Wel­che Über­set­zung soll ich lesen? – Sturmhöhe

Emily Brontës „Sturmhöhe“ zählt zu den meist übersetzten Büchern der englischen Literatur. Auch deutschsprachige Leser:innen haben die Qual der Wahl. Von

Cathy in Andrea Arnolds Sturmhöhe-Verfilmung von 2011. ©Allstar Picture Library Ltd./Alamy Stock Photo

Im Lau­fe der Lite­ra­tur­ge­schich­te wur­de so viel über das Leben der Bron­të-Schwes­tern geschrie­ben, dass die drei Frau­en inzwi­schen eher mythi­schen Figu­ren als ech­ten Men­schen glei­chen, die vor über 150 Jah­ren gelebt haben sol­len. Der Legen­de nach wuch­sen die Schwes­tern Char­lot­te, Emi­ly und Anne gemein­sam mit ihrem Bru­der Bran­well mut­ter­los in einem abge­schie­de­nen Ört­chen im Nor­den Eng­lands auf. Der Legen­de nach über­schat­te­te das unste­te Leben des talen­tier­ten, aber doch unbe­re­chen­ba­ren Bru­ders das Wir­ken sei­ner nicht weni­ger talen­tier­ten Schwes­tern, die trotz der stren­gen Fuch­tel des Vaters und dem alles an sich rei­ßen­den Bru­der schöp­fe­risch tätig waren. Der Legen­de nach hat vor allem das mitt­le­re Kind – Emi­ly – das väter­li­che Pfarr­haus, gele­gen in dem unschein­ba­ren Haworth, nur ungern ver­las­sen. Lie­ber ver­brach­te sie ihre Zeit in fast völ­li­ger Iso­la­ti­on, höchs­tens in Anwe­sen­heit ihrer vier­bei­ni­gen Freun­de, bis sie mit knapp 30 Jah­ren früh­zei­tig an Tuber­ku­lo­se starb. 

Wie konn­ten unter sol­chen Umstän­den zwei der belieb­tes­ten und bedeu­tends­ten eng­lisch­spra­chi­gen Roma­ne des 19. Jahr­hun­derts – Char­lot­te Bron­tës Jane Eyre und Emi­ly Bron­tës Sturm­hö­he – ent­ste­hen? (Man könn­te an die­ser Stel­le auch Anne Bron­tës nicht weni­ger radi­ka­les Werk Die Her­rin von Wild­fell Hall hin­zu­zäh­len, das lei­der immer noch unter­schätzt wird.) Die­se Fra­ge gibt noch immer eini­ge Rät­sel auf, doch je mehr man über die Schwes­tern und ihr kur­zes Schaf­fen liest, des­to weni­ger greif­bar schei­nen die Schwes­tern zu wer­den, denen noch immer gänz­lich unter­schied­li­che Cha­rak­te­re zuge­schrie­ben wer­den und deren Leben wohl weni­ger abge­schie­den ver­lie­fen, als lan­ge Zeit berich­tet wurde. 

Wenn man eines aus ihren viel­fach repro­du­zier­ten Bio­gra­fien zie­hen will, dann dass die Schwes­tern früh anfin­gen zu schrei­ben (es gibt unzäh­li­ge jugend­li­che Erzeug­nis­se der Geschwis­ter, von denen die Fan­ta­sy-Erzäh­lung Gon­dal wohl die bekann­tes­te ist) und ambi­tio­niert wie auch stra­te­gisch vor­gin­gen. Die Roma­ne der Schwes­tern wur­den an die wich­tigs­ten Lon­do­ner Ver­la­ge geschickt, dar­un­ter auch New­by & Sons, der nach eini­gen Ver­hand­lun­gen nicht nur Jane Eyre, son­dern auch Sturm­hö­he und Anne Bron­tës Agnes Grey 1847 zum Druck brachte. 

Wie für weib­li­che Autoren damals nicht unüb­lich wur­den die Roma­ne unter den Pseud­ony­men Cur­rer, Ellis und Acton Bell ver­öf­fent­licht. Mit der Namens­wahl blie­ben die geschwis­ter­li­chen Bin­dun­gen erhal­ten, sie sorg­ten aber auch für hart­nä­cki­ge Spe­ku­la­tio­nen, ob sich hin­ter den drei Pseud­ony­men nicht ein und die­sel­be Per­son ver­ber­ge. Jane Eyre war von den drei Roma­nen am erfolg­reichs­ten, sodass Char­lot­te Bron­të, die ihre vor­zei­tig, nach­ein­an­der ver­stor­be­nen Schwes­tern um eini­ge Jah­re über­leb­te, ihre Autor­schaft ent­hüll­te und bei ihrem Ein­tritt in die Lon­do­ner Gesell­schaft mit recht offe­nen Armen emp­fan­gen wur­de. Ihre Zeit­ge­nos­sin, die eben­falls in Eng­land ver­ehr­te Autorin Eliza­beth Gas­kell, schrieb mit The Life of Char­lot­te Brontë die ers­te Bio­gra­fie über das Leben der Schwes­tern, die nur zwei Jah­re nach Char­lot­tes Tod erschien. Damit begann die Legendendichtung. 

Man­che mögen die Bücher der Bron­të-Schwes­tern für über­zo­gen, belang­los oder gar schlecht befin­den: Ihr Platz im Kanon der eng­lisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur ist aller­dings unum­strit­ten und der Ein­fluss reicht bis ins 21. Jahr­hun­dert. Ihr Hei­mat­ort Haworth, in dem sich noch immer das Haus der Fami­lie befin­det, ist zur Pil­ger­stät­te unzäh­li­ger Fans (dar­un­ter auch Pat­ti Smith) gewor­den. Es gibt unzäh­li­ge Bücher, die auf die Roma­ne der Bron­të-Schwes­tern ver­wei­sen oder gar von die­sen inspi­riert wur­den – von Jean Rhys Klas­si­ker Die wei­te Sar­gas­so­see bis hin zu Ste­phe­nie Mey­ers Bis(s) zum Abend­rot. Die Roma­ne, vor allem Jane Eyre, wur­den zudem so oft ver­filmt, dass sich wohl aus jedem Jahr­zehnt seit Beginn der Film­ge­schich­te eine Fas­sung fin­den lässt. Und dank Kate Bushs weg­wei­sen­der, sire­nen­haf­ter Pop-Inter­pre­ta­ti­on ist mit „Wut­he­ring Heights“ ein Roman­ti­tel auch in die Anna­len der Musik­ge­schich­te eingegangen.

Emi­ly Bron­tës Roman Sturm­hö­he sticht inner­halb die­ser bei­spiel­lo­sen Erfolgs­ge­schich­te durch­aus her­aus – ihre Zeitgenoss:innen (allen vor­an die eige­ne Schwes­ter Char­lot­te) wuss­ten mit dem Roman, der sich weder in ein Gen­re pres­sen lässt noch den lite­ra­ri­schen Kon­ven­tio­nen sei­ner Zeit folgt, wohl wenig anzu­fan­gen. Trotz­dem eilt Emi­ly Bron­të als ver­meint­lich „mys­te­riö­ses­te“ der drei Schwes­tern noch bis heu­te ein gewis­ser Ruf vor­aus, der glei­cher­ma­ßen fas­zi­niert wie irri­tiert, und ähn­li­ches lässt sich auch über ihren Roman sagen, der bis heu­te die Kri­ti­ker- und Leser­schaft spal­tet

Sturm­hö­he ist ein höchst ori­gi­nel­ler, aber anspruchs­vol­ler Roman, des­sen kom­ple­xe Erzähl­ebe­nen zwar zu sei­ner unge­wöhn­li­chen Geschich­te pas­sen, aber sicher­lich schon so eini­gen Leser:innen den Zugang ver­baut haben. Die ers­ten Kapi­tel wer­den aus der Ich-Per­spek­ti­ve von einem gewis­sen Mr. Lock­wood erzählt, der auf der Suche nach Ruhe an einem abge­le­ge­nen Fleck Erde den Guts­hof Thrush­cross Gran­ge mie­tet. Als er dem eigent­li­chen Besit­zer, Heath­cliff, einen Besuch abstat­tet, gerät er in einen Schnee­sturm, der ihn dazu ver­an­lasst, eine gespens­ti­sche Nacht im Haus sei­nes Ver­mie­ters zu ver­brin­gen. In Rück­blen­den erzählt ihm spä­ter die zwei­te Erzäh­le­rin des Romans, Nel­ly Dean, die in bei­den Häu­sern als Kin­der­mäd­chen und Haus­häl­te­rin gear­bei­tet hat, die Geschich­te der bei­den Fami­li­en Ear­ns­haw und Lin­ton. In deren Mit­tel­punkt steht die lei­den­schaft­li­che, zer­stö­re­ri­sche Lie­bes­be­zie­hung von Cathy und Heath­cliff, die das Leben zwei­er Fami­li­en und drei­er Gene­ra­tio­nen beein­flusst. Da eini­ge der Figu­ren aus unter­schied­li­chen Gene­ra­tio­nen die­sel­ben Namen tra­gen, sind die deut­schen wie auch die eng­li­schen Aus­ga­ben fast immer mit einer genea­lo­gi­schen Tafel aus­ge­stat­tet, damit man nicht gänz­lich den Über­blick verliert.

Die bild­li­chen Dar­stel­lun­gen von ver­ba­ler und phy­si­scher Gewalt, Alko­hol­sucht sowie Miss­brauch bis hin zu Nekro­phi­lie tru­gen dazu bei, dass die Rezep­ti­on zunächst ver­hal­ten aus­fiel. Selbst im abge­brüh­ten 21. Jahr­hun­dert dürf­te die skru­pel­lo­se Rach­sucht Heath­cliffs und Cathys domi­nan­ter Ego­is­mus kaum Sym­pa­thien her­vor­ru­fen. Aber gera­de die the­ma­ti­sche Viel­falt und das rigo­ro­se Vor­drin­gen in mensch­li­che Abgrün­de sor­gen für die lang anhal­ten­de Fas­zi­na­ti­on. Sturm­hö­he lässt unzäh­li­ge Les­ar­ten zu – wur­de Heath­cliff in vie­len frü­hen Inter­pre­ta­tio­nen noch als ver­wais­ter Ben­gel, der zum Pro­to­ty­pen des Byron’schen Hel­den her­an­wächst, sti­li­siert, ist der Miss­brauch sowie der offen­kun­di­ge Ras­sis­mus, dem der Jun­ge „[mit] sei­ner dunk­len Haut“ aus­ge­setzt ist, inzwi­schen genug Erklä­rung für alles, was folgt.

Sturm­hö­he (Wut­he­ring Heights ist der Ori­gi­nal­ti­tel) hat dem­entspre­chend auch eine inter­es­san­te Über­set­zungs­ge­schich­te vor­zu­wei­sen. Tat­säch­lich gehört der Roman neben Jane Eyre sowohl in Deutsch­land als auch welt­weit zu den am meis­ten über­setz­ten eng­lisch­spra­chi­gen Klas­si­kern. In über sech­zig Spra­chen ist der Roman inzwi­schen über­setzt wor­den. Seit der ers­ten Über­tra­gung ins Deut­sche im Jahr 1851 (wer über­setzt hat, ist nicht bekannt), sind min­des­tens zwölf wei­te­re Über­set­zun­gen auf dem deut­schen Markt erschie­nen, die alle­samt im 20. Jahr­hun­dert ver­öf­fent­licht wur­den. Die letz­te Neu­über­set­zung stammt von Wolf­gang Schlü­ter und erschien 2016 im Han­ser Ver­lag. Die für die­sen Arti­kel her­an­ge­zo­ge­nen Über­set­zun­gen wur­den aus­ge­wählt, weil sie ent­we­der im Han­del ver­füg­bar oder online frei zugäng­lich waren. Ande­re Über­set­zun­gen sind zwar anti­qua­risch erhält­lich, wer­den aber in hier nicht berück­sich­tigt. An die­ser Stel­le folgt eine kur­ze Über­sicht der hier bespro­che­nen Übersetzungen:

Der Sturmheidhof/Sturmhöhe; über­setzt von Gise­la Etzel (1908; Ver­lag: Hof­en­berg)
Die Sturm­hö­he, über­setzt von Gre­te Ram­bach (1938; Ver­lag: Insel Taschenbuch/Suhrkamp)
Umwit­ter­te Höhen, über­setzt von Alfred Wol­fen­stein (1941; Ver­lag: Büch­ner; ver­füg­bar auch über Pro­ject Guten­berg)
Stür­mi­sche Hügel/Sturmhöhe, über­setzt von Gla­dys von Sond­hei­mer (1947; Ver­lag: Dio­ge­nes)
Sturm­hö­he, über­setzt von Sieg­fried Lang (1949; Ver­lag: Manes­se, 2022 neu auf­ge­legt als Pen­gu­in Edi­ti­on)
Sturm­hö­he, über­setzt von Ingrid Rein (1986; Ver­lag: Reclam)
Sturm­hö­he, über­setzt von Michae­la Meß­ner (1997; Ver­lag: dtv)
Sturmhöhe/Wuthering Heights, über­setzt von Wolf­gang Schlü­ter (2016; Ver­lag: Hanser)

Lei­der haben nicht alle Übersetzer:innen ein Nach­wort zu ihrer Fas­sung hin­ter­las­sen und nicht alle, die eins schrei­ben durf­ten, sind auch auf ihre Über­set­zung ein­ge­gan­gen. Doch auch wenn sie nicht auf die Über­set­zung ein­ge­hen, sind sol­che Nach­wör­ter höchst auf­schluss­reich, weil sie Ein­bli­cke in die Inter­pre­ta­ti­on des Über­set­zers oder der Über­set­ze­rin geben. Im Fal­le von Emi­ly Bron­të, deren Mythos das eige­ne Werk zuwei­len über­schat­tet, füh­len sich vie­le Kri­ti­ker wie auch Über­set­zer (die männ­li­che Form wur­de hier bewusst gewählt) zu erstaun­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen und bis­wei­len fan­tas­ti­schen Aus­le­gun­gen ihrer Per­son veranlasst. 

Man kann hier fast von einer Art Tra­di­ti­on spre­chen, die ver­mut­lich mit dem fol­gen­den oft zitier­ten Satz von Char­lot­te Bron­të begann, der die Schwes­ter ver­mut­lich recht anschau­lich cha­rak­te­ri­sie­ren soll­te: „Stär­ker als ein Mann, ein­fa­cher als ein Kind, ein Wesen von ganz eige­ner Art“. Eine Fort­set­zung des­sen ist zum Bei­spiel W. Somer­set Maug­hams Dia­gno­se, dass Emi­ly Bron­të eine „hoch­mü­ti­ge, eine anstren­gen­de, unan­ge­neh­me Per­son“ gewe­sen sei, obgleich er ihr Werk zu den zehn bes­ten Roma­nen der Welt­li­te­ra­tur zäh­le. Wei­ter­ge­dacht wird dies bei­spiels­wei­se von dem Über­set­zer Sieg­fried Lang, der in sei­nem Nach­wort behaup­tet, „sie war sen­si­tiv“ und chau­vi­nis­tisch urteilt: „[Die] Bron­tës, die nie geliebt hat­ten, nie geliebt wur­den, aber die Lie­be lieb­ten, stei­ger­ten den Mann zu etwas Über­männ­li­chem“. Noch unend­lich inter­es­san­ter ist Wolf­gang Schlü­ters umfas­sen­des Nach­wort, in dem er Emi­ly Bron­tës Voka­bu­lar als „Stich­wort­re­ser­voir die­ser angst­be­setz­ten, nicht nur von Heath­cliff reprä­sen­tier­ten Sphä­re männ­li­cher Pene­tra­ti­on“ bezeich­net. Über die Psy­che Emi­ly Bron­tës ler­nen wir hier wenig, dafür aber umso mehr über die ihrer Über­set­zer – und die ist für die­sen Arti­kel beson­ders relevant. 

Wir haben es also mit einem inter­pre­ta­to­risch über­frach­te­ten Roman zu tun, wodurch eini­ge Her­aus­for­de­run­gen für die Über­set­zen­den ent­ste­hen. In einem sol­chen Fall gibt es oft nur zwei Wege: Ent­we­der ver­su­chen sich die Übersetzer:innen künst­lich von allen äuße­ren Ein­flüs­sen zu befrei­en (ein Ansatz, der eigent­lich zum Schei­tern ver­ur­teilt ist) oder sie über­set­zen ganz bewusst im Kon­text der Über­set­zungs­ge­schich­te des Romans (was vor allem bei Wolf­gang Schlü­ter der Fall ist). Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung beim Über­set­zen von Sturm­hö­he ist die eigen­tüm­li­che Spra­che des Romans, die nicht nur unge­wöhn­lich ist, weil der Roman über 150 Jah­re alt ist. 

Emi­ly Bron­tës Werk liest sich tat­säch­lich ganz anders als ande­re zeit­ge­nös­si­sche, vik­to­ria­ni­sche Roma­ne; es wird in län­ge­ren Dia­lo­gen, die zumeist mit einem Aus­ru­fe­zei­chen enden, lei­den­schaft­lich belei­digt, geschrien oder geflucht. Sät­ze blei­ben oft unvoll­endet und wer­den durch Gedan­ken­stri­che abge­hackt. Eini­ge Figu­ren spre­chen in einem nord­eng­li­schen Dia­lekt. Die Wort­wahl vari­iert von prä­ten­tiö­sen For­mu­lie­run­gen bis hin zu mes­ser­schar­fen Beschimp­fun­gen. An der Spra­che schei­den sich die Geis­ter: Die einen heben beson­ders die Münd­lich­keit, die teil­wei­se den Reiz die­ses Romans aus­macht, her­vor und argu­men­tie­ren, es hand­le sich eigent­lich um einen dra­ma­ti­schen Text. (Erstaun­li­cher­wei­se wird Sturm­hö­he trotz sei­ner nar­ra­ti­ven Kom­ple­xi­tät immer wie­der auf deut­schen bzw. bri­ti­schen Büh­nen auf­ge­führt – mit durch­wach­se­nem Erfolg.) Ande­re ver­wei­sen auf die Natur­be­schrei­bun­gen und erken­nen dar­in das Dich­te­ri­sche einer Autorin, von der ansons­ten nur noch Gedich­te über­lie­fert sind. Wir stel­len fest, dass sich Sturm­hö­he auch in for­ma­ler und sprach­li­cher Hin­sicht kaum kate­go­ri­sie­ren lässt, und hal­ten nach all die­sen Ele­men­ten beim Sich­ten der Über­set­zun­gen Ausschau. 

Eine ers­te Hür­de stellt die Über­set­zung des Roman­ti­tels „Wut­he­ring Heights“ dar, der gleich­zei­tig sowohl der Name des zen­tra­len Schau­plat­zes in der fik­ti­ven Welt ist als auch die Atmo­sphä­re der York­shire-Land­schaft ein­fängt. In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat sich „Sturm­hö­he“ als deut­sche Über­set­zung eta­bliert, sodass älte­re Über­set­zun­gen, die eigent­lich unter ande­ren Titeln wie „Sturm­heid­hof“ oder „Stür­mi­sche Hügel“ erschie­nen sind, inzwi­schen als „Sturm­hö­he“ ver­legt wer­den – wenn es um die Titel von Über­set­zun­gen geht, haben Ver­la­ge in den meis­ten Fäl­len das letz­te Wort (so erschien bei­spiels­wei­se auch die Han­ser-Aus­ga­be nicht unter dem Ori­gi­nal­ti­tel, für den Wolf­gang Schlü­ter plä­diert hat­te). In vie­len Über­set­zun­gen erfolgt aller­dings im Roman ein Wech­sel zurück zum ursprüng­li­chen Namen „Wut­he­ring Heights“, des­sen Bedeu­tung direkt zu Beginn des Romans erklärt wird:

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Wut­he­ring Heights is the name of Mr. Heathcliff’s dwel­ling. ‘ Wut­he­ring ’ being a signi­fi­cant pro­vin­cial adjec­ti­ve, descrip­ti­ve of the atmo­sphe­ric tumult to which its sta­ti­on is expo­sed in stor­my wea­ther. Pure, bra­cing ven­ti­la­ti­on they must have up the­re at all times, inde­ed: one may guess the power of the north wind blo­wing over the edge, by the exces­si­ve slant of a few stun­ted firs at the end of the house; and by a ran­ge of gaunt thorns all stret­ching their lim­bs one way, as if cra­ving alms of the sun. Hap­pi­ly, the archi­tect had fore­sight to build it strong […] 

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Die­se kur­ze Text­stel­le befin­det sich am Anfang des ers­ten Kapi­tels. Es han­delt sich hier­bei weni­ger um einen Kom­men­tar des Erzäh­lers (was weiß der neu zuge­zo­ge­ne Lock­wood schon über den Namen des Anwe­sens?), son­dern der Autorin, die anschei­nend sicher gehen woll­te, dass auch eng­lisch­spra­chi­ge Leser:innen „Wut­he­ring Heights“ ein­ord­nen kön­nen. Gise­la Etzel ist die ein­zi­ge Über­set­ze­rin, die „Wut­he­ring Heights“ nicht ver­wen­det und  durch­gän­gig die von ihr gewähl­te deut­sche Über­set­zung „Sturm­heid­hof“ nutzt. Als Ein­zi­ge hat sie auch den Namen des zwei­ten Schau­plat­zes, „Thrush­cross Gran­ge“, ins Deut­sche über­tra­gen: „Dros­sel­kreuz“ heißt der Ort in ihrer Über­set­zung. Damit – und die­sen Ein­druck bestä­tigt auch die rest­li­che Über­set­zung – deutscht Gise­la Etzel ins­ge­samt mehr ein als ande­re Übersetzer:innen, denn die­se keh­ren im Gegen­satz dazu im Text zu den Ori­gi­nal­na­men zurück.

Älte­re Über­set­zun­gen fügen an der zitier­ten Stel­le zumin­dest noch eine deut­sche Erklä­rung ein, wäh­rend Sieg­fried Lang, Michae­la Meß­ner und Wolf­gang Schlü­ter auch dar­auf gänz­lich ver­zich­ten, was gemes­sen an dem Bekannt­heits­grad von Wut­he­ring Heights nicht unbe­dingt ver­werf­lich ist. Zudem hat sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten abge­zeich­net, dass die Ein­deut­schung von Namen aus der Mode kommt bzw. so vie­le Pro­ble­me mit sich bringt, dass vie­le Übersetzer:innen davon abse­hen. Wür­de man bei einem Roman wie Wut­he­ring Heights mit der Ein­deut­schung von Orts­na­men begin­nen, könn­te man auch alle spre­chen­den Figu­ren­na­men, zum Bei­spiel Heath­cliff oder Hare­ton, ins Deut­sche brin­gen, was sicher­lich aus guten Grün­den bis­lang noch nie­mand getan hat.

Beim Lesen mögen sol­che schwer aus­zu­spre­chen­den Namen nur bedingt irri­tie­ren, aber wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass über Bücher auch gespro­chen wird – in Buch­hand­lun­gen, in Lese­run­den, im Pri­va­ten. Selbst für eng­li­sche Muttersprachler:innen gibt es im Inter­net dut­zen­de Arti­kel, die erklä­ren, wie man das Wort „Wut­he­ring“ aus­zu­spre­chen hat. Im Spec­ta­tor schreibt ein Kolum­nist: „Mir fällt kein Wort ein, der öfter falsch aus­ge­spro­chen wird als Wut­he­ring Heights“. Aus die­sem Grund ist eine deut­sche Über­set­zung des Titels wün­schens­wert, auch wenn man sich ent­schei­det im Text von „Wut­he­ring Heights“ (dabei geht es vor allem um den Guts­na­men) zu sprechen.

Mit Blick auf die ande­ren Über­set­zungs­ver­su­che von „Wut­he­ring Heights“ kris­tal­li­siert sich aller­dings „Sturm­hö­he“ als die bes­te Vari­an­te her­aus – und das nicht nur, weil der Roman inzwi­schen unter dem Titel bekannt ist. „Stür­mi­sche Hügel“ klingt weder beein­dru­ckend noch beson­ders furcht­ein­flö­ßend, „Umwit­ter­te Höhen“ oder „Sturmum­wit­ter­te Höhen“ hin­ge­gen sind umständ­li­che For­mu­lie­run­gen. Eine Über­set­zung wie „Sturm­heid­hof“ redu­ziert den Titel zudem um min­des­tens eine Bedeu­tungs­ebe­ne, weil eine kla­re Objek­ti­vie­rung erfolgt. Das Kom­po­si­tum „Sturm­hö­he“ ist im Ver­gleich dazu wesent­lich ein­gän­gi­ger und vage genug, um unse­rer Fan­ta­sie frei­en Lauf zu lassen.

Der kur­ze Aus­zug gibt jedoch auch einen Ein­blick in ande­re Unter­schie­de zwi­schen den ein­zel­nen Über­set­zun­gen und den ein­zel­nen über­set­ze­ri­schen Ent­schei­dun­gen. Die­se begin­nen beim Satz­bau, der im gesam­ten Roman so eini­ge Tücken auf­weist. Die meis­ten Übersetzer:innen ver­su­chen bei der Über­tra­gung des Sat­zes „One may guess the power of the nor­thwind …“ der Län­ge des Ori­gi­nals zu fol­gen, ledig­lich Wol­fen­stein nimmt hier eine Tei­lung in zwei Sät­ze vor. Sowohl Meß­ner als auch Schlü­ter schaf­fen hier mit einem Gedan­ken­strich die Über­lei­tung zum vor­he­ri­gen Satz nach­zu­ah­men, die alle Ande­ren mehr oder weni­ger ignorieren. 

Inter­es­sant, wenn auch nur bedingt ele­gant, ist Ingrid Reins Ent­schei­dung den Neben­satz „dem der Ort bei stür­mi­schem Wet­ter aus­ge­setzt ist“ nicht ans Ende des ein­lei­ten­den Sat­zes zu set­zen, son­dern ihn dazwi­schen zu schie­ben. Ähn­lich span­nend wird es auch bei der Wort­wahl. Wäh­rend bei­spiels­wei­se Rein „extrem“ für noch mal mehr Empha­se vor zwei ohne­hin schon aus­sa­ge­kräf­ti­ge Adjek­ti­ve setzt, ist das Wet­ter auf Wut­he­ring Heights bei Wol­fen­stein ledig­lich ein biss­chen „unru­hig“ statt stür­misch. Des Wei­te­ren über­set­zen Meß­ner und Schlü­ter „the power of the north wind“ anders als ihre Vorgänger:innen mit „Kraft“ und „Wucht“ zwar näher am Ori­gi­nal, aber es dimmt die raue Atmosphäre. 

Der Aus­zug aus Schlü­ters Über­set­zung ist an die­ser Stel­le beson­ders inter­es­sant, weil sei­ner Fas­sung von 2016 ein gewis­ser Ruf vor­aus­eilt, der mut­maß­lich das Resul­tat einer Mar­ke­ting­stra­te­gie ist: Anders als sei­ne Vorgänger:innen habe er an vie­len Stel­len Wör­ter aus der Umgangs­spra­che gewählt und las­se die Roman­fi­gu­ren wie „Aggro-Rap­per aus Neu­kölln“ flu­chen. An die­ser Stel­le ist davon nicht mal ansatz­wei­se etwas zu spü­ren. Schlü­ters Über­set­zung ist hier genau­so weit vom 21. Jahr­hun­derts ent­fernt wie ande­re Über­set­zun­gen: „[Ein] cha­rak­te­ris­ti­sches Eigen­schafts­wort“ ist die denk­bar unge­lenks­te Über­tra­gung von „a pro­vin­cial adjec­ti­ve“ und Ein­fü­gun­gen wie „wohl wahr“ und „wohl­weis­lich“ hel­fen kaum dabei, die Geschich­te oder deren Spra­che gegen­wär­ti­ger wir­ken zu lassen. 

Kom­men wir zu einem wei­te­ren Text­bei­spiel. Der fol­gen­de Dia­log ereig­net sich nach einem Streit zwi­schen Heath­cliff und Cathy, die regel­mä­ßig von ihrem zukünf­ti­gen Ehe­mann Edgar Lin­ton besucht wird. Ihr älte­rer Bru­der und Haus­herr Hind­ley, ein unbe­re­chen­ba­rer Alko­ho­li­ker, unter­hält sich mit Joseph, einem alten Bediens­te­ten, der in einem nord­eng­li­schen Dia­lekt spricht. Anwe­send sind auch Cathy und das Dienst­mäd­chen Nel­ly Dean, die Erzäh­le­rin der Geschichte:

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‘She’s ill,’ said Hind­ley, taking her wrist; ‘I sup­po­se that’s the reason she would not go to bed. Damn it! I don’t want to be trou­bled with more sick­ness here. What took you into the rain?’

‘Run­ning after t’ lads, as usu­ald!’ croa­ked Joseph, cat­ching an oppor­tu­ni­ty from our hesi­ta­ti­on to thrust in his evil ton­gue. ‘If I war yah, mais­ter, I’d just slam t’ boards i’ their faces all on’ em, gent­le and simp­le! Never a day ut yah’re off, but yon cat o’ Lin­ton comes snea­king hither; and Miss Nel­ly, shoo’s a fine lass! shoo sits wat­ching for ye i’ t’ kit­chen; and as yah’re in at one door, he’s out at t’other; and, then, wer grand lady goes a – cour­ting of her side! It’s bon­ny beha­viour, lur­king amang t ’ fields, after twel­ve o’ t’ night , wi’ that fahl, flay­so­me divil of a gipsy, Heath­cliff! They think I’m blind; but I’m noan: nowt ut t’ soart! — I seed young Lin­ton boath coming and going, and I seed yah’ (direc­ting his dis­cour­se to me), ‘yah goo­id fur nowt, slat­ten­ly witch! nip up and bolt into th’ house , t’ minu­te yah heard t’ maister’s hor­se – fit clat­ter up t’ road.’

‘Silence, eaves­drop­per!’ cried Catherine; […]

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In dem gesam­ten Roman ist Josephs alter York­shire-Dia­lekt am aus­ge­präg­tes­ten und dient sowohl der Figu­ren­zeich­nung als auch der Loka­li­sie­rung. Joseph ist eine selt­sa­me Figur, er ist ein selbst­ge­rech­ter Moral­apos­tel, der seit Jah­ren der Fami­lie dient und sei­ne Mei­nung jeder­zeit bereit­wil­lig und unge­fragt ver­kün­det. Der Dia­lekt mar­kiert nicht nur den Stan­des­un­ter­schied, son­dern signa­li­siert zugleich sei­nen Man­gel an Bil­dung. Zugleich ver­leiht der Dia­lekt sei­nen Reden eine komi­sche Note, sodass die über­zeich­ne­te Figur oft­mals als Kari­ka­tur gele­sen wird. Rich­tig ernst nimmt ihn auf Wut­he­ring Heights nie­mand – und das sol­len auch die Leser:innen nicht. 

Auch eng­li­sche Muttersprachler:innen emp­fin­den den York­shire-Dia­lekt teil­wei­se als schwer ver­ständ­lich und unles­bar, zumal der Dia­lekt seit dem 19. Jahr­hun­dert auch zuneh­mend weni­ger gespro­chen und nur bedingt posi­tiv wahr­ge­nom­men wird, da gera­de in Groß­bri­tan­ni­en Dia­lek­te noch heut­zu­ta­ge als Zei­chen des gesell­schaft­li­chen Stan­des auf­ge­fasst wer­den. Tat­säch­lich hat­te schon Char­lot­te Bron­të Sor­ge, dass die Leser:innen in ande­ren Gegen­den Groß­bri­tan­ni­ens nicht in der Lage sein wür­den, den von Emi­ly sehr tref­fend über­tra­ge­nen Dia­lekt zu ver­ste­hen und nahm in der zwei­ten Aus­ga­be von Wut­he­ring Heights, für die sie das Vor­wort schrieb, eini­ge Anpas­sun­gen vor.

Die Über­tra­gung des Dia­lekts fällt sehr unter­schied­lich aus. Man­che Übersetzer:innen las­sen ihrer Krea­ti­vi­tät frei­en Lauf (Etzel, Schlü­ter), ande­re deu­ten ihn durch recht zag­haf­te Wort­ver­kür­zun­gen zumin­dest an (Meß­ner, Rein, Ram­bach) und eini­ge las­sen ihn gänz­lich weg (Lang, Wol­fen­stein, Sond­hei­mer). Letz­te­res ist die bequems­te, aber auch fads­te Lösung. Sturm­hö­he the­ma­ti­siert die Unter­schie­de zwi­schen den Klas­sen und Heath­cliffs Stre­ben nach sozia­lem Auf­stieg. Dass sol­che Unter­schie­de auch über die Spra­che ver­han­delt wer­den, soll­te in der Über­set­zung zumin­dest ange­deu­tet wer­den, vor allem dann, wenn sich Josephs Figu­ren­re­de so klar von ande­ren Figu­ren abhebt. 

Eine Dia­lekt­über­tra­gung ist mit eini­gen Pro­ble­men behaf­tet, denn wel­cher deutsch­spra­chi­ge Dia­lekt wür­de an einer sol­chen Stel­le pas­sen? Und wer­den damit die Leser:innen nicht völ­lig aus dem York­shire-Dorf geris­sen? Zudem zie­hen klar zuor­den­ba­re, deutsch­spra­chi­ge Dia­lek­te ihre ganz eige­ne, oft hoch­kom­ple­xe His­to­rie mit sich. In Etzels Über­set­zung sticht der Dia­lekt in die­ser Hin­sicht nicht all­zu nega­tiv her­vor, da sie sich ins­ge­samt um eine stär­ke­re Ein­deut­schung bemüht hat als ihre Nachfolger:innen und der Text somit weni­ger stark in Nord­eng­land ver­an­kert ist. Der Ver­gleich der Über­set­zun­gen zeich­net nach, wie die Dia­lekt­über­set­zung in den letz­ten Jahr­zehn­ten lang­sam wie­der her­vor­tritt, nach­dem fast alle Übersetzer:innen Mit­te des 19. Jahr­hun­derts den Dia­lekt des Ori­gi­nals völ­lig igno­riert haben. 

Ob die­se Ten­denz andeu­tet, dass Übersetzer:innen inzwi­schen mehr wagen oder womög­lich auch die Tole­ranz der Leser:innen für solch sprach­li­che Akro­ba­tik gestie­gen ist, sei jedem selbst über­las­sen. Unter Umstän­den ist an sol­chen Stel­len tat­säch­lich die Ver­wen­dung eines Kunst­dia­lekts, der deut­lich als Dia­lekt iden­ti­fi­zier­bar ist, aber nicht klar ver­ort­bar ist, die ele­gan­tes­te Lösung. Schlü­ter hat sich für einen nicht immer kon­se­quen­ten Dia­lekt­mix aus „Krems, Otta­kring und Wie­ner Neu­stadt“ ent­schie­den. Die­ser funk­tio­niert mal mehr, mal weni­ger gut. Auf jeden Fall wirkt der Dia­lekt, wenn man die Wie­ner Mund­art nicht kennt, durch­aus befremd­lich. In ande­ren Ohren, denen ein sol­cher Dia­lekt ver­trau­ter sein mag, klingt die Mund­art unter Umstän­den auf­ge­setzt – bei­des ent­spricht der Wir­kung, die Josephs Rede an sol­chen Stel­len im Ori­gi­nal entfaltet. 

Aner­ken­nend her­vor­zu­he­ben ist, dass eini­ge Übersetzer:innen hier zwar nicht mit einem aus­ge­präg­ten Dia­lekt arbei­ten, aber den­noch sprach­lich klang­voll arbei­ten. Michae­la Meß­ner bei­spiels­wei­se schafft es durch Wie­der­ho­lung von „fein“ und die Dop­pe­lun­gen von „du“ und „dich“ („du mie­se Schlam­pe, du Hexe du, dich hab“) Josephs ohne­hin ankla­gen­dem Ton­fall eine thea­tra­li­sche Note zu ver­lei­hen. Sei­ne ver­zwei­fel­ten Aus­ru­fe („Bin ich aber nich, von wegen!“) las­sen ihn wie ein trot­zi­ges Kind wirken. 

Glät­tun­gen in den Über­set­zun­gen betref­fen aber oft­mals nicht nur die dia­lek­ta­len Pas­sa­gen, son­dern auch die Flü­che und ver­ba­len Belei­di­gun­gen, die in die­ser Text­stel­le man­nig­fach zu fin­den sind. In die­ser Hin­sicht ste­chen die kon­ser­va­ti­ven Über­set­zun­gen von Wol­fen­stein und Lang aus den 1940er Jah­ren beson­ders her­vor. Wäh­rend in Ram­bachs Fas­sung von 1938 das Dienst­mäd­chen Nel­ly als „nix­nut­zi­ge, schlam­pi­ge Hex“ bezeich­net wird, beschimpft man sie bei Wol­fen­stein komi­scher­wei­se als „lodd­ri­ges Frau­en­zim­mer“. Viel­leicht han­delt es sich dabei um einen der schlimms­ten Vor­wür­fe, den man Frau­en im Jahr 1941 machen konn­te – oder Wol­fen­stein hat sich so den Stra­ßen­sprech des 19. Jahr­hun­dert vor­ge­stellt. Ähn­lich brav geht es in der Lang’schen Über­set­zung von 1949 zu. „[Shoo’s] a fine lass“ wird hier von Lang als „[sie ist] ein mus­ter­haf­tes Mäd­chen“ über­tra­gen; im Ver­gleich dazu ist bei Rein von einem „hinterfotzig[em] Weibs­stück“ die Rede. 

Sol­che kur­zen Aus­zü­gen zei­gen ganz unter­schied­li­che inter­pre­ta­to­ri­sche Ansät­ze. Rein liest Joseph als anstren­gen­den, miso­gy­nen Bes­ser­wis­ser, daher ist ihre recht freie Über­set­zung im Kon­text des Romans durch­aus pas­send. Lang jedoch ging offen­bar davon aus, dass der Satz auch im Deut­schen ohne mehr Nach­druck sei­ne Iro­nie ent­fal­ten kann, was auch der Fall ist. Wie zuvor bereits erwähnt, schreibt er der Autorin durch­aus wohl­wol­lend im Nach­wort eine Sen­si­ti­vi­tät zu, als hät­te er sie per­sön­lich gekannt: „Kon­tem­pla­ti­on waren ihr tiefs­tes Bedürf­nis. Füh­len, Den­ken, Phan­ta­sie leb­ten voll erst in ihrer Dich­tung auf“, heißt es dort. 

Ein wei­te­res Bei­spiel für die ange­streb­te Förm­lich­keit ist die Ver­wen­dung von „Sie“ und „du“ in Langs Über­set­zung. In sei­ner Über­tra­gung redet Joseph das Dienst­mäd­chen Nel­ly mit „Sie“ an, wäh­rend alle ande­ren Übersetzer:innen an die­ser Stel­le das „du“ gewählt haben. Das stän­di­ge Sie­zen bei Lang ergibt tat­säch­lich wenig Sinn, da Joseph Nel­ly zusam­men mit Heath­cliff und Cathy (alle sind unge­fähr ähn­li­chen Alters) hat auf­wach­sen sehen. Auch Heath­cliff und Cathy sie­zen in sei­ner Ver­si­on Nel­ly, obgleich sehr deut­lich ist, dass sie einen Sta­tus inne­hat, der über den eines durch­schnitt­li­chen Dienst­mäd­chens hin­aus­geht. Sie ist ein wei­te­res Fami­li­en­mit­glied, eine enge Ver­trau­te in einer Welt, in der sich alle pau­sen­los Belei­di­gun­gen an den Kopf knal­len. Ein „Sie“ lässt sol­che Schimpf­e­rei­en sehr steif wir­ken. Dem­entspre­chend fällt auch sei­ne Über­set­zung zurück­hal­ten­der, gefass­ter und ver­gleichs­wei­se deut­lich gedie­ge­ner aus. Zuwei­len wirkt es so, als hät­te Lang lie­ber einen Aus­ten-Roman übersetzt. 

Als Letz­tes soll an die­ser Stel­le noch eine inter­pre­ta­to­ri­sche Abwei­chung Schlü­ters her­vor­ge­ho­ben wer­den, denn eine neue Her­an­ge­hens­wei­se an den Text kann auch ihre Tücken haben, vor allem wenn man augen­schein­lich alles in einem gänz­lich neu­en Licht lesen will. In sei­ner Fas­sung (und auch in der gekürz­ten Über­set­zung von Sond­hei­mer), fühlt Hind­ley der kran­ken Cathy den Puls. Natür­lich könn­te mit „taking her wrist“ eine sol­che Hand­lung gemeint sein, aber war­um soll­te aus­ge­rech­net Hind­ley, ein gewalt­tä­ti­ger Gro­bi­an, so etwas tun? Zumal er ein paar Absät­ze spä­ter „einen Sturz­bach höh­ni­scher Schmä­hun­gen auf sie nieder[lässt]“. Die­se wohl­wol­len­de Dar­stel­lung Hind­leys wird sich in einem spä­ter fol­gen­den Zitat bestätigen.

Kom­men wir zur nächs­ten Text­stel­le. Beson­ders inter­es­sant sind in die­sem Roman die Geschich­te Heath­cliffs. Cathys und Hind­leys Vater unter­nimmt eine Geschäfts­rei­se nach Liver­pool, von der er mit einem Wai­sen­kind im Schlepp­tau zurück­kehrt. Die­ses Wai­sen­kind wird Heath­cliff getauft. Woher er stammt und wer sei­ne Eltern sind, ist nicht bekannt, bie­tet aber Stoff für alle mög­li­chen Spe­ku­la­tio­nen. Es fin­det dabei eine deut­li­che Exo­ti­sie­rung statt. „Er ist ein dun­kel­häu­ti­ger Zigeu­ner“ (Ü Ram­bach; „He is a dark-skin­ned gipsy“) heißt es im Roman. Sei­ne dunk­le­re Haut­far­be sowie sein wenig durch­schau­ba­res Auf­tre­ten sind oft Gegen­stand ras­sis­ti­scher Belei­di­gun­gen. Als Cathy ein Inter­es­se an Edgar Lin­ton ent­wi­ckelt, wird Heath­cliff eifer­süch­tig. Hier spricht er mit Nel­ly Dean:

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‘In other words, I must wish for Edgar Linton’s gre­at blue eyes and even fore­head,’ he repli­ed. ‘I do — and that won’t help me to them.’

‘A good heart will help you to a bon­ny face , my lad,’ I con­tin­ued, ‘if you were a regu­lar black; and a bad one will turn the bon­niest into some­thing worse than ugly. And now that we’ve done washing, and com­bing, and sul­king — tell me whe­ther you don’t think yours­elf rather hand­so­me? I’ll tell you, I do. You’re fit for a prin­ce in dis­gu­i­se. Who knows but your father was Emper­or of Chi­na, and your mother an Indi­an queen, each of them able to buy up, with one week’s inco­me, Wut­he­ring Heights and Thrush­cross Gran­ge tog­e­ther? And you were kid­nap­ped by wicked sail­ors and brought to Eng­land. Were I in your place, I would frame high noti­ons of my birth; and the thoughts of what I was should give me cou­ra­ge and digni­ty to sup­port the oppres­si­ons of a litt­le farmer!’

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Heath­cliff ist nicht nur ein Außen­sei­ter, weil er als Wai­se in die Fami­lie kommt, son­dern auch weil er „anders“ aus­sieht. Liver­pool, die Stadt, in der er auf­ge­le­sen wird, war im 19. Jahr­hun­dert ein Zen­trum des Skla­ven­han­dels. Daher ist es durch­aus plau­si­bel – und zahl­rei­che Anspie­lun­gen deu­ten dar­auf hin – ihn als Kind ver­sklav­ter Men­schen und als Per­son of Colour zu lesen, was Andrea Arnold in ihrer Ver­fil­mung von 2011 gemacht hat. (Bis dato wur­de Heath­cliff eher von wei­ßen, mit­tel­al­ten Män­nern mit lan­gen Haa­ren gespielt.) Das bedeu­tet nicht, dass man den Roman oder die Figur Heath­cliff zwangs­läu­fig so lesen muss – es ist ledig­lich eine von vie­len Les­ar­ten, die bei­de ihre Daseins­be­rech­ti­gung haben.

Sturm­hö­he ist ein anschau­li­ches Bei­spiel dafür, dass auch eng­lisch­spra­chi­ge Tex­te, die sich nicht pri­mär mit dem bri­ti­schen Impe­ria­lis­mus aus­ein­an­der­set­zen (die Moo­re York­shires könn­ten von den eng­li­schen Kolo­nien nicht wei­ter ent­fernt sein), die­sen oft­mals als Plot Device ver­wen­den und unter­schwel­lig ver­ar­bei­ten. In Jane Eyre bringt Roches­ter sei­ne ers­te Ehe­frau aus einer Kolo­nie mit nach Eng­land, in Jane Aus­tens Mans­field Park bezieht das Fami­li­en­ober­haupt sein Ver­mö­gen aus einer Plan­ta­ge in Anti­gua und selbst in Eliza­beth Gas­kells Sit­ten­ro­man Cran­ford gibt es zahl­rei­che Anspie­lun­gen auf den glo­ba­len Han­del und die zahl­rei­chen Expan­si­ons­ver­su­che des bri­ti­schen Königreichs.

Dies zeigt vor allem, dass der Umgang mit der Kolo­ni­al­ge­schich­te und inzwi­schen poli­tisch sen­si­blen Begrif­fen nicht nur dann ein Pro­blem ist, wenn der Roman bei­spiels­wei­se den Sta­tus als post­ko­lo­nia­les Werk inne­hat oder von einer Per­son of Colour ver­fasst wur­de. Das Über­set­zen von Klas­si­kern weist in die­ser Hin­sicht rei­hen­wei­se Tücken auf, da sich mit der Zeit auch die über­set­ze­ri­schen Kon­ven­tio­nen wan­deln. In der Über­set­zungs­ge­schich­te von Sturm­hö­he lässt sich der sich ste­tig wan­deln­de Umgang mit bestimm­ten Begrif­fen nach­voll­zie­hen. Wäh­rend die älte­ren Über­set­zun­gen das damals übli­che N‑Wort benut­zen, dem Etzel mit dem Zusatz „schwarz wie“ sogar noch Empha­se ver­leiht, wird gegen Ende des 20. Jahr­hun­derts die Bezeich­nung „Schwar­zer“ bevor­zugt. In Langs Über­set­zung, die im April 2022 als deut­sche Pen­gu­in Edi­ti­on erscheint, wur­de das N‑Wort gestri­chen und eben­falls durch „Schwar­zer“ ersetzt.

Schlü­ters Über­set­zung mit „raben­schwar­zer Mohr“ ist in vie­ler­lei Hin­sicht sowohl rück­schritt­lich als auch schlicht inkon­se­quent. In sei­nem Nach­wort ver­kün­det er: „[Wo] einst dem vik­to­ria­ni­schen Leser indi­gniert oder scho­ckiert der Atem sto­cken moch­te, da zuckt ein anno 2015 ver­roh­ter Leser nur mit den Ach­seln, wenn Über­set­zung hier kei­ne wir­kungs­ad­äqua­te Wie­der­ga­be wagt“. In die­ser Pas­sa­ge, wie auch in allen ande­ren bereits aus der Über­set­zung zitier­ten, han­delt es sich bei einer Über­set­zung wie „raben­schwar­zer Mohr“ jedoch eher um eine künst­li­che His­to­ri­sie­rung, die wenig mit dem Ori­gi­nal zu tun und auch als Beschimp­fung nicht beson­ders über­zeu­gend ist. Schlü­ter legi­ti­miert mit dem Zitat die Ver­wen­dung von umgangs­sprach­li­chen Begrif­fen wie „Voll­kof­fer“ und „schei­ße“ – die eigent­lich nur spo­ra­disch statt­fin­det –, die unnö­tig enge Über­tra­gung der Inter­punk­tio­nen und Absatz­struk­tur des Ori­gi­nals (man darf sich ruhig fra­gen, was die­ses Vor­ge­hen mit Wir­kungs­äqui­va­lenz zu tun hat) sowie die Dia­lek­ti­sie­rung von Figu­ren­sprech, der im Ori­gi­nal kei­nen Dia­lekt ent­hält. In sei­ner Ver­si­on sagt Heath­cliff Sät­ze wie „Wo isse denn, mei­ne lieb­wer­te Gat­tin?“ oder „Ach! Mei­ne Herz­trau­tes­te!“, die sei­ne Lei­den­schaft ins Lächer­li­che ziehen.

Heut­zu­ta­ge eben­falls pro­ble­ma­tisch ist die Bezeich­nung „Zigeu­ner“, die sich hier als Über­set­zung für „Gipsy“, das im eng­li­schen Sprach­raum inzwi­schen auch als ras­sis­tisch ein­ge­stuft wird, mehr­fach fin­den lässt. Der Roman repro­du­ziert nicht nur gän­gi­ge Ras­sis­men sei­ner Zeit, son­dern sei­ne Cha­rak­te­re ver­wen­den sol­che Begrif­fe Heath­cliff gegen­über, um die­sen bewusst zu belei­di­gen – es fin­det über die Spra­che ein kla­res „Othe­ring“ sei­ner Figur statt. Sol­che Ras­sis­men tat­säch­lich gar nicht zu über­set­zen, hät­te gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die Figu­ren­zeich­nung und wür­de somit die Wir­kung des Romans signi­fi­kant beein­träch­ti­gen. Daher wäre die wohl ange­mes­sens­te Lösung, sol­che Stel­len nicht unkom­men­tiert zu las­sen, son­dern Übersetzer:innen in Klas­si­ker­aus­ga­ben – die heut­zu­ta­ge ohne­hin meist mit Nach­wör­tern, Essays und edi­to­ri­schen Noti­zen ver­se­hen sind – die Mög­lich­keit zu geben, die Über­set­zung ein­zel­ner Wör­ter zu kom­men­tie­ren (Schlü­ter erhielt die Gele­gen­heit und lässt „Mohr“ aber unkom­men­tiert stehen).

Zuletzt soll hier noch dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass die Über­set­zung von Gla­dys van Sond­hei­mer Strei­chun­gen und Kür­zun­gen ent­hält. Auf­merk­sa­men Leser:innen sind die­se even­tu­ell schon in dem vor­he­ri­gen Zitat auf­ge­fal­len. In die­ser zitier­ten Pas­sa­ge sind die Ein­grif­fe jedoch noch auf­fäl­li­ger. Das gesam­te Gespräch zwi­schen Nel­ly und Heath­cliff wur­de hier zu einem ein­zi­gen Teil­satz zusam­men gekürzt. Aus wel­chen Grün­den die Straf­fun­gen vor­ge­nom­men wur­den, kann nur gemut­maßt wer­den. Die zitier­te Pas­sa­ge stammt aus der Dio­ge­nes-Aus­ga­be von 1999, die weder ein Vor­wort noch ein Nach­wort ent­hält, und wird auf­grund der Aus­las­sun­gen in die­sem Arti­kel nicht emp­foh­len wird.

Kom­men wir zu einem letz­ten Bei­spiel. In die­ser Sze­ne tyran­ni­siert Hind­ley, der sich im Lau­fe des Romans immer mehr sei­ner Alko­hol­sucht hin­gibt, Nel­ly Dean und sei­nen Sohn Hare­ton, den er seit dem Tod sei­ner Frau grob ver­nach­läs­sigt hat:

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‘But I don’t like the car­ving-kni­fe, Mr. Hind­ley,’ I ans­we­red; ‘it has been cut­ting red her­rings. I’d rather be shot, if you plea­se.’ You’d rather be dam­ned!’ he said; ‘and so you shall. No law in Eng­land can hin­der a man from kee­ping his house decent, and mine’s abo­minable! Open your mouth.’ He held the kni­fe in his hand, and pushed its point bet­ween my tee­th: but, for my part, I was never much afraid of his vaga­ries. I spat out, and affirm­ed it tas­ted detestably—I would not take it on any account. ‘Oh!’ said he, releasing me, ‘I see that hideous litt­le vil­lain is not Hare­ton: I beg your par­don, Nell. If it be, he deser­ves flay­ing ali­ve for not run­ning to wel­co­me me, and for screa­ming as if I were a goblin. Unna­tu­ral cub, come hither! I’ll teach thee to impo­se on a good-hear­ted, delu­ded father. Now, don’t you think the lad would be hand­so­mer crop­ped? It makes a dog fier­cer, and I love some­thing fierce—get me a scissors—something fier­ce and trim! […]

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Eine der effek­tivs­ten Über­set­zun­gen die­ser Stel­le stammt von Meß­ner, die hier wie­der ein Bei­spiel für eine gelun­ge­ne Wort­wie­der­ho­lung (sie­he „bes­ser“) lie­fert. Die Aus­ru­fe­zei­chen gepaart mit dem ver­gleichs­wei­se har­ten „Mach den Mund auf“ unter­strei­chen Hind­ley unbe­re­chen­ba­ren Cha­rak­ter, der vor Dro­hun­gen jeg­li­cher Art nicht zurück­schreckt. Eben­falls tref­fend ist die Über­set­zung „die­ser wider­wär­ti­ge klei­ne Ben­gel“. Das Klein­kind ganz als „Schur­ke“ zu bezeich­nen, schießt etwas über das Ziel hin­aus, auch wenn Hind­ley alles zuzu­trau­en ist. Ben­gel ist zwar umgangs­sprach­lich, aber auch alt­mo­disch genug, um in ein länd­li­ches Set­ting zu passen.

Gise­la Etzel hat für ihre Fas­sung ein Vor­wort geschrie­ben, in dem sie aus einer frü­he­ren Über­set­zung zitiert und erstaunt kom­men­tiert: „So schrieb man noch in den sieb­zi­ger Jah­ren. Doch welch eine Wand­lung im Geis­te von damals zu heu­te!“ Ähn­li­ches lässt sich nun – über hun­dert Jah­re spä­ter – auch über ihre Über­set­zung schrei­ben. Etzels Über­set­zung ist kei­nes­wegs schlecht, aber sie ist geal­tert, vor allem mit Blick auf die Wort­wahl: „Ent­ar­te­tes Fund“ und „ich lie­be etwas Ras­si­ges“ sind rech­te freie Über­set­zun­gen der Ori­gi­nal­pas­sa­gen, die heut­zu­ta­ge die meis­ten Leser:innen stut­zig machen sollten. 

Auch der Über­set­zung von Sieg­fried Lang merkt man ihr Alter an und die ange­streng­te Zäh­mung des Aus­gangs­tex­tes sorgt dafür, dass sich gestelz­te Belei­di­gun­gen wie „du unna­tür­li­ches klei­nes Tier“ der Über­set­zung eine unfrei­wil­li­ge Komik ver­lei­hen, die im Ori­gi­nal nicht zu fin­den ist. Ähn­lich gedämpft klingt auch Alfred Wol­fen­steins Über­set­zung, in die es kaum ein Aus­ru­fe­zei­chen aus dem Ori­gi­nal geschafft hat – selbst als Lock­wood von den Geis­ter­hän­den Cathys umfasst wird, endet der Satz in einem Punkt. Dem Pathos des Ori­gi­nals wird er damit wenig gerecht. Am bes­ten schnei­det unter den älte­ren Über­set­zun­gen daher die Fas­sung von Gre­te Ram­bach ab, die sicher­lich auch an man­chen Stel­len Alte­rungs­spu­ren auf­weist, aber flüs­sig, an eini­gen Stel­len wage­mu­tig und ins­ge­samt gut les­bar ist. 

Ähn­lich zurück­hal­tend wie eini­ge Vor­gän­ger über­setzt auch Rein, bei der „vaga­ries“ hier zu „wun­der­li­chen Ein­fäl­len“ wer­den – eine sehr beschö­ni­gend For­mu­lie­rung dafür, dass Hind­ley Nel­ly ein Mes­ser in den Mund schiebt – und aus „goblins“ „Gespens­ter“, viel­leicht als Ver­weis auf Cathe­ri­nes Gespenst, das spä­ter die Anwoh­ner von Wut­he­ring Heights heim­su­chen wird. Zwar tauch­te bei ihr auch das „hinterfotzig[em] Weibs­stück“ auf, aber bei einer solch beschwing­te­ren Über­set­zung (die oft an eigent­lich unpas­sen­den Stel­len auf­tre­ten) han­delt es sich eher um eine Aus­nah­me als die Regel. Das Ordent­li­che kommt in ihrer Über­set­zung oft stär­ker zum Aus­druck als das Wilde. 

Zudem setzt sich bei ihr zuvor bereits ange­deu­te­te Ten­denz, Sät­ze umständ­lich ein­zu­schie­ben, in der gesam­ten Über­set­zung fort. Bei­spiels­wei­se wird bei ihr aus „Mr. Heath­cliff and I are such a sui­ta­ble pair to […]“ zu „Mr. Heath­cliff und ich, wir sind genau die Rich­ti­gen, um […]“. An man­chen Stel­len kann so etwas durch­aus funk­tio­nie­ren, aber in ohne­hin lan­gen Sät­zen stren­gen sol­che Kon­struk­tio­nen an, auch weil Rein zusätz­lich noch dazu ten­diert Pas­siv­kon­struk­tio­nen ein­zu­bau­en, wo die Kon­kur­renz ten­den­zi­ell akti­visch über­setzt: „Er ahn­te ja nicht, wie sym­pa­thisch er mir wur­de“ („He litt­le ima­gi­ned how my heart war­med towards him)“.

Ver­gleichs­wei­se gut gelingt es auch Schlü­ter an der oben zitier­ten Stel­le, das Stak­ka­to­haf­te des Ori­gi­nals zu imi­tie­ren, indem er eini­ge Sät­ze kür­zer macht, als sie es im Ori­gi­nal ohne­hin schon sind. Aus „open your mouth“ wird bei ihm zum Bei­spiel „Mund auf“. Im Ver­gleich dazu arbei­ten Rein oder Wol­fen­stein mit deut­lich län­ge­ren Sät­zen. Aus „some­thing fier­ce and trim“ wird bei Wol­fen­stein bei­spiels­wei­se „Wild und glatt muß man aus­se­hen“, was den Text deut­lich ent­schleu­nigt, wäh­rend Schlü­ter die Bei­fü­gung auf „wild & schmuck“ reduziert. 

Schlü­ter arbei­tet jedoch kei­nes­wegs als Ein­zi­ger mit Gedan­ken­stri­chen und Ver­kür­zun­gen; auch ande­re Übersetzer:innen (Meß­ner oder Lang, obgleich sei­ne Über­set­zung durch Ver­wen­dung von „Sie“ aus­ge­bremst wird) ver­su­chen hier den Rhyth­mus des Ori­gi­nals nach­zu­ah­men. Es han­delt sich also nicht um ein Allein­stel­lungs­merk­mal sei­ner Über­set­zung, auch wenn man ihr in die­ser Hin­sicht viel­leicht die größ­te Effek­ti­vi­tät zuspre­chen mag. Trotz­dem soll hier noch ein­mal dar­auf ver­wie­sen wer­den, dass Schlü­ters Über­set­zung es auch an die­ser Stel­le nicht ver­mag, zu über­zeu­gen. Aus­set­zer in der Wort­wahl wie „unna­tür­li­cher Fratz“ oder das selt­sa­me sto­cken­de „unter kei­nen Umstän­den wür­de ich es zu mir neh­men“ (es geht hier um ein Mes­ser) las­sen die Über­set­zung erneu­ert erstaun­lich alt­ba­cken wirken.

Wer sich also zum aller­ers­ten Mal der Lek­tü­re eines der auf­re­gends­ten und kom­ple­xes­ten Bücher des 19. Jahr­hun­derts wid­men will, sei vor Schlü­ters Über­set­zung gewarnt. Kenner:innen ande­rer Über­set­zun­gen mögen dar­in zumin­dest den Ver­such einer ori­gi­nel­len Her­an­ge­hens­wei­se an das Ori­gi­nal erken­nen. Für Neueinsteiger:innen jedoch kann die Lek­tü­re eigent­lich nur eine Qual bedeu­ten. Eben­falls wenig emp­feh­lens­wert sind die meis­ten Über­set­zun­gen aus der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts (Etzel, Wol­fen­stein und Lang), die ent­we­der Alte­rungs­spu­ren auf­wei­sen, die die Rezep­ti­on des Tex­tes unter Umstän­den nega­tiv beein­flus­sen, oder durch ihre künst­li­che Förm­lich­keit nicht die­sel­be Inten­si­tät wie das Ori­gi­nal errei­chen. Ingrids Reins soli­de Über­set­zung aus den 80er-Jah­ren gerät an eini­gen Stel­len eben­falls zu brav. Wir blei­ben dem­nach bei Michae­la Meß­ners Über­set­zung von 1997 hän­gen, die den bis­lang bes­ten und schlüs­sigs­ten Ver­such dar­stellt, Emi­ly Bron­tës Sturm­hö­he mit all sei­nen Eigen­hei­ten ins Deut­sche zu brin­gen. Gemes­sen an der andau­ern­den Erfolgs­ge­schich­te des Romans ist es nicht unwahr­schein­lich, dass in den kom­men­den Jah­ren eine wei­te­re Neu­über­set­zung erscheint. Es bleibt also spannend.

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3 Comments

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    Blogophilie März 2022 | Miss Booleana

    […] Wel­che Über­set­zung soll ich lesen? Das ist die Schmerz­fra­ge für alle die gern Klas­si­ker lesen. Ich ste­he immer wie­der rat­los vor der enor­men Aus­wahl. Julia Rosche ver­gleicht auf TraLaLit gleich meh­re­re Aus­ga­ben von Emi­ly Bron­tës Sturm­hö­he und dabei kom­men so ziem­lich alle der gro­ßen Fra­gen auf den Tisch, die sich Über­set­zung regel­mä­ßig stel­len muss. Über­nimmt man ras­sis­ti­sche Äuße­run­gen? Ist das pro­ble­ma­tisch oder eher die Aus­las­sung? Was mache ich mit Dia­lek­ten? Und Eigen­na­men?? Es ist abso­lut span­nend zu lesen wie unter­schied­lich das all die Über­set­zun­gen handhaben. […]

  2. 3
    Katharina K

    Dan­ke für die­sen aus­führ­li­chen Ver­gleich der ver­schie­de­nen Über­set­zun­gen! Ich habe heu­te die Aus­ga­be in der Über­set­zung von Gre­te Ram­bach, von 1938, zuen­de gele­sen und fand sie ins­ge­samt sehr stimmig.
    Beim Lesen der von euch zitier­ten Ver­gleichs­stel­len merkt man erst, was es doch aus­macht in wel­chem Stil über­setzt wird…sehr spannend!

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