
Im Großen und Ganzen, darüber täuschen festliche Preisverleihungen und Lobesreden ja gerne einmal hinweg, ist es um das Prestige der übersetzerischen Profession schlecht bestellt. Traduttore traditore sagen die Italiener, zu Deutsch: Die spinnen, die Übersetzer.
Im dritten Band der Asterix-Serie von René Goscinny und Albert Uderzo, Asterix und die Goten, gibt es ein schönes Beispiel für dieses bedauernswerte Image. Der Druide Miraculix gerät in dieser Geschichte in gotische Gefangenschaft und soll für den Häuptling der Westgoten seinen berühmten Zaubertrank brauen. Der Häuptling mit dem sprechenden Namen Cholerik lässt zu diesem Zweck einen Übersetzer kommen. Dieser hört auf den noch sprechenderen Namen Holperik.
Holperik erweist sich allerdings schnell als äußerst unzuverlässig und kocht, metaphorisch gesprochen, sein eigenes Süppchen. Miraculix, der natürlich fließend Gotisch spricht und alles versteht, merkt dies. Irgendwann platzt ihm der Kragen und er ruft aus: „O Chef der Goten! Dein Übersetzer lügt!“
Cholerik, wir können es uns vorstellen, ist not amused und verurteilt Holperik zum Tode; dieser aber ist gerissen genug, um mithilfe des von Miraculix gebrauten Zaubertranks selbst die Macht zu übernehmen und seinerseits Cholerik zum Tode zu verurteilen. Schließlich herrscht so großes Chaos, dass sich für die gefangenen Gallier niemand mehr interessiert und sie weitgehend unbehelligt in ihre Heimat zurückkehren können.
Das Unglaubliche an dieser Geschichte ist nun, dass René Goscinny und Albert Uderzo nur zwei Jahre nach Erscheinen dieses Bandes, im Jahr 1965 selbst einem veritablen Holperik aufsitzen sollten, einem Traduttore traditore, wie er im Buche steht. Die ersten Übersetzungen ihrer Asterix-Bände ins Deutsche unter dem bizarren Titel „Siggi und Babarras“ waren so abscheuliche Verdrehungen und Geschichtsklittereien, dass die beiden Urheber in Paris entsetzt ihren Lizenzvertrag kündigten.
Wenn es ganz schlecht gelaufen wäre, hätte das das Ende für Asterix in Deutschland sein können. Der Vertrauensbruch bei den Urhebern, die mit der deutschen „Übersetzung“ dermaßen hinters Licht geführt wurden.
Doch zu unser aller Glück sprach im Jahr 1968 eine junge Frau bei René Goscinny in Paris vor, die nicht nur ausgezeichnet Französisch sprach, sondern sich auch noch mit Comics auskannte und für den Ehapa-Verlag arbeitete, der sich gerade anschickte, die Lizenzen für die Reihe zu übernehmen. Ihr Name: Gudrun Penndorf.
Das Zusammentreffen von Frau Penndorf mit René Goscinny 1968 in Paris dürfen wir uns als einen der glücklichsten Momente der deutschen Literaturgeschichte vorstellen, vergleichbar vielleicht mit der Verschleppung Martin Luthers auf die Wartburg im Jahr 1521. Denn was auf diesen historischen Moment folgte, war ein übersetzerisches Werk, das hinsichtlich seiner Sprachmacht und Wirkung seinesgleichen sucht.
Gudrun Penndorfs Eindeutschungen von Goscinnys Asterix‑, Lucky-Luke- oder Isnogud-Comics sind trans-kulturelle Geniestreiche für die Ewigkeit. Jeder kennt ihre Erfindungen und Prägungen. Die Hardcore-Fans können nicht nur ihre unsterblichen Dialoge mitsprechen, sondern auch die endlos lustige Liste von ihr erfundener sprechender Namen von A wie Automatix bis Z wie Zenturio Tullius Tortengus.
Auch der Name für den zweifelhaften Übersetzer Holperik geht auf sie zurück. Im Französischen heißt er Cloridric, was sich mit „salzsauer“ übersetzen ließe. Hier vermissen wir aber natürlich den Bezug zu seinem Charakter und seinem Beruf – Holperik passt da wirklich viel besser, man kann es nicht anders sagen. Herr Goscinny hätte sich von Frau Penndorf durchaus noch etwas abschauen können.
Und da das nicht nur in diesem Fall so ist, sondern all die mehr als 300 Comic-Bände durchzieht, die Gudrun Penndorf uns im Laufe ihres langen Lebens geschenkt hat, können wir kleinen lesenden Seelen nur dem lieben Teutates danken, dass er diese Frau vor mehr als fünfzig Jahren nach Paris geschickt hat.
Und hoffentlich hat Frau Penndorf mit ihrem unvergleichlichen Werk ja auch etwas für den Ruf aller Übersetzerinnen und Übersetzer getan.
Für den nächsten Asterix-Band wünsche ich mir eine Geschichte, „Asterix bei den Bayern“ könnte die zum Beispiel heißen, in der die gallischen Helden an der Landesgrenze von einer freundlichen, hilfsbereiten und kompetenten Dolmetscherin in liebenswürdigstem Dialekt empfangen werden, die den beiden mit ihren Künsten ein ums andere Mal das Leben rettet. Diese Figur bräuchte dann nur noch einen guten sprechenden Namen. Aber ich bin sicher, da wäre Gudrun Penndorf um guten Rat nicht verlegen.
Der Deutsche Jugendliteraturpreis zeichnet seit 1956 jährlich herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur aus und ist mit insgesamt 72.000 € dotiert. Der Sonderpreis für das Gesamtwerk sowie für ein „Neues Talent“ wird jährlich rotierend an Übersetzerinnen, Illustratorinnen oder Autorinnen verliehen.