
Das Mambo de la Fête ist eine Kaschemme wie ein Schnellkochtopf. Auf der Tanzfläche tummeln sich all jene, die dem Glück hinterherjagen: Minenarbeiter, Neureiche, Politiker, Geheimdienstmitarbeiter und junge Frauen, die US-amerikanische Rapper als gold digger abkanzeln würden. In dem Club am Stadtrand von Lubumbashi, einer Stadt im Süden von Zaire, pulsiert das Leben, während die kongolesische Rumba aus den Lautsprechern hämmert und das Partyvolk am billigen Klebstoff schnüffelt. Es ist eine berauschte Welt, in die uns der Autor Fiston Mwanza Mujila mitnimmt. Eine Welt, die es so nicht mehr gibt.
Sein Roman Tanz der Teufel spielt in einer längst vergangenen Zeit und in einem Land, das in dieser Form nicht mehr existiert. Es sind die wilden 1990er-Jahre, eine Zeit, in der sich alles für Zaire ändert. Die ehemaligen Kolonialherren aus Belgien sind verschwunden und die Regentschaft des Diktators Mobutu Sese Seko kollabiert. In der Hoffnung, ihr bescheidenes Leben doch noch zum Guten zu wenden, versuchen die einfachen Leute, Diamanten aus dem Boden zu plündern. Zaire heißt heute Demokratische Republik Kongo, aber von Demokratie und Wohlstand ist das Land noch immer weit entfernt.
Es sind Chaosjahre, die Mwanza Mujila im Tanz der Teufel beschreibt. Kolonialismus, Diktatur und Rebellion sind aber nur Nebengeräusche in dem vielstimmigen Roman. Vielmehr zeichnet Mwanza Mujila ein empfindsames und unterhaltendes Porträt über sein Heimatland, das er 2009 zugunsten Österreichs verlassen hat. Es sind die vielen verschiedenen Figuren und ihre Lebensgeschichten, die den Roman bunt und vielseitig machen. Die Geschichte ist eine groteske und humorvolle Erzählung über die Suche der Zairer:innen nach dem Glück. Eine politische Anklageschrift ist Tanz der Teufel keineswegs.
Eine komplexe Erzählstruktur
Es ist schwer, den Inhalt des Romans zusammenzufassen. Mwanza Mujila bricht bewusst mit tradierten Erzählweisen; Chronologie oder Kohärenz spielen eine geringere Rolle, stattdessen prägen Rhythmus, Entgrenzung und Stilbrüche die Erzählung. Im Mittelpunkt stehen die Figuren des Romans, die leitmotivisch immer wiederkehren. Handlungsorte und Erzählperspektiven wechseln immer wieder und das jedes Mal abrupt. Einziger Fluchtpunkt des Romans ist der Nachtclub Mambo de la Fête, in dem die vielen Erzählstränge zusammenlaufen.
Jeder Erzählstrang spannt sich um eine Figur im Tanz der Teufel, die ihr Erleben aus personaler oder Ich-Perspektive ausdrücken. Da ist beispielsweise Sanza, ein naiver Straßenjunge, der aus seiner kindlichen Perspektive schildert, wie sich seine minderjährigen Altersgenossen in den Diamantenminen im benachbarten Angola kaputtschuften und wie er selbst in die Fänge von Mobutus Geheimdienst gerät. Da ist Franz Baumgartner, einer der wenigen Weißen im Roman. Ein trotteliger Schriftsteller aus Österreich, der nie so genau versteht, was um ihn herum eigentlich geschieht. Und dann ist da noch Tshiamuena, die „Madonna der Minen von Cafunfo“. Eine alte Frau, die großen Respekt genießt, aber ihren Mitmenschen auch gerne mal was vom Pferd erzählt.
Diese sehr ungewöhnliche und fragmentarische Erzählweise macht es für die Leser:innen zunächst schwer, im Roman Fuß zu fassen. Und sie war eine Herausforderung für die Übersetzerinnen Lena Müller und Katharina Meyer. In einem Beitrag im Toledo Journal schreiben sie, dass eine große Aufgabe darin bestand, „beim Lesen und Übersetzen am besten alle Furcht abzulegen, den Faden zu verlieren oder nicht mitzukommen.“
Übersetzerisches Rhythmusgefühl
Stilistisch betrachtet, ist der musikalische Sound der Geschichte ein zentraler Aspekt im Tanz der Teufel. Der Text ist durch die vielen Orts‑, Perspektiv- und Genrewechsel durchstrukturiert und auch der Satzbau ist abwechslungsreich und zugleich durchkomponiert. Mwanza Mujilas Sprache ist stark rhythmisiert, kurze und lange Sätze wechseln einander ab, er gehört noch zu den Autor:innen, die den Nebensatz nicht scheuen. Und wie er selbst im Interview mit dem französischen Magazin Marianne verrät, hat das auch einen Grund:
Pour moi, les mots sont des notes, tout part de la construction de la phrase. J’aime les longues phrases qui me permettent d’avoir une respiration car dans une longue phrase, on peut changer de ton. La musicalité part de là et de l’énumération. Lancer des mots qui partent dans tous les sens, les répéter, permet à la langue de créer une musicalité.
Für mich sind Worte Noten, alles beginnt mit dem Aufbau des Satzes. Ich liebe lange Sätze, die mir erlauben, Luft zu holen, denn in einem langen Satz kann man den Ton ändern. Die Musikalität kommt daher und vom Aufzählen. Die Wörter in alle Richtungen zu schleudern und zu wiederholen, lässt die Sprache Musikalität kreieren.
Für die beiden Übersetzerinnen stellte sich zunächst die Frage, wer überhaupt zur Musik tanzt. Denn der französische Originaltitel La danse du vilain enthält mit „vilain“ eine eher antiquierte Vokabel, die im Deutschen keine direkte Entsprechung findet. Der Begriff stammt laut Petit Robert aus dem Mittelalter und meint einen freien Bauern, der nicht versklavt ist. Wie aber soll diese Bedeutungswelt adäquat ins Deutsche transportiert werden? Auf diese Frage haben Lena Müller und Katharina Meyer eine passende Antwort gefunden:
„Ist der Vilain also eher ein Lump? Einfach ein abgerissener Kerl oder ein Mistkerl? Ein Staubfresser, Strolch, Halunke? Ein Schlitzohr, Schuft, Raubein, Rüpel, Scheusal, Gesocks, Gesindel, Übeltäter, Ekel, Wüstling? Ein Herumtreiber, Lumpenhund, Grobian? Wegen der vielfältigen Anklänge, die der Begriff im Deutschen hat, entschieden wir uns für die armen Teufel. Der Tanz der Teufel ist genau genommen auch der Tanz der armen Teufel.“
Der deutsche Titel überzeugt aber auch deshalb, weil Tanz der Teufel eine Alliteration ist. Das macht aus dem Titel einen griffigen Slogan, der in der Übersetzung einprägsamer nachhallt als der eher antiquierte Originaltitel La danse du vilain.
Sprachspiele auf vielen Ebenen
Die 54 kurz gehaltenen Kapitel im Tanz der Teufel wimmeln geradezu von Sprachspielen. Mwanza Mujila wechselt häufig das Register und auch die Grenzen der Gattungsformen überschreitet er in der Erzählung immer wieder. Diesen eigenwilligen Stil bringen Müller und Meyer reibungslos ins Deutsche. Ein Beispiel:
Sur des sujets aussi pointilleux et controversés que les mercenaires blancs, la Sécession katangaise, l’Union minière, ils se défoulaient. Une éloquence rare. Fatigués de devoir trop longtemps rester debout, ils me conviaient à m’asseoir à la terrasse d’un café pour vider leur gosier. J’écoutais l’Évangile sans interrompre.
Über so schwierige und kontroverse Themen wie weiße Söldner, die Abspaltung Katangas, die Union Minière machten sie ihrem Ärger Luft. Was für eine Eloquenz! Wenn sie vom langen Stehen müde waren, luden sie mich auf die Terrasse eines Cafés ein, um mir ihr Herz auszuschütten. Ich lauschte ihrem Sermon, ohne mit der Wimper zu zucken.
Interessant ist hierbei das recht hochgestochene Register, das Mwanza Mujila nutzt („éloquence“, „l’Évangile“). Die zitierte Beobachtung schildert der Straßenjunge Sanza, doch einem Kind würde man normalerweise derartige Worte nicht in den Mund legen. Das ist die groteske Ironie, die den Roman erzählerisch prägen – und die Meyer und Müller nicht nur richtig erfasst, sondern auch wirkungsgleich ins Deutsche übertragen haben. An anderer Stelle beweisen Meyer und Müller, das sie aber auch den oralen Charakter der Geschichte treffend übersetzen. Das zeigt etwa dieser Wortwechsel zwischen dem weißen Autor Franz Baumgartner und einem Taxifahrer:
- Tu va où, mon frère? Are you Belgian? French?
Il s’exprimait dans un anglais irréprochable appris grâce au reggae.
- I’m from Austria.
- Australian?
- Austria!
- I know your country. My uncle was diplomat in Vienna…
- When?
- It’s been years…
- First time in Zaire?
- My second… On peut parler français…
- Si ça ne te dérange pas en anglais. I want practice my English…
»Wo geht’s hin, Bruder? Are you Belgian? French?«
Er sprach ein tadelloses, durch Reggae erlerntes Englisch.
»I’m from Austria.«
»Australian?«
»Austria!«
»I know your country. My uncle was diplomat in Vienna …«
»When?«
»It’s been years …«
»First time in Zaire?«
»My second … Wir können auch Französisch sprechen …«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann gerne auf Englisch. I want practice my English …«
Inhaltlich ist das Gespräch komplett absurd und es wimmelt nur von englischen Grammatikfehlern (die der Übersetzung glücklicherweise erhalten geblieben sind). Auch der umgangssprachliche Ton im Original wird ideal wiedergegeben. So ist „Tu vas où, mon frère?“ etwa keine standardsprachlich gestellte Frage und deshalb mit „Wo geht’s hin, Bruder?“ perfekt übersetzt.
Wortwechsel gibt Mwanza Mujila im Tanz der Teufel aber nicht nur in Prosaform wieder. Er wechselt auch ohne jede Vorwarnung die Gattung und schreibt die Dialoge wie in einem Theaterstück auf. Und auch hier ist die Mündlichkeit das zentrale Übersetzungsproblem:
LEANDRO: Une action éclair ne serait pas mal.
MAGELLAN: Je suis…
SANZA: Avec ou sans vous, je vais tenter une action.
MAGELLAN: Et si on coupait une bière au Mambo?
LEANDRO: Ouais…MAGELLAN (c’est l’ancien gendarme katangais qui parle maintenant en lui): Je vais bien ficeler le truc et il y aura des échos dans toute la province.
LEANDRO: Eine Blitzaktion wäre nicht schlecht.
MAGELLAN: Ich bin dabei …
SANZA: Ich mache was, mit oder ohne euch.
MAGELLAN: Und wie wär’s mit einem Bier im Mambo?
LEANDRO: Okay.
MAGELLAN (und jetzt spricht der ehemalige Katanga‑Gendarm aus ihm): Ich nehme die Sache in die Hand, das wird die ganze Provinz erschüttern.
Wichtig bei der Übersetzung dieser Theaterdialoge ist, die wörtliche Rede natürlich und authentisch wiederzugeben. Interessant ist dabei etwa die typisch französische Inversion, die Sanza in seinem Redebeitrag nutzt, um hervorzuheben, dass er auf jeden Fall etwas unternehmen will. In der deutschen Fassung haben die Übersetzerinnen den vorangestellten Teil des Satzes („Avec ou sans vous“) allerdings ans Satzende gestellt („mit oder ohne euch“) – genauso würde man auch im Deutschen eine bestimmte Aussage syntaktisch betonen. Vielleicht wäre in diesem Beispiel ein Gedankenstrich anstelle des Kommas angebracht gewesen, um der Aussage noch mehr Gewicht zu verleihen.
Die nächste Aussage von Magellan ist im Deutschen weniger konkret als im Französischen. Textnah übersetzt würde Magellan sagen: „Und wenn wir ein Bier im Mambo köpfen würden?“ Das würde aber auf Deutsch viel zu hochtrabend und unnatürlich wirken. Der Vorschlag „Und wie wär’s mit einem Bier im Mambo“ ist dagegen idiomatischer.
Überzeugend ist auch die Wiedergabe des französischen „Ouais…“ mit dem Anglizismus „Okay.“ „Ouais“ ist umgangssprachliche Form der Zustimmung und würde mit „Jawoll“ eher antiquiert daherkommen. Allerdings ist Leandros Zustimmung in der Übersetzung etwas eindeutiger, weil die Übersetzerinnen den Satz nur mit einem statt drei Punkten beenden.
Ein Gedicht als Zugabe
Und auch die dritte große Gattung der Literatur, die Lyrik, steckt im Tanz der Teufel. Er endet mit einem Gedicht, das im Grunde genommen alle Leitmotive und die vielen Stilwechsel des Romans zusammenfasst:
le parvis de la Poste / un réservoir de rêves / éclatés / des gamins avachis / roupillent / en toisant le ciel / bouche ouverte / paupières incendiées / par la colle / dans leurs rêves / océan d’images incandescentes / ils dansent / jusqu’à se briser l’épine dorsale / la danse du vilain / la danse de ceux qui méprisent l’argent / jettent l’argent par la porte / jettent l’argent par la fenêtre / par les latrines / et les égouts / des gamins, des gamins / ils dansent et dansent / la merveilleuse danse du vilain
der Platz vor der Post / ein Auffangbecken / geborstener Träume / träge Bälger / pennen / Blick in den Himmel / Mund offen / die Augenlider / vom Klebstoff feuerrot / in ihren Träumen / Ozean weißglühender Bilder / tanzen sie / bis ihre Wirbelsäule bricht / den Tanz der Teufel / den Tanz aller, die das Geld verachten / das Geld zur Tür hinauswerfen / das Geld zum Fenster hinauswerfen / ins Klo / und in den Gully / Bälger, Bälger / sie tanzen und tanzen / den wunderbaren Tanz der Teufel
Im Gedicht fallen zwei Dinge auf: Zum einen haben Müller und Meyer den Satzbau in zwei Versen verändert: „paupière incendiées / par la colle“ rückt den Klebstoff, der im Roman immer wieder als Droge inhaliert wird, stärker ins Zentrum. Eine textnähere Übersetzung wäre: „die Augenlider feuerrot / vom Klebstoff“. In der Übersetzung liegt der Fokus stärker auf der Wirkung des Klebstoffs: „die Augenlider / vom Klebstoff feuerrot“. Dennoch ist die Übersetzung wirkungsgleich mit dem Französischen: Durch die Inversion ist der Rhythmus des Gedichts intakt, es stockt an keiner Stelle. Das wäre bei einer textnahen Übertragung anders.
Zum anderen wirkt hier der deutsche Titel besonders stark: Teufel ist mit Feuer, Glut, Heimtücke, roter Farbe konnotiert. Das ist der französische vilain nicht. In diesem Sinne entfaltet das Gedicht in der Übersetzung sogar eine stärkere Wirkung.
Eine Meisterleistung
Wer den Tanz der Teufel auf Deutsch liest, muss sich von vielen Vorstellungen befreien, die als Maßstab für gute Literatur gepredigt werden. Der Tanz der Teufel ist verwirrend und gleichzeitig rauschhaft. Dass man als Leser:in keine Botschaft, keine richtige Handlung, keinen roten Faden erkennen kann, ist kein übersetzerisches Defizit. Ganz im Gegenteil. Es ist pure Absicht, dass sich einige vielleicht durch den Roman kämpfen müssen – so ist es auch im französischen Original. Mwanza Mujila spielt mit seinen Leser:innen, es ist den Übersetzerinnen also bestens gelungen, diese Intention auch im Deutschen wirken zu lassen. Lässt man sich aber auf den Rausch dieses Buches ein, entfaltet sich seine komplette Sogwirkung.
Katharina Meyer und Lena Müller haben diese komplexe und anspruchsvolle Geschichte meisterhaft ins Deutsche übertragen. Das fällt auch dem Feuilleton auf. So urteilt die österreichische Tageszeitung Die Presse, dass der Tanz der Teufel „vorzüglich übersetzt“ ist. Um gleich danach zu kritisieren: „Nur Anmerkungen zu den politischen, gesellschaftlichen und geografischen Verhältnissen jener Zeit und zu bestimmten Begriffen wären für hiesige Leser hilfreich gewesen.“
Es stimmt: Die Lektüre lässt einige Fragen offen. Genaues über die Mobutu-Jahre in Zaire oder die Ausbeutung der Diamantenminen erfahren wir im Tanz der Teufel nicht. Und das ist auch nicht schlimm. Der Roman lebt auch davon, was unausgesprochen bleibt. Eine mit Information überfrachtete Übersetzung hätte dem Roman schließlich den Zauber genommen.