Aste­rix bei der Bayerin

Der Deutsche Jugendliteraturpreis für das übersetzerische Gesamtwerk geht in diesem Jahr an die Asterix-Übersetzerin Gudrun Penndorf. TraLaLit-Redakteur Felix Pütter war Mitglied der Jury und erzählt die unglaubliche Geschichte, wie die aufmüpfigen Gallier nach Deutschland kamen.

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Gudrun Penndorf bei der Preisverleihung des Jugendliteraturpreises 2021
Gudrun Penndorf mit ihrer "Momo". Bild: © Sebastian Kissel

Im Gro­ßen und Gan­zen, dar­über täu­schen fest­li­che Preis­ver­lei­hun­gen und Lobes­re­den ja ger­ne ein­mal hin­weg, ist es um das Pres­ti­ge der über­set­ze­ri­schen Pro­fes­si­on schlecht bestellt. Tra­dut­to­re tra­di­to­re sagen die Ita­lie­ner, zu Deutsch: Die spin­nen, die Übersetzer. 

Im drit­ten Band der Aste­rix-Serie von René Gos­cin­ny und Albert Uder­zo, Aste­rix und die Goten, gibt es ein schö­nes Bei­spiel für die­ses bedau­erns­wer­te Image. Der Drui­de Mira­cu­lix gerät in die­ser Geschich­te in goti­sche Gefan­gen­schaft und soll für den Häupt­ling der West­go­ten sei­nen berühm­ten Zau­ber­trank brau­en. Der Häupt­ling mit dem spre­chen­den Namen Cho­le­rik lässt zu die­sem Zweck einen Über­set­zer kom­men. Die­ser hört auf den noch spre­chen­de­ren Namen Holperik. 

Hol­pe­rik erweist sich aller­dings schnell als äußerst unzu­ver­läs­sig und kocht, meta­pho­risch gespro­chen, sein eige­nes Süpp­chen. Mira­cu­lix, der natür­lich flie­ßend Gotisch spricht und alles ver­steht, merkt dies. Irgend­wann platzt ihm der Kra­gen und er ruft aus: „O Chef der Goten! Dein Über­set­zer lügt!“ 

Cho­le­rik, wir kön­nen es uns vor­stel­len, ist not amu­sed und ver­ur­teilt Hol­pe­rik zum Tode; die­ser aber ist geris­sen genug, um mit­hil­fe des von Mira­cu­lix gebrau­ten Zau­ber­tranks selbst die Macht zu über­neh­men und sei­ner­seits Cho­le­rik zum Tode zu ver­ur­tei­len. Schließ­lich herrscht so gro­ßes Cha­os, dass sich für die gefan­ge­nen Gal­li­er nie­mand mehr inter­es­siert und sie weit­ge­hend unbe­hel­ligt in ihre Hei­mat zurück­keh­ren können.

Das Unglaub­li­che an die­ser Geschich­te ist nun, dass René Gos­cin­ny und Albert Uder­zo nur zwei Jah­re nach Erschei­nen die­ses Ban­des, im Jahr 1965 selbst einem veri­ta­blen Hol­pe­rik auf­sit­zen soll­ten, einem Tra­dut­to­re tra­di­to­re, wie er im Buche steht. Die ers­ten Über­set­zun­gen ihrer Aste­rix-Bän­de ins Deut­sche unter dem bizar­ren Titel „Sig­gi und Bab­ar­ras“ waren so abscheu­li­che Ver­dre­hun­gen und Geschichts­klit­te­rei­en, dass die bei­den Urhe­ber in Paris ent­setzt ihren Lizenz­ver­trag kündigten.

Wenn es ganz schlecht gelau­fen wäre, hät­te das das Ende für Aste­rix in Deutsch­land sein kön­nen. Der Ver­trau­ens­bruch bei den Urhe­bern, die mit der deut­schen „Über­set­zung“ der­ma­ßen hin­ters Licht geführt wurden.

Doch zu unser aller Glück sprach im Jahr 1968 eine jun­ge Frau bei René Gos­cin­ny in Paris vor, die nicht nur aus­ge­zeich­net Fran­zö­sisch sprach, son­dern sich auch noch mit Comics aus­kann­te und für den Eha­pa-Ver­lag arbei­te­te, der sich gera­de anschick­te, die Lizen­zen für die Rei­he zu über­neh­men. Ihr Name: Gud­run Penndorf.

Das Zusam­men­tref­fen von Frau Penn­dorf mit René Gos­cin­ny 1968 in Paris dür­fen wir uns als einen der glück­lichs­ten Momen­te der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te vor­stel­len, ver­gleich­bar viel­leicht mit der Ver­schlep­pung Mar­tin Luthers auf die Wart­burg im Jahr 1521. Denn was auf die­sen his­to­ri­schen Moment folg­te, war ein über­set­ze­ri­sches Werk, das hin­sicht­lich sei­ner Sprach­macht und Wir­kung sei­nes­glei­chen sucht.

Gud­run Penn­dorfs Ein­deut­schun­gen von Gos­cin­nys Asterix‑, Lucky-Luke- oder Isno­gud-Comics sind trans-kul­tu­rel­le Genie­strei­che für die Ewig­keit. Jeder kennt ihre Erfin­dun­gen und Prä­gun­gen. Die Hard­core-Fans kön­nen nicht nur ihre unsterb­li­chen Dia­lo­ge mit­spre­chen, son­dern auch die end­los lus­ti­ge Lis­te von ihr erfun­de­ner spre­chen­der Namen von A wie Auto­ma­tix bis Z wie Zen­tu­rio Tul­li­us Tortengus. 

Auch der Name für den zwei­fel­haf­ten Über­set­zer Hol­pe­rik geht auf sie zurück. Im Fran­zö­si­schen heißt er Clo­rid­ric, was sich mit „salz­sauer“ über­set­zen lie­ße. Hier ver­mis­sen wir aber natür­lich den Bezug zu sei­nem Cha­rak­ter und sei­nem Beruf – Hol­pe­rik passt da wirk­lich viel bes­ser, man kann es nicht anders sagen. Herr Gos­cin­ny hät­te sich von Frau Penn­dorf durch­aus noch etwas abschau­en können.

Und da das nicht nur in die­sem Fall so ist, son­dern all die mehr als 300 Comic-Bän­de durch­zieht, die Gud­run Penn­dorf uns im Lau­fe ihres lan­gen Lebens geschenkt hat, kön­nen wir klei­nen lesen­den See­len nur dem lie­ben Teu­ta­tes dan­ken, dass er die­se Frau vor mehr als fünf­zig Jah­ren nach Paris geschickt hat.

Und hof­fent­lich hat Frau Penn­dorf mit ihrem unver­gleich­li­chen Werk ja auch etwas für den Ruf aller Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer getan. 

Für den nächs­ten Aste­rix-Band wün­sche ich mir eine Geschich­te, „Aste­rix bei den Bay­ern“ könn­te die zum Bei­spiel hei­ßen, in der die gal­li­schen Hel­den an der Lan­des­gren­ze von einer freund­li­chen, hilfs­be­rei­ten und kom­pe­ten­ten Dol­met­sche­rin in lie­bens­wür­digs­tem Dia­lekt emp­fan­gen wer­den, die den bei­den mit ihren Küns­ten ein ums ande­re Mal das Leben ret­tet. Die­se Figur bräuch­te dann nur noch einen guten spre­chen­den Namen. Aber ich bin sicher, da wäre Gud­run Penn­dorf um guten Rat nicht verlegen.

Der Deut­sche Jugend­li­te­ra­tur­preis zeich­net seit 1956 jähr­lich her­aus­ra­gen­de Wer­ke der Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur aus und ist mit ins­ge­samt 72.000 € dotiert. Der Son­der­preis für das Gesamt­werk sowie für ein „Neu­es Talent“ wird jähr­lich rotie­rend an Über­set­ze­rin­nen, Illus­tra­to­rin­nen oder Autorin­nen verliehen. 


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