Bis ich im Literaturübersetzen Fuß fassen konnte, hat es Jahre gedauert. Meine Ausgangssprache ist Russisch, mich interessierte vor allem Gegenwartsliteratur, und die wurde in den späten 70ern und frühen 80ern größtenteils in der DDR übersetzt, da gab es in der Bundesrepublik wenig Chancen, Aufträge zu ergattern oder Vorschläge bei Verlagen unterzubringen. In diesen Jahren der Suche hatte ich jedoch immer schon Kontakt zu anderen Übersetzern, fühlte mich getragen von der Gemeinschaft; bis heute brauche ich sie als Gegengewicht zur einsamen Tätigkeit am Schreibtisch.
So gewann ich schon früh ein Bild von der damals aktuellen Lage der Übersetzerzunft, zumal ich in den 80ern Beisitzerin im VdÜ-Vorstand war. Und mir wurde bald klar, dass sich die Misere unseres Berufs nur ändern würde, wenn es uns gelänge, in zwei Richtungen vorzustoßen: Zum einen über die – fast durchweg üblichen – Seitenhonorare hinauszukommen und sie durch Prozentabsprachen zu ergänzen oder zu ersetzen; und zum anderen uns Literaturübersetzern die Tür zur überregionalen staatlichen Kunstförderung zu öffnen.
In den 70ern gab es in der Bundesrepublik weder Ausbildungs- noch Fortbildungsmöglichkeiten für Literaturübersetzer; wer sich dafür interessierte, ging einmal im Jahr ein Wochenende zum „Esslinger Gespräch“, und das war’s dann. Außer dem seit den 50ern existierenden, renommierten Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung kann ich mich an keine regelmäßig vergebenen Übersetzerpreise erinnern, auch von Stipendien war noch kaum die Rede. 1973 vergab der „Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen“, der noch ganz auf Baden-Württemberg konzentriert war, aus eingegangenen Spenden das allererste Reisestipendium. Der Freundeskreis mit seiner damaligen Präsidentin Hildegard Grosche war es auch, der die Beziehung zu einer staatlichen Stelle, dem Kultusministerium in BW, verstetigen konnte; ab Ende der 70er erhielt er von dort jährlich Gelder für Stipendien, außerdem finanzierte Stuttgart ab 1979 den zweijährlich vergebenen Wieland-Übersetzerpreis. So kam langsam Bewegung in die Szene.
1994 wurde mir die Leitung des Freundeskreises übertragen. Laut Satzung „Präsidentin“ des Mini-Vereins, versuchte ich im ersten Jahr noch brav, das Spendenvolumen in die Höhe zu treiben, musste aber bald einsehen, dass wir über Kleckerbeträge nicht hinauskamen. Umfassend wirksam konnte nur eine überregionale staatliche Förderung sein.
Als ich zu dieser Erkenntnis gelangt war, rief ich im Juni 1995 Jürgen Becker im (schon damals Übersetzer-freundlichen) Literarischen Colloquium Berlin an und sagte: „Könnten wir nicht mal zusammen eine Konferenz veranstalten, auf der wir klar darlegen, warum Übersetzerförderung unerlässlich ist – und zwar überregional?“ Jürgen Becker war sofort dafür, ebenso sein damaliger Chef Ulrich Janetzki, und so fand im März 1996 im LCB die erste Konferenz „Neue Wege der Übersetzerförderung“ statt. Eingeladen hatten wir Vertreter von Bundes- und Länderministerien, die für Literatur zuständig waren, dazu weitere kulturelle Institutionen und natürlich VdÜ und VS. In meinem Einführungsreferat „Vom Luxus des Literaturübersetzens“ rechnete ich unter anderem vor, dass ich die Übersetzung eines schwierigen Werks wie Andrej Bitows „Mensch in Landschaft“ zu rund zwei Dritteln selbst „subventioniert“, d.h. aus anderen Tätigkeiten finanziert hatte. Anschließend stellten Kollegen aus Nachbarländern (Frankreich, Niederlande, Skandinavien) Modelle der Übersetzerförderung vor, die über unsere Verhältnisse weit hinausgingen. Nach anfänglicher Skepsis und geradezu Unglauben kamen von den Eingeladenen immer mehr positive Reaktionen, vor allem seitens der Ministeriumsvertreter, die wirklich zugehört hatten und verblüfft waren. Ich erinnere mich an ein Zitat aus damaligen Gesprächen: „Wenn das so ist, wie Sie sagen, wäre das tatsächlich eine Förderlücke! Da müssten wir etwas tun.“
Die erfahrenen Literaturförderer gaben uns außerdem einen Rat mit auf den Weg: Wir sollten ein Thesenpapier erarbeiten, das die Situation in möglichst knappen Sätzen zusammenfasst. Also bildeten wir einen Arbeitskreis, in dem neben den Kollegen Burkhart Kroeber und Thomas Brovot auch der uns gewogene Verlagslektor Helmut Frielinghaus mitwirkte, dazu Egbert-Hans Müller, der als Literaturreferent im baden-württembergischen Kultusministerium den Übersetzern die erste staatliche Förderung verschafft hatte, nun pensioniert war und beim Freundeskreis mithalf; gerade seine Perspektive erwies sich als unschätzbar wertvoll für uns.
Diese Runde verfasste das „Memorandum – Neue Wege der Übersetzerförderung“: unsere Analysen und Vorschläge in acht sehr gedrängten Punkten. Bis heute wird daraus gerne zitiert, vor allem der erste Satz: „Ohne die Übersetzer wäre ‚Weltliteratur‘ ein leerer Begriff.“ Im Anhang verglichen wir die Honorierung einzelner übersetzter Bücher mit Honoraren, die „pragmatische“ Übersetzer erzielen, zum Beispiel am Gericht. Dabei kam heraus, dass die Seitenpreise beim Literaturübersetzen eigentlich dreimal höher sein müssten, als sie es tatsächlich waren. Wobei Kollegen, die ich dafür interviewt hatte, zudem noch Sätze sagten wie: „Ich übersetze ja nur Juristisches – Literatur übersetzen ist doch viel schwieriger.“
Das Memorandum bildete die Diskussionsgrundlage für die zweite Konferenz. Sie fand im Januar 1997 statt, wieder im LCB, und verabschiedete das Memorandum. Danach berieten wir uns immer wieder mit erfahrenen Literaturförderern, was nun praktisch zu tun sei. Der entscheidende Anstoß kam von Jan Philipp Reemtsma, der klar sagte: „Gründen Sie! Auch wenn Sie noch kein Geld in Aussicht haben.“ Der Name „Deutscher Übersetzerfonds“ wurde auch im Gespräch mit ihm geboren.
So kam es, dass wir am 12. September 1997 im LCB den Verein „Deutscher Übersetzerfonds“ gründeten; er wird getragen von acht Kultur- und Literaturinstitutionen als juristischen Vereinsmitgliedern. Ich wurde zur Vorsitzenden gewählt, Burkhart Kroeber zu meinem Stellvertreter, Thomas Brovot zum Beisitzer und Jürgen Becker zum Geschäftsführer. Die neue Institution sollte drei Beine haben: Als wichtigstes die Stipendienvergabe, damit gutes Übersetzen auf diese Weise vorangebracht würde. Zweitens Fortbildung. Und drittens wollten wir unsere Kunst auch in die Öffentlichkeit tragen und zeigen, was wir da machen. Um diesen Anspruch zu untermauern und die Gründung zu feiern, veranstalteten wir am Tag darauf den ersten „Übersetzertag“, woraus sich heute eine bunte Tradition entwickelt hat.
Wir hatten nun also einen Topf, waren aber noch arm wie die sprichwörtliche Kirchenmaus, im Topf war kein Pfennig. (Für die vorbereitenden Aktionen hatten uns verständnisvolle Institutionen wie die Kulturstiftung der Länder mit Finanzen ausgeholfen, aber weiter reichte die Unterstützung nicht.)
Da kam uns ein Zufall zu Hilfe. Und dieser Zufall hieß Bundespräsident Herzog.
Im April 1997 fand im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen ein Treffen des Bundespräsidenten mit Übersetzern statt, an dem ich auch teilnahm. Natürlich erwähnte ich im Gespräch die Idee, es müsse so etwas wie einen Deutschen Übersetzerfonds geben, und ich lud den Bundespräsidenten zur Preisverleihung des nächsten Christoph-Martin-Wieland-Preises nach Biberach ein. Von Präsidentin zu Präsident, sozusagen. (Wer wusste schon, dass unser Mini-Verein Freundeskreis aus rund 25 Mitgliedern bestand.)
Ende Juli 1997 rief tatsächlich das Präsidialamt bei mir an: „Er kommt!“ Ich weiß noch, es war ein Freitag, und übers Wochenende habe ich mich gefühlt wie der Reiter über den Bodensee: Ogottogott, er kommt, was mach ich denn jetzt? Mich beruhigte schließlich, dass die Stadt Biberach und das Land Baden-Württemberg wohl eher in der Pflicht wären als unser Mini-Verein – sie wüssten sicher, wie so etwas abzulaufen hatte.
Am 18. November 1997 dann die besonders würdige Preisverleihung: Christa Schuenke erhielt den Wieland-Preis für ihre Übersetzung der Shakespeare-Sonette, Bundespräsident Roman Herzog hielt eine Rede zum Thema Übersetzen, und ich gab die Gründung des Deutschen Übersetzerfonds bekannt. Einen Satz aus Herzogs Rede zitieren wir seither immer wieder: „Dass man mit einem der wichtigsten Berufe, die unser Geistesleben kennt, seinen Lebensunterhalt in der Regel nicht bestreiten kann, ist im Grunde ein Skandal.“
So viel präsidiale Fürsprache stimmte uns natürlich optimistisch; Wolfram Schütte schrieb in der Frankfurter Rundschau: „Herzog mit Schutzbefohlenen“. Wir meinten, jetzt, bei einem solchen Türöffner, müssten wir quasi nur noch die Hand aufhalten. Im darauffolgenden Winter 1997/98 formulierten wir schon einmal Richtlinien für die Vergabe von Stipendien, regelten also die Verteilung des Geldes, von dem wir noch keinen Pfennig gesehen hatten.
Zu unserer Ernüchterung wies das zuständige Ministerium mit verfassungsrechtlich nicht anzufechtender Trockenheit darauf hin, dass der Bundespräsident ihnen ja eigentlich nichts zu sagen habe. Noch immer klingelte kein roter Heller in unserer Kasse. Als wir uns offiziell ins Vereinsregister eintragen lassen wollten, erhielten wir tatsächlich einen Brief von Amtsgericht Charlottenburg, wieso wir das Recht hätten, uns „deutsch“ zu nennen. Da immerhin half der Verweis auf den Bundespräsidenten.
Im März 1998 hielt der Deutsche Übersetzerfonds seine turnusmäßige Mitgliederversammlung ab, und insgeheim hoffte ich, irgendwer könnte uns ein wenig Geld mitbringen. Angereist war auch eine für Kultur zuständige Vertreterin des Innenministeriums (das Staatsministerium für Kultur und Medien gab es damals noch nicht). Sie verkündete im Lauf der Versammlung, das Ministerium habe beschlossen, uns „aus Restmitteln“ eine „dreistellige Summe“ zur Verfügung zu stellen. Im ersten Schreck dachte ich: „Um Himmels willen, was machen wir mit maximal 999 Mark?“ Doch im weiteren Gespräch zeigte sich, dass es im Ministerium üblich war, nur die Tausender zu zählen, die „Restmittel“ betrugen also 100.000 DM. Von der Kulturstiftung der Länder und dem Auswärtigen Amt kamen noch kleinere Beträge hinzu. Wir waren am Ziel. 1998 konnte der Deutsche Übersetzerfonds zum ersten Mal bundesweit Arbeits- und Reisestipendien ausschreiben.
Gebremst wurde unser Elan durch die strikte ministeriale Vorgabe, die Gelder nur für Stipendien und nicht etwa für Geschäftskosten zu verwenden. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich im November 1998 beim Bergneustädter Gespräch Bücher unter den Kollegen versteigerte und mit einem Hut herumging, um für die Portokasse zu sammeln. Es waren aufregende Wochen und Monate.
Ab 1999 kamen die Zuschüsse von verschiedenen Seiten mehr oder weniger regelmäßig (auch wenn das Klinkenputzen noch kein Ende hatte). Von nun an konnten wir richtig planen und dazu übergehen, zweimal im Jahr Arbeits- und Reisestipendien zu vergeben. Mit der Zeit vervielfältigten und differenzierten sich die Stipendien, wir kreierten die „historische Linie“ mit den Namen berühmter Übersetzer der Vergangenheit. Und um die Jahrtausendwende ging es auch los mit Fortbildung, es begann die Serie der Seminare und Werkstätten, die wir später „Akademie der Übersetzungskunst“ nannten. Der Deutsche Übersetzerfonds etablierte sich in der Landschaft der Förderinstitutionen und war bald nicht mehr daraus wegzudenken.
Groß gefeiert haben wir 2007 unser Jubiläum, 10 Jahre Deutscher Übersetzerfonds, mit so prominenten Ehrengästen wie Bundespräsident Köhler und Umberto Eco. Das Projekt, das wir damals bekanntgaben und das mir besonders am Herzen lag, war die Einrichtung der August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU Berlin. Literaturübersetzer sollten, ohne sich mit translatologischer Theorieschwere zu belasten, ihre Erfahrungen in die Universität und die literaturwissenschaftliche Diskussion hineintragen. Erster Gastprofessor war im Wintersemester 2007/08 der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther.
2009 zog ich mich aus dem Deutschen Übersetzerfonds zurück – ich brauchte dringend eine Erholung vom „Ehrenamtlichen“. Sehr froh bin ich, dass Thomas Brovot und Jürgen Becker, die schon zum Gründungsteam gehörten, bis heute durchgehalten haben, die ganzen 25 Jahre, und damit für eine Kontinuität sorgten, die für eine derartige Förderinstitution viel wert ist. Und natürlich ist es eine Freude, das Aufblühen des DÜF über diese Jahre zu sehen, vor allem in jüngster Zeit, dank der Programme von Neustart Kultur.
Gute Reise durchs nächste Vierteljahrhundert!