das fand ich wirk­lich toll. Aber eigent­lich sind alle Sei­ten toll, weil sie eben so viel­sei­tig sind, mal ist es ein Spiel, mal etwas zum Bas­teln, mal muss man etwas malen. Mein Mann fand die Sei­te mit den Meer­jung­frau­en total super, er hat dann mit Begeis­te­rung Meer­jung­frau­en gemalt. 

Wie bist du zum Über­set­zen von Kin­der­li­te­ra­tur gekom­men? War das von Anfang an dein Berufswunsch?

Nein, ich habe eigent­lich Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und Sla­wis­tik in Tübin­gen stu­diert. Mit dem Stu­di­um – gleich am Anfang eigent­lich – kam der Wunsch zu über­set­zen. Wir muss­ten ein Über­set­zungs­se­mi­nar machen, auf das ich mich ein hal­bes Jahr lang gefreut habe. Auch hin­ter­her war ich so begeis­tert, dass ich gedacht hab, ich muss unbe­dingt Über­set­ze­rin wer­den. Das ist hart, das ist schwie­rig, das geht auch rela­tiv lang­sam – soviel war mir klar. Es hat dann auch fünf Jah­re gedau­ert, bis ich Über­set­ze­rin war. Ich habe erst vie­le Über­set­zungs­se­mi­na­re gemacht, vie­le Kon­tak­te geknüpft, aber über die­se Kon­tak­te hat es dann geklappt. Irgend­wann kam der ers­te Auf­trag, und danach habe ich ein­fach nicht mehr losgelassen. 

Und war­um fiel dei­ne Wahl auf Polnisch? 

Ich habe schon in der Schu­le von der ers­ten Klas­se an Rus­sisch und Eng­lisch gelernt, und das hat mir wahn­sin­nig gefal­len, ich war immer gut in Spra­chen. Rus­sisch moch­te ich etwas lie­ber als Eng­lisch, obwohl ich sehr ger­ne auf Eng­lisch gele­sen habe, aber mir gefiel auch, dass es in der Sla­wis­tik viel weni­ger Stu­di­en­an­fän­ger gab und das Stu­di­um viel fami­liä­rer war, dar­um hab ich mich dafür ent­schie­den. Dann hab ich an der Uni neben Rus­sisch als zwei­te Spra­che Pol­nisch gewählt – und das ist dann die gro­ße Lie­be gewor­den. Ich dach­te sofort, wow, tol­le Spra­che, das ist die bes­te Spra­che von allen. Ich woll­te auch lie­ber aus dem Pol­ni­schen über­set­zen als aus dem Rus­si­schen. Es ist etwas ein­fa­cher, es gibt weni­ger Pol­nisch-Über­set­zer und die Lite­ra­tur ist ein biss­chen über­sicht­li­cher, man fin­det also auch schnel­ler etwas, das man über­set­zen kann.

Ist der Beruf so, wie du ihn dir vor­ge­stellt hast?

Ja und nein. Wir hat­ten an der Uni Semi­na­re mit Über­set­zern aus der Pra­xis und dazu gehör­te auch Berufs­kun­de, also hab ich auch erfah­ren, wie viel man ver­dient, ob man davon leben kann, wie lan­ge es dau­ert, um einen Ver­lag für ein Buch zu fin­den, wie man da vor­geht. Da war von der ers­ten Sekun­de an klar, das wird schwie­rig. Das ers­te Buch, das ich über­set­zen woll­te, hab ich an zwan­zig Ver­la­ge geschickt, also in zwan­zig­fa­cher Aus­füh­rung kopiert, zwan­zig Brief­mar­ken abge­schleckt und auf zwan­zig Kuverts geklebt. Das kos­tet Zeit und Geld. Am Ende kamen drei Absa­gen, und von sieb­zehn Ver­la­gen habe ich gar nichts gehört. Da hab ich gemerkt, wie schwie­rig es ist. Aber das hat­ten die Dozen­ten ja auch erzählt, ich wuss­te also, was mich erwar­tet, aber ich wuss­te auch, ich muss es irgend­wie schaffen.

Ob man davon leben kann, ist eine ande­re Fra­ge. Klar, wenn du wirk­lich eta­bliert bist und regel­mä­ßig Auf­trä­ge hast, geht das leich­ter. Aber die meis­ten Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer machen noch ande­re Sachen neben­her. Ich schrei­be auch noch Tex­te für Inter­net­sei­ten, so etwa 50 Pro­zent mei­ner Zeit, viel­leicht etwas weni­ger. Ich bin noch nicht so bekannt, dass ich stän­dig Auf­trä­ge als Über­set­ze­rin bekom­me. Das hat mich aber auch nicht über­rascht, ich wuss­te, dass das dau­ert. Ich freue mich, dass ich jetzt – fünf Jah­re nach mei­nem ers­ten Buch – bereits etwa 13 oder 14 über­setzt habe, aber leben kann ich davon noch nicht ganz.

Die Arbeit an sich ist aber genau so, wie ich sie mir vor­ge­stellt habe. Also, dass ich zu Hau­se sit­ze und über­set­ze, oder in der Biblio­thek oder auf dem Schiff, aber allein. Man hat ja kei­ne direk­ten Kol­le­gen am Arbeits­platz, es ist also auch etwas ein­sam. So habe ich mir das aber auch vorgestellt.

Auf dem Boot ganz ohne Ablen­kung zu über­set­zen war sicher auch etwas Besonderes?

Ja, das war sehr schön. Ich hat­te dort kein Fest­netz­te­le­fon, das ande­re aus­ste­cken müs­sen, wenn sie mal Ruhe haben wol­len. Ich hat­te zwar das Han­dy, aber alle wuss­ten ja, dass ich gera­de in Tune­si­en oder wo auch immer bin. Heut­zu­ta­ge kann man ja jeden über­all und zu jeder Tages­zeit anru­fen. Das geht auf dem Boot nicht, und das wis­sen die Leu­te. Wenn ich arbei­te und Inter­net habe, kann ich auch inner­halb von weni­gen Minu­ten E‑Mails beant­wor­ten, aber wenn ich irgend­wo auf dem Meer bin, kann es auch sein, dass ich mich eini­ge Tage gar nicht mel­de. Mit dem Ver­lag zum Bei­spiel konn­te ich aber auch gut im Vor­aus pla­nen und dafür sor­gen, dass ich zu Zei­ten einer Abga­be oder wäh­rend der Kor­rek­tur­vor­gän­ge Inter­net habe und erreich­bar bin.

Mar­le­na Breu­er, gebo­ren 1985, mach­te eine Aus­bil­dung zur Schrei­ne­rin und stu­dier­te anschlie­ßend Sla­wis­tik in Tübin­gen und War­schau. Seit 2015 arbei­tet sie als Über­set­ze­rin. In den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren leb­te sie als Crew­mit­glied auf einem Segel­schiff und bereis­te vie­le Län­der am Mit­tel­meer. Inzwi­schen lebt Mar­le­na Breu­er wie­der an Land, hält sich aber immer noch ger­ne an der fri­schen Luft auf und arbei­tet des­halb oft im Garten. 

Piotr Karski/Marlena Breu­er: Meer! (im pol­ni­schen Ori­gi­nal: W morze!)

Moritz Ver­lag ⋅ 224 Sei­ten ⋅ 20 Euro

www.moritzverlag.de/Alle-Buecher/Meer

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