Buch­mes­se-Spe­cial: 7 Über­set­zun­gen aus dem Spanischen

„Translate, Transfer, Transform“ – die Frankfurter Buchmesse legt in diesem Jahr den Schwerpunkt auf das Übersetzen. Wir stellen sieben Übersetzungen aus dem Gastland Spanien vor.

Übersetzungen aus dem Spanischen. Hintergrundbild: Felipe Vieira via Unsplash

Bei Tene­rif­fa denkt man an Urlaub, Son­ne, Strand, doch schon auf den ers­ten Sei­ten von So forsch, so furcht­los wer­den Lese­rin­nen und Leser mit einer völ­lig ande­ren Lebens­rea­li­tät kon­fron­tiert. Sie bekom­men von der jugend­li­chen Erzähl­stim­me ein Insel­le­ben prä­sen­tiert, das in kei­nem Rei­se­füh­rer beschrie­ben wird: Der Vater arbei­tet im Bau, die Mut­ter putzt den Tou­ris­ten hin­ter­her, und über den aber­gläu­bi­schen Dorf­be­woh­nern liegt eine Trau­rig­keit, „wie Wol­ken […], die oben am Hin­ter­kopf [hän­gen].“ Die Ich-Erzäh­le­rin und ihre Freun­din Iso­ra träu­men oft vom Strand, doch sie leben im Lan­des­in­ne­ren, am Fuße des Vul­kans und nicht nur räum­lich weit weg von allen Urlaubsfantasien.

Noch tie­fer als in das dörf­li­che Tene­rif­fa tau­chen Lese­rin­nen und Leser in die Gefühls­welt der jun­gen Erzäh­le­rin ein, auch wenn sie die­se Gefüh­le mit­un­ter selbst noch nicht ver­steht. Die Ich-Erzäh­le­rin, von ihrer Freun­din „Shit“ genannt, him­melt Iso­ra an, denn die ist furcht­los und forsch, recht­ha­be­risch und rüpel­haft und traut sich so ziem­lich alles. In einer Mischung aus Ehr­furcht, Eifer­sucht und Bewun­de­rung für die rei­fe­re Freun­din muss sich die Ich-Erzäh­le­rin auf eine vor­pu­ber­tä­ren Ach­ter­bahn der Gefüh­le zwi­schen Bar­bies und Erwach­sen­wer­den ein­las­sen, bei der ihr „klei­nes Herz […] wie in alle Rich­tun­gen zerfetzt.“ 

Mit die­sem Buch, das wie aus dem Bauch her­aus geschrie­ben wirkt, hat die jun­ge Autorin Andrea Abreu ihre Über­set­ze­rin Chris­tia­ne Quandt vor eine gro­ße Her­aus­for­de­rung gestellt. Die­se lässt sich  wie­der­um voll und ganz auf die expe­ri­men­tel­le, bild­haf­te und vul­gä­re Spra­che der jun­gen Prot­ago­nis­tin­nen ein. In dem Gewirr lan­ger ver­schnör­kel­ter Sät­ze, gan­zer Kapi­tel ohne Satz­zei­chen und jeder Men­ge Ver­wei­se sowie Rea­lia dürf­te die größ­te Schwie­rig­keit gewe­sen sein, den Ton der Erzäh­le­rin zwi­schen kind­li­cher Ehr­lich­keit und gna­den­lo­ser Ernst­haf­tig­keit auf Deutsch zu fin­den, was meist sehr gut gelun­gen ist. Und auch wenn die ein­ge­streu­ten Song­tex­te von Bachata-Lie­dern auf Deutsch deut­lich blu­mi­ger als auf Spa­nisch klin­gen, bie­ten die star­ken Bil­der und das Spiel mit Spra­che ein mit­rei­ßen­des, oft unan­ge­nehm berüh­ren­des Lese­er­leb­nis. – Frey­ja Melsted

Andrea Abreu/Christiane Quandt: So forsch, so furcht­los (Pan­za de bur­ro), Kie­pen­heu­er & Wietsch 2022, 180 Sei­ten, 20 Euro

Eine Zeit lang war Poto­sí der Nabel des Uni­ver­sums:  Vom 16. bis ins frü­he 19. Jahr­hun­dert war die Stadt in den boli­via­ni­schen Anden eine der größ­ten Metro­po­len der Welt, von der aus Unmen­gen an Sil­ber nach Spa­ni­en und um den gan­zen Glo­bus ver­schifft wur­den. „Valer un Poto­sí“ hieß damals „ein Ver­mö­gen wert sein.“ Poto­sí heißt nun auch das Buch des spa­ni­schen Jour­na­lis­ten Ander Iza­gir­re, das unter dem Titel Der Berg, der Men­schen frisst in der Über­set­zung von Grit Wei­rauch bei Rot­punkt erschie­nen ist. Doch das Poto­sí, das Iza­gir­re in sei­nem Buch beschreibt, ist von dem einst­ma­li­gen Reich­tum weit ent­fernt: Die Stadt zu Füßen des Cer­ro Rico – des „reiche[n] Hügels“, dem die spa­ni­sche Kro­ne ihr Sil­ber und die deut­sche Über­set­zung ihren Titel ver­dankt – ist mitt­ler­wei­le die Ärms­te des gan­zen Landes. 

Auf dem Cer­ro Rico trifft Iza­gir­re die vier­zehn­jäh­ri­ge Berg­ar­bei­te­rin Ali­cia. Obwohl Min­der­jäh­ri­gen die schwe­re kör­per­li­che Arbeit in den Minen eigent­lich ver­bo­ten ist, schiebt sie Loren, seit sie zwölf ist – nachts, damit sie tags­über zur Schu­le gehen kann. Anhand von Ali­cia, ihrer Fami­lie und den ande­ren Men­schen, die Iza­gir­re auf dem Cer­ro Rico trifft, zeich­net er die Geschich­te des Erz­ab­baus in Boli­vi­en nach: Von der spa­ni­schen Kolo­ni­al­herr­schaft über die steu­er­flüch­ti­gen Berg­bau­o­lig­ar­chen des 19. und 20. Jahr­hun­derts und die CIA-gestütz­ten Mili­tär­dik­ta­tu­ren bis in die Jetzt­zeit beschreibt er die kom­ple­xen Umstän­de, die dafür sor­gen, dass der Roh­stoff­reich­tum des Lan­des der all­ge­mei­nen Bevöl­ke­rung nie zugu­te gekom­men ist und die den Cer­ro Rico noch heu­te zu einem Berg machen, der Men­schen „frisst“: durch Unfäl­le in der Mine, Sili­ko­se, Armut, Alko­ho­lis­mus und Gewalt. 

Iza­gir­re ist nah an den Men­schen, über die er berich­tet, und lässt sei­ne eige­nen Gedan­ken und Gefüh­le ste­tig mit in den Text ein­flie­ßen. Die­sen per­sön­li­chen Ton­fall bringt Grit Wei­rauch ziel­si­cher ins Deut­sche. Beson­ders gelun­gen ist, dass auch in der Über­set­zung eini­ge Wör­ter aus dem Berg­bau­mi­lieu im boli­via­ni­schen Spa­nisch belas­sen wur­den, z. B. copa­ji­ra (der „Schweiß der Mine“, schwe­fel­säu­re­hal­ti­ges Sicker­was­ser) oder vein­ti­cuatrear („vier­und­zwan­zi­gern“, eine Schicht von 24h unter Tage ver­brin­gen). Merk­wür­dig sind jedoch die Top­ika­li­sie­run­gen, die in der Rede­wie­der­ga­be häu­fig auf­tau­chen („trau­rig ist unser Leben“, „allei­ne sind wir hier“, „einen schlim­men Traum hat­te sie“) und im Deut­schen eher gestelzt als münd­lich wir­ken. Mög­li­cher­wei­se soll so eine bestimm­te Art des Spre­chens mar­kiert wer­den, doch wäre dafür eine weni­ger anti­quiert klin­gen­de Kon­struk­ti­on ziel­füh­ren­der. Auf den gesam­ten Text gese­hen fal­len die­se Stel­len nicht zu sehr ins Gewicht, sodass Der Berg, der Men­schen frisst auch auf Deutsch eine ein­dring­li­che, wenn auch nicht immer ein­fa­che Lek­tü­re bleibt. – Anna Pia Jordan-Bertinelli

Ander Izagirre/Grit Wei­rauch: Der Berg, der Men­schen frisst (Poto­sí), Rot­punkt 2022, 224 Sei­ten, 25 Euro

Ich muss zuge­ben, dass ich noch nie ein Comic oder eine Gra­phic Novel gele­sen habe. Ich habe es als Kind oft ver­sucht, aber schon nach der zwei­ten Sei­te auf­ge­ben. Heut­zu­ta­ge ist die Aus­wahl so über­wäl­ti­gend, dass ich es ein­fach nie gewagt habe, ein kom­plett neu­es Gen­re für mich zu erkun­den. Daher war mei­ne Moti­va­ti­on Núria Tama­rits El ene­bro in Lea Hüb­ners Über­set­zung für Repro­dukt zu lesen zwar groß, aber mei­ne Beden­ken auch: Wenn ich es schon als Kind nicht durch Aste­rix y Obe­lix geschafft habe, war­um dann durch Vom Wachol­der­baum?

El ene­bro ist Tama­rits Gra­phic Novel des grimm­schen Mär­chens „Von dem Machan­del­boom“, wel­ches die klas­sisch bru­ta­le Geschich­te einer Stief­mut­ter erzählt, die den Erst­ge­bo­re­nen ihres Man­nes tötet, dann die Schuld auf die gemein­sa­me Toch­ter schiebt und dem Gat­ten auch noch den eige­nen Sohn zum Abend­essen ser­viert. Also kei­ne leich­te Kost, no pun inten­ded. Tama­rits Nar­ra­tiv ist zwar mär­chen­kon­form grau­sam, aber über­ra­schend wit­zig, ohne die Geschich­te zu aktua­li­sie­ren. Und so auch Hüb­ners Über­set­zung. Die Dia­lo­ge in El ene­bro wir­ken an man­chen Stel­len etwas volks­tüm­lich und dies gelingt Hüb­ner rück­über­set­zend eben­so. Wenn die Dia­lo­ge uner­war­tet einen umgangs­sprach­li­chen Ton anneh­men wie bei der Figur des Todes oder des Teu­fels, ist dies in der deut­schen Über­set­zung auch gelun­gen. Die Über­set­zung der Laut­ma­le­rei­en ist so leicht­gän­gig, dass ich zuerst dach­te, sie wären gar nicht über­setzt wor­den. Sie pas­sen per­fekt in Núria Tama­rits hyp­no­ti­sie­ren­de Illus­tra­tio­nen, wel­che zu einem per­fek­ten Gra­phic-Novel-Erleb­nis füh­ren, auf das mit Sicher­heit noch wei­te­re fol­gen wer­den. – Sus­a­na Mogol­lón Guarín

Núria Tamarit/Lea Hüb­ner: Vom Wach­hol­der­baum (El ene­bro), Repro­dukt 2022, 72 Sei­ten, 18 EUR

Vie­les ver­bin­det die bei­den Haupt­per­so­nen María und Ali­cia: das Leben in Madrid, das feh­len­de Geld, das Schuf­ten für rei­che­re Men­schen, die Zer­rüt­tung der Fami­lie. Aber eines ver­bin­det die bei­den beson­ders: das Frau­sein. Sowohl María, die Älte­re, als auch ihre Enkel­toch­ter Ali­cia ver­kör­pern unglaub­lich star­ke, selbst­be­stimm­te Frau­en und ver­fol­gen einen ganz eige­nen, für das Spa­ni­en der Sieb­zi­ger Jah­re und der Gegen­wart unty­pi­schen Lebensentwurf.

Die spa­ni­sche Lyri­ke­rin Ele­na Medel hat mit Die Wun­der ein preis­ge­krön­tes Roman­de­büt ver­öf­fent­licht, in dem sie die Lebens­we­ge der Groß­mutter María und der Enkel­toch­ter Ali­cia ein­fühl­sam und raf­fi­niert zusam­men­führt. María, in einem Dorf auf­ge­wach­sen und früh unver­hei­ra­tet schwan­ger gewor­den, wird von ihrer Fami­lie nach der Geburt der Toch­ter nach Madrid geschickt, um dort Geld zu ver­die­nen, und darf sich nicht an der Erzie­hung ihres Kin­des betei­li­gen. Auch Ali­ci­as Leben wird von einer Tra­gö­die bestimmt. Zwar sind die bei­den Frau­en nicht immer sym­pa­thisch, aber ihre Ent­schei­dun­gen und ihre Ent­schlos­sen­heit sind beein­dru­ckend. Das eige­ne Geld, die eige­ne Woh­nung, das eige­ne Leben bedeu­tet bei­den alles, und als Pedro, der Freund von María, sie zu über­re­den ver­sucht, in eine gemein­sa­me Woh­nung zu zie­hen, kommt sie zu dem Schluss: „Es geht nicht um Geld […], es geht um Macht. Dar­um, […] zu bewei­sen, dass er Macht über María hat.“ Und die­se Macht wol­len weder María noch Ali­cia der Män­ner­welt geben.

Dass Medel in der Poe­sie behei­ma­tet ist, ist auch ihrem Roman­de­büt anzu­mer­ken. Die Sät­ze sind oft ver­schach­telt, mit unzäh­li­gen Ein­schü­ben ver­se­hen und teils wil­den Per­spek­tiv­wech­seln aus­ge­setzt, auch fein gestreu­te Wie­der­ho­lun­gen zie­hen sich durch den Roman. Susan­ne Lan­ge hat die­se sti­lis­ti­schen Eigen­hei­ten über­nom­men und führt die Leser:innen mit viel Sprach­ge­fühl gekonnt durch die madri­le­ni­schen Wort­la­by­rin­the. Den eigen­sin­ni­gen Stil Medels, der die eigen­sin­ni­gen Cha­rak­te­re wider­spei­gelt, hat die Über­set­ze­rin fan­tas­tisch ein­ge­fan­gen. Die Wun­der ist eine spa­ni­sche Fami­li­en­ge­schich­te, in der die Frau­en die Haupt­rol­len spie­len und das Heft nie aus der Hand geben. An sol­chen Frau­en fehlt es in der Lite­ra­tur noch viel zu oft – gut, dass es jetzt María und Ali­cia gibt. – Lisa Mensing

Ele­na Medel/Susanne Lan­ge: Die Wun­der (Las mara­vil­las), Suhr­kamp 2022, 221 Sei­ten, 23 Euro

Eine „spa­ni­sche Pip­pi Lang­strumpf“, ein „spa­ni­scher Har­ry Pot­ter“ oder ein „spa­ni­scher klei­ner Nick“ hat bis­her nicht den Weg in deut­sche Kin­der­zim­mer gefun­den – die ibe­ri­sche Halb­in­sel bil­det gera­de­zu einen blin­den Fleck auf dem deut­schen Jugend­buch­markt. Gan­ze fünf Titel haben es seit 1956 auf die Aus­wahl­lis­te des renom­mier­ten Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­prei­ses geschafft, zwi­schen unzäh­li­gen Büchern aus Frank­reich, Eng­land, den Nie­der­lan­den und Skandinavien.

Die­se – ange­sichts der leben­di­gen Kin­der­buch­sze­ne in Spa­ni­en sehr bedau­erns­wer­te – Lücke hat lei­der auch der dies­jäh­ri­ge Gast­land­auf­tritt nicht geschlos­sen. Wie gut, dass mit Ella Piratel­la, der berühm­tes­ten Pira­tin der sie­ben Welt­mee­re, nun immer­hin eine Bil­der­buch­hel­din den Weg aus Spa­ni­en zu uns gefun­den hat, die das Zeug zum Super­star im Kin­der­zim­mer hat.

Im ers­ten Band erobert Ella Piratel­la (die im Ori­gi­nal Danie­la Pira­ta heißt) zunächst das Ober­kom­man­do über das gefürch­te­te See­räu­ber­schiff Schwar­ze Mam­ba. Im zwei­ten Band jagt sie mit ihrer Crew der geheim­nis­vol­len Ban­de der „Furcht­lo­sen Piran­has“ hin­ter­her. Die bei­den Bän­de leben vor allem von den far­ben­fro­hen, mit­rei­ßen­den Bil­dern der Illus­tra­to­rin Gómez. Ursu­la Bach­hau­sens Über­set­zung der knap­pen Erzähl­tex­te (Ori­gi­nal: Susan­na Isern) lie­fert den pas­sen­den vor­le­se­taug­li­chen, ziel­grup­pen­ge­rech­ten Sound dazu, der Ella Piratel­la garan­tiert zum gefei­er­ten Vor­bild all jener machen wird, die von einer glanz­vol­len Kar­rie­re als Piratenkapitän*in träu­men. – Felix Pütter

Susan­na Isern/Ana Gómez/Ursula Bach­hau­sen, Ella Piratel­la I & II (Danie­la Pira­ta), Oeting­er, 48 Sei­ten, 15 Euro

Ana ist eine jun­ge oku­pa, die zusam­men mit Gleich­ge­sinn­ten im besetz­ten El Agu­je­ro in Madrid lebt und sich gegen die Über­nah­me des Vier­tels durch Hips­ter und Immo­bi­li­en­fir­men, gegen Poli­zei­schi­ka­nen und Zwangs­räu­mun­gen wehrt und den Auf­stand gegen die Ande­ren ersehnt. Ihr Vater Aitor, ange­trie­ben von Angst und Ver­zweif­lung, ver­sucht sei­ne gelieb­te Toch­ter auf­zu­spü­ren und zurück nach Hau­se zu holen, in der Hoff­nung, dass alles wie­der wie frü­her wird, bevor er und sei­ne Frau Isa­bel sich trenn­ten und sei­ne beruf­li­che Lauf­bahn schei­ter­te. Die Bei­den heu­ern einen Pri­vat­de­tek­tiv an, der sie über den Auf­ent­halt und even­tu­el­le ille­ga­le Tätig­kei­ten ihrer Toch­ter auf dem Lau­fen­den hal­ten soll. Doch die Über­wa­chung ver­läuft anders als geplant …

Was wie ein Coming-of-Age-Roman daher­kommt, ent­puppt sich beim genaue­ren Lesen als gesell­schafts­kri­ti­sche Erzäh­lung, in der nicht die Jugend das Pro­blem ist, son­dern die Erwach­se­nen­ge­ne­ra­ti­on, die den Miss­stand erst her­bei­ge­führt hat. Die bis ins Detail beschrie­be­ne Gefühls­welt von Aitor offen­bart sei­ne Hilf­lo­sig­keit, sei es im Beruf, in der Erzie­hung oder im All­tag, und ent­tarnt die geleb­te Dop­pel­mo­ral. Der Lesen­de merkt, dass hier nicht die Kin­der ihre Eltern brau­chen, son­dern umge­kehrt. In einer Welt der Kri­sen, aus­ge­löst durch Erwach­se­ne und nur zu ret­ten durch eine neue Gene­ra­ti­on, macht genau das die­sen Roman hochaktuell. 

José Ove­je­ro, gebo­ren 1958 in Madrid, ist Autor zahl­rei­cher Roma­ne, Kurz­ge­schich­ten, Essays, Thea­ter­stü­cke und Gedich­te. 2013 wur­de er mit dem Pre­mio Alfa­gua­ra de Nove­la aus­ge­zeich­net. Sei­ne Über­set­ze­rin Patri­cia Han­sel arbei­tet in einem Buch­ver­lag und über­setzt kür­ze­re fik­tio­na­le und Sach­tex­te. Ove­je­ros Por­trait einer jun­gen Gene­ra­ti­on in Spa­ni­en, die sich nicht län­ger damit abfin­den will, das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem hin­zu­neh­men und die glei­chen Feh­ler wie die eige­nen Eltern zu machen, wird von einem trei­ben­den Rhyth­mus getra­gen. In ihrer ers­ten Roman­über­set­zung gelingt es Han­sel, den Rhyth­mus und die Gefühls­welt ver­schie­de­ner Gene­ra­tio­nen anschau­lich und ein­fühl­sam zu über­tra­gen. – Vik­to­ria Wenker

José Ovejero/Patricia Han­sel, Auf­stand (Insur­rección), Edi­ti­on Nau­ti­lus, 328 Sei­ten, 26 Euro

Es gibt wohl kaum einen Ort, der unse­re Zeit so sehr prägt wie das Büro. Und beson­ders in den Groß­städ­ten, wo vie­le remo­te oder fle­xi­bel arbei­ten, wer­den Räu­me, die eigent­lich ande­ren Zwe­cken die­nen (Cafés) zu Arbeits­plät­zen umfunk­tio­niert. Das mag zunächst wenig poe­tisch klin­gen, doch die spa­ni­sche Lyri­ke­rin Eri­ka Mar­tí­nez hat die­sem moder­nen Zwit­ter-Ort ein gan­zes Gedicht gewid­met, in dem das „Tas­ten­ge­klap­per“ zum „Antrieb zur Kon­zen­tra­ti­on“ wird. Im Mit­tel­punkt steht aber vor allem die Beob­ach­tung des wuse­li­gen Drum­er­herums – der Schach­spie­ler, der schrei­ben­de Dich­ter­kol­le­ge und der hoch­tra­ben­de Mana­ger lie­fern den eigent­li­chen Stoff für die­ses Gedicht, das mit der lako­ni­schen Erkennt­nis „Jeder Fried­hof ist eine WLAN-Zone“ endet.

In ihrem vier­ten Gedicht­band Zusam­men­pral­len stellt sich Eri­ka Mar­tí­nez the­ma­tisch breit auf. Neben orts­ge­bun­de­nen Betrach­tun­gen (es gibt auch Gedich­te über Biblio­the­ken und Werk­stät­ten) geht es in ihrer Dich­tung vor allem um Natur, Geschlech­ter­dif­fe­ren­zen und das moder­ne Groß­stadt­le­ben. Mar­tí­nez ist eine von weni­gen weib­li­chen spa­ni­schen Dich­tern, deren Arbei­ten regel­mä­ßig in diver­sen Antho­lo­gien erschei­nen. Ihre Ichs erkun­den nicht sel­ten eine spe­zi­fisch weib­li­che Erfah­rungs­welt; ihr Werk jedoch dar­auf zu limi­tie­ren, wäre fatal und dage­gen sträubt sich Mar­tí­nez in den spa­nisch­spra­chi­gen Medi­en. Cho­car con algo erschien bereits 2017, wur­de jedoch erst jetzt von dem Dich­ter José F. A. Oli­ver für den Hoch­roth Ver­lag Hei­del­berg übersetzt. 

Ihr Über­set­zer hat zwar anda­lu­si­sche Wur­zeln, auf­ge­wach­sen ist Oli­ver jedoch im Schwarz­wald, wo er noch immer lebt. Die bei­den Dich­ter for­men ein inter­es­san­tes Tan­dem, das in die­sem zwei­spra­chi­gen Gedicht­band neben­ein­an­der glän­zen darf. Oli­ver lässt Mar­tí­nez den Vor­tritt; die Über­set­zung scheint zunächst nur kom­ple­men­tär zum Ori­gi­nal zu sein. Aber bei der genaue­ren Betrach­tung wird deut­lich, dass Oli­ver eige­ne Akzen­te setzt und sei­ne deutsch­spra­chi­ge Inter­pre­ta­ti­on dort prä­zi­siert, rhyth­mi­siert und zuspitzt, wo es mög­lich ist. – Julia Rosche

Eri­ka Martínez/José F. A. Oli­ver, Zusam­men­pral­len (Cho­car con algo), Hoch­roth Hei­del­berg, 48 Sei­ten, 8 Euro


Buchcover des Romans Tiepolo Blau von James Cahill. Auf dem Cover ist eine Büste auf blauem Grund zu sehen, die an der Nasenwurzel abgeschnitten ist.

Das Blau des Himmels

In James Cahills Roman­de­büt „Tie­po­lo Blau“ wird ein zurück­ge­zo­gen leben­der Pro­fes­sor von einem moder­nen Kunstwerk… 
Cover von Pol Guaschs Roman Napalm im Herzen. Illustration eines jungen Menschen mit dunklen Haaren in grellen Rottönen.

Nach der Katastrophe

In „Napalm im Her­zen“ erzählt der kata­la­ni­sche Autor Pol Guasch eine que­e­re Lie­bes­ge­schich­te in einem… 
Cover von Samantha Harveys Roman Umlaufbahnen. Im Hintergrund ist ein Foto der Erdatmosphäre.

In eige­nen Sphären

In ihrem Roman „Umlauf­bah­nen“ hin­ter­fragt Saman­tha Har­vey die mensch­li­che Exis­tenz im Uni­ver­sum – und erhielt… 

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