Mar­tin Mit­tel­mei­er preist Teré­zia Mora

Der Plot von Lajos Parti Nagys „Meines Helden Platz“ ist eigentlich schon irre genug, doch das wahre Gemetzel spielt sich in der Sprache ab. Diese hat Terézia Mora meisterhaft ins Deutsche übertragen, findet unser Gastautor. Von

Die Übersetzerin und Autorin Terézia Mora © Antje Berghäuser

In der Rubrik „Meis­ter­werk“ stel­len Gast­au­torin­nen und Gast­au­toren ihre Lieb­lings­über­set­zung vor. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier nachzulesen.


Es ist als Autor*in nicht leicht, dem Gen­re der gesell­schafts­kri­ti­schen Dys­to­pie bei­zu­kom­men, denn sie darf sich nicht zu sehr der mora­li­schen Inten­ti­on erge­ben, die doch aber meist ihr Aus­gangs­punkt ist. „Seht, das steht uns bevor, wenn wir den Ten­den­zen, die momen­tan in unse­rer Gesell­schaft wir­ken, nicht ent­ge­gen­tre­ten“, ruft sie impli­zit aus, aber wenn es bei die­sem Aus­ruf bleibt, ist das dar­stel­le­ri­sche Poten­ti­al der Erzäh­lung, des Romans oder des Films schnell erschöpft. Um dies zu ver­hin­dern, bedarf es einer gewis­sen Fas­zi­na­ti­on, einer min­des­tens ambi­va­len­ten Lust an der Gestal­tung der schlim­men Welt. Für einen lite­ra­ri­schen Text ist es am inter­es­san­tes­ten, wenn der Bau­stoff der neu­en Welt das eige­ne Medi­um, also die Spra­che ist. Und für die Über­set­ze­rin bie­tet es die span­nends­te Herausforderung.

Der unga­ri­sche Autor, Jour­na­list und Über­set­zer Lajos Par­ti Nagy hat 2000 mit Mei­nes Hel­den Platz einen Roman mit einer ganz ein­fa­chen, war­nen­den Hand­lung geschrie­ben: Tau­ben über­neh­men die Macht. Sie sind eine Alle­go­rie für die nack­te Gewalt­herr­schaft, ihr Macht­an­spruch ist die pure Herr­scher­lust und das Mit­tel dazu ist poli­ti­scher Ter­ro­ris­mus. Die Tau­ben arbei­ten an einer „Super­ras­se“ – sie ver­su­chen, den Men­schen zu tau­bi­fi­zie­ren. Der Ich-Erzäh­ler des Romans wird zum Pro­to­typ, an ihm wird zum ers­ten Mal erfolg­reich die Trans­plan­ta­ti­on von Flü­geln und Schna­bel sowie das Flie­gen­ler­nen ausprobiert.

Aus die­sem Hand­lungs­ent­wurf her­aus könn­te man sich eine küh­le, düs­te­re Dys­to­pie aus­ma­len. Ihre War­nung läge auf der Hand, die Fas­zi­na­ti­on lie­ße sich in den tech­ni­schen und medi­zi­ni­schen Vor­gän­gen ver­or­ten. Aber Par­ti Nagy macht dar­aus etwas gänz­lich ande­res. Die Ver­wand­lung von Mensch in Tau­be: Bei­werk und ledig­lich dra­ma­tur­gi­sches Grund­ge­rüst für eine irr­sin­ni­ge, wahn­wit­zi­ge, zum Brül­len komi­sche und dadurch umso beängs­ti­gen­de­re poli­ti­sche Sati­re. Denn vom Haupt­täu­be­rich Cäsar Tubitza blie­be wohl nicht mehr viel übrig, wür­de man ihn sei­ner Eitel­keit und sei­nes Nar­ziss­mus berau­ben. Er ist der meis­ter­haf­te Insze­na­tor eines Macht­an­spruchs, des­sen Hohl­heit bestän­di­ger Über­stei­ge­rung, sinn­lo­ser Pracht, bru­ta­ler Ideo­lo­gie bedarf. Und wenn der Erzäh­ler mal von den Besu­chen und dem Selbst­be­rau­schungs­ge­la­ber Tubitz­as ver­schont wird, ist er den Brunft­über­fäl­len der First Lady aus­ge­lie­fert: hin­rei­ßen­de Sze­nen blind­wü­tig ver­schro­be­ner Geilheit.

Damit der Schre­cken an dem ter­ro­ris­ti­schen Poten­ti­al blo­ßer Macht­lust nicht nur Behaup­tung bleibt, muss er in die Dra­ma­tur­gie der ein­zel­nen Sze­nen ein­wan­dern. In Par­ti Nagys Roman ist nahe­zu jede Begeg­nung von Erzäh­ler und Tau­be streng durch­rhyth­mi­siert und macht damit bereits auf die­ser Ebe­ne das Über­set­zen zu einer hoch­reiz­vol­len Nach­dich­tungs­auf­ga­be für die Sprach­künst­le­rin Teré­zia Mora. Prah­le­rei, Ein­schüch­te­rungs­mi­mi­ken, Minia­tur­du­el­le, etwa beim gemein­sa­men Kognak­schlür­fen von Mensch und Tau­be: All das lässt sich zwar auch kon­ven­tio­nell beschrei­ben, gewinnt sei­ne sze­ni­sche Kraft aber nur in der Per­for­mance, in der Cho­reo­gra­phie von Gere­de, gezielt gesetz­ten Pau­sen, minu­ti­ös getak­te­ten Kopf­wack­lern. Wenn das in der Über­set­zung sei­ne Wir­kung nicht ver­lie­ren soll, muss die Über­set­ze­rin über Frei­heit und Prä­zi­si­on in glei­chem (Über-)Maß ver­fü­gen kön­nen. Denn wenn in der Über­set­zung bei­spiels­wei­se ein Wort zu vie­le Sil­ben bekä­me, oder ein Quas­sel­satz zu wenig Neben­satz­ver­schach­te­lun­gen, wenn die not­wen­di­ge Pau­se nur mit­tels lang­wei­li­ger Füll­wör­ter bestrit­ten wür­de, dann bräch­te das den Rhyth­mus der Sze­ne zum Ein­sturz. Schon hier zeigt sich Moras gro­ße Kunst im rein Technischen.

Spek­ta­ku­lär in Par­ti Nagys Roman aber ist, wie sol­che Dra­ma­ti­sie­run­gen im Sprach­li­chen allein, also in der Rede der Tau­ben geleis­tet wer­den. Das Haupt­au­gen­merk des Autors liegt auf der maxi­ma­len Ent­fal­tung des Poten­ti­als von Spra­che als Instru­ment für poli­ti­schen Wahn und zur Dar­stel­lung nar­ziss­ti­schen Irr­sinns. Der Schau­der vor den faschis­ti­schen Umtrie­ben, die abzu­schaf­fen unse­rer ver­meint­lich so auf­ge­klär­ten Gesell­schaft immer noch nicht gelun­gen ist – die dunk­le Fas­zi­na­ti­on, wie eine lach­haf­te Bewe­gung zur ter­ro­ris­ti­schen Macht wird: all das spielt sich in der Haupt­sa­che im Erschre­cken vor und im Spaß am Gequas­sel der Tau­ben ab, an den Kaprio­len ihrer Rhe­to­rik, an den Aus­wüch­sen ihres Slangs, am Rhyth­mus ihres Unsinns-Sprechs. Womit der Roman end­gül­tig zu einem Fest für die Über­set­ze­rin wird.

Damit den Tau­ben das Maxi­mum an Gequas­sel zur Ver­fü­gung steht, muss Spra­che zunächst ent­fes­selt wer­den. Ob Kalau­er („Fick­zi­on“ als Vor­wurf an den Fik­ti­on schaf­fen­den Ich-Erzäh­ler), Wort­neu­schöp­fun­gen, Jar­gon, Dia- und Sozio­lek­te – die Tau­ben wan­dern mühe- und rück­sichts­los von Char­lie Chap­lins Hyn­kel-Rede (Schtonk) über Antho­ny Bur­gess’ Bru­ta­lo­ju­gend­slang (hor­ror­show) bis zu Wolf Haas’ Laber­kum­pa­nei („Das glaubst du nicht, was jetzt wie­der pas­siert ist“), manch­mal inner­halb eines Satzes.

Die­ses Erzeu­gen sprach­li­chen Reich­tums wird aber benutzt, um dar­zu­stel­len, was für ein Unter­wer­fungs­ap­pa­rat Spra­che ist. Denn das Gequas­sel ist nicht anar­chisch. Es ist der men­ta­le Motor für den Ter­ror, den die Tau­ben auf­bau­en. Die Ent­fes­se­lung des Sprach­li­chen vom bloß Kon­ven­tio­nel­len dient dazu, die Palet­te anzu­rei­chern, um die Gräss­lich­keit, die Bru­ta­li­tät von sprach­li­chen Flos­keln noch dras­ti­scher malen zu können. 

Man mache die Pro­be aufs Exem­pel und inter­viewe Men­schen in der Fuß­gän­ger­zo­ne mit der fol­gen­den Unsinns­fra­ge: „Was sagen Sie dazu, dass es nun tat­säch­lich mit die­ser Welt nun schon so weit gekom­men ist: auf den Tele­gra­phen­stan­gen sit­zen die Kühe und spie­len Schach?“ Wahr­schein­lich bekommt man öfter, als einem lieb ist, eine Bestä­ti­gung zu hören und wei­te­re Bei­spie­le dafür, wie weit es mit der Welt gekom­men sei. Man reagiert auf das Mus­ter, das die­se seman­tisch unsin­ni­gen Sät­ze des Dada­is­ten Richard Huel­sen­beck aus sei­nem Gedicht Ende der Welt aus­prä­gen: eine Art Stamm­tisch-Lamen­to, Struk­tur als Floskel. 

Das ist der bestän­di­ge Unter­strom der Tau­ben­re­de. Dar­auf bau­en sich die jewei­li­gen Syn­taxen auf, je nach­dem, wer in wel­cher Situa­ti­on spricht. Da gibt es zum Bei­spiel das sub­al­ter­ne Behör­den­sprech mit der ange­strengt inkor­rek­ten Kau­sal­ver­knüp­fung: „Das hät­te man aber anmel­den müs­sen, weil das ist eine Luft­raum­ak­ti­vi­tät.“ (Was dann zu gro­ßem Pathos anschwel­len kann, wenn der Haupt­täu­be­rich einen Anru­fer wie folgt abwim­melt: „Laßt mich jetzt, weil ich rede jetzt mit einem muti­gen Menschen.“)

Oft ist die Syn­tax weit­aus ver­schach­tel­ter. Nicht aus Grün­den der Ele­ganz – denn die Gedan­ken der faschis­to­iden Tau­ben wer­den beim Reden nicht ver­fer­tigt, son­dern gleich wie­der demen­tiert. Meist ist das nächs­te Glied in der Gedan­ken­ket­te nur dazu da, die Unge­nau­ig­keit des letz­ten aus­zu­mer­zen, aber dann wird es noch unge­nau­er, und manch­mal muss dann auf etwas noch Frü­he­res Bezug genom­men wer­den und so wei­ter. Ein selbst­ver­schul­de­tes Cha­os, das man­ches Mal zur Selbst­be­rau­schung des Spre­chers dient, in jedem Fall aber den Erzäh­ler wie ein wirr gestrick­tes Las­so fängt. Ein belie­bi­ges Beispiel:

’S knallt wie der Hai­der­don­ner, aber dar­um geht’s jetzt nicht. Son­dern dar­um, daß er ges­tern vom Aus­land wie­der­ge­kom­men ist, und ursprüng­lich habe er nur sei­ne Dank­bar­keit auch per­sön­lich bekräf­ti­gen wol­len, bezie­hungs­wei­se sei­ne Ent­schul­di­gung, denn ihm sei erst kurz vor sei­ner Dienst­fahrt, sozu­sa­gen bereits in der Luft, zur Kennt­nis gebracht wor­den, daß die­se stricho­wie­ner tur­tur Hure so ein Ding von mir aus­ge­lie­hen hat, ein lebens­mit­tel­tech­ni­sches, ja amts­ärtzli­ches Gerät, und das als gelern­te OP-Schwes­ter, da bleibt einem ja die Spu­cke weg, ichkanndirsagen.

Das lebens­mit­tel­tech­ni­sche Ding ist eine Mikro­wel­le. Amts­ärtzlich wird es, weil es der Beginn für den Alp­traum der Tau­ben­mensch­pro­duk­ti­on ist. Im Ver­lauf wird der Erzäh­ler ope­riert, Haut und Flü­gel wer­den ab- und antrans­plan­ta­tiert. Ein Gemet­zel am auf­ge­schnit­te­nen Kör­per, das Par­ti Nagy auch im Sprach­li­chen statt­fin­den lässt. Er schnib­belt an der Ober­flä­che des ver­meint­lich sprach­lich Kon­ven­tio­nel­len her­um, greift tief in die Ein­ge­wei­de der Spra­che, klebt Din­ge anein­an­der, die eigent­lich nicht zuein­an­der pas­sen, model­liert Mons­tren an Hohlsprech. 

Um das in eine ande­re Spra­che zu brin­gen, bedarf es einer Über­set­ze­rin, die in die­sem Model­lie­ren in der Ziel­spra­che trai­niert ist. Was heißt trai­niert? Deren urei­gens­tes Inter­es­se in eben die­ser Deh­nung kon­ven­tio­nell gewor­de­ner Spra­che liegt, im Aus­rei­zen ihrer Mög­lich­kei­ten, im Spiel mit ihren Abgrün­den. Die Wor­te und Satz­me­lo­dien fin­den, erfin­den kann, die Schmäh und Befehl, die Ver­füh­rung und Kom­man­do zugleich sind. Für die Rhyth­mus und Syn­tax noch nie nur Bedin­gun­gen für Wohl­klang und sti­lis­ti­sche Ele­ganz waren, die statt­des­sen immer schon über­prüft hat, wie sehr und auf wel­che Wei­se sie für Pro­pa­gan­da und Ideo­lo­gie benutzt werden.

Teré­zia Mora arbei­tet genau dar­an in der eige­nen Pro­sa ihrer Roma­ne und Erzäh­lun­gen. Aber sie hät­te sich wohl nie die Grell­heit von sich auf­plus­tern­den, bedroh­li­chen weil ope­ret­ten­haft lächer­li­chen Tau­ben als Stoff gesucht. Inso­fern ist ihre Arbeit an der Über­set­zung von Par­ti Nagys Roman auch ein Glücks­fall für eine sprach­li­che Ent­gren­zungs­ar­beit in einem Regis­ter, das man sonst nicht hät­te bestau­nen und beschau­dern können.


Mar­tin Mittelmeier

Mar­tin Mit­tel­mei­er arbei­te­te vie­le Jah­re in renom­mier­ten deut­schen Lite­ra­tur­ver­la­gen und ist seit 2014 als frei­er Lek­tor und Autor tätig. Sei­ne Publi­ka­tio­nen Ador­no in Nea­pel (2013) und DADA (2016) wur­den in zahl­rei­che Spra­chen über­setzt, 2021 erschien Frei­heit und Fins­ter­nis. Wie die ‚Dia­lek­tik der Auf­klä­rung‘ zum Jahr­hun­dert­buch wur­de.  Mit­tel­mei­er ist Hono­rar­pro­fes­sor am Insti­tut für deut­sche Spra­che und Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät zu Köln.


Lajos Par­ti Nagy | Teré­zia Mora

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