Laut einer Studie der Universität Bielefeld halten über 50% der Deutschen die Geschichtsaufarbeitung in ihrem Land für „vorbildlich“. Dabei musste die Aufarbeitung der NS-Verbrechen hierzulande erst gegen große Widerstände durchgesetzt werden und wäre ohne Einflüsse aus dem Ausland wohl ganz anders verlaufen. Der Übersetzer und Kulturwissenschaftler Georg Felix Harsch hat in seiner Dissertationsschrift, die 2021 unter dem Titel „Übersetzung als Erinnerung“ erschienen ist, die frühen Anfänge dieser „importierten“ Erinnerung erforscht. Seine Analyse dreier übersetzter Sachbücher aus dem Englischen beschreitet nicht nur methodisch neues Gelände, sie stellt auch die angeblich so „vorbildliche“ deutsche Erinnerungskultur in den internationalen Kontext, in den sie gehört.
Der 27. Januar ist in Deutschland heute ein nationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, samt Zeremonie im Bundestag. Zu der Zeit, mit der Sie sich beschäftigt haben, war das jedoch ganz anders. Wie wurde unmittelbar nach Kriegsende mit der verstörenden NS-Vergangenheit Deutschlands umgegangen?
Zwischen 1945 und 1949 gab es unter dem Druck der Alliierten noch konkrete Entnazifizierungsbemühungen. Doch schon nach den beiden Staatsgründungen 1949 wurden die nationalsozialistischen Eliten, die Täterinnen und Täter, in die Gesellschaft re-integriert. In Westdeutschland wurde fast die gesamte Beamtenschaft wieder eingestellt. Ein Gegengewicht dazu bildete beispielsweise das Grundgesetz mit seiner konkreten antinationalsozialistischen Ausrichtung. Entsprechend gab es auch zu dieser Zeit Akteurinnen und Akteure, üblicherweise mit Verfolgungshintergrund, die sich gegen diese Reintegration und die massenhafte Verdrängung engagierten. Aber der Diskurs öffnete sich im Westen fast perverserweise erst nach dem großen Straffreiheitsgesetz von 1954, weil die konkreten Täter nun viel weniger Strafverfolgung zu befürchten hatten und das Sprechen über die NS-Verbrechen deshalb weniger intensiv abwehrten.
Und in der DDR?
In der DDR gab es einerseits diese große Integration nicht. Da hielt die Phase der Entnazifizierung länger an. Andererseits betonte man dort unter den Vorzeichen des vereinfachten kommunistischen Geschichtsbildes vor allem die Verbrechen am kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstand. Der Massenmord wurde einfach als Ergebnis einer faschistischen, mörderischen Form des Ultra-Kapitalismus dargestellt, sodass die konkrete jüdische Identität der Holocaust-Opfer unter den Tisch fiel. Der Verdrängungsdiskurs war also anders als in der BRD, führte aber zu einem ähnlichen Ergebnis. Auf beiden Seiten der Grenze war man mit der Abwehr eines konstruierten Kollektivschuldvorwurfs beschäftigt.
Hat diese Verdrängung die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verbrechen behindert?
Auf jeden Fall. In den 50er Jahren ist keine einzige originalsprachliche Monografie zu den NS-Verbrechen auf Deutsch erschienen. Offensichtlich gab es Diskursgesetze und Tabus, die eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema verhinderten.
Woran lag das konkret?
Man muss sich klarmachen, dass zu dieser Zeit im Kulturbetrieb, in den Feuilletons und an den universitären Lehrstühlen für Geschichte wie auch im 1949 gegründeten Institut für Zeitgeschichte überwiegend Leute saßen, die in den nationalsozialistischen Institutionen ausgebildet worden waren. Die haben völlig andere Fragen gestellt als es ehemalige Opfer nationalsozialistischer Verfolgung getan hätten. Es gab zwar im Kuratorium des IfZ während der gesamten 50er Jahre den Plan, eine große Monographie über die NS-Verbrechen zu schreiben. Das ist aber immer wieder hintangestellt worden, wahrscheinlich weil man sich unbewusst nicht mit diesen Themen beschäftigen wollte.
In England sah das offenbar anders aus.
Richtig. Ich habe mich in meiner Dissertation mit drei wichtigen Monografien über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen beschäftigt, die dort in den ersten zehn Jahren nach Kriegsende erschienen sind. Die gehen sehr unterschiedlich an das Thema heran. Alan Bullocks Hitler-Biografie mit dem Untertitel A Study in Tyranny ist eine ganz klassische Herrscherbiografie – die erste in Deutschland veröffentlichte Hitler-Biografie, die nicht von einem Nationalsozialisten geschrieben wurde. The Final Solution von Gerald Reitlinger, einem Privatgelehrten und Kunsthistoriker, war 1953 die erste Monografie über den Holocaust und die NS-Verbrechen weltweit. Auch in Yad Vashem war man damals noch nicht so weit. Und das 1954 in Großbritannien erschienene The Scourge of the Swastika von Lord Russell of Liverpool, einem ehemaligen Militärstaatsanwalt, ist ein populäres, bisweilen populistisches Sachbuch, in dem er seine Erfahrungen und Quellenkenntnisse aus den KZ-Prozessen verarbeitete.
Waren diese Quellen in Deutschland nicht verfügbar?
Doch, das wäre nicht das Problem gewesen. Die Protokolle der Nürnberger Prozesse und der von den Alliierten durchgeführten KZ-Prozesse lagen auch in Deutschland vor. Auf diese Protokolle stützen sich auch die drei Bücher, mit denen ich mich beschäftigt habe.
Wurden denn die britischen Forschungsergebnisse in Deutschland zur Kenntnis genommen?
In Deutschland war man ausländischen Historikerinnen und Historikern gegenüber sehr skeptisch. Die vorherrschende Haltung war: „Wir Deutschen verstehen die Nazis nun mal am besten – wenn jemand darüber eine Monografie schreiben kann, dann wir.“ Gleichzeitig hat man es aber immer wieder verschleppt und verhindert – ein fataler Double Bind der Verdrängung.
Wie kam es dann überhaupt dazu, dass die drei Bücher ins Deutsche übersetzt wurden?
Das passierte, weil es auch in Deutschland einen Bedarf an verschriftlichtem Wissen zu den NS-Verbrechen gab. Am faszinierendsten ist in der Hinsicht die Geschichte von Lord Russells The Scourge of the Swastika, und die hat mit dem konkreten Hintergrund seiner Entstehung zu tun. Viele Briten nahmen die Deutschen so kurz nach Kriegsende nämlich nach wie vor als Feinde wahr – was verständlich ist, schließlich hatten sie ja teilweise traumatische Kriegserfahrungen hinter sich! Die offizielle Politik in Großbritannien steuerte aber schon auf die Einbindung der BRD in den Westblock gegen die Sowjetunion zu. Dadurch wurde Lord Russells Buch, das den Nationalsozialismus als insgesamt verbrecherisches Regime charakterisiert, in regierungskritischen, deutschlandfeindlichen Kreisen Großbritanniens dankbar aufgenommen. Genau dieser Aspekt aber war wiederum in der DDR anschlussfähig. Der Verlag Volk und Welt erkannte, dass sich das antideutsche Ressentiment, das darin teilweise transportiert wurde, einfach auf die Bundesrepublik ummünzen und so als Instrument der DDR-Propaganda nutzen ließ. Deshalb ließ er das Werk von der Historikerin Roswitha Czollek ins Deutsche übersetzen. Der Autor selbst war zwar konservativer Aristokrat durch und durch, hatte aber offensichtlich überhaupt keine Berührungsängste. Er ließ sich sogar in die DDR einladen und posierte mit Walter Ulbricht. So produzierten die unterschiedlichen Interessen Russells, der DDR und der Leute beim Verlag Volk und Welt eine wichtige, dringend benötigte Ressource zu den NS-Verbrechen.
Und in Westdeutschland?
Auch da gab es Leute, die es als Teil ihrer politisch-publizistischen Aufgabe verstanden, die NS-Verbrechen aufs Tapet zu bringen. Die meisten von ihnen befanden sich in marginalisierten Positionen. Diejenigen aber, die gewisse Möglichkeiten hatten, fanden im Ausland Anschluss an einen Diskurs, der es ermöglichte, diese Taten wirklich als Verbrechen zu thematisieren. So zum Beispiel der Leiter der damaligen Bundeszentrale für Heimatdienst, Paul Franken, oder der Leiter des FU-eigenen akademischen Verlags Otto Hess, auf deren Initiative die Übersetzung von Reitlingers Final Solution zurückgeht.
Welche Rolle spielten dabei die Übersetzerinnen und Übersetzer?
Es war für alle Beteiligten ein großer Kraftakt, diesen Diskursimport gegen wahnsinnige Widerstände zu vollziehen. Das gilt nicht nur für die konkreten Übersetzerinnen und Übersetzer, sondern auch für ihre erweiterten Netzwerke, die aus diesen extrem minoritären antinazistischen Milieus kamen. Tatsächlich haben ja auch zwei der vier Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen ich mich beschäftigt habe, einen Verfolgungshintergrund. Wolfgang Brügel, der Übersetzer von The Final Solution, war hoher Beamter in der Tschechoslowakei gewesen, ehe er 1939 vor den Nazis floh. Als sudetendeutscher sozialdemokratischer Exilant in London hatte er auch eine sehr komplexe Sprachsozialisation. Im Exil konnte er nicht mehr in der Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs nehmen, wie er es von früher gewohnt war. Aber als The Final Solution in England erschien, hat er sofort gesehen: Das muss auf Deutsch rauskommen.
Ging es dabei um die Fakten, die das Buch enthielt, oder um die grundsätzliche Perspektive?
Es geht immer um beides. Mit diesen drei Büchern wurde ein Textbestand geschaffen, der diese Fakten überhaupt in Monografien nachlesbar machte. Das war der erste Schritt. Russells Buch beispielsweise gibt einen Gesamtüberblick über die gesamten NS-Verbrechen – darunter auch solche, die im deutschen Diskurs noch Jahrzehnte später verdrängt wurden, wie beispielsweise der Massenmord an etwa drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen durch die Wehrmacht. Das war damals alles schon sagbar und verfügbar als erzählte Fakten. Aber natürlich ist das Entscheidende die Perspektive, die bestimmt, wo man das diskursiv platzieren kann.
Im Zweifel, ob es dann überhaupt gelesen wird.
Zunächst mal, ob es veröffentlichbar ist. Das Faszinierende an den drei Büchern, mit denen ich mich beschäftigt habe, war für mich auch, dass sie – anders als beispielsweise Hannah Arendts Buch über Adolf Eichmann oder die Fernsehserie Holocaust – nie Auslöser von großen Debatten oder gar Umbrüchen waren. Im Gegenteil: zwei davon hatten, wenn überhaupt, nur eine sehr langsame, mühsame Wirkungsgeschichte. Aber dadurch wird natürlich ihre Entstehungsgeschichte nochmal umso interessanter. In den 50er Jahren gab es auch noch nicht die Professionalisierung von Literatur- bzw. Sachbuchübersetzung, die wir heute haben.
Sie haben selbst auch Sachbücher über NS-Themen übersetzt. Hat Ihnen das beim Zugriff auf diese Themen geholfen?
Ich wäre ohne die eigene Berufserfahrung gar nicht zu dieser Fragestellung gekommen. In meiner Tätigkeit für verschiedene KZ-Gedenkstätten und Verlage war ich natürlich die ganze Zeit mit solchen Fragen konfrontiert: Wie strukturiert eine Sprache einen bestimmten Wissensgegenstand vor? Und wie strukturiert dieser sich automatisch neu, wenn die Sprache wechselt?
Ihr Buch heißt ja dementsprechend auch „Übersetzung als Erinnerung“. Inwiefern hängen die zwei zusammen?
Ich hatte schon seit Jahren das Gefühl, dass es eine starke strukturelle Ähnlichkeit zwischen gesellschaftlicher Erinnerung und Übersetzung gibt. Beides sind Prozesse, die einen Wissensgegenstand über eine Grenze transportieren und rekontextualisieren. Eine gesellschaftliche Erinnerung bringt einen Wissensbestand aus der Vergangenheit in die Gegenwart, dabei kontextualisiert und strukturiert sie ihn neu. Eine Sachbuchübersetzung transportiert einen Wissensbestand über eine sprachliche Grenze. Die narrative Struktur ist hier zwar im Original schon vorgegeben. Aber die Übersetzung bringt sie in einen neuen Kontext und sorgt so für eine Restrukturierung.
Wie sind die Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen Sie sich beschäftigt haben, in ihrer konkreten Arbeit mit dieser sprachlichen und kulturellen Grenze umgegangen?
Man bemerkt in der sprachlichen Form der übersetzten Produkte immer ganz stark, wo Grenzen lagen und wo bestimmte diskursive Mechanismen griffen. Zum Beispiel hatten die beiden Monografien über die NS-Verbrechen, die Bücher von Reitlinger und Russell, in ihren Übersetzungen von Wolfgang Brügel und Roswitha Czollek jeweils einen stärkeren Gegenwartsbezug als im Original. Die Originale sind Bücher, die über einen abgeschlossenen Gegenstand berichten – Verbrechen, die zu Ende sind. Für die deutschen Ausgaben wurden im Verlag Zusatzinformation hinzugefügt, die auch meistens als solche gekennzeichnet waren. Bei der Beschreibung konkreter Taten beispielsweise die Information, in welchem Ministerium oder an welchem Gericht die Täter nach Kriegsende weiter tätig waren. Das verändert natürlich in beiden Büchern auch die Perspektive auf die Ereignisse.
Und im dritten Buch, der Hitler-Biografie von Alan Bullock?
In diesem Buch, das auch in der deutschen Übersetzung von Wilhelm und Modeste Pferdekamp zu einem absoluten Bestseller avancierte und sich bis in die 70er Jahre hinein gut verkaufte, gibt es zum Thema „NS-Verbrechen“ nur ein acht Seiten langes Minikapitel. Das ist zwar sehr konzise und gar nicht mal so weit weg vom heutigen Wissensstand, im Kontext des Buches ist es aber marginal. Und in der Übersetzung dieses Kapitels gibt es interessanterweise mehr sprachliche Auffälligkeiten, mehr unkorrigierte Übersetzungsfehler als im Rest des Buches. Mich verleitet das zu der Annahme, dass man möglicherweise versucht hat, dieses Kapitel erst mal einfach herauszunehmen, und es dann – womöglich im Konflikt mit dem englischen Verlag – relativ schnell wieder einfügen musste. Es fällt nämlich zudem stilistisch, in der Wortwahl und auch tatsächlich in der Qualität der Bearbeitung heraus.
In Sachtexten dient die Sprache, anders als bei Romanen oder Gedichten, vermeintlich nur der Vermittlung von Fakten oder von Wissen. Aber als Übersetzer ist man ja dann aber doch auf die Sprache zurückgeworfen. Hat man dadurch ein feineres Gespür dafür, wie die sprachliche Form ihren Inhalt beeinflusst?
Absolut. Geschichte ist in der Praxis ja immer mindestens auch Historiographie, also das Schreiben von Geschichte. Da kommt es natürlich darauf an, wie geschrieben wird. In Alan Bullocks Hitler-Biografie steht an einer Stelle, die Behandlung der Zivilbevölkerung in der besetzten Sowjetunion durch die deutsche Wehrmacht sei „particularly harsh“ gewesen. In der deutschen Übersetzung des Pferdekamp-Ehepaars steht dort das Adjektiv „schroff“. Das klingt so, als seien die deutschen Soldaten irgendwie unhöflich gewesen. In dem englischen „harsh“ hingegen haben das Gnadenlose und die Gewalt schon semantisch Platz. Dazu muss man wissen: Wilhelm Pferdekamp war Mitglied der NSDAP und der Reichsschrifttumskammer gewesen. Ein Übersetzer mit Verfolgungshintergrund hätte wahrscheinlich eine andere Formulierung für „harsh“ gewählt. Übersetzung ist eben nie nur eine Wiedergabe von Fakten. Es ist alles immer narrativ strukturiert und massiv kontextabhängig. Diese Sprachprobleme müssten sich eigentlich immer stellen, wenn man über Geschichte oder über Historiographie spricht.
Tun sie das nicht?
Nein, im Gegenteil. Meine Perspektive mobilisiert viele Abwehrmechanismen. Historikerinnen und Historikern kommt es oft so vor, als würden die „harten Fakten“ der Geschichtswissenschaft durch einen eher literaturwissenschaftlichen Zugang und durch „Über-Interpretation“ – das ist der Kampfbegriff, der dann oft fällt – irgendwie entwertet. Es gibt eine regelrechte Aggression gegen das Nicht-Originale und seine zusätzlichen Kontexte und Bedeutungsebenen. Und in der Literaturwissenschaft wiederum habe ich es erlebt, dass viele sich fragen, warum man sich mit längst überholten Sachbüchern aus den 50ern beschäftigen sollte, die nie in irgendeinen Kanon eingegangen sind. Interdisziplinarität wird immer auch mit einem gewissen Argwohn beobachtet, um es mal mild auszudrücken.
Welche Wirkung hatten die von Ihnen untersuchten Texte denn für die frühe Erinnerungskultur in Deutschland?
Auch da muss man unterscheiden. Bei Bullocks Hitler-Biografie haben wir es ja wie gesagt mit einem Bestseller zu tun. Das Entscheidende dabei war, dass es von vorne bis hinten den Diskurs bediente, demzufolge alles Hitlers Schuld war. Das Fazit von jedem längeren Kapitel lautet: „Hitler war’s!“ Russells Buch Geißel der Menschheit, das nach der erfolgreichen Erstveröffentlichung in der DDR später per Lizenzausgabe auch in der Bundesrepublik veröffentlicht wurde, hat dort eine sehr große Bedeutung für die Entwicklung der westdeutschen Gedenkstättenbewegung entfaltet. Es war zum Beispiel ein wichtiges Grundlagenwerk für die Gruppen, die sich für eine Etablierung einer Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme in Hamburg starkgemacht haben. Und Reitlingers Endlösung hat zwar zunächst sehr wenig Nachhall gehabt. Aber es ist trotzdem ein absolutes Pionierwerk, quasi ein Depot, in dem man schon früh sehr viel nachlesen konnte, wenn man eben wollte. All diese Versuche hatten aber nicht mal ansatzweise den diskursiven Erfolg, den man ihnen aus der heutigen Perspektive eigentlich zuordnen wollen würde.
Wie blicken Sie denn, ausgehend von Ihrer Forschung, auf den weiteren Verlauf der sogenannten Erinnerungskultur in Deutschland?
Die Erinnerung an den Holocaust ist durchgehend von Übersetzungen geprägt. Deswegen muss man ihre Geschichte meiner Meinung nach eigentlich immer auch als Übersetzungsgeschichte erzählen, gerade auch als englisch-deutsche. In den späten 70ern begann beispielsweise eine Adaption einer amerikanischen Perspektive, die mit einer starken Opferidentifikation verbunden war. Das hat in Deutschland wahnsinnig viele Tabus aufgelöst und vieles sagbar gemacht, aber natürlich auch dazu geführt, dass man sich der eigenen Familiengeschichte nicht stellen musste, in der die Linien möglicherweise direkt zu den Tätern geführt hätten. Vielleicht setzt diese Forschungsrichtung, also die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als Familiengeschichte, gerade deshalb so zaghaft ein, weil sie relativ wenig auf Übersetzungen rekurrieren müsste. Solche Zusammenhänge werden eben erst deutlich, wenn man Übersetzungen als eigenständige kulturelle Produkte begreift. In der Hinsicht gibt es noch ohne Ende offene Fragen.