Nichts ist zeitlos

Aphra Behn war nicht nur Englands erste Berufsschriftstellerin, sondern auch Spionin und Übersetzerin. Die Übersetzungen ihres bedeutendsten Werks "Oroonoko" zeigen, wie sich hierzulande der Umgang mit rassistischen Begriffen gewandelt hat. Von

Aphra Behn ist auf dem Cover zu sehen. Hintergrundbild: Unsplash (c) Geordanna Cordero

Das Grab der eng­li­schen Dich­te­rin Aphra Behn befin­de sich, schreibt nie­mand Gerin­ge­res als Vir­gi­nia Woolf in ihrem Essay Ein Zim­mer für sich allein, „skan­da­lö­ser­wei­se, aber aus guten Grün­den in der West­mins­ter Abbey“. Skan­da­lö­ser­wei­se, weil Behn ent­ge­gen jeg­li­cher gesell­schaft­li­chen Erwar­tun­gen zeit­le­bens eine erfolg­rei­che Dich­te­rin war, die mit ihrem Schrei­ben ihr eige­nes Geld ver­dien­te. Skan­da­lö­ser­wei­se aber auch, weil sie poli­ti­sche, ero­ti­sche und somit für eine Frau skan­da­lö­se Ver­se geschrie­ben hat­te, die man­che nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen als anstö­ßig empfanden.

Oft heißt es nun über Aphra Behn, die ver­mut­lich 1689 in Lon­don starb, sie sei eine in Ver­ges­sen­heit gera­te­ne Dich­te­rin, die in den letz­ten Jahr­zehn­ten im Zuge der femi­nis­ti­schen Auf­ar­bei­tung der eng­lisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur­ge­schich­te wie­der­ent­deckt wur­de. Tat­säch­lich ist unbe­streit­bar, dass ihr Werk dank die­ser Auf­ar­bei­tung (und der loben­den Wor­te einer Vir­gi­nia Woolf) heu­te anders bewer­tet wird als in ande­ren Jahr­hun­der­ten. Galt sie vor allem im vik­to­ria­ni­schen Zeit­al­ter als frag­wür­di­ge Autorin, die im Lon­don der Stuart-Restau­ra­ti­on unzäh­li­ge Gedich­te und Dra­men geschrie­ben hat­te, denen es angeb­lich an lite­ra­ri­scher Qua­li­tät man­gel­te, wird sie heut­zu­ta­ge als Eng­lands ers­te Berufs­schrift­stel­le­rin gese­hen, die den gro­ßen eng­lisch­spra­chi­gen Schrift­stel­le­rin­nen des 18. und 19. Jahr­hun­derts den Weg bahn­te. Der Platz im Kanon der eng­lisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur ist ihr inzwi­schen sicher.

Und den­noch tut man Aphra Behn Unrecht, wenn man sie als eine „in Ver­ges­sen­heit“ gera­te­ne Dich­te­rin bezeich­net, die erst aus der Obsku­ri­tät geret­tet wer­den muss­te. Behn war schon zu Leb­zei­ten über­aus bekannt und schrieb unter dem Pseud­onym Astrea ein Dra­men­stück nach dem ande­ren. Auch unzäh­li­ge Gedich­te und eini­ge Pro­sa­tex­te gehö­ren zu ihrem Werk. Nicht zuletzt hat sie übri­gens auch über­setzt, vor­ran­gig aus dem Fran­zö­si­schen, dar­un­ter Fon­ten­el­les His­toire des Ora­cles. Sie war eine über­aus pro­duk­ti­ve Dich­te­rin, auch weil sie damit ihren Lebens­un­ter­halt sicher­te und auf­grund ihres aus­schwei­fen­den Lebens­stils oft eini­ge Schul­den zu beglei­chen hatte. 

Ihre unge­wöhn­li­che Bio­gra­fie zeich­net das Bild einer extra­va­gan­ten, ehr­gei­zi­gen Frau. Sie galt als attrak­tiv, war ledig­lich kurz ver­hei­ra­tet (ihr Ehe­mann starb wohl nach der Hoch­zeit) und stürz­te sich mit Anfang drei­ßig in das Lon­do­ner Leben, ihren Namen kann­te man am Hof von Karl II. Zuvor hat­te sie den Geschich­ten zufol­ge in einer damals eng­li­schen Kolo­nie in Süd­ame­ri­ka gelebt, war als Spio­nin für das eng­li­sche Königs­haus nach Ant­wer­pen gegan­gen und hat­te nicht zuletzt auch eini­ge Zeit im Gefäng­nis ver­bracht, der Grund waren auch hier wohl eini­ge unbe­zahl­te Schul­den. Männ­li­che Zeit­ge­nos­sen irri­tier­te ihre Schrift­stel­le­rei, daher ver­such­ten sie Behn hin und wie­der zu dif­fa­mie­ren. Die­se ant­wor­te­te unbe­irrt in mes­ser­schar­fen, wenig sub­ti­len Ver­sen, die sie ihre Schau­spie­ler auf der Büh­ne vor­tra­gen ließ:

Geist und Klug­heit fol­gen wir gern,
Aber den törich­ten und hirn­lo­sen Herrn
Bewei­sen wir hier, dass wir, nebst and­rem sonst,
Euch kopie­ren mit beacht­li­cher Kunst:
Und wenn ihr das Thea­ter liebt, sagt an,
War­um soll­te eine Frau nicht so gut schrei­ben wie ein Mann? 

Ihr heut­zu­ta­ge bekann­tes­tes Werk ist Oroo­no­ko oder Der könig­li­che Skla­ve (1688), eine Erzäh­lung, die im Zuge der post­ko­lo­nia­len Aus­ein­an­der­set­zung mit Lite­ra­tur neu­er­dings wie­der an Rele­vanz gewann, aber auch in for­ma­ler Hin­sicht inter­es­sant ist. Der Pro­sa­text wird als Vor­läu­fer, wenn nicht sogar als einer der ers­ten eng­li­schen Roma­ne über­haupt gese­hen (Defoes Robin­son Cru­soe, ein Mei­len­stein in der Geschich­te des eng­li­schen Romans, erschien erst 1719). Der Roman erzählt die Geschich­te der Titel­fi­gur, Oroo­no­ko, des­sen Groß­va­ter der König von Cora­ma­n­ti­en (dem heu­ti­gen Gha­na) ist. Oroo­no­ko wird als edler, nach euro­päi­schem Vor­bild aus­ge­bil­de­ter jun­ger Prinz beschrie­ben, der sich unsterb­lich in die schö­ne Imo­in­da ver­liebt. Doch sein eifer­süch­ti­ger Groß­va­ter macht ihm Kon­kur­renz und führt Imo­in­da in sei­nen Besitz über.

Als der Groß­va­ter die bei­den beim Lie­bes­spiel ent­deckt, ver­kauft er zum Unglück Oroo­no­kos die jun­ge Imo­in­da an einen Skla­ven­händ­ler. Spä­ter gerät Oroo­no­ko zusam­men mit sei­ner Beleg­schaft in einen Hin­ter­halt und wird selbst als Skla­ve nach Suri­nam gebracht. Dort ver­kauft man ihn an den Skla­ven­hal­ter Tefry, auf des­sen Land er schließ­lich Imo­in­da wie­der trifft. Als die­se schwan­ger wird, ver­langt Oroo­no­ko sei­ne Frei­heit, um in sein Hei­mat­land zurück­zu­keh­ren. Frus­triert von den lee­ren Ver­spre­chun­gen des Gou­ver­neurs orga­ni­siert er schließ­lich eine Revol­te – die ein äußerst blu­ti­ges Ende nimmt.

Behn schrieb den Text nicht zur Hoch­zeit ihres lite­ra­ri­schen Schaf­fens, son­dern erst gegen Ende ihres Lebens. Womög­lich blick­te sie mit der Erzäh­lung auf ihre eige­nen Erfah­run­gen in Suri­nam zurück, das damals kurz­zei­tig eine eng­li­sche Kolo­nie war, die spä­ter gänz­lich an die Nie­der­lan­de abge­tre­ten wur­de und erst 1975 ihre Unab­hän­gig­keit erlang­te. Es wird davon aus­ge­gan­gen, obgleich die Fak­ten­la­ge recht dünn ist, dass Behn zusam­men mit ihren Eltern (der Vater ver­starb wohl auf der Über­fahrt) und ihrem Bru­der in die Kolo­nie reis­te. Über das Leben der Fami­lie vor Ort ist wenig bekannt, und eini­ge bezwei­feln noch immer, dass Behn tat­säch­lich in Suri­nam gewe­sen war, obgleich der Text durch­zo­gen ist von detail­lier­ten Beschrei­bun­gen der Umge­bung und es tat­säch­lich belegt ist, dass es in der benann­ten Regi­on eini­ge Skla­ven­auf­stän­de gab.

Oroo­no­ko galt im 17. Jahr­hun­dert als Erfolg und erschien in immer neu­en Aus­füh­run­gen. Eine Büh­nen­fas­sung von Tho­mas Sou­ther­ne sorg­te dafür, dass die Geschich­te auf den Lon­do­ner Büh­nen und bis ins 18. Jahr­hun­dert hin­ein ver­brei­tet wur­de. Es folg­ten auch Über­set­zun­gen ins Deut­sche und ins Fran­zö­si­sche. Die Erzäh­lung über das Schick­sal des außer­ge­wöhn­li­chen Skla­vens war gewis­ser­ma­ßen kon­kur­renz­los, da es bis dato kaum bekann­te Autoren gab, die sich dem The­ma der Skla­ve­rei so expli­zit ange­nom­men hat­ten. Die Kri­tik an dem bru­ta­len Umgang mit Oroo­no­ko, die sich in dem Werk fin­det, wur­de spä­ter auch im Zuge des Aboli­tio­nis­mus auf­ge­grif­fen. Den­noch wäre es zu ein­fach, Behn als gro­ße Geg­ne­rin der Skla­ve­rei und Befür­wor­te­rin ihrer Abschaf­fung zu sti­li­sie­ren. Vor allem die Rol­le der weib­li­chen Erzäh­le­rin (die gern mit Aphra Behn selbst ver­wech­selt wird), die sowohl das Gesche­hen beob­ach­tet als auch im Nach­gang dar­über berich­tet, wirft seit jeher Fra­gen auf. Die Erzäh­lung schwankt zudem zwi­schen der Heroi­sie­rung des Hel­dens und einer recht ober­fläch­li­chen Figu­ren­zeich­nung sowie Dar­stel­lun­gen mas­si­ver Gewalt­be­reit­schaft auf­sei­ten der Kolo­ni­al­her­ren und auf­sei­ten der Skla­ven. Kurz­um: Behn schuf Raum für ver­schie­de­ne Les­ar­ten und damit gute Literatur.

Auch im 20. Jahr­hun­dert wur­de Oroo­no­ko ins Deut­sche über­tra­gen. Es gibt eine älte­re Über­set­zung von Chris­ti­ne Hoep­pe­ner, die im Insel Ver­lag erst­ma­lig 1966 erschien. 1995 ver­öf­fent­lich­te zudem der dtv Ver­lag eine Neu­über­set­zung in ihrer dtv-klas­sik-Rei­he. Die­se Neu­über­set­zung stammt von Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk, die nun zusam­men mit Susan­ne Höbel die Über­set­zung für den Uni­ons­ver­lag über­ar­bei­tet hat. Dass Oroo­no­ko ange­sichts der andau­ern­den Dis­kur­se über post­ko­lo­nia­le Lite­ra­tur sowie der Auf­ar­bei­tung der Kolo­ni­al­ge­schich­te auf­grund sei­ner andau­ern­den Rele­vanz wie­der auf­ge­legt wird, über­rascht nicht. Der Uni­ons­ver­lag bet­tet die nur rund 100-Sei­ten lan­ge Erzäh­lung in eine Rei­he von Essays ein, dar­un­ter ein län­ge­rer Text von Vita Sack­ville-West, die ihre Freun­din Vir­gi­nia Woolf wohl erst auf Aphra Behn auf­merk­sam gemacht hat, und zwei wis­sen­schaft­li­che Her­an­füh­run­gen von Ange­li­ne Goreau und Lau­ra Brown, die ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen der Erzäh­lung anschneiden.

Oroo­no­ko oder Der könig­li­che Skla­ve ist eine Erzäh­lung, die im 21. Jahr­hun­dert auf­grund ihrer Bri­sanz und ihrer kom­ple­xen Gestal­tung der kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Skla­ve­rei auf der einen Sei­te und für ihre Zeit typi­schen Ras­sis­men auf der ande­ren Sei­te wohl kaum ein­fach her­un­ter über­setzt wer­den kann und ohne Kon­tex­tua­li­sie­rung erschei­nen soll­te. Die Über­set­zung wirft genau die Fra­gen auf, die in den ver­gan­ge­nen Mona­ten eini­ge der Ver­an­stal­tun­gen zu über­set­ze­ri­schen The­men domi­nier­ten: Wie fin­den Übersetzer:innen eine Spra­che, die dem Ori­gi­nal gerecht wird, ohne dem Text eige­ne, bei­spiels­wei­se ras­sis­ti­sche Sen­ti­ments über­zu­stül­pen? Wie fin­det man eine Spra­che, die dem Zeit­geist gerecht wird, ohne den Ori­gi­nal­text zu glät­ten? Wie geht man bedacht mit poli­tisch sen­si­blen Begrif­fen um, ohne die Wir­kungs­äqui­va­lenz zu vernachlässigen?

Ein ver­glei­chen­der Blick in die Neu­auf­la­ge und die vor­he­ri­gen Fas­sun­gen zeigt, wie sich die Her­an­ge­hens­wei­se an die Über­set­zung von Oroo­no­ko mit der Zeit geän­dert hat. Tat­säch­lich ver­rät der Ver­gleich unter Umstän­den mehr über die Zeit, in der die Über­set­ze­rin­nen leben als über die Zeit, in der der Text geschrie­ben wur­de. Die fol­gen­de Beschrei­bung fin­det sich zu Beginn der Erzäh­lung und führt die Leser:innen in den Skla­ven­han­del in Cora­ma­n­ti­en ein:

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Tho­se then whom we make use of to work in our plan­ta­ti­ons of sugar are negroes, black slaves altog­e­ther, which are trans­por­ted thi­ther in this man­ner. Tho­se who want slaves, make a bar­gain with a mas­ter, or cap­tain of a ship, and con­tract to pay him so much apie­ce, a mat­ter of twen­ty pound a head for as many as he agrees for, and to pay for them when they shall be deli­ver­ed on such a plan­ta­ti­on. So that when the­re arri­ves a ship laden with slaves, they who have so con­trac­ted, go aboard, and recei­ve their num­ber by lot; and per­haps in one lot that may be for ten, the­re may hap­pen to be three or four men; the rest, women and child­ren; or be the­re more or less of eit­her sex, you are obli­ged to be con­ten­ted with your lot. Cora­ma­n­ti­en, a coun­try of blacks so cal­led, was one of tho­se places in which they found the most advan­ta­ge­ous tra­ding for the­se slaves; and thi­ther most of our gre­at trad­ers in that mer­chan­di­se traf­fi­cked; […] The king of Cora­ma­n­ti­en was hims­elf a man of a hundred and odd years old, and had no son, though he had many beau­tiful black wives; for most cer­tain­ly, the­re are beau­ties that can charm of that colour. 

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Die­je­ni­gen, die wir zur Arbeit auf den Zucker­rohr­plan­ta­gen her­an­zie­hen, sind daher Schwar­ze – Skla­ven, die auf fol­gen­de Wei­se hier­her­ge­bracht wer­den: Wer Skla­ven braucht, schließt einen Ver­trag mit einem Schiffs­eig­ner oder Kapi­tän und ver­pflich­tet sich, pro Kopf etwa zwan­zig Pfund zu zah­len für eine ver­ein­bar­te Anzahl von Leu­ten, zahl­bar bei Ablie­fe­rung auf der Plan­ta­ge. Kommt nun ein voll bela­de­nes Skla­ven­schiff an, gehen die Käu­fer an Bord und erhal­ten durch Aus­lo­sung die bestell­te Anzahl Skla­ven. In einem Los von zehn Skla­ven sind viel­leicht drei oder vier Män­ner, der Rest Frau­en und Kin­der. Es kön­nen auch etwa gleich vie­le Män­ner und Frau­en sein. Auf jeden Fall muss man sich mit dem zuge­teil­ten Los zufrie­den­ge­ben. Cora­ma­n­ti­en, ein Land der Schwar­zen, ist einer der güns­tigs­ten Han­dels­plät­ze für die­se Skla­ven, und dort­hin fah­ren auch die meis­ten unse­rer gro­ßen Skla­ven­händ­ler. […] Der König von Cora­ma­n­ti­en selbst war ein Mann von über hun­dert Jah­ren. Obwohl er vie­le schö­ne schwar­ze Frau­en hat­te – und es gibt ohne Zwei­fel berü­cken­de Schön­hei­ten unter ihnen –, besaß er kei­nen Sohn.

(Uni­ons­ver­lag 2022, Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk und Susan­ne Höbel)

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Die­je­ni­gen, die wir zur Arbeit auf den Zucker­rohr­plan­ta­gen her­an­zie­hen, sind daher Neger – schwar­ze Skla­ven, die auf fol­gen­de Wei­se hier­her­ge­bracht wer­den: Wer Skla­ven braucht, schließt einen Ver­trag mit einem Schiffs­eig­ner und Kapi­tän und ver­pflich­tet sich, pro Kopf etwa zwan­zig Pfund zu zah­len für eine ver­ein­bar­te Anzahl von Leu­ten, zahl­bar bei Ablie­fe­rung auf der Plan­ta­ge. Kommt nun ein voll­be­la­de­nes Skla­ven­schiff an, gehen die Ver­käu­fer an Bord und erhal­ten durch Aus­lo­sung die bestell­te Anzahl Skla­ven. In einem Los von zehn Skla­ven sind viel­leicht drei oder vier Män­ner, der Rest Frau­en und Kin­der. Es kön­nen auch etwa gleich vie­le Män­ner und Frau­en sein. Auf jeden Fall muß man sich mit dem zuge­teil­ten Los zufrie­den­ge­ben. Cora­ma­n­ti­en, ein Land der Schwar­zen, ist einer der güns­tigs­ten Han­dels­plät­ze für die­se Skla­ven und dort­hin fah­ren auch die meis­ten unse­rer gro­ßen Skla­ven­händ­ler. […] Der König von Cora­ma­n­ti­en selbst war ein Mann von über hun­dert Jah­ren. Obwohl er vie­le schö­ne schwar­ze Frau­en hat­te – denn es gibt ohne Zwei­fel Schön­hei­ten die­ser Haut­far­be, die einen ent­zü­cken kön­nen – , besaß er kei­nen Sohn.

(dtv klas­sik 1995, Susan­ne Althoetmar-Smarczyk)

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Dem­nach sind die, deren wir uns zur Arbeit in unse­ren Zucker­ro­her­plan­ta­gen bedie­nen, Neger, lau­te schwar­ze Skla­ven, wel­che auf fol­gen­de Wei­se her­ge­bracht wer­den: Die­je­ni­gen, wel­che Skla­ven brau­chen, schlie­ßen mit einem Schiffs­eig­ner oder Kapi­tän einen Han­del ab und ver­pflich­te­ten sich ver­trag­lich ihm sound­so­viel, etwa zwan­zig Pfund pro Kopf, für die ver­ein­bar­te Anzahl an dem Tag zu zah­len, da sie auf der bestimm­ten Plan­ta­ge abge­lie­fert wer­den. Wenn also ein mit Skla­ven bela­de­nes Schiff ein­trifft, mit wel­chem ein sol­cher Ver­trag geschlos­sen wur­de, gehen die Part­ner an Land an Bord und neh­men ihre durch das Los bestimm­te Schar in Emp­fang, und da kann es vor­kom­men, daß in einer Par­tie von zehn nur drei oder vier Män­ner und der Rest Frau­en und Kin­der sind. Mögen nun aber von einem Geschlecht mehr oder weni­ger sein, man muß sich not­ge­drun­gen mit sei­nem Anteil zufrie­den­ge­ben. Cora­ma­n­ti­en war der Name eines von Schwar­zen bewohn­ten Gebiets. Er gehör­te zu jenen, wel­che die güns­tigs­ten Han­dels­mög­lich­kei­ten mit Skla­ven boten, und dort­hin fah­ren die meis­ten unse­rer Groß­händ­ler, um die­se Ware zu kau­fen. […] Der König von Cora­ma­n­ti­en selbst war ein Mann von hun­dert und etli­chen Jah­ren und besaß kei­nen Sohn, obgleich er vie­le schö­ne schwar­ze Frau­en sein eigen nann­te; denn zwei­fel­los gibt es unter die­sen Far­bi­gen bezau­bern­de Schönheiten.

(Insel Ver­lag 1981; ©1966, Chris­ti­ne Hoeppener)

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Am offen­sicht­lichs­ten ist die Strei­chung des N‑Worts in der vom Uni­ons­ver­lag neu auf­ge­leg­ten Fas­sung, das in den vor­he­ri­gen Über­set­zun­gen noch zu fin­den ist. Die über­ar­bei­te­te Über­set­zung ent­hält lei­der kein Nach­wort ihrer Über­set­ze­rin­nen, aber wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass der Auf­trag bestand, den gesam­ten Text mit Blick auf Über­set­zung sen­si­bler Begrif­fe hin zu aktua­li­sie­ren. Tat­säch­lich ist im Ori­gi­nal abwech­selnd von „Negroes“ und „Blacks“ die Rede, im eng­li­schen Sprach­ge­brauch noch immer gän­gi­ge Begrif­fe, obgleich sie heut­zu­ta­ge ganz anders ver­wen­det wer­den. Im Prin­zip han­delt es sich bei der Strei­chung des Worts in die­sem Absatz eher um einen edi­to­ri­schen Hand­griff, denn moder­nen Leser:innen stellt sich womög­lich die Fra­ge, war­um es über­haupt die Ergän­zung „black slaves altog­e­ther“ braucht. Wir hal­ten also fest, dass die neu­es­te Über­set­zung mit Blick auf die Beschrei­bung der erwähn­ten Peo­p­le of Colour in dem Buch aktua­li­siert wurde.

Auf­fal­lend sind aber auch noch zwei wei­te­re Unter­schie­de, die vor allem der Ver­gleich zwi­schen der Hoep­pe­ner-Über­set­zung und der spä­te­ren Über­set­zung vor Augen führt. Nach Cora­ma­n­ti­en „fah­ren die meis­ten unse­rer Groß­händ­ler, um die­se Ware zu kau­fen“, heißt es dort. Mit „Ware“ kön­nen eigent­lich nur die Skla­ven gemeint sein, mit denen hier Men­schen­han­del betrie­ben wird. Ein Blick auf den Ori­gi­nal­text zeigt, dass Behn die Men­schen vor Ort nicht als Pro­duk­te bezeich­net, son­dern von „that mer­chan­di­se“, also dem Han­del spricht. Auch in der spä­te­ren Über­set­zung ist von „Ware“ als Bezeich­nung für die ver­äu­ßer­ten Skla­ven nicht die Rede. Es han­delt sich bei die­ser Bezeich­nung nicht um eine vom Aus­gangs­text vor­ge­ge­be­ne Beschrei­bung, son­dern um eine über­set­ze­ri­sche Interpretation.

Ähn­lich auf­fal­lend ist aber auch das Ende die­ses Zitats. Dort tau­chen in der Über­set­zung von Chris­ti­ne Hoep­pe­ner auf ein­mal die „Far­bi­gen“ auf, eine recht freie und eigen­wil­li­ge Über­set­zung für den Bei­satz „beau­ties that can charm of that colour“, der in der Neu­fas­sung als „Schön­hei­ten die­ser Haut­far­be“ über­setzt wur­de. Letz­te­re ist sicher­lich nicht nur die ori­gi­nal­treue­re, son­dern auch pas­sen­de­re Über­set­zung, weil sie die ras­sis­ti­schen Unter­tö­ne, die sich in der Erzäh­lung durch­aus wie­der­fin­den, weder ver­stärkt noch über­tönt. Die Ver­wen­dung von „Far­bi­gen“, einem Begriff, der inzwi­schen als kolo­nia­lis­tisch ein­ge­stuft wird und nega­ti­ve Kon­no­ta­tio­nen hat, ist heut­zu­ta­ge umstrit­ten bzw. wird von Peo­p­le of Colour abge­lehnt. Die Ver­wen­dung des Begriffs in der älte­ren Über­set­zung zeigt, wie Ras­sis­men auf einen Text pro­ji­ziert wer­den kön­nen. Man könn­te sicher­lich argu­men­tie­ren, dass der Begriff der „Far­bi­gen“ vor gut fünf­zig Jah­ren als akzep­ta­bel galt, aber es gibt noch ande­re Stel­len, die deut­lich machen, dass ras­sis­ti­sche Ste­reo­ty­pe in der Über­set­zung ver­stärkt wurden.

Eine der wohl umstrit­tens­ten Sze­nen ist die äußer­li­che Beschrei­bung der Titel­fi­gur Oroo­no­ko. Tat­säch­lich bedient die Beschrei­bung Oroo­no­kos (aber auch die Beschrei­bung der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung in Suri­nam) das Kli­schee des „Edlen Wil­den“, das auch in nach­fol­gen­den Jahr­hun­der­ten immer wie­der in der eng­lisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur zu fin­den ist. (Tat­säch­lich tritt der „noble sava­ge“ nur weni­ge Jah­re nach Erschei­nen Oroo­no­kos in John Dry­dens Dra­ma The Con­quest of Gra­na­da auf, wo der Begriff nach­weis­lich zum ers­ten Mal im Eng­li­schen ver­wen­det wur­de.) Oroo­no­ko wird als klas­si­scher Held cha­rak­te­ri­siert und damit ent­spre­chend sei­ner Funk­ti­on in der Geschich­te über­zeich­net dar­ge­stellt. Im Text heißt es, er spre­che meh­re­re Spra­chen flie­ßend, er habe durch den Kon­takt zu einem fran­zö­si­schen Gelehr­ten einen hohen Bil­dungs­stand gemäß euro­päi­schem Vor­bild und auch sein Äuße­res las­se wenig zu wün­schen übrig:

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He was pret­ty tall, but of a shape the most exact that can be fan­cied; the most famous sta­tua­ry could not form the figu­re of a man more admi­ra­b­ly tur­ned from head to foot. His face was not of that brown, rus­ty black which most of that nati­on are, but a per­fect ebo­ny, or polished jet. His eyes were the most awful that could be seen, and very pier­cing; the white of them being like snow, as were his tee­th. His nose was rising and Roman, ins­tead of Afri­can and flat. His mouth, the finest shaped that could be seen; far from tho­se gre­at tur­ned lips, which are so natu­ral to the rest of the Negroes. The who­le pro­por­ti­on and air of his face was so noble, and exact­ly for­med, that, bating his colour, the­re could be not­hing in natu­re more beau­tiful, agreeable and hand­so­me. The­re was no one grace wan­ting, that bears the stan­dard of true beauty. 

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Der berühm­tes­te Bild­hau­er könn­te kei­ne Sta­tue schaf­fen, die von Kopf bis Fuß voll­ende­ter wäre. Sein Gesicht war nicht von jenem ros­tig brau­nen Schwarz wie das der meis­ten sei­nes Vol­kes, son­dern hat­te die Far­be von Eben­holz oder polier­tem Pech­stein. Sei­ne Augen waren durch­drin­gend und frag­los Ehr­furcht gebie­tend. Das Weiß dar­in war wie Schnee, eben­so sei­ne Zäh­ne. Sei­ne Nase war gera­de und römisch, nicht afri­ka­nisch und flach. Sein Mund war in der denk­bar feins­ten Art geschnit­ten, weit ent­fernt von den vol­len auf­ge­wor­fe­nen Lip­pen, die den meis­ten Schwar­zen eigen sind. Alle Pro­por­tio­nen und der Aus­druck sei­nes Gesichts waren so edel und exakt geformt, dass die Far­be in den Hin­ter­grund trat und es nichts Schö­ne­res, Ange­neh­me­res und Anzie­hen­de­res geben konn­te. Es fehl­te nicht ein Zug, der wah­re Schön­heit ausmacht.

(Uni­ons­ver­lag 2022, Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk und Susan­ne Höbel)

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Der berühm­tes­te Bild­hau­er könn­te kei­ne Sta­tue schaf­fen, die von Kopf bis Fuß voll­ende­ter wäre. Sein Gesicht war nicht von jenem ros­tig­brau­nen Schwarz wie das der meis­ten sei­nes Vol­kes, son­dern hatt die Far­be von Eben­holz oder polier­ten Pech­stein. Sei­ne Augen waren die erfurcht­ge­bie­tends­ten, die man sich vor­stel­len konn­te, und sehr durch­drin­gend. Das Wei­ße dar­in war wie Schnee, eben­so sei­ne Zäh­ne. Sei­ne Nase war gera­de und römisch, nicht afri­ka­nisch und flach. Sein Mund war in der denk­bar feins­ten Art geschnit­ten, weit ent­fernt von den dicken auf­ge­wor­fe­nen Lip­pen, die dem Rest der Neger ange­bo­ren sind. Alle Pro­por­tio­nen und der Aus­druck sei­nes Gesich­tes waren so edel und exakt geformt, daß es, abge­se­hen von sei­ner Far­be, nichts Schö­ne­res, Ange­neh­me­res und Anzie­hen­de­res geben könn­te. Es fehl­te nicht ein Zug, der wah­re Schön­heit ausmacht.

(dtv klas­sik 1995, Susan­ne Althoetmar-Smarczyk)

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Der berühm­tes­te Bild­hau­er wäre nicht imstan­de, die Sta­tue eines von Kopf bis Fuß so wun­der­bar geform­ten Man­nes zu schaf­fen. Sein Gesicht war nicht von jenem rost­brau­nen Schwarz wie das der meis­ten die­ses Vol­kes, son­dern wie makel­lo­ses Eben­holz oder geschlif­fe­ner Gaagt. Sei­ne Augen waren uner­hört groß und sehr durch­drin­gend, ihr weiß glich wie das sei­ner Zäh­ne frisch­ge­fal­le­nem Schnee. Er hat­te die vor­sprin­gen­de Nase der Römer, nicht die plat­te der Neger. Sein Mund war fei­ner geschnit­ten, als man je gese­hen, weit ent­fernt von jenen dicken Wulst­lip­pen, wel­che bei allen ande­ren Negern ganz natür­lich sind. Die gan­ze Form und die Züge sei­nes Gesichts waren so edel und sorg­fäl­tig geprägt, daß es abge­se­hen von der Haut­far­be nichts Schö­ne­res, Anzie­hen­de­res und Wohl­ge­stal­te­res in der Natur geben konn­te. Nicht eine ein­zi­ge jener Zier­den fehl­te, wel­chen den Maß­stab wah­rer Schön­heit bilden.

(Insel Ver­lag 1981; ©1966, Chris­ti­ne Hoeppener)

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In der älte­ren Über­set­zung von Chris­ti­ne Hoep­pe­ner fin­den sich im gesam­ten Text hin und wie­der schö­ne, anschau­li­che For­mu­lie­run­gen („ihr weiß glich […] frisch­ge­fal­le­nem Schnee“), aber der Ver­gleich mit dem Ori­gi­nal und der Neu­über­set­zung macht deut­lich, wie sehr Über­set­zun­gen eben nicht in einem zeit­li­chen Vaku­um ent­ste­hen, son­dern von Men­schen gemacht wer­den, die einer Über­set­zung – ob nun bewusst oder unbe­wusst – ihre eige­nen Inter­pre­ta­tio­nen des Aus­gangs­tex­tes und ihre eige­nen Welt­an­schau­un­gen mit­ge­ben. Auf die­se Wei­se wird im Satz „His eyes were the most awful that could be seen“ der Begriff “awful” bei Hoep­pe­ner zu „uner­hört groß“, wäh­rend in der neu­es­ten Aus­ga­be das Wort viel näher an sei­ner frü­he­ren Bedeu­tung („wort­hy of respect or fear, striking with awe“) mit „frag­los Ehr­furcht gebie­tend“ über­setzt wird.

Ähn­lich ver­hält es sich mit der Beschrei­bung der Nase, die Hoep­pe­ner mit „Er hat­te die vor­sprin­gen­de Nase der Römer, nicht die plat­te der Neger“ über­setzt hat. Durch die Ein­fü­gung des Begriffs, der sich so im Ori­gi­nal an die­ser Stel­le über­haupt nicht fin­det, ver­stärkt sie die abschät­zi­ge Bewer­tung der äußer­li­chen Cha­rak­te­ris­ti­ka, die von der Erzähl­stim­me im Ori­gi­nal als typisch für die „afri­ka­ni­sche“ Bevöl­ke­rung gese­hen wer­den. Ver­mut­lich war dabei ihre Absicht, die Unter­schie­de zwi­schen Oroo­no­ko, der eben kein „nor­ma­ler“ Schwar­zer Skla­ve ist, und den ande­ren Skla­ven zu beto­nen, um den Hel­den für wei­ße Leser:innen in ein ver­meint­lich posi­ti­ve­res Licht zu rücken. Man könn­te argu­men­tie­ren, dass sie vor­hat­te, der Stra­te­gie der Autorin zu fol­gen (die sich wie­der­um nicht so leicht her­aus­ar­bei­ten lässt), aber der Sprung von „flat and Afri­can“ zu „die plat­te [Nase] der Neger“ ist groß.

Noch deut­li­cher wer­den die gra­vie­ren­den Unter­schie­de die­ser Über­set­zun­gen mit Blick auf die Beschrei­bung der Mund­par­tie. „[The] finest shaped that could be seen, far from tho­se gre­at tur­ned lips, which are so natu­ral to the rest of the Negroes“ heißt es da im Ori­gi­nal­text, in dem ganz deut­lich betont wird, wie sich Oroo­no­ko (zu sei­nem Vor­teil, sug­ge­riert der Text) optisch abhebt. Die „gre­at tur­ned lips“ las­sen Spiel­raum für Inter­pre­ta­ti­on und auch eine Recher­che ist in der Hin­sicht unbe­frie­di­gend, so dass man aber zu dem Schluss kom­men kann, dass es sich nicht für eine ste­reo­ty­pe Rede­wen­dung für die Beschrei­bung von Peo­p­le of Colour han­delt. Der Ori­gi­nal­text arbei­tet mit vie­ler­lei Wider­sprü­chen, auch was die Cha­rak­te­ri­sie­rung der „Ande­ren“ angeht – auf der einen Sei­te ist Oroo­no­ko schö­ner als „most of that nati­on“, auf der ande­ren Sei­te fin­den sich in dem Text wohl­wol­lend gemein­te Beschrei­bun­gen der Schön­heit der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung. Im Ver­gleich ist die Über­set­zung mit „dicken Wulst­lip­pen“ nicht nur viel offen­si­ver ras­sis­tisch, son­dern lässt die Beschrei­bung gänz­lich kari­ka­tur­haft wir­ken. Inter­es­san­ter­wei­se wur­de die­se Stel­le auch im Zuge der Über­ar­bei­tung der Über­set­zung von Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk sub­til ent­schärft, von „dick“ zu „voll“ und „ange­bo­ren“ zu „eigen“.

Der Ver­gleich die­ser Pas­sa­gen zeigt nicht nur, wie unter­schied­lich Tex­te in den Hän­den ver­schie­de­ner Über­set­ze­rin­nen über­setzt wer­den, son­dern auch wie unter­schied­lich in ver­schie­de­nen Jahr­zehn­ten über­setzt wird. Über­set­zun­gen sind nicht zeit­los – sie sind im Gegen­teil genau wie das Ori­gi­nal ein Pro­dukt ihrer Zeit. Aus die­sem Grund ist bei­spiels­wei­se in der Neu­fas­sung von Oroo­no­ko auch das Wort „Ras­se“ als Eins-zu-Eins-Über­set­zung für „race“ getilgt wor­den, weil bei­de Begrif­fe eine ganz ande­re geschicht­li­che Bedeu­tung mit­sich­brin­gen und das eine im Eng­li­schen eben nicht ein­fach für das ande­re im Deut­schen steht. Der ver­glei­chen­de Blick in die ver­schie­de­nen Über­set­zun­gen eines sol­chen Aus­gangs­tex­tes zeigt, war­um es der post­ko­lo­nia­len Debat­ten um die Deu­tungs­ho­heit und die Dekon­struk­ti­on des kolo­nia­len Blicks bedarf.

Nun steht noch immer die Fra­ge im Raum: Ist die über­ar­bei­te­te Über­set­zung, die nun ein­ge­bet­tet in drei Essays und aus­ge­stat­tet mit Glos­sar und Zeit­ta­fel im Uni­ons­ver­lag erschie­nen ist, bes­ser als die bis­he­ri­gen Fas­sun­gen? Da sich die Gesamt­qua­li­tät nicht nur anhand der Über­set­zung eini­ger Stel­len bewer­ten lässt, an denen heut­zu­ta­ge hoch­kom­ple­xe und kon­tro­ver­se Begrif­fe vor­kom­men, schau­en wir uns zum Abschluss noch eine Pas­sa­ge an, um wei­te­re Ein­drü­cke der Über­set­zung zu gewinnen:

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While Oroo­no­ko felt all the ago­nies of love, and suf­fe­r­ed under a tor­ment the most pain­ful in the world, the old king was not exempt­ed from his share of aff­lic­tion. He was trou­bled for having been forced by an irre­sis­ti­ble pas­si­on to rob his son of a tre­asu­re he knew could not but be extre­me­ly dear to him, sin­ce she was the most beau­tiful that ever had been seen; and had bes­i­des, all the sweet­ness and inno­cence of youth and mode­s­ty, with a charm of wit sur­pas­sing all. He found that, howe­ver she was forced to expo­se her love­ly per­son to his withe­red arms, she could only sigh and weep the­re, and think of Oroo­no­ko; and often­ti­mes could not for­bear spea­king of him, though her life were, by cus­tom, for­fei­ted by owning her passion.

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Wäh­rend Oroo­no­ko alle Mar­tern der Lie­be spür­te und unter den schmerz­lichs­ten Qua­len der Welt litt, blieb auch der alte König von sei­nem Anteil an Kum­mer nicht ver­schont. Ihn quäl­te, dass er durch eine unwi­der­steh­li­che Lei­den­schaft gezwun­gen wor­den war, sei­nen Enkel­sohn eines Schat­zes zu berau­ben, der ihm, wie er wuss­te, über­aus teu­er sein muss­te, war sie doch die schöns­te Frau, die man je gese­hen hat­te, und ver­füg­te außer­dem über all die Süße und Unschuld der Jugend, über Beschei­den­heit und dar­über hin­aus über einen sprü­hen­den Geist, der alles ande­re über­traf. Er hat­te bemerkt, dass sie, wann immer sie gezwun­gen war, ihre lieb­rei­zen­de Per­son sei­nen ver­welk­ten Armen aus­zu­lie­fern, dort nur seufz­te und schluchz­te und an Oroo­no­ko dachte.

(Uni­ons­ver­lag 2022/dtv klas­sik 1995, Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk und Susan­ne Höbel)

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Wäh­rend Oroo­no­ko alle Qua­len der Lie­be fühl­te und die pein­lichs­ten Fol­tern der Welt erlitt, wur­de der alte König nicht von sei­nem Anteil an Schmerz ver­schont. Es quäl­te ihn, daß eine unwi­der­steh­li­che Lei­den­schaft ihn genö­tigt hat­te, sei­nen Enkel eines Schat­zes zu berau­ben, der ihm, daß wuß­te er, über die Maßen teu­er sein muß­te, da Imo­in­da das Schöns­te war, was er je gese­hen, und über­dies die gan­ze Hold­se­lig­keit und Unschuld der Jugend besaß, im Ver­ein mit Züch­tig­keit und einem unüber­treff­lich bezau­bern­den Geist. Moch­te sie auch ihren lieb­rei­zen­den Kör­per gezwun­ge­ner­ma­ßen sei­nen wel­ken Armen preis­ge­ben, sie konn­te in ihnen nur seuf­zen und wei­nen und an Oroo­no­ko den­ken und sich häu­fig nicht ent­hal­ten, von ihm zu spre­chen, obgleich nach dem Brauch ihr Leben ver­fal­len wäre, hät­te sie ihre Lei­den­schaft eingestanden.

(Insel Ver­lag 1981; ©1966, Chris­ti­ne Hoeppener)

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Die zitier­te Pas­sa­ge zeigt eine ande­re Sei­te von Behns Erzähl­stil. Wann immer es um die gro­ßen Lei­den­schaf­ten des Lebens geht, neigt die Erzäh­lung zur Rühr­se­lig­keit, was aber für die Zeit ihrer Ent­ste­hung nicht unty­pisch war. Zudem baut Behn hier als die gro­ße Dra­ma­ti­ke­rin, die sie war, Span­nung auf. Die Lie­be zwi­schen Oroo­no­ko und Imo­in­da wird inten­siv geschil­dert, damit sich die Tra­gik der nach­fol­gen­den Ereig­nis­se (erst die Tren­nung, dann die Ver­skla­vung, zuletzt Imo­in­das Tod durch Oroo­no­kos Hand) ent­fal­ten wer­den kann. Die Neu­über­set­zung gibt sich dem Kitsch des Ori­gi­nals hin, ohne auf zu stau­bi­ge Wör­ter wie „Hold­se­lig­keit“ zurück­zu­grei­fen, um den Text künst­lich älter wir­ken zu las­sen. Zudem trifft sie das rich­ti­ge Maß zwi­schen Imi­ta­ti­on auf der einen Sei­te („seufz­te und schluchz­te und an Oroo­no­ko dach­te“) und der Los­lö­sung vom eng­li­schen Ori­gi­nal auf der ande­ren Sei­te: Der Satz endet dort nach „dach­te“, bei Hoep­pe­ner geht der Satz noch wei­ter, was wenig zum Lese­ver­ständ­nis beiträgt.

Trotz­dem kön­nen sol­che Stel­len das ekla­tan­te Pro­blem der über­ar­bei­te­ten Über­set­zung durch Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk und Susan­ne Höbel nicht über­schat­ten. Die­ses besteht vor allem dar­in, dass zwar die Über­set­zung hin­sicht­lich eini­ger Begrif­fe aktua­li­siert, aber ins­ge­samt kei­ne durch­gän­gig ersicht­li­che und schlüs­si­ge Stra­te­gie im Umgang mit sen­si­blen Begrif­fen ver­folgt wur­de: War­um wur­de das N‑Wort zwar aus der Über­set­zung der Erzäh­lung kom­plett gestri­chen, aber nicht aus dem eben­falls neu­über­setz­ten Essay von Vita Sack­ville-West, in dem es in direk­ten Zita­ten vor­kommt? (Falls die­se nicht neu über­setzt wor­den sind, fehlt die ent­spre­chen­de Anmer­kung.) Und war­um wur­den eini­ge Begrif­fe kom­plett gestri­chen, aber das heut­zu­ta­ge eben­falls pro­ble­ma­ti­sche Wort „India­ner“ kom­men­tar­los über­all ste­hen gelas­sen? Behn ver­wen­det im Ori­gi­nal zwar den Begriff „Indi­ans“, um die indi­ge­ne Bevöl­ke­rung zu beschrei­ben, aber kann man die­sen tat­säch­lich wört­lich mit „India­ner“ über­set­zen, einem Begriff, der im Deut­schen eine eige­ne Geschich­te und Iko­no­gra­fie mitsichzieht?

Die Bedeu­tung der Über­set­zung sol­cher Begrif­fe ist im Fal­le von Aphra Behns Werk ent­schei­dend, weil es sich um einen Text han­delt, der einer­seits zen­tral ist für die lite­ra­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kolo­ni­al­ge­schich­te, weil er ganz offen­sicht­lich Skla­ve­rei, Kolo­nia­lis­mus und Ras­sis­mus the­ma­ti­siert. Ande­rer­seits ist der Text selbst eben auch ein Pro­dukt des Kolo­nia­lis­mus. In die­sem Sin­ne ist nicht allein die Fra­ge nach einem zwangs­läu­fig poli­tisch kor­rek­ten, son­dern vor allem nach einem eflek­tier­ten Umgang mit der Spra­che des Ori­gi­nals ausschlaggebend.

Die­ser Umgang lässt in der neu auf­ge­leg­ten Aus­ga­be auf­grund man­geln­der Trans­pa­renz zu wün­schen übrig. Ja, man hat die Über­set­zung hin­sicht­lich sol­cher Begrif­fe über­ar­bei­tet, mit Sicher­heit um pri­mär zu gewähr­leis­ten, dass die Über­set­zung nicht den Feh­ler begeht, Ras­sis­men oder Ste­reo­ty­pe zu ver­stär­ken, wie es in der alten Fas­sung von Chris­ti­ne Hoep­pe­ner der Fall war. Aber mit wel­chem Ziel wur­den hier ein­zel­ne Begrif­fe ein­fach aus­ge­tauscht und ande­re ste­hen gelas­sen? Die dtv-Klas­sik-Aus­ga­be ent­hält zwar ein Nach­wort der Über­set­ze­rin Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk, in dem wird die Über­set­zung aber in keins­ter Wei­se erwähnt (was lei­der all­zu oft vor­kommt). Auch in der mit Susan­ne Höbel über­ar­bei­te­ten Fas­sung feh­len die Kom­men­ta­re der Über­set­ze­rin­nen, obwohl es in der Aus­ga­be drei zusätz­li­che Essays zu lesen gibt. Wir erfah­ren somit viel über Behn und ihr beweg­tes Leben, aber nichts über die Über­set­zung die­ses monu­men­ta­len Werks. Schade.

Aphra Behn | Susan­ne Alt­hoet­mar-Smar­c­zyk | Susan­ne Höbel

Oroo­no­ko oder Der könig­li­che Sklave

Im eng­li­schen Ori­gi­nal: Oroo­no­ko, or; The Roy­al Slave

Uni­ons­ver­lag 2022 ⋅ 256 Sei­ten ⋅ 24 Euro


Ein klu­ger Vogel erzählt

Zwi­schen hin­du­is­ti­schem Mythos und Bou­le­vard­ko­mö­die: „Das Papa­gei­en­buch“ ist eine Samm­lung indi­scher, auf Sans­krit ver­fass­ter Märchen.… 
Wei­ter­le­sen

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