„Die Kin­der lie­ben die­se Bücher, kei­ne Frage“

Vom 3. bis zum 8. Mai findet in diesem Jahr die KidsComicWeek statt – eine gemeinsame Aktion von Blogger*innen und Verlagen. Wir haben zu dem Anlass mit der Autorin und Übersetzerin Franziska Gehm gesprochen, die den Comic "Hugo & Hassan" von Kim Fupz Aakeson und die "Mira"-Reihe von Sabine Lemire aus dem Dänischen übersetzt hat.

Interview: und

Die Autorin und Übersetzerin Franziska Gehm © privat

Wie sind Sie zum Schrei­ben und zum Über­set­zen gekommen?

Weil ich in der DDR auf­ge­wach­sen bin, fand ich ande­re Spra­chen schon immer unglaub­lich span­nend und es hat mich sehr inter­es­siert, was in ande­ren Spra­chen gesun­gen oder gesagt wur­de. Sie haben mir eine Art Zau­ber­welt eröff­net. Spä­ter habe ich in Eng­land und Irland Anglis­tik stu­diert, und als ich mich selbst­stän­dig gemacht habe, war schnell klar, dass ich schrei­ben und über­set­zen möch­te. Es hat sich bei mir dann mehr zum Schrei­ben ent­wi­ckelt. Ich schrei­be deut­lich mehr, als ich über­set­ze, aber ich freue mich immer, wenn ich etwas über­set­zen kann, weil ich das sehr ger­ne mache.

Was ist das Beson­de­re am Gen­re Gra­phic Novel?

Vor allem das Zusam­men­spiel von Bil­dern und Text. Gra­phic Novel ist eine Form, in der ver­schie­de­ne Gen­res vor­kom­men kön­nen. Für mich liegt der Reiz dar­in, dass die Bücher vie­le Ele­men­te aus dem Film haben, es fühlt sich fast so an, als wür­de man einen Film lesen. Man­che Leu­te beschwe­ren sich über zu hohe Prei­se für „so wenig Text“, aber die Illus­tra­tio­nen sind oft rich­ti­ge Kunst, und die muss man auch genie­ßen. Man muss erst ler­nen, wie man Gra­phic Novels liest, man soll­te sich dafür mehr Zeit neh­men und die Bil­der wir­ken lassen.

Wo liegt der Unter­schied zwi­schen Comics und Gra­phic Novels?

Da schei­den sich die Geis­ter. Ich per­sön­lich brau­che die Unter­schei­dung nicht, auf dem deut­schen Buch­markt ist sie aber sehr will­kom­men, weil im Deut­schen immer noch ger­ne zwi­schen unter­hal­ten­der und erns­ter Lite­ra­tur unter­schie­den wird. Comics wer­den in Deutsch­land nicht ernst genom­men und haben ein schlech­tes Image, das Ziel­pu­bli­kum sind meist Kin­der. Und wenn Kin­der dann lesen ler­nen, beschwe­ren sich die Eltern dar­über, dass ihre Kin­der „nur Comics“ lesen. In Frank­reich sind Comics ein Rie­sen­markt – sie wer­den von Erwach­se­nen gele­sen und wert­ge­schätzt. Der Begriff Gra­phic Novel klingt etwas anspruchs­vol­ler und dadurch lässt sich man­ches in Deutsch­land bes­ser verkaufen.

Gibt es typi­sche Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen von Comics?

Der limi­tier­te Platz der Sprech­bla­sen ist sowohl bei den Mira-Bän­den als auch bei Hugo & Hassan – den bei­den Seri­en, die ich für den Klett Kin­der­buch Ver­lag über­set­ze – ein Pro­blem. Das Deut­sche ist oft län­ger als das Däni­sche und man hat dann zwei Mög­lich­kei­ten: Ent­we­der man kürzt den Text, was manch­mal inhalt­lich nicht mög­lich ist, oder die Sprech­bla­sen wer­den vom Her­stel­ler ver­grö­ßert, sofern das optisch geht. Für mich als Über­set­ze­rin heißt das, dass die Arbeit noch nicht geschafft ist, selbst wenn ich den Text abge­ge­ben habe und er bereits lek­to­riert wur­de. Aus der Her­stel­lung kann danach noch die Rück­mel­dung kom­men, dass der Text nicht in die Sprech­bla­sen passt, und dann müs­sen wir doch noch­mal ran. 

Hugo und Hassan
Illus­tra­ti­on: Ras­mus Bregn­høi
© Klett Kinderbuch

Ansons­ten ach­te ich beim Über­set­zen sehr stark auf die Bil­der. Ich schaue mir zum Bei­spiel ganz genau an, was Hassan in dem Bild für ein Gesicht macht und fra­ge mich, wel­che Wor­te dazu pas­sen wür­den. Manch­mal steht dort im Däni­schen etwas, das im Deut­schen nicht pas­sen wür­de, wenn ich es 1:1 über­set­zen wür­de. Mir ist es dann wich­ti­ger, dass Bild und Text stim­mig sind.

Wor­auf muss man ach­ten, wenn man Tex­te für Kin­der übersetzt?

Einer­seits muss man natür­lich dar­auf ach­ten, dass es für Kin­der ver­ständ­lich ist, aber sie müs­sen auch nicht alles auf Anhieb ver­ste­hen, denn ande­rer­seits darf man die Kin­der auch nicht unter­for­dern. Wenn ich Bücher aus dem Eng­li­schen oder Ame­ri­ka­ni­schen über­set­ze, fra­ge ich mich zum Bei­spiel oft, ob die Kin­der die typi­schen High School Begrif­fe ken­nen und ver­ste­hen. Die bei­den däni­schen Seri­en spie­len in Kopen­ha­gen, und natür­lich wird dort mit Kro­nen und nicht mit Euro bezahlt, die­ser Unter­schied muss also nach­voll­zo­gen wer­den. Ich ver­su­che eine Art Balan­ce zu fin­den und nicht alles anzu­pas­sen und einzudeutschen.

Sind däni­sche Kin­der­bü­cher anders als deutsche?

Die Dänen trau­en sich mehr. Das sieht man an den Illus­tra­tio­nen, aber auch am Inhalt. Gera­de bei Hugo & Hassan haben wir Rück­mel­dun­gen von Eltern bekom­men, die sich über die Kraft­aus­drü­cke auf­re­gen, die die Jungs benut­zen. Dabei spre­chen Kin­der in dem Alter genau so, und die Dänen trau­en sich, das auch auf­zu­schrei­ben. Wir ver­su­chen, so viel wie mög­lich zu über­neh­men, muss­ten eini­ge Stel­len aber doch abschwächen.

Illus­tra­ti­on: Ras­mus Bregn­høi © Klett Kinderbuch 

Hugo und Hassan spie­len ein Spiel namens „World of World War 2“, in dem gegen Nazis gekämpft wird, und auch spä­ter wird der Bade­meis­ter im Schwimm­bad als Nazi-Bade­meis­ter bezeich­net – kamen da ent­setz­te Rück­mel­dun­gen, dass man bei dem The­ma in Deutsch­land vor­sich­ti­ger sein müsse?

Ja, auch zu dem Punkt gab es Beschwer­den. Aber das sind immer Stel­len, bei denen ich mit dem Ver­lag bespre­che, wie weit wir gehen kön­nen, was wir ste­hen las­sen kön­nen und was nicht. Der Klett Kin­der­buch Ver­lag ist da erfreu­lich auf­ge­schlos­sen und hat gar nicht so viel Angst, son­dern sagt auch ger­ne: So ist es und so las­sen wir es stehen.

Muss­te denn viel an den deutsch­spra­chi­gen Raum ange­passt werden?

Ein Bei­spiel: Miras bes­te Freun­din heißt auf Deutsch Kar­la, aber im däni­schen Ori­gi­nal heißt sie Naja, das hät­te im Deut­schen nicht funktioniert.

Wie haben Sie den authen­ti­schen Ton für die Kin­der in den Comics gefun­den? Woher schöp­fen Sie Inspiration?

Meist mache ich das aus dem Bauch her­aus. Bei Hugo & Hassan hab ich mir das Ori­gi­nal ange­se­hen und mich sofort in die Jungs ver­liebt. Ich fand die bei­den so super und konn­te mir gleich vor­stel­len, wie die bei­den auf Deutsch groß­spu­rig mit­ein­an­der labern. Außer­dem habe ich einen Sohn, der unge­fähr in dem Alter der bei­den ist, und ich hel­fe ab und zu in der Schul­bi­blio­thek aus. Dadurch habe ich ganz gut im Ohr, wie Kin­der in dem Alter reden.

Müs­sen Ihre Kin­der die Tex­te manch­mal probelesen?

Manch­mal fra­ge ich mei­nen Sohn. Hugo und Hassan reden im Ori­gi­nal sehr viel Eng­lisch. Däni­sche Kin­der kom­men viel stär­ker mit der Spra­che in Kon­takt, weil Fil­me z. B. nicht syn­chro­ni­siert wer­den, und des­halb ist ihr Eng­lisch meist super. Auch bei Hugo & Hassan gibt es vie­le eng­li­sche Aus­drü­cke, die ich manch­mal ste­hen las­se, aber teil­wei­se auch über­set­ze, weil sie hier nicht gebräuch­lich sind. Bei dem Begriff „street wise“ habe ich zum Bei­spiel mei­nen Sohn gefragt, ob er und sei­ne Klas­sen­ka­me­ra­den so etwas auch sagen. Er gibt mir Tipps, was auch im Deut­schen schon ange­kom­men ist. Wenn er dann meint, klar, „crin­ge“ sagen wir die gan­ze Zeit, dann weiß ich, dass ich das ver­wen­den kann.

In den Mira-Comics ist der Ton im Gegen­satz zu Hugo & Hassan etwas gemä­ßig­ter und die The­men sind erns­ter. Es geht um Mob­bing, Diver­si­tät und den Tod der Oma, all das wirkt sehr kind­ge­recht und natür­lich. Ist es schwer, dafür die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den oder lenkt einen die Vor­la­ge auto­ma­tisch in die pas­sen­de Richtung?

Illus­tra­ti­on: Ras­mus Bregn­høi © Klett Kinderbuch 

Ja, im Prin­zip habe ich es ja „nur“ über­setzt. Die Bücher sind ein­fach schon wahn­sin­nig gut gemacht, da muss­te ich gar nicht groß her­um­su­chen. Aber man denkt natür­lich schon dar­über nach. Der vier­te Band etwa, in dem es um den Tod der Groß­mutter geht, hat im Deut­schen den Unter­ti­tel #fami­lie #paris #abschied. Der Ver­lag hat­te erst statt „Abschied“ „das Leben geht wei­ter“ vor­ge­schla­gen, das fand ich aber zu posi­tiv, denn es geht schließ­lich um den Tod und Kin­der fin­den das schon inter­es­sant. Das soll­te man aus dem Titel nicht rausnehmen.

Und die Schlag­wör­ter sind auch Hash­tags, was noch ein Argu­ment für den ein­zel­nen Begriff ist.

Ja, Mira hat in Däne­mark sogar einen eige­nen Insta­gram-Kanal, dem man fol­gen kann.

Man merkt, dass die Bücher dort sehr beliebt sind. Von Hugo & Hassan gibt es bereits meh­re­re Bän­de. Wer­den die auch auf Deutsch erscheinen?

Ich habe bereits den zwei­ten über­setzt und hof­fe, dass der Ver­lag dran­bleibt und damit wei­ter­macht. Die Kin­der lie­ben die­se Bücher, kei­ne Fra­ge, gera­de mit Hugo & Hassan kann man Jungs zum Lesen brin­gen, die viel­leicht nicht unbe­dingt ger­ne lesen. Aller­dings las­sen sich die Eltern lei­der oft von den Kraft­aus­drü­cken abschrecken.

Dabei ist das Buch wirk­lich lus­tig und zeigt auf eine selbst­ver­ständ­li­che Art und Wei­se eine moder­ne und diver­se Gesell­schaft. Es wird ange­spro­chen, dass Hugo und Hassan ver­schie­de­ne kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de haben, z. B. wenn Hassan Rama­dan fas­tet, aber es ist nicht zen­tra­ler Punkt der Handlung.

Ja, Mira ist zwar etwas ernst­haf­ter im Ton, aber in Hugo & Hassan wer­den auch sehr erns­te The­men ange­spro­chen. Im zwei­ten Band etwa sam­meln sie für Geflüch­te­te, also eigent­lich sam­melt die Mut­ter für Geflüch­te­te, und Hugo und Hassan haben sowas von kei­nen Bock auf die Akti­on. Das fin­de ich so herr­lich. Da gibt es auf der einen Sei­te den erns­ten Hin­ter­grund, aber auf der ande­ren Sei­te eben die­se völ­lig nor­ma­le Reak­ti­on der Jungs, die über­haupt kei­ne Lust dar­auf haben. Das passt zum Alter der Jungs und ist total über­zeu­gend gemacht.

Kön­nen Sie abschlie­ßend noch einen wei­te­ren Comic emp­feh­len, den Sie toll finden?

Ich habe gleich drei. Einer von mei­nen Lieb­lin­gen ist Kin­der­land von Mawil. Ich mag dar­an vor allem den herr­lich rot­zi­gen Stil, und ich glau­be, das Buch spricht mich an, weil ich genau wie Mawil in der DDR groß gewor­den bin. Ein wei­te­rer mei­ner Favo­ri­ten ist Die dicke Prin­zes­sin Petro­nia von Katha­ri­na Gre­ve. Da lie­be ich den total absur­den Humor. Ich kann mir das immer wie­der angu­cken und mich jedes Mal schlapp­la­chen. Und dann gibt es da noch einen Klas­si­ker, Lite­ra­ry Life von Posy Sim­monds, der gro­ßen eng­li­schen Dame der Car­toons, Comics und Gra­phic Novels. Sim­monds beob­ach­tet die Men­schen ganz genau, und das merkt man ihren Gra­phic Novels an. Lite­ra­ry Life kann ich allen emp­feh­len, die mit der Ver­lags­welt zu tun haben, weil Sim­monds sie rich­tig schön aufs Korn nimmt. Das sind mei­ne drei Lieb­lings­co­mics, ich könn­te aber wahr­schein­lich noch zwan­zig ande­re vorstellen.

  Fran­zis­ka Gehm, gebo­ren 1974 in Son­der­hau­sen, hat in Eng­land und Irland stu­diert, in Öster­reich und Däne­mark gear­bei­tet und lebt jetzt als Autorin und Über­set­ze­rin in Mün­chen. Sie hat zahl­rei­che Kin­der- und Jugend­bü­cher ver­öf­fent­licht, die in vie­le Spra­chen über­setzt und ver­filmt wurden. 


Kim Fupz Aake­son | Ras­mus Bregn­høi | Fran­zis­ka Gehm: Hugo & Hassan (im däni­schen Ori­gi­nal: Mogens og Mahdi)

Klett Kin­der­buch ⋅ 104 Sei­ten ⋅ 15 Euro

https://www.klett-kinderbuch.de/buecher/details/hugo-hassan


Sabi­ne Lemi­re | Ras­mus Bregn­høi | Fran­zis­ka Gehm: Mira #fami­lie #paris #abschied (im däni­schen Ori­gi­nal: Mira. #rej­se #paris #savn)

Klett Kin­der­buch ⋅ 112 Sei­ten ⋅ 15 Euro

https://www.klett-kinderbuch.de/buecher/mira-mamanervt-paris-daslebengehtweiter

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