Michaël Escoffiers Bilderbuch widmet sich auf lustige Weise einem für Eltern wie für Erzieher und Erzieherinnen heiklen Thema: Es geht um Schimpfwörter.
In Schimpfhausen, wo viele unterschiedliche Tiere leben, findet jährlich ein großer Wettbewerb statt. Das beste Schimpfwort erhält einen Preis. Doch nur originelle und amüsante Wortschöpfungen haben eine Chance, die Jury und das Publikum zu überzeugen. Allerdings gibt es eine Regel: Die Wörter dürfen weder bösartig noch beleidigend sein, nur faires Schimpfen ist gestattet. Das Ganze wird live im Fernsehen übertragen und wie jedes Jahr startet der Wettbewerb mit dem Jüngsten: Theo Tapir ist erst erst drei Jahre alt (im Original sind es nur zwei Jahre – wahrscheinlich, weil in Frankreich das Kindergartenalter früher beginnt). Trotz seines zarten Alters wagt er sich aufs Podium und ruft: „Puddingpups!“. Das Publikum ist begeistert. Nach Theo tragen weitere Kandidaten durchweg originelle Schimpfwörter wie „bissige Brummelboje“ oder „flitziger Flohpopo“ vor.
Als der Titelverteidiger Harald Hirsch auftritt, der den Vorjahreswettbewerb mit dem unaussprechlichen Wort „Petrigerlacklappensaftfink“ (im Französischen „Tranchedekêkoramorkipu“) gewonnen hat, kommt es zum Eklat: Der eingebildet in Richtung Podium stolzierende Hirsch trägt die Nase so hoch, dass sich sein Geweih in einer Girlande verfängt. Als er ausgerechnet über Theo stolpert, geschieht das Ungeheuerliche: Er schreit den kleinen Tapir völlig unoriginell und ganz ordinär an: „Doofkopf!“ (frz. „Imbécile!“) Alle sind empört. Der selbstgefällige Hirsch muss unter Buhrufen abtreten, während Theo für seine Neuschöpfung „Puddingpups“ den Pokal bekommt.
Die deutsche Übersetzung von Bettina Bach löst geschickt manche Schwierigkeiten des Originals. Der Titel Das große Schimpfen ist eingängig, sagt, worum es geht und lässt Humorvolles ahnen. Den Binnenreim des französischen Originaltitels Le mot le plus gros hätte man ohnehin nur schwer übertragen können, und auch eine wörtliche Übersetzung, also das „gröbste“ oder „derbste“ Wort, wäre im Deutschen einem kleinkindlichen Sprachregister kaum angemessen. Das französische „Groville“ wird im Deutschen ländlich hübsch zu „Schimpfhausen“.
Die Tiernamen wurden durchweg geändert, wobei gerade die Alliterationen – die Namen beginnen stets mit dem gleichen Buchstaben wie die Tierart – einen zusätzlichen Sprachlerneffekt für jüngere Kinder haben dürften: So heißen die im Rahmen der fiktiven Fernsehsendung als Reporterin und Moderator auftretenden Gänse Gitta und Gustav (einer comicaffinen Leserschaft werden die Vornamen und auch der Ortsname nicht ganz unbekannt sein – Gitta und Gustav Gans aus Entenhausen lassen grüßen …). Zudem wurden Eigennamen der Tiere dem deutschen Kulturkreis angepasst. 1 Völlig zu Recht, denn die französischen Gänse heißen Lulu und Fifi, was im Deutschen nicht so gut funktioniert hätte, da man mit „Fifi“ hierzulande einen kleinen Hund assoziiert. Eine pädagogisch sehr geschickte Idee der Übersetzerin ist, die Namen der Tierarten als Nachnamen zu verwenden: so lernen die deutschen kleinen Leserinnen und Leser mit Theo Tapir (frz. „le petit Robert“) und Harald Hirsch (frz. „René Dubois“) gleich zwei Tierarten kennen. Und auch die Vornamen sprechen für sich: das kurze „Theo“ passt zu einem jungen Tierkind, wohingegen „Harald“ gespreizt und gewollt ernsthaft klingt, also gut geeignet für den überheblichen Hirsch.
Schimpfen und Fluchen gehören zur Sprachentwicklung und dieses Buch zeigt, dass es auch auf geistreiche Weise möglich ist. Die deutsche Übersetzung schafft ganz eigene einfallsreiche Schimpfwörter, versucht also gar nicht erst, französische Beispiele wie „Kafarpourri“ („verfaulte Kakerlake“) oder „Sossissencroute“ („Würstchen im Teig“) direkt zu übertragen: Die bewusste Falschschreibung (korrekt wären „cafard pourri“ und „saucisse en croûte“) wird im Deutschen ebenfalls nicht übernommen – allerdings divergieren im Deutschen Schreibweise und Aussprache auch nicht so stark wie im Französischen. Die Neuschöpfungen der Übersetzerin Bettina Bach sind meist mit identischen Konsonanten beginnende Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv wie „knallige Knatterkirsche“ oder „matschiger Miesmuffel“.
Der Ton der Übersetzung ist kindgerecht, Sprache und verwendete Wörter entsprechen dem Wissen der Zielgruppe. Etwas fragwürdig ist allerdings das Bemühen um Umgangssprachlichkeit in der Übersetzung: im Deutschen duzen sich die Gänse, während sie sich im Original siezen.
Ma chère Fifi, auriez-vous la gentillesse de nous rappeler le principe de cette compétition, à laquelle nous allons assister dans quelques instants?
Gleich geht es los. Die Zeit nutzen wir, um euch nochmal die Regeln und den Ablauf zu erklären. Könntest du das übernehmen, Gitta?
Hier wäre das französische, leicht distanzierte „Sie“ zwischen Moderator Gustav und Reporterin Gitta doch erheblich ironischer und damit witziger gewesen. Es ist ein wenig schade, dass die Übersetzerin und der Verlag – gerade, wo es doch in diesem Buch auch um Höflichkeit geht – nicht den Mut hatten, die gewählt klingende und elaboriertere Sprache des Originals zu erhalten. Offensichtlich war man der Meinung, Kinder würden das nicht verstehen, dabei könnte man ihnen im Zweifelsfall durchaus erklären, dass man sich im Französischen häufiger siezt, und es sich bei dem Buch um eine Übersetzung handelt. Warum nicht: „Meine liebe Gitta, hätten Sie wohl die Freundlichkeit, …“? Jedenfalls könnte man die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, sich hier an die Zielkultur anzupassen oder ob man nicht doch einfach das Besondere und Ungewohnte riskieren sollte? (Siehe hierzu auch Martina Leinwebers Essay „Kinderliteratur – mehr als nur ein paar Worte“).
Auch Syntax und Sprachregister sind im Deutschen etwas stärker vereinfacht als im französischen Original, wie das folgende Beispiel zeigt:
Celui ou celle qui parviendra à impressionner le plus le jury remportera ce trophée tant convoité.
Wer wird gewinnen und mit diesem tollen Pokal nach Hause gehen?
Indem sie aus dem französischen Adjektiv „begehrt“ („convoité“) im Deutschen „toll“ macht, kommt die Übersetzerin einer kindlichen Ausdrucksweise natürlich wesentlich näher. Die Meinungen darüber, ob dies gut oder schlecht ist, werden vermutlich auseinander gehen. Es gibt sicherlich Argumente für beide Versionen. Nicht schlüssig ist allerdings, dass die in der französischen Fassung „zwiespältig wirkende“ Jury sich in der deutschen Fassung „nichts anmerken“ lässt, zumal der Text des französischen Originals auch zeichnerisch durch einen seinen Kopf nachdenklich in die Hand stützenden Frosch illustriert wird.
Le jury semble partagé, mais le public salue cette performance à grand renfort d’applaudissements.
Die Jury lässt sich nichts anmerken, aber die Zuschauer sind außer Rand und Band.
Sehr treffend übersetzt wird dahingegen die auch in der Illustration greifbare Begeisterung des Publikums – die Tiere schleudern die Arme hoch, verschütten Popcorn und blasen eine Fanfare – sie sind „außer Rand und Band“. Dass im Französischen eingestreute Interjektionen wie „Ouillouillouille“ oder „ouh-là“ im Deutschen gestrichen wurden, ist wiederum nicht ganz nachvollziehbar – doch muss natürlich auch nicht alles wörtlich übernommen werden, wie das folgende Beispiel zeigt, bei dem sich die Übersetzerin völlig vom Französischen löst und das Sprichwort „Die Letzten werden die Ersten sein“ abwandelt (im Original wird aus der Redewendung, die Hürde habe dieses Jahr für den Hirsch wohl etwas zu hoch gelegen, ein Reim).
La barre était sans doute un peu trop haute cette année pour le grand René.
Da sieht man mal wieder: Die Kleinsten werden die Größten sein.
Die sehr freie Übersetzung ist in diesem Kontext besonders gelungen, weil sie hervorragend zur Illustration passt – ein riesiger Geier überreicht dem winzigen Tapir von oben herunter den ebenfalls ziemlich großen Pokal – und somit die für Bilderbücher fundamentale Interaktion von Text und Bild belegt.
Eine echte Besonderheit ist die im Rahmen der fiktiven Fernsehsendung eingeschobene Werbepause. Das ist ungewöhnlich und unterstreicht den Charakter einer Live-Sendung. Mitten im Bilderbuch erscheint plötzlich eine Plakatwerbung für einen Müsliriegel, durch dessen Verzehr man besonders schlau werden soll.
Alors découvrez / CÉRÉBRAL / la nouvelle BARRE de CÉRÉALES / enrichie en MATIÈRE GRISE
Greif zu GRIPSIE / Der neue MÜSLIRIEGEL / mit Zusätzen von GRAUEN ZELLEN
„Gripsie“ ist eine schöne und witzige deutsche Lösung für das französische „Cérébral“. Das Wort passt besonders gut zu der vor dem Plakat stehenden kleinen Figur, einem Muskelmännchen mit überdimensioniert großem Gehirn anstelle des Kopfes.
Das Buch endet mit einem Ausblick: Die beiden Gänse überlegen, im nächsten Jahr einen Grimassen-Wettbewerb zu veranstalten. Die Fiktion der Fernsehsendung wird dabei bis zur letzten Seite beibehalten:
C’est sur cette image que nous allons nous séparer. Merci de nous avoir suivis et à bientôt!
Und mit diesem Bild verabschieden wir uns. Danke, dass ihr bis zum Schluss dabei wart, und bis zum nächsten Mal!
Das große Schimpfen ist pädagogisch anregend, ohne schwerfällig zu wirken. Auch vorlesende Erwachsene werden dabei ihren Spaß haben. Die Übersetzung ist insgesamt gelungen, vor allem wegen der lustigen und ausgefallenen Schimpfwortschöpfungen: Bildhafte und klangvolle Beispiele mit schönem Rhythmus, die zum Mit- und Nachmachen einladen, was wiederum die kindliche Sprachbildung fördert. Die deutschen Tiernamen sind sehr gut gewählt. Mit der Übernahme von sprachlicher Finesse und originellen Neuschöpfungen wird die Übersetzung dem Original insgesamt gerecht; der einzige Kritikpunkt wäre, dass das Siezen des Originals nicht übernommen wurde.
Durch dieses Bilderbuch lernen Kinder, dass Schimpfwörter nicht grundsätzlich verboten sein müssen, sondern lustig sein können. Dass Schmähwörter unter der Gürtellinie tabu sein sollten, wird unterhaltsam und ohne erhobenen Zeigefinger vermittelt. Schön ist auch, dass die Tierwelt über die in angenehmen Farben gehaltenen und witzigen, mit ihrer Situationskomik teilweise skurrilen Illustrationen von Kris di Giacomo spielerisch erschlossen werden kann. Ein Buch, das nicht nur zuhause, sondern auch in Kindergärten und Kitas Anklang finden wird. Es darf also kräftig geschimpft werden!
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Die missratene Übersetzung eines Klassikers
- Zur Notwendigkeit von Anpassungen in der Zielsprache, um „eine Schwierigkeit zu beheben, die es für den Originalleser nicht gibt“, siehe auch den interessanten Beitrag von Tobias Scheffel: „‚Und außerdem ist das ja viel leichter.‘ Von den Besonderheiten des Übersetzens von Kinder- und Jugendliteratur aus der Sicht des Praktikers“ In: JuLit 2/18, S. 9–15.