Ob man als Frau Kinder kriegen möchte oder nicht, ist eigentlich ein sehr intimes Thema. Vergleichbar mit Prostatakrebs, findet eine Freundin der Hauptfigur in Linn Strømsborgs Roman Nie, nie, nie. Trotzdem wird die fünfunddreißigjährige Ich-Erzählerin ständig darauf angesprochen, ob sie nicht langsam Nachwuchs wolle – von ihrer Familie, ihren Freund:innen, aber auch von Menschen, die sie gerade erst kennengelernt hat. Fast alle sind sich einig, dass sie auf jeden Fall ein Kind bekommen sollte. Oder, wie ihre Mutter es formuliert: „Ich könnte Großmutter sein, aber du lässt mich ja nicht.“ Doch die Ich-Erzählerin möchte kein Kind. Genauer gesagt möchte sie „nie, nie, nie“ Kinder bekommen – nicht mit ihrem Freund Philip, nicht mit jemand anderem und am allerwenigsten mit sich selbst.
Die norwegische Autorin Linn Strømsborg, die 2009 mit einer Erzählung über das Roskilde-Festival debütierte, legt mit Nie, nie, nie bereits ihren vierten Roman vor. Das Buch wurde von der norwegischen Kritik einstimmig positiv aufgenommen. Auch die deutsche Übersetzung von Stefan Pluschkat, die im April bei Dumont erschienen ist, traf auf ein begeistertes Echo, sodass bereits die zweite Auflage im Druck ist. Besonders gelobt wird Strømsborg dafür, dass sie es schafft, verschiedene Lebensentwürfe zu beschreiben, ohne sie gegeneinander auszuspielen: Obwohl die Erzählerin selbst keine Kinder möchte, wird der Roman an keiner Stelle zu einer Streitschrift gegen das Kinderkriegen im Allgemeinen. Strømsborg zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Entscheidung gegen Kinder auch immer eine Entscheidung für einen anderen Lebensentwurf mit eigenen Höhen und Tiefen ist. Und: dass eine Frau keine Kinder bekommen muss, um ein vollständiger Mensch zu sein und ein erfülltes und glückliches Leben zu haben. Eine ähnliche Geschichte erzählt übrigens auch Mutterschaft von Sheila Heti, das 2019 in der Übersetzung von Thomas Überhoff bei Rowohlt erschienen ist.
Mit ihrem Wunsch nach einem kinderfreien Leben steht die Erzählerin in Nie, nie, nie allerdings ziemlich allein da: Ihre Mutter strickt Babysachen, seitdem ihre Tochter neunzehn ist; die Freund:innen bekommen nach und nach Kinder und ziehen aus der Stadt weg. Selbst die Kollegin, die jahrelang vom kinderlosen Leben schwärmte, wird mit Anfang vierzig doch noch Mutter. Auch ihr Freund Philip hat sich eigentlich immer Kinder gewünscht, doch sie hat gleich zu Anfang der Beziehung klargestellt: „Ich kann dir keine Kinder versprechen.“ Philip war einverstanden; zu Beginn des Romans sind die beiden seit acht Jahren ein Paar. Nur Anniken, die beste Freundin der Erzählerin, scheint ihre Einstellung zum Kinderkriegen zu teilen – bis zu dem Spieleabend, an dem Anniken und ihr Freund freudestrahlend verkünden: „Wir sind schwanger!“ Worauf die Erzählerin nur erwidern kann: „Ach du Scheiße.“
Oder besser gesagt: Das erwidert sie in Stefan Pluschkats Übersetzung. Diese fängt den klaren und trotzdem emotionalen Ton des Originals insgesamt gut ein – und gerade deshalb lohnt sich ein Blick auf die Feinheiten des Textes. Denn der Vergleich des norwegischen Originals mit der deutschen Übersetzung zeigt, vor welchen Entscheidungen Übersetzer:innen in ihrem Arbeitsalltag stehen, und wie diese Entscheidungen den übersetzten Text formen.
Wo die Erzählerin im Deutschen „Ach du Scheiße« sagt, reagiert sie im Norwegischen mit „Jøss“. „Jøss“ geht wie das deutsche „Jesses“ auf den Namen Jesus zurück. Im Gegensatz zu der eher altbackenen deutschen Variante wird der Ausruf im Norwegischen auch heute noch oft gebraucht. An einer anderen Stelle übersetzt Pluschkat „Jøss« mit „Verdammt«, weitere mögliche Entsprechungen wären, je nach Kontext, „Ui“, „Uff“, „Oje“, „Wow“, „Au weia“ oder „O(h) Gott“. Strømsborg selbst erwähnt in einem Instagram-Post, dass sie sehr gespannt auf die Übersetzung von „Jøss« sei. Neben dem dänischen „Hold da op“ (ebenfalls ein Ausruf des Erschreckens oder Erstaunens) zähle sie auch „Ach du Scheiße“ zu ihren Favoriten – sie könne zwar kein Deutsch, aber sie mag die Kraft, die hinter den Worten steckt.
Wie auch eine Kommentatorin unter dem Beitrag anmerkt, ist „Ach du Scheiße“ ein gutes Stück negativer als „Jøss“. Die Übersetzung verstärkt in diesem Fall also die ablehnende Haltung der Erzählerin, während im Norwegischen eher Erschrecken und Überraschung im Vordergrund stehen. Interessanterweise taucht „Scheiße“ im deutschen Text noch an einer anderen Stelle auf, an der es im Norwegischen keine unmittelbare Entsprechung hat:
„Men det er jo helt krise, egentlig,“ sier Margrethe og rekker meg ølen før hun setter seg ned igjen. „Jeg spør ikke folk om deres innerste hemmeligheter, men det å få barn, det er liksom helt greit å grave i, kanskje til og med alt første gangen du møter noen! Det er min livmor, liksom, den er INNI KROPPEN MIN! Neste gang en fyr spør meg om jeg vil ha barn, så skal jeg spørre ham om han har sjekka seg for prostatakreft i det siste.“
„Eigentlich ist es eine Unverschämtheit“, sagt Margrethe, reicht mir mein Bier und setzt sich wieder. „Ich befrag die Leute doch auch nicht einfach so zu ihrem Intimleben! Aber sich mir nichts, dir nichts zu erkundigen, warum jemand kein Kind hat, ist offen- sichtlich erlaubt. Selbst wenn man jemandem zum allerersten Mal begegnet! Verdammte Scheiße, das ist MEINE Gebärmutter. IN MEINEM KÖRPER! Wenn mich das nächste Mal irgendein Typ fragt, ob ich Kinder will, sag ich einfach: Und wann hast du dich das letzte Mal auf Prostatakrebs untersuchen lassen?“
Wo auf Deutsch geflucht wird, steht im Norwegischen nur das Wörtchen „liksom“, das als Diskursmarker die Bedeutung der umliegenden Äußerung unterstreicht, ähnlich dem Englischen „like“ in „And I was like forget it“. Da die durch „liksom“ unterstrichene Betonung eigentlich schon durch die Großschreibung bei „MEINE Gebärmutter“ ausgedrückt wird, verleiht der Fluch der Passage im Deutschen noch einmal mehr Schlagkraft, als sie im Norwegischen besitzt – was nicht unangebracht ist, schließlich geht es um die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper. An beiden Stellen, an denen im Deutschen „Scheiße“ steht, verstärkt die Übersetzung also Bedeutungsebenen, die im Original mitschwingen. Die Aussagen wirken dadurch pointierter und schärfer, ohne ihren Kern zu verlieren.
Anders verhält es sich in der Passage, in der die Erzählerin ihren Frust über die Freundinnen beschreibt, die früher „am lautesten rausposaunt haben, sie würden keine Kinder wollen“, aber mittlerweile allesamt Mütter sind:
Dere ligner ikke på meg. Jeg ligner ikke på dere. Jeg står igjen her, helt aleine, og inni meg roper en stemme: Jeg skal aldri ha barn, aldri, aldri, aldri, og jeg mener det selv om jeg ikke tør å si det høyt.
Ihr seid anders als ich, ich bin anders als ihr. Ich stehe hier allein, und tief in mir drin ruft eine Stimme: Ich werde keine Kinder haben, nie, nie, nie, und das meine ich ernst, auch wenn ich vielleicht nicht so laut bin wie ihr.
„(Å) tørre å si noe høyt“ bedeutet „sich trauen, etwas laut zu sagen“ – und das ist hier meiner Meinung nach tatsächlich wörtlich gemeint. Die Stimme, die in der Erzählerin ruft, bleibt „tief in ihr drin“. Über ihr Bedürfnis, keine Kinder zu bekommen, spricht sie nur mit Philip, allerhöchstens noch mit Anniken. Bei allen anderen vermeidet sie das Thema, so gut es geht; in einer anderen Textpassage sagt sie sogar, dass sie sich schämt, darüber zu sprechen. Diese Momente zeigen die Erzählerin, die sich sonst kämpferisch und stark gibt, von ihrer verletzlichen Seite. Um diesen Charakterzug sichtbarer zu machen, wäre hier eine wörtlichere Übersetzung womöglich treffender gewesen.
Außerdem fällt auf, dass sich neutrale Formulierungen in der Übersetzung öfter in Redewendungen verwandeln: So wird „ble sint“ („wurde wütend“) auf Deutsch zu „ging an die Decke“; „bli solbrent“ („einen Sonnebrand bekommen“) zu „sich dermaßen den Pelz verbrannt [haben]“, „sa det som det var“ (in etwa: „sagte [ihm] die Wahrheit/wie es ist“) zu „schenkte ihm reinen Wein ein“ und „jeg begynner jo å bli gammel“ („ich werde ja langsam alt“) zu „ich gehöre so langsam zum alten Eisen“. Der mündlich-umgangssprachliche Ausdruck „helt krise“ (hier in etwa: „geht gar nicht“) aus dem ersten Zitat wird mit dem formelleren „eine Unverschämtheit“ übersetzt. Womöglich wollte der Übersetzer den Text so etwas auflockern oder bildlicher gestalten – tatsächlich wirkt der Erzählton durch diese Formulierungen aber gehobener und die Erzählerin dadurch ein gutes Stück älter als im Norwegischen.
Besonders kniffelig wird es für Übersetzer:innen oft dann, wenn im Original kulturelle Eigenheiten beschrieben werden, die in der Kultur der Übersetzung keine direkte Entsprechung haben. Hinrich Schmidt-Henkel, der aus dem Norwegischen, Französischen und Italienischen übersetzt, führt in einem Interview mit dem Kulturportal Faust aus: „Wenn wir etwas lesen, das in einer anderen Kultur spielt, dann wissen wir, dass es in einer anderen Kultur stattfindet. Man soll darum keine Sitten übersetzen. Wenn in einem Land Weihnachten der Strumpf in den Kamin gehängt wird, sollte man nicht sagen, der Weihnachtsbaum wird geschmückt!“
Stefan Pluschkat verwendet in seiner Übersetzung in dieser Hinsicht eine gemischte Strategie: Manches, was auf norwegische Eigenheiten und Bräuche verweist, wird stehen gelassen, anderes hingegen mitübersetzt. Ein gutes Beispiel dafür bietet das Weihnachtsessen, das die Erzählerin und ihr Freund getrennt verbringen: Bei Philips Familie gibt es den traditionellen skandinavischen Weihnachtsbrei mit einer „Überraschungsmandel“ darin. (Streng genommen handelt es sich beim norwegischen „julegrøt“ zwar um Milchreis, aber die Bezeichnung greift vermutlich ältere Übersetzungen aus dem skandinavischen Sprachraum auf, z. B. Sven Nordkvists gleichnamiges Bilderbuch).
Die ebenso traditionellen „medisterkaker“, die bei der Familie der Erzählerin auf den Tisch kommen, verwandeln sich hingegen in „Fleischklößchen“. Die meisten Leser:innen werden sich darunter vermutlich Hackklößchen vorstellen. Tatsächlich sind die „medisterkaker“ platte Frikadellen aus einer Schweinefleisch-Fett-Masse, die mit verschiedenen Kräutern wie Ingwer, Muskat und Piment gewürzt ist. Um diese Referenz zu bewahren, hätte man den norwegischen Begriff als Fremdwort im Text stehen lassen können, was in Übersetzungen nicht unüblich ist. Manche Übersetzungen arbeiten sogar mit einem Glossar, das Begriffe aus der Originalsprache erklärt, die in der Übersetzung stehengelassen wurden. Alternativ hätte man auf „Medisterwürstchen“ ausweichen können, die ebenfalls eine traditionelle Weihnachtsspeise sind. Im Gegensatz zu „Medisterfrikadelle“ oder „Medisterküchlein“ führt diese Variante beim Googeln zu annehmbaren Ergebnissen, sodass sich interessierte Leser:innen zumindest theoretisch einen Eindruck davon verschaffen hätten können, was an Weihnachten in Norwegen außer Weihnachtsbrei sonst noch auf den Tisch kommt.
In einer anderen Szene in Nie, nie, nie ist von feiernden Abiturienten und deren „geschmückten Wagen“ die Rede, aus denen bis spät in die Nacht laute Musik schallt. Was im Deutschen entweder nach Karnevalsumzug oder gewöhnlichen PKWs klingt, meint in Wahrheit aufgepimpte Busse, für die Schüler:innen des Abschlussjahrgangs meistens Unmengen von Geld ausgeben, um damit in der sogenannten „russetid“ herumzufahren und Party zu machen (die „russetid“ geht vom ersten bis zum siebzehnten Mai, dem norwegischen Nationalfeiertag). Es ist nicht einfach, diese kulturelle Referenz auf knappem Raum zu umreißen. Womöglich hätte man auch hier den norwegischen Begriff als Fremdwort im Text stehen lassen oder von aufgemotzten Bussen sprechen können, in denen die Russ-Feier der Abiturient:innen stattfindet. Interessierte Leser:innen hätten auch hier nicht lange suchen müssen, um en passant etwas diese skurrile norwegischen Tradition zu lernen. (Wer jetzt wissen will, wie eine Party in einem „russebus“ aussieht, kann sich zum Beispiel diese mehr recht als schlecht übersetzte VICE-Reportage durchlesen).
Nach allem Gesagten muss betont werden, dass die Entscheidungen, die Stefan Pluschkat getroffen hat, den positiven Gesamteindruck der Übersetzung nicht schmälern. Das „close reading“ zeigt zwar, dass manche kulturellen Bezüge weniger stark sind, als möglich gewesen wäre; auch ist der Ton an manchen Stellen ein anderer als im Norwegischen. Doch eben das liegt in der Natur des Übersetzens, oder wie Mahmoud Hassanein schreibt: „Ich übersetze, also interpretiere ich, also ändere und verändere ich.“ Was die vorausgegangenen Beispiele also vor allem zeigen, ist, dass Übersetzen mit einer Vielzahl von Entscheidungen verbunden ist und dass es oft mehrere passende Möglichkeiten gibt. Das Wesentliche ist, dass der Ton der Übersetzung insgesamt stimmig ist – und das ist Stefan Pluschkat bei Nie, nie, nie gelungen.