„Wür­de ein Crack­dea­ler das auf die Lip­pen pas­sen­de Lehn­wort wirk­lich benutzen?“

Stefan Kaiser gibt Einblicke in die vielfältige Arbeit eines Dialogbuchautors und berichtet, welche wichtige Rolle Übersetzungen dabei spielen. Interview:

Stefan Kaiser im Profil
Stefan Kaiser im Kino (c) privat

Vor kur­zem waren Unter­ti­tel wegen der Serie „Squid Game“ in aller Mun­de, aber dane­ben gibt es noch eine ande­re Form der Über­set­zung, die in Deutsch­land eine lan­ge Tra­di­ti­on hat: die Syn­chro­ni­sa­ti­on. Wie wird man Drehbuchübersetzer:in oder Dialogbuchautor:in und wie bist du zu die­sem Beruf gekommen?

Ich weiß ehr­lich gesagt gar nicht, ob es den Beruf  „Drehbuchübersetzer:in“ über­haupt gibt. Mei­ne Auf­ga­be ist jeden­falls die des Dia­log­buch­au­tors und Dia­log­re­gis­seurs. D.h., ich bekom­me eine soge­nann­te „Roh­über­set­zung“, die Anmer­kun­gen und Recher­chen zum The­ma ent­hält, aber noch nicht syn­chron sprech­bar wäre. Auf die­ser Grund­la­ge schrei­be ich ein Syn­chron-Dia­log­buch, mit dem ich dann meis­tens auch selbst ins Stu­dio gehe, um dort die Auf­nah­men als Regis­seur zu betreu­en. Gele­gent­lich schrei­be ich auch für ande­re Dia­log­re­gis­seu­re, so wie ich bei Zeit­man­gel auch mit Dia­log­bü­chern ande­rer Autoren im Stu­dio arbei­te. Bei eng­lisch­spra­chi­gen Wer­ken mit ein­fa­che­ren Sujets (wie Kin­der­se­ri­en) über­set­ze ich meist selbst, immer­hin hab ich ein nicht abge­schlos­se­nes Anglis­tik­stu­di­um im Portfolio.

Tat­säch­lich gibt es nicht DEN Weg zum/zur Dialogbuchautor:in – in mei­nem Fall war es so, dass ich als aus­ge­bil­de­ter Ton­meis­ter zum Syn­chron kam, dort lan­ge Jah­re im Stu­dio neben den unter­schied­lichs­ten Regisseur:innen saß, und so ein Gefühl für die Not­wen­dig­kei­ten des Ablaufs und die Anfor­de­run­gen der Sprecher:innen bekam. Ich begann dann neben­her zu schrei­ben, und oft saß ich an den Reg­lern, wenn mei­ne Tex­te ins Stu­dio kamen, so dass man mir mei­ne Unzu­läng­lich­kei­ten gleich um die Ohren hau­en konnte …

Vor etwas mehr als zehn Jah­ren wech­sel­te ich dann end­gül­tig den Stuhl. Ich hat­te Glück, dass ich durch mei­ne Tex­te­rei in der Bran­che schon bekannt war – es geht dort zu wie in einem Bie­nen­stock, und vie­le Sprecher:innen schrei­ben selbst und/oder füh­ren Dia­log­re­gie –, so dass ich schon einen gewis­sen Ruf hat­te, und mich um Auf­trä­ge eigent­lich nie sor­gen muss­te. Das­sel­be gilt natür­lich für alle, die bereits aus der Bran­che sind – das Know-How wie auch die Kon­tak­te hat man bereits, und wenn man dazu sprach­li­ches Talent und ein biss­chen Geschick zeigt, kommt man meist schnell unter.

Wel­che Chan­ce haben Literaturübersetzer:innen in die­sem Berufsfeld?

Literaturübersetzer:innen kön­nen als Rohübersetzer:innen schon ihren Fuß in die Tür krie­gen; aller­dings sind bei eng­lisch­spra­chi­gen Seri­en oft Rou­ti­niers am Werk, die neben der Arbeit fürs Syn­chron kaum noch was ande­res machen, aber wegen ihrer Schnel­lig­keit bei den Fir­men ger­ne gese­hen sind (bei Autor:innen dafür nicht immer). Bei hier­zu­lan­de unüb­li­che­ren Quell­spra­chen wie Pol­nisch, Korea­nisch oder gar Viet­na­me­sisch wer­den hin­ge­gen meist bran­chen­frem­de Übersetzer:innen aus dem Lite­ra­tur­be­reich her­an­ge­zo­gen, die oft bes­se­re Qua­li­tät lie­fern, dafür aber mit eini­gen Beson­der­hei­ten erst ver­traut gemacht wer­den müs­sen, und sich anschlie­ßend nicht unbe­dingt auf dau­er­haf­ten Nach­schub aus der Synchroe­cke ver­las­sen kön­nen. Mir sind eini­ge Übersetzer:innen bekannt, die den Sprung zur/zum Dialogbuchautor:in gewagt und geschafft haben; aller­dings sind das meist Eng­lisch- oder Französisch-Übersetzer:innen, die schon genug Rou­ti­ne im Syn­chron gewin­nen konnten.

In letz­ter Zeit gibt es ver­mehrt Autor:innen aus der Lite­ra­ten­ecke, die als Quereinsteiger:innen Syn­chron­dia­log­bü­cher schrei­ben. Eini­ge von ihnen wer­den von den Fir­men auch auf den Regie­stuhl gesetzt, was mir aber oft undank­bar erscheint, wenn die Betref­fen­den kei­ne Synchron‑, Film- oder Thea­ter­er­fah­rung haben. Der Syn­chron­ver­band „Die Gil­de“ wie auch eini­ge mei­ner Kolleg:innen (und auch ein paar eher dubio­se Insti­tu­te) bie­ten regel­mä­ßig Aus­bil­dungs­lehr­gän­ge für Dialogbuchautor:innen an, die sich bei ent­spre­chen­dem Talent nicht sel­ten als Sprung­brett erweisen.

Grund­sätz­lich emp­feh­le ich bei Inter­es­se an dem Job, mög­lichst viel im Stu­dio zu hos­pi­tie­ren, wenn man die Gele­gen­heit dazu bekommt. Dort kriegt man am ehes­ten ein Gefühl für alles, was einen guten Syn­chron­text aus­macht. Und wer Musi­ka­li­tät und Rhyth­mus­ge­fühl mit­bringt, hat meist gute Chan­cen, sich erfolg­reich zu behaup­ten (gutes Sprach­ge­fühl ist natür­lich Grundvoraussetzung).

Was Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen angeht, bin ich mitt­ler­wei­le dazu über­ge­gan­gen, den Stu­di­os in bestimm­ten Fäl­len ihre Standardkolleg:innen aus­zu­re­den, und ihnen statt­des­sen eige­ne Emp­feh­lun­gen anzu­tra­gen. Wie vie­le Kolleg:innen über­set­ze ich ja ein­fa­che­re Sachen wie gesagt selbst; sobald es etwas kom­ple­xer wird (Jura, Medi­zin etc), hät­te ich dann aber auch ger­ne gute (und gut recher­chier­te) Tex­te als Grundlage.

Wel­che Schrit­te muss die ori­gi­na­le Text­vor­la­ge durch­lau­fen, bis wir aus den Laut­spre­chern die deut­schen Stim­men hören?

Das Aus­gangs­ma­te­ri­al, das beim deut­schen Sen­der oder Ver­leih ange­lie­fert wird, ist im Nor­mal­fall eine Video­da­tei mit inser­tier­tem Time­code, das Audio­ma­te­ri­al mit der Ori­gi­nal-Film­mi­schung sowie einem Musik-und-Effekt­band ohne Dia­log­spur, sowie das abge­hör­te Con­ti­nui­ty Script (kurz „Con­ti“). Bei Letz­te­rem han­delt es sich nicht um das Ori­gi­nal­dreh­buch, son­dern um den im Film tat­säch­lich vor­han­de­nen Dia­log ein­schließ­lich even­tu­el­ler nach­träg­li­cher Ände­run­gen oder Impro­vi­sa­tio­nen. Ist die Ori­gi­nal­spra­che nicht-west­li­chen Ursprungs, z. B. Japa­nisch oder Far­si, gibt es meist eine eng­li­sche Über­set­zung dazu; oft ist der Film dann auch eng­lisch unter­ti­telt. Das gilt umso mehr bei Spra­chen, die ein nicht­la­tei­ni­sches Schrift­sys­tem auf­wei­sen. Da das Werk zum Teil schon wäh­rend der Post­pro­duk­ti­ons­pha­se zwecks inter­na­tio­na­ler Ver­mark­tung durch ver­schie­de­ne Hän­de geht, ist eine „Lin­gua Fran­ca“ – meist Eng­lisch, Fran­zö­sisch oder Spa­nisch – unabdingbar.

Im Anschluss wird die „Con­ti“ – mög­lichst aus der Ori­gi­nal­spra­che – direkt in die Ziel­spra­che über­setzt. Die­se soge­nann­te „Roh­über­set­zung“ ist noch kein Syn­chron-Dia­log­buch, ent­hält aber für den Dia­log­buch­au­tor rele­van­te Anmer­kun­gen und Vor­schlä­ge, und soll­te im Ide­al­fall einer lite­ra­ri­schen Über­tra­gung nahekommen.

Nun setzt sich der Dia­log­buch­au­tor mit der Über­set­zung an den Film, und ver­sucht, die Sät­ze der Figu­ren lip­pen- und ges­ten­syn­chron umzu­schrei­ben. Dabei muss er even­tu­el­le Wort­spie­le, Sub­tex­te, Dop­pel­deu­tig­kei­ten eben­so beach­ten wie die Fall­hö­he der Figu­ren selbst, die sich durch ihre Spra­che ja eben­so cha­rak­te­ri­sie­ren wie durch ihr Auf­tre­ten. Je nach Quell­spra­che/-kul­tur kann er sich dabei vor zahl­rei­che Hür­den in der Inter­ak­ti­on gestellt sehen, von denen die Du/­Sie-Pro­ble­ma­tik die ein­leuch­tends­te sein dürf­te. Des Wei­te­ren muss hier auch jede non­ver­ba­le Äuße­rung ver­merkt wer­den – Atmer, Lau­te, Schreie etc. Damit der Spre­cher weiß, wie der Autor sich die Ver­tei­lung des Tex­tes gedacht hat, wer­den zusätz­lich Hin­wei­se auf Zöge­rer, Pau­sen, vor­zei­ti­ge Ein­sät­ze, OFF/ON und ähn­li­ches notiert.

Das fer­ti­ge Dia­log­buch wird der zustän­di­gen Redak­ti­on bzw. dem Super­vi­sor des Ver­leihs zur Begut­ach­tung vor­ge­legt. Ein wich­ti­ger Arbeits­schritt vor der eigent­li­chen Syn­chron­ar­beit ist das „Taken“ – hier­bei wird das fer­ti­ge Dia­log­buch – häu­fig auch schon die Über­set­zung – in „Takes“, kur­ze Zeit­schlei­fen von ca. 5 bis 15 Sekun­den Dau­er, unter­teilt. Dabei ent­steht gleich­zei­tig ein Lis­ten­aus­zug der vor­han­de­nen Rol­len und der jewei­li­gen Take­an­zahl, auf des­sen Grund­la­ge der Auf­nah­me­lei­ter die Stu­dio­ta­ge mit den Ter­mi­nen der Spre­cher dis­po­nie­ren kann.

Im Stu­dio wird dann unter Lei­tung des Syn­chron­re­gis­seurs die „Dis­po“ abge­ar­bei­tet; üblich sind zwi­schen 25 (Kino) und bis zu 40 (Ani­me) Takes pro Stun­de. Die Haupt­rol­len wer­den in Abspra­che mit dem Kun­den auf­grund eines Cas­tings besetzt, Neben­rol­len beset­zen Aufnahmeleiter:in und Regisseur:in fast immer selbst. Klei­ne Rol­len wie auch Hin­ter­grund­men­gen etc. wer­den (bzw. wur­den vor Coro­na) an soge­nann­ten Ensem­ble­ta­gen auf­ge­nom­men, zu denen eine Aus­wahl weni­ger bzw. noch nicht pro­fi­lier­ter Synchronsprecher:innen als Grup­pe bestellt wird. Die­se wer­den dann auch nach Zeit bezahlt, und nicht wie sonst üblich nach Takes.

Neben der Syn­chron­re­gis­seur, der vor allem auf inhalt­li­che und schau­spie­le­ri­sche Aspek­te ach­tet, sitzt im Syn­chron­ate­lier noch der Ton­meis­ter, der den gesam­ten tech­ni­schen Ablauf in der Hand hat. Im Stu­dio hin­ter der Schei­be steht dem Spre­cher ein Syn­chron­cut­ter zur Sei­te, der schon wäh­rend der Auf­nah­me beur­teilt, ob der Take „schneid­bar“ ist, und dem Spre­cher ggf. mit Anwei­sun­gen durch kom­pli­zier­te­re Takes hel­fen kann. Anschlie­ßend wer­den die Auf­nah­men am Schnei­de­tisch syn­chron geschnitten.

Zugu­ter­letzt kommt alles in die Mischung, wo der Misch­ton­meis­ter – bei Kino­fil­men in Anwe­sen­heit von Dia­log­re­gis­seur und Kun­de, und mit Unter­stüt­zung des Cut­ters – die neu­en Stim­men an die ange­lie­fer­ten Effek­te und Musi­ken angleicht, und ihnen nach Mög­lich­keit die glei­che Akus­tik wie im Ori­gi­nal ver­leiht. Wie über­all gilt natür­lich auch hier: je bil­li­ger das Pro­dukt, des­to gerin­ger der Auf­wand und der Zeitrahmen.

Was sind die beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen beim Über­set­zen eines Dreh­buchs und bei der Synchronregie?

Zu den grund­sätz­li­chen Her­aus­for­de­run­gen bei jeder lite­ra­ri­schen Über­tra­gung (und um eine sol­che han­delt es sich hier ja effek­tiv) kommt natür­lich noch die Anpas­sung der Sät­ze an die Mund­be­we­gung; hier­bei sind vor allem die Rhyth­mik, die Labia­le (Buch­sta­ben B, P, M, F, W) und die ver­füg­ba­re Zeit aus­schlag­ge­bend. Ist das gelun­gen, blei­ben immer noch Fra­gen: Der Satz mag auf die Lip­pen pas­sen, aber passt er inhalt­lich auf die Ges­tik oder zum Gesichts­aus­druck? Liegt die Poin­te des Wit­zes am Ende des Sat­zes und/oder auf der mimi­schen Empha­se? Wür­de ein sech­zehn­jäh­ri­ger Crack­dea­ler das so schön auf die Lip­pen pas­sen­de mit­tel­hoch­deut­sche Lehn­wort wirk­lich benut­zen? Und ist der Satz sprech- und spiel­bar? Immer­hin geht es um Schau­spiel, auch bei der Eindeutschung.

Wer­den Dreh­bü­cher immer aus der Ori­gi­nal­spra­che in die Ziel­spra­che über­setzt, oder wer­den oft Relais­spra­chen genutzt?

Ange­strebt wird eigent­lich immer eine Über­set­zung aus der Ori­gi­nal­spra­che. Ver­mut­lich kommt es hin und wie­der vor, dass man sich das bei ver­meint­lich „unwich­ti­gen“ Pro­duk­tio­nen spart, ich ken­ne das aber nur vom Hören­sa­gen; mit einer Aus­nah­me, auf die ich noch zu spre­chen kom­me.
Ins­be­son­de­re bei Wer­ken aus ande­ren Kul­tur­krei­sen ver­su­che ich aber immer, noch eine „zwei­te Mei­nung“ zu bekom­men; sei es durch eine zusätz­li­che Über­set­zung ins Eng­li­sche, oder – was mir am liebs­ten ist – eine eng­lisch unter­ti­tel­te Bild­ver­si­on. Das hilft mir meist gut dabei, den Kon­text der Idio­me oder der doch oft etwas blu­mi­gen Meta­phern zu erfassen.

Wie oft musst du eine Sequenz oder letzt­end­lich den gan­zen Film oder die gan­ze Seri­en­fol­ge anschau­en, um den Text an die Video­se­quenz anzupassen?

Das ist unter­schied­lich – jeder Film wie auch jeder Satz ist anders. Man­che Dia­lo­ge bestehen fast nur aus Drei­wort­sät­zen, die sich ein­fach „weg­tex­ten“ – bis der eine idio­ma­ti­sche Satz kommt, der gleich­zei­tig noch einen Sub­text, eine Anspie­lung oder ein Wort­spiel ent­hält, und den man even­tu­ell sogar eine Wei­le bei­sei­te legen muss, bevor einem die Lösung ein­fällt. Die Län­ge der Sät­ze ist weit­aus weni­ger ent­schei­dend für den Schwie­rig­keits­grad als der Inhalt und die Rhyth­mik – letz­te­res kann einen gele­gent­lich schon mal dazu brin­gen, den Com­pu­ter aus dem Fens­ter wer­fen zu wollen … 

Ich kal­ku­lie­re für ein­fa­che­res Mate­ri­al (Ani­me, dia­log­ar­me Mys­tery­se­ri­en, vie­le Kin­der­fil­me etc.) unge­fähr fünf Film­mi­nu­ten pro Tag; bei dia­log­las­ti­gen und/oder inhalt­lich kom­pli­zier­ten Wer­ken ent­spre­chend weni­ger. Aller­dings gehö­re ich zu den lang­sa­men Tex­tern, was ich mei­nen Auftraggeber:innen auch immer vor­her sage – mitt­ler­wei­le wis­sen die ja auch, was sie dafür bekom­men. Vor kur­zem hat übri­gens der neu­ge­grün­de­te „Bun­des­ver­band Syn­chron­re­gie und Dia­log­buch“ zum ers­ten Mal gemein­sa­me Ver­gü­tungs­re­geln aus­ge­han­delt, die die­se sorg­fäl­ti­ge Arbeit nicht mehr nur bei höher­wer­ti­gen Pro­duk­tio­nen lukra­tiv erschei­nen las­sen. Bis­lang gab es für vie­le Pro­duk­tio­nen nur Pau­scha­len, die z. T. bei 400€ für eine 20-minü­ti­ge Trick­film-Fol­ge lagen. Ent­spre­chend haben sich sol­che Pro­jek­te für mich nur in der Misch­kal­ku­la­ti­on Text/Regie gelohnt – die Mühe in der Vor­be­rei­tung sorgt für Ent­span­nung bei den Auf­nah­men (oder wie ein lie­ber Freund es for­mu­liert hat: „Tex­ten ist der Wort­stein­bruch, im Stu­dio ist es dann wie Urlaub.“).

Syn­chro­ni­sa­tio­nen ste­hen oft in der Kri­tik und wer­den von ande­ren Län­dern, die einen ande­ren Umgang mit fremd­spra­chi­gen Fil­men haben, häu­fig belä­chelt. Wes­halb ist die Syn­chro­ni­sa­ti­on in deutsch­spra­chi­gen Län­dern immer noch so beliebt und was kann sie, was Unter­ti­tel nicht können?

Hm, war­um sie so beliebt ist, kann ich natür­lich nur mut­ma­ßen – Gewöh­nung oder Faul­heit?
Aller­dings kann sie tat­säch­lich eini­ges, was Unter­ti­tel nicht kön­nen, und das dürf­te für man­chen auch ein Grund sein. Unter­ti­tel bie­ten natür­lich den Vor­teil, die Stim­me und das Spiel des Ori­gi­nal­schau­spie­lers unbe­rührt zu las­sen. Das funk­tio­niert mei­ner Mei­nung nach umso bes­ser, je dia­lo­gär­mer der Film ist, und je näher uns der Kul­tur­kreis ist, in dem er spielt.

Mit erhöh­tem Dia­log­an­teil und ‑tem­po sind Unter­ti­tel jedoch zur Ver­kür­zung gezwun­gen, und len­ken auch den Blick von den Figu­ren weg. Hier kann eine – sorg­fäl­ti­ge und gelun­ge­ne – Syn­ch­ro hel­fen, nicht nur im Fluss zu blei­ben, son­dern auch zahl­rei­che Innu­en­dos und Side­jo­kes zu trans­por­tie­ren, die in den Unter­ti­teln zwangs­läu­fig unter den Tisch fal­len müs­sen. Und ins­be­son­de­re bei Wer­ken aus frem­den Kul­tur­krei­sen bie­tet eine Syn­ch­ro mehr Raum für eine ech­te Über­tra­gung, die gewis­ser­ma­ßen eine Brü­cke zu frem­den Men­ta­li­tä­ten baut. Letz­te­res ist ja immer ein Balan­ce­akt; dar­um sind oft auch die Unter­ti­tel-Fans eher unter den Ken­nern der Mate­rie zu fin­den (sie­he Ani­me / japa­ni­sche Kul­tur), wäh­rend sich die Syn­ch­ro eher an Zuschau­er wen­det, die mit dem Kon­text nicht so ver­traut sind.

Ich habe immer wie­der das Gefühl, dass die Syn­chro­ni­sa­ti­on bei skan­di­na­vi­schen Fil­men und Seri­en unna­tür­li­cher wirkt als die Syn­chro­ni­sa­ti­on bei eng­lisch­spra­chi­gem Film­ma­te­ri­al. Gibt es Spra­chen, die sich für die deut­sche Syn­chro­ni­sa­ti­on grund­sätz­lich bes­ser eig­nen als andere?

Ich ver­mu­te, das hat eher mit dem Regie­stil zu tun – vie­le Kolleg:innen in der Bran­che (auch ich) haben Kun­den, die sie für ihren Stil schät­zen, und sich damit gewis­ser­ma­ßen „Bio­to­pe“ geschaf­fen, in denen sie beson­ders häu­fig Pro­jek­te betreu­en. Das kann dazu füh­ren, dass jemand immer wie­der eine bestimm­te Sor­te Schwe­den­kri­mi auf den Tisch bekommt, und sich dadurch auch eine gewis­se Hör­ge­wohn­heit zu einer Art Stan­dard ent­wi­ckelt.  (Ich hab mir sagen las­sen, dass der Dreh­buch­au­tor Her­bert Rein­ecker bei „Der­rick“ und ande­ren Seri­en in den 70ern extra sinn­lo­se Pau­sen in die deut­schen Ori­gi­nal­dia­lo­ge geschrie­ben hat, damit sie sich nach­her anhö­ren wie syn­chro­ni­sier­te US-Kri­mi­se­ri­en.) Aller­dings habe ich gera­de einen spa­ni­schen Film been­det, und viel Schweiß ver­gos­sen – wie kön­nen Men­schen so unglaub­lich viel Inhalt in so weni­ge super­schnell gespro­che­ne Sil­ben quetschen?!

Wel­ches Pro­jekt hat dir bis­her am meis­ten Spaß gemacht, und wel­ches war das abso­lu­te Hor­ror­pro­jekt und warum?

Rich­tig schlimm wird es für mich immer, wenn schon die Ori­gi­nal­dia­lo­ge schlecht sind, oder die Schau­spie­ler nicht über­zeu­gen – dann ist ein­fach zu wenig „Fleisch“ da, um mein Sprach­ge­fühl anzu­re­gen, und die Arbeit wird zäh und ziel­los. Was aller­dings noch schlim­mer war: 52 Fol­gen einer rus­sisch-chi­ne­si­schen Zei­chen­trick­se­rie für Kin­der, die aus Grün­den der Lizenz­ver­ga­be bei uns bereits in einer – lei­der grot­ten­schlech­ten und asyn­chro­nen – eng­li­schen Bear­bei­tung anka­men. Stän­dig stieß ich auf text­li­che Unge­reimt­hei­ten, die auf eine unge­naue und fahr­läs­si­ge Über­set­zung schlie­ßen lie­ßen, und muss­te mir ent­spre­chend eine ande­re Logik zusam­men­rei­men. Dazu kam die eng­li­sche Ver­to­nung, die von teil­wei­se kom­plett talent­frei­en Sprecher:innen ohne jedes Rhyth­mus­ge­fühl drauf­ge­lei­ert wor­den war, und mir immer wie­der das Hirn zer­schoss. Dazu auch noch zu knapp kal­ku­liert – sechs Mona­te mei­nes Lebens, die ich ger­ne zurückhätte.

Zu mei­nen Lieb­lings­pro­jek­ten, an denen aus unter­schied­lichs­ten Grün­den mein Herz hing oder noch hängt, zäh­len unter ande­rem „Aggretsuko“, zur­zeit gera­de noch „Wel­ling­ton Para­nor­mal“, und eini­ge sehr schö­ne Kin­der­se­ri­en wie „Die geheim­nis­vol­len Städ­te des Gol­des“, „Zack und Quack“ oder „Fli­pi und die Pilz­lin­ge“. Meis­tens sind es humo­ris­tisch gela­ger­te Sachen, für die ich mitt­ler­wei­le auch gezielt ange­fragt wer­de, und bei denen ich mein Team „anzün­den“ kann, was die Lebens­qua­li­tät am Arbeits­platz enorm erhöht. Immer wie­der kom­men auch schö­ne Art­house-Fil­me auf mei­nen Tisch, und natür­lich hebt es neben mei­ner Lau­ne auch mei­nen Markt­wert, wenn dann „Death of Sta­lin“ den Syn­chron­preis oder „Para­si­te“ vier Oscars gewinnt. Ein High­light war sicher­lich „Der Zoo“, eine Art Mocku­men­ta­ry, in der wir ech­te Tie­re mit ani­mier­ten Mün­dern mit allen mög­li­chen deut­schen Dia­lek­ten und Akzen­ten bele­gen durften. 


Ste­fan Kaiser

Ste­fan Kai­ser, geb. 1966 in Ber­lin, auf­ge­wach­sen eben­dort.
Schul­zeit und Abitur auf dem Lan­de (Hermsdorf/Lübars), aus­ge­bil­de­ter Musi­ka­li­en­händ­ler, nicht been­de­tes Stu­di­um der Musik­wis­sen­schaft, Anglis­tik, Publi­zis­tik. Zur finan­zi­el­len Auf­bes­se­rung u.a. ver­stö­ren­de, erhel­len­de und men­schen­kennt­nis­er­wei­tern­de Tätig­keit in einem Bio­la­den. 1990 SAE Audio Engi­neer an der SAE Ber­lin. Div. Bands samt CD-Ver­öf­fent­li­chun­gen und Auf­trit­ten. 1991 Ton­as­sis­tent bei Video&Sound, 1995–2012 Syn­chron­ton­meis­ter bei MME. Seit 1998 auch Dia­log­bü­cher und Dia­log­re­gie. Neben­bei Klein­kunst, Lesun­gen, Happenings.


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