Wie sind Sie zum Schreiben und zum Übersetzen gekommen?
Weil ich in der DDR aufgewachsen bin, fand ich andere Sprachen schon immer unglaublich spannend und es hat mich sehr interessiert, was in anderen Sprachen gesungen oder gesagt wurde. Sie haben mir eine Art Zauberwelt eröffnet. Später habe ich in England und Irland Anglistik studiert, und als ich mich selbstständig gemacht habe, war schnell klar, dass ich schreiben und übersetzen möchte. Es hat sich bei mir dann mehr zum Schreiben entwickelt. Ich schreibe deutlich mehr, als ich übersetze, aber ich freue mich immer, wenn ich etwas übersetzen kann, weil ich das sehr gerne mache.
Was ist das Besondere am Genre Graphic Novel?
Vor allem das Zusammenspiel von Bildern und Text. Graphic Novel ist eine Form, in der verschiedene Genres vorkommen können. Für mich liegt der Reiz darin, dass die Bücher viele Elemente aus dem Film haben, es fühlt sich fast so an, als würde man einen Film lesen. Manche Leute beschweren sich über zu hohe Preise für „so wenig Text“, aber die Illustrationen sind oft richtige Kunst, und die muss man auch genießen. Man muss erst lernen, wie man Graphic Novels liest, man sollte sich dafür mehr Zeit nehmen und die Bilder wirken lassen.
Wo liegt der Unterschied zwischen Comics und Graphic Novels?
Da scheiden sich die Geister. Ich persönlich brauche die Unterscheidung nicht, auf dem deutschen Buchmarkt ist sie aber sehr willkommen, weil im Deutschen immer noch gerne zwischen unterhaltender und ernster Literatur unterschieden wird. Comics werden in Deutschland nicht ernst genommen und haben ein schlechtes Image, das Zielpublikum sind meist Kinder. Und wenn Kinder dann lesen lernen, beschweren sich die Eltern darüber, dass ihre Kinder „nur Comics“ lesen. In Frankreich sind Comics ein Riesenmarkt – sie werden von Erwachsenen gelesen und wertgeschätzt. Der Begriff Graphic Novel klingt etwas anspruchsvoller und dadurch lässt sich manches in Deutschland besser verkaufen.
Gibt es typische Schwierigkeiten beim Übersetzen von Comics?
Der limitierte Platz der Sprechblasen ist sowohl bei den Mira-Bänden als auch bei Hugo & Hassan – den beiden Serien, die ich für den Klett Kinderbuch Verlag übersetze – ein Problem. Das Deutsche ist oft länger als das Dänische und man hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder man kürzt den Text, was manchmal inhaltlich nicht möglich ist, oder die Sprechblasen werden vom Hersteller vergrößert, sofern das optisch geht. Für mich als Übersetzerin heißt das, dass die Arbeit noch nicht geschafft ist, selbst wenn ich den Text abgegeben habe und er bereits lektoriert wurde. Aus der Herstellung kann danach noch die Rückmeldung kommen, dass der Text nicht in die Sprechblasen passt, und dann müssen wir doch nochmal ran.
Ansonsten achte ich beim Übersetzen sehr stark auf die Bilder. Ich schaue mir zum Beispiel ganz genau an, was Hassan in dem Bild für ein Gesicht macht und frage mich, welche Worte dazu passen würden. Manchmal steht dort im Dänischen etwas, das im Deutschen nicht passen würde, wenn ich es 1:1 übersetzen würde. Mir ist es dann wichtiger, dass Bild und Text stimmig sind.
Worauf muss man achten, wenn man Texte für Kinder übersetzt?
Einerseits muss man natürlich darauf achten, dass es für Kinder verständlich ist, aber sie müssen auch nicht alles auf Anhieb verstehen, denn andererseits darf man die Kinder auch nicht unterfordern. Wenn ich Bücher aus dem Englischen oder Amerikanischen übersetze, frage ich mich zum Beispiel oft, ob die Kinder die typischen High School Begriffe kennen und verstehen. Die beiden dänischen Serien spielen in Kopenhagen, und natürlich wird dort mit Kronen und nicht mit Euro bezahlt, dieser Unterschied muss also nachvollzogen werden. Ich versuche eine Art Balance zu finden und nicht alles anzupassen und einzudeutschen.
Sind dänische Kinderbücher anders als deutsche?
Die Dänen trauen sich mehr. Das sieht man an den Illustrationen, aber auch am Inhalt. Gerade bei Hugo & Hassan haben wir Rückmeldungen von Eltern bekommen, die sich über die Kraftausdrücke aufregen, die die Jungs benutzen. Dabei sprechen Kinder in dem Alter genau so, und die Dänen trauen sich, das auch aufzuschreiben. Wir versuchen, so viel wie möglich zu übernehmen, mussten einige Stellen aber doch abschwächen.
Hugo und Hassan spielen ein Spiel namens „World of World War 2“, in dem gegen Nazis gekämpft wird, und auch später wird der Bademeister im Schwimmbad als Nazi-Bademeister bezeichnet – kamen da entsetzte Rückmeldungen, dass man bei dem Thema in Deutschland vorsichtiger sein müsse?
Ja, auch zu dem Punkt gab es Beschwerden. Aber das sind immer Stellen, bei denen ich mit dem Verlag bespreche, wie weit wir gehen können, was wir stehen lassen können und was nicht. Der Klett Kinderbuch Verlag ist da erfreulich aufgeschlossen und hat gar nicht so viel Angst, sondern sagt auch gerne: So ist es und so lassen wir es stehen.
Musste denn viel an den deutschsprachigen Raum angepasst werden?
Ein Beispiel: Miras beste Freundin heißt auf Deutsch Karla, aber im dänischen Original heißt sie Naja, das hätte im Deutschen nicht funktioniert.
Wie haben Sie den authentischen Ton für die Kinder in den Comics gefunden? Woher schöpfen Sie Inspiration?
Meist mache ich das aus dem Bauch heraus. Bei Hugo & Hassan hab ich mir das Original angesehen und mich sofort in die Jungs verliebt. Ich fand die beiden so super und konnte mir gleich vorstellen, wie die beiden auf Deutsch großspurig miteinander labern. Außerdem habe ich einen Sohn, der ungefähr in dem Alter der beiden ist, und ich helfe ab und zu in der Schulbibliothek aus. Dadurch habe ich ganz gut im Ohr, wie Kinder in dem Alter reden.
Müssen Ihre Kinder die Texte manchmal probelesen?
Manchmal frage ich meinen Sohn. Hugo und Hassan reden im Original sehr viel Englisch. Dänische Kinder kommen viel stärker mit der Sprache in Kontakt, weil Filme z. B. nicht synchronisiert werden, und deshalb ist ihr Englisch meist super. Auch bei Hugo & Hassan gibt es viele englische Ausdrücke, die ich manchmal stehen lasse, aber teilweise auch übersetze, weil sie hier nicht gebräuchlich sind. Bei dem Begriff „street wise“ habe ich zum Beispiel meinen Sohn gefragt, ob er und seine Klassenkameraden so etwas auch sagen. Er gibt mir Tipps, was auch im Deutschen schon angekommen ist. Wenn er dann meint, klar, „cringe“ sagen wir die ganze Zeit, dann weiß ich, dass ich das verwenden kann.
In den Mira-Comics ist der Ton im Gegensatz zu Hugo & Hassan etwas gemäßigter und die Themen sind ernster. Es geht um Mobbing, Diversität und den Tod der Oma, all das wirkt sehr kindgerecht und natürlich. Ist es schwer, dafür die richtigen Worte zu finden oder lenkt einen die Vorlage automatisch in die passende Richtung?
Ja, im Prinzip habe ich es ja „nur“ übersetzt. Die Bücher sind einfach schon wahnsinnig gut gemacht, da musste ich gar nicht groß herumsuchen. Aber man denkt natürlich schon darüber nach. Der vierte Band etwa, in dem es um den Tod der Großmutter geht, hat im Deutschen den Untertitel #familie #paris #abschied. Der Verlag hatte erst statt „Abschied“ „das Leben geht weiter“ vorgeschlagen, das fand ich aber zu positiv, denn es geht schließlich um den Tod und Kinder finden das schon interessant. Das sollte man aus dem Titel nicht rausnehmen.
Und die Schlagwörter sind auch Hashtags, was noch ein Argument für den einzelnen Begriff ist.
Ja, Mira hat in Dänemark sogar einen eigenen Instagram-Kanal, dem man folgen kann.
Man merkt, dass die Bücher dort sehr beliebt sind. Von Hugo & Hassan gibt es bereits mehrere Bände. Werden die auch auf Deutsch erscheinen?
Ich habe bereits den zweiten übersetzt und hoffe, dass der Verlag dranbleibt und damit weitermacht. Die Kinder lieben diese Bücher, keine Frage, gerade mit Hugo & Hassan kann man Jungs zum Lesen bringen, die vielleicht nicht unbedingt gerne lesen. Allerdings lassen sich die Eltern leider oft von den Kraftausdrücken abschrecken.
Dabei ist das Buch wirklich lustig und zeigt auf eine selbstverständliche Art und Weise eine moderne und diverse Gesellschaft. Es wird angesprochen, dass Hugo und Hassan verschiedene kulturelle Hintergründe haben, z. B. wenn Hassan Ramadan fastet, aber es ist nicht zentraler Punkt der Handlung.
Ja, Mira ist zwar etwas ernsthafter im Ton, aber in Hugo & Hassan werden auch sehr ernste Themen angesprochen. Im zweiten Band etwa sammeln sie für Geflüchtete, also eigentlich sammelt die Mutter für Geflüchtete, und Hugo und Hassan haben sowas von keinen Bock auf die Aktion. Das finde ich so herrlich. Da gibt es auf der einen Seite den ernsten Hintergrund, aber auf der anderen Seite eben diese völlig normale Reaktion der Jungs, die überhaupt keine Lust darauf haben. Das passt zum Alter der Jungs und ist total überzeugend gemacht.
Können Sie abschließend noch einen weiteren Comic empfehlen, den Sie toll finden?
Ich habe gleich drei. Einer von meinen Lieblingen ist Kinderland von Mawil. Ich mag daran vor allem den herrlich rotzigen Stil, und ich glaube, das Buch spricht mich an, weil ich genau wie Mawil in der DDR groß geworden bin. Ein weiterer meiner Favoriten ist Die dicke Prinzessin Petronia von Katharina Greve. Da liebe ich den total absurden Humor. Ich kann mir das immer wieder angucken und mich jedes Mal schlapplachen. Und dann gibt es da noch einen Klassiker, Literary Life von Posy Simmonds, der großen englischen Dame der Cartoons, Comics und Graphic Novels. Simmonds beobachtet die Menschen ganz genau, und das merkt man ihren Graphic Novels an. Literary Life kann ich allen empfehlen, die mit der Verlagswelt zu tun haben, weil Simmonds sie richtig schön aufs Korn nimmt. Das sind meine drei Lieblingscomics, ich könnte aber wahrscheinlich noch zwanzig andere vorstellen.
Kim Fupz Aakeson | Rasmus Bregnhøi | Franziska Gehm: Hugo & Hassan (im dänischen Original: Mogens og Mahdi)
Klett Kinderbuch ⋅ 104 Seiten ⋅ 15 Euro
Sabine Lemire | Rasmus Bregnhøi | Franziska Gehm: Mira #familie #paris #abschied (im dänischen Original: Mira. #rejse #paris #savn)
Klett Kinderbuch ⋅ 112 Seiten ⋅ 15 Euro
https://www.klett-kinderbuch.de/buecher/mira-mamanervt-paris-daslebengehtweiter