Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird ins Deutsche übersetzt. Wir interviewen Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Alle Beiträge der Rubrik findet ihr hier.
Wie hast du Arabisch gelernt?
Eigentlich studierte ich Visual Culture Studies an der Universität der Künste in Berlin, aber etwa ab der Hälfte meines Studiums fing ich an, Arabisch zu lernen, weitgehend autodidaktisch: zuerst aus dem Vokabelteil hinten in Reiseführern – ohne allerdings je irgendwohin zu reisen oder gereist zu sein; arabischsprachige Freunde hatte ich auch nicht. Warum ich es dann überhaupt lernen wollte? Diese Frage müsste man auf mehreren Ebenen beantworten, eine davon findet ihr hier. Weil ich kein Geld hatte, belegte ich einen Kurs in einer Moschee, der fast kostenlos war: 1 Mal pro Woche 30 Minuten Arabisch gegen 10 Minuten Islamunterricht. Ging mir aber zu langsam, in einem Jahr hatten wir gerade mal die 29 Buchstaben des Alphabets und verstreute, unnütze Märchenvokabeln gelernt: Krone. Maulbeere. Thron. Hase. Unterdessen besorgte ich mir alles Niederschwellige, was ich an Lehrmaterial bekommen konnte, zum Beispiel eine Lernkassette aus einer Leihbibliothek („Am Strand von Hammamet: Der Himmel ist blau. Über den Horizont ziehen große, weiße Wolken und das Meer ist leicht bewegt.“) und ein arabisches Lesebuch für Grundschüler:innen („Ich spazierte mit meinem Vater zu den Feldern am Stadtrand. Dort sah ich Ameisenkolonien, die Getreide transportierten.“).
Nach einem Jahr hatte ich auf diese Weise gelernt, ein paar sehr einfache Sätze in falschem Hocharabisch zu bilden. Da dachte ich mir, so wird das nie was, nahm mir ein Urlaubssemester und organisierte einen Aufenthalt in Syrien. Dort besuchte ich den kostengünstigsten Kurs für Arabisch als Fremdsprache, den die syrische Hauptstadt zu bieten hatte. Der war zwar durchaus intensiv, aber in eine Richtung, die ich als Zeitverschwendung empfand. Wir mussten beispielsweise alle Teile eines Araberpferdes benennen können, während wir im normalen Alltag aufgeschmissen waren. Nach drei Wochen verließ ich den Kurs und lernte für den Rest meines Aufenthalts nur noch in einer WG mit interessanten Gleichaltrigen. Das funktionierte für mich am besten. Aus irgendeinem Grund hatte ich Sloterdijks Regeln für den Menschenpark dabei, und Pier Paolo Pasolinis Regienotizen zu Das 1. Evangelium – Matthäus. Mein Mitbewohner (der selbst gerade Deutsch lernte) und ich versuchten, Passagen daraus ins Arabische zu übersetzen, und aus einem arabischen Buch über Platons Ästhetik übersetzten wir ins Deutsche.
Zurück in Berlin folgten 1,5 Jahre intensiven Weiterlernens, während derer ich beinahe mein Kunststudium hingeschmissen hätte. Ich suchte mir aktiv einen arabischsprachigen Freundeskreis und versuchte mich hauptsächlich über Jobs zu finanzieren, bei denen ich meine Sprachkenntnisse irgendwie anwenden und ausbauen konnte. Davon gab es nicht viele, also verdingte ich mich in Gelegenheitsjobs zwischen den Bereichen Videoschnitt und ‑untertitelung und Kassieren bei Schlecker. Zur selben Zeit gab ich mir die Auflage, Nachrichten und Literatur ausschließlich auf Arabisch zu konsumieren. Meine krasseste Maßnahme war, mein Tagebuch auf Arabisch zu führen, also: mein komplettes, reiches Innenleben durch das enge Nadelöhr meiner dürftigen Arabischkenntnisse zu zwängen. Naja. Das war im Großen und Ganzen mein Arabischstudium, und aufgehört hat es nie. (Was mein Kunststudium anbelangt, habe ich dann gottseidank die Kurve gekriegt und meinen Meisterschüler mit dem Dokumentarfilm Atigya Koraa Or It Has Backfired gemacht.)
Wie sieht die arabische Literaturszene aus?
Ha! So gestellt, überfordert mich die Frage. Von einer arabischen Literaturszene kann man schwer sprechen. Schließlich entsteht arabische Literatur in einer Region aus mindestens 26 Ländern, die ich nicht einmal im Ansatz überschaue. Und mindestens sage ich, weil es abgesehen von den Ländern, in denen es Amtssprache ist, noch eine ganze Reihe Länder gibt, wo arabischsprachige Communities leben oder Communities, die ihre Literatur zum Teil auf Arabisch verfassen, wie in Tschad, Südsudan, Nigeria, Somalia und Eritrea. Zu dieser ohnehin schon sehr breitgefächerten Situation kommen noch die diasporischen Städte hinzu, an erster Stelle Berlin, das sich in den letzten Jahren zu einem nicht mehr zu wegzudenkenden Zentrum arabischer Literaturproduktion gemausert hat. Insofern lässt sich eines auf jeden Fall sagen: Die arabische Literatursphäre sieht transnational aus (und, will man auf Kurdisch, Englisch, Französisch und Deutsch schreibende arabischsprachige Schriftsteller:innen mit dazurechnen, auch multilingual).
Die einerseits historisch-geographische, aber auch kolonial- und krisenbedingte Mannigfaltigkeit der Welten, in denen arabische Literatur geschrieben wird, produziert natürlich auch eine große inhaltliche und stilistische Vielfalt. Dabei sind heutzutage die vielleicht dynamischsten Zentren arabischer Literaturproduktion – Beirut, Kairo und Berlin – über einschlägige überregionale Magazine und Verlage ziemlich gut miteinander vernetzt: So werden beispielsweise Bücher von Verlagen wie Dar al-Mutawassit (Genua), Dar al-Karma und Dar El-Mahrousa (beide Kairo), vom Buchladen Khan Aljanub (Berlin-Schöneberg) importiert und gelauncht, die Kritiker:innen der Onlinemagazine al-Jumhuriya (ehem. Beirut und Istanbul, heute Beirut und Berlin) oder Rommanmag (Paris) beziehen ihre Rezensionsexemplare von selbigem Berliner Buchladen, in dem aber auch Buchpremieren von in den USA lebenden Autor:innen stattfinden, und es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass das Internet bei all dem nur ein weiterer Heimatort dieser Literaturen ist. Inhaltlich gibt es – wie vielleicht überall in der Literatur, aber vermutlich durch die Dezentralität und Versprengtheit noch ein bisschen mehr – ein großes Nebeneinander von Zeiten und Orten: Dystopische Sci-Fi-Romane, wie sie in den letzten Jahren besonders aus Ägypten vermehrt kommen, entstehen neben Prosagedichtbänden, historischen Romanen und genreübergreifenden, experimentellen Werken.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Von meinen jüngsten Lieblingslektüren ist auf Deutsch gerade Eine Nebensache (تفصيل ثانوي) von Adania Shibli in der Übersetzung von Günther Orth erschienen, ein großartiger Roman von der vielleicht spannendsten palästinensischen Autorin der Gegenwart – die übrigens in Berlin lebt. Ein weiterer, sehr interessanter Autor ist der Ägypter Haytham El-Wardany. Obwohl er ebenfalls seit 1999 in Berlin lebt, gibt es von ihm auf Deutsch meines Wissens bislang nur zwei Kurzgeschichten, in meiner Übersetzung: In Gaza 2035 (غزة ٢٠٣٥) und Dessau 2019 (ديساو ٢٠١٩) nähert El-Wardany sich dem Genre der Fabel, indem er in Settings, in denen die Wahrheit nicht mehr ausgesprochen werden kann oder keinen Einfluss mehr auf das Geschehen hat, das Sprechen auf Tiere oder Gegenstände verlagert. Von ihm ist außerdem in der englischen Übersetzung von Robin Moger 2020 The Book of Sleep (كتاب النوم) erschienen – 86 poetisch-essayistische Kurzprosatexte über Schlaf entlang dreier Hauptachsen: Politik, Identität und Sprache.
Eine meiner eigenen Lieblingsübersetzungen ist außerdem Rasha Abbas’ Erzählband Eine Zusammenfassung von allem, was war (ملخص ما جرى). Alice Guthrie, eine der englischen Übersetzerinnen von Abbas, beschreibt das Buch in einem Reader’s Report sehr treffend: „Eklektisch, intensiv, oft psychedelisch – viele ihrer Geschichten pirschen sich erst als Traumlandschaften an den Leser heran, nur um ihn dann unvermittelt in einen gespenstischen Hyperrealismus abstürzen zu lassen, und das Ganze in einer Punk-Ästhetik.“ („Eclectic, intense, often psychedelic, many of her stories are dreamscapes which creep up on the reader with sudden plunges into haunting hyper-realism, operating within a punk aesthetic.“) Im Berliner Maxim Gorki Theater kann man sich auch gerade eine Inszenierung des Erzählbands (ja, das ist möglich!) von Sebastian Nübling ansehen.
Wer Französisch kann, sollte außerdem unbedingt Iman Mersals großartiges genre-sprengendes Buch في أثر عنايات الزيات , das 2021 in der Übersetzung von Richard Jaquemond unter dem Titel Sur les traces d’Enayat El-Zayyat erschienen ist (und im selben Jahr mit dem Sheikh Zayed Award ausgezeichnet wurde). Wie schon der Titel sagt, begibt sich Iman Mersal darin auf eine obsessive und gleichsam feinfühlige Spurensuche nach Enayat El-Zayyat, einer weitgehend unbekannten Autorin, die im Ägypten der 60er Jahre als junge Frau Selbstmord beging; ihre Pfade lassen eine spekulative Topographie der ägyptischen Hauptstadt und ihrer Geschichte entstehen. Wer noch gerne etwas aus dem Maghreb lesen würde, dem empfehle ich den 2022 in Alice Guthries Übersetzung erschienenen, wilden Erzählband Blood Feast von Malika Moustadraf (1969–2006), Ikone der marokkanischen feministischen Literatur, wobei die Sammlung alle Erzählungen von Mustadrafs Band ترانت سيس (trente-six) enthält und zusätzlich vier weitere.
Und was ist noch nicht übersetzt?
Wie man oben sieht: superviel. Was wahnsinnig schade ist. Das betrifft auch viele Klassiker. Ein Verlag müsste ein kluges, attraktives Programm aufbauen, mit zeitgenössischer arabischer Literatur, darunter auch Klassiker gestreut, das Ganze auf eine anziehende Weise, die die Werke im hiesigen Literaturbetrieb gut verankert und die nicht nischig-orientalistisch daherkommt.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Arabischen? Wie gehst du damit um?
Für mich ergeben sich die größten Schwierigkeiten aus der Diglossie, also dem Umstand, dass die Bewohner der gesamten arabischsprachigen Welt mindestens zweisprachig sind, wobei immer eine regionale Sprachvariante so gut wie nur gesprochen wird, während eine überregionale Sprachvariante – das Hocharabische – eigentlich nur geschrieben wird. Diese gesprochenen Varianten des Arabischen sind teilweise so weit vom Hocharabischen und auch voneinander entfernt, dass man sie in ihrer Summe durchaus mit den verschiedenen Sprachen einer Sprachfamilie vergleichen könnte, beispielsweise der romanischen Sprachen. Die Situation erinnert auch ein wenig an die deutschsprachige Schweiz – mit dem großen Unterschied allerdings, dass die Schweiz ein großes Nachbarland hat, in dem das Hochdeutsche sehr wohl eine lebendige, gesprochene Sprache ist. Das Hocharabische aber, in dem literarische Texte bis auf wenige Ausnahmen verfasst werden, hat keinen realen Ort, an dem es gesprochen wird, lediglich bestimmte Kontexte. Dadurch wird in literarischen Texten die Welt mit ihren Dimensionen und Räumen in einer Sprache beschrieben, die man in diesen entweder gar nicht oder nur fragmentarisch hören kann. Und Hören ist fürs Schreiben und Übersetzen, wie ich es verstehe, sehr wichtig.
So würde sich zum Beispiel eine Gesprächssituation während einer Autofahrt im realen Leben in einer der gesprochenen Varianten des Arabischen abspielen. Wenn nun im Autoradio gerade der Wetterbericht läuft, mischen sich hocharabische Fetzen in die Soundkulisse. Die oder der Schreibende überträgt nun diese ganze Situation in die geschriebene Sprachvariante, also in etwa die, in der der Wetterbericht ertönte, und ich muss sie dann wieder in eine Sprache übertragen, wo es dieses Variantengefälle so gar nicht gibt und zumindest ich viel mit auditiven Registern arbeite. Das, würde ich sagen, ist die größte Herausforderung. Wenn man da nicht aufpasst, dann klingt alles plötzlich sehr „blumig“. Hinzu kommt noch die zwanghafte Substantivierung und die kilometerlangen Sätze, die es dann im Deutschen wieder runterzubrechen gilt, aber die gibt es ja auch in anderen Sprachen.
Was kann Arabisch, was Deutsch nicht kann?
Krz Vkal ncht mtschreibn. Was natürlich die Textmenge im Original immer um einiges kürzer aussehen lässt, als sie es dann in der Übersetzung wird.
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