In der Reihe „Mein erstes Mal“ berichten Übersetzer:innen von ihrer ersten literarischen Übersetzung. Sie plaudern aus dem Nähkästchen, berichten von den Leiden des jungen Übersetzer:innenlebens und verraten, in welche Falle man als Anfänger:in bloß nicht tappen sollte. Alle Beiträge der Reihe sind hier nachzulesen.
Mein erstes Mal war hart erkämpft, erforderte Geduld, Ausdauer, Zähigkeit, Willensstärke, die Kraft zur Vision – und vor allem Glück. Und wie es in einem kubanischen Lied heißt, hoffe ich, „que me disculpen, por este día, los muertos de mi felicidad“, dass mir die Toten meines Glücks vergeben. Weil das Glück des einen oft das Unglück eines anderen ist.
Mein erstes Mal erschien 2013 bei Riemann im Random House Verlag, im gediegenen Leinenumschlag: Ein Blumentopf mit lila Veilchen und Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ thronten auf einem dunkelbraunen Sideboard, dahinter eine beige Wand mit gerahmten Fotos, ein Tortenstück, ein Fußballfeld. Der Titel: Feierabend – Eine Reise in die deutsche Seele. Die Autorinnen: Vanna Vannuccini und Francesca Predazzi, beide lange Jahre Deutschlandkorrespondentinnen für italienische Tageszeitungen.
Als ich 1989 die Uni verließ, wollte ich unbedingt Übersetzerin werden. Ich hatte Romanistik, Germanistik und Philosophie studiert und mich in meiner Magisterarbeit immerhin mit der deutschen Übersetzung von Cesare Pavese beschäftigt. Aber dann fehlte mir der Mut zum Sprung ins Freiberufliche und auch das Wissen, wie ich das überhaupt anstellen sollte: Übersetzerin werden. Nach fünf Jahren Festanstellung und vielen freundlichen Verlagsabsagen sprang ich schließlich doch, gründete zunächst mit Freunden ein Übersetzungsbüro, machte als Einzelkämpferin weiter. Hauptsächlich übersetzte ich damals Werbung. Da ich zur gleichen Zeit auch Mutter geworden war, war mir die im Vergleich zur Literaturübersetzung bessere Bezahlung wichtig. Aber mein Wunsch blieb: Literatur zu übersetzen, Bücher. Immer wieder also Bewerbungen an Verlage, immer wieder mehr oder weniger freundliche Absagen, wenn überhaupt. Meine Tochter wurde größer, ich flexibler, besuchte Seminare zum literarischen Übersetzen bei Karin Krieger und Ulrich Blumenbach in Lenzburg und lernte Birte Völker aus Düsseldorf kennen, die gerade ihre ersten Bücher übersetzte. Ich besuchte auch die Frankfurter Buchmesse, mit einem Stapel Lebensläufen im Gepäck. Wer schon einmal versucht hat, als Nobody in Frankfurt Aufträge zu akquirieren, kann sich vorstellen, wie frustrierend das war.
Und dann der Anruf von Birte, ob ich eine Übersetzung für sie übernehmen könne, sie sei schwer erkrankt. Der Verlag vertraute ihr, ich erhielt den Auftrag, ohne Lebenslauf oder Probeübersetzung, einfach so. Ich war keine Anfängerin mehr, hatte aber vor allem kurze Texte aus dem Englischen übersetzt. Das italienische Original war in einem journalistischen, assoziativen Stil gehalten: Bedeutungsschwere, unübersetzbare deutsche Begriffe wie Weltanschauung, Rechthaber oder Männerfreundschaft inspirierten die Autorinnen zu klugen, ironischen Beobachtungen „typisch“ deutscher Eigenschaften, die sie anhand gesellschaftlich-politischer Ereignisse und Persönlichkeiten illustrierten, mit denen sie Interviews geführt hatten. Unter dem Stichwort Weltanschauung warfen sie einen Blick auf Albert Speer, Heinrich Böll, den Spion Mischa Wolf und Joschka Fischer, unter dem Stichwort Rechthaber auf Rudolf Scharping und Martin Walser, unter dem Stichwort Männerfreundschaft auf Helmut Kohl, Hand in Hand mit François Mitterrand in Verdun oder in Strickjacke beim Spaziergang mit Gorbatschow.
Die Suche nach den ursprünglich deutschen Zitaten bedeutete sehr viel Arbeit. Glücklicherweise hatte der Spiegel schon damals viele seiner Artikel online gestellt. Außerdem musste ich zu politischen Sachverhalten recherchieren, und die langen Sätze, die gern von Thema zu Thema sprangen, waren ein harter Brocken.
Als problematisch empfand ich den italienischen Blick auf Deutschland. Er machte zwar einerseits den Witz des Buches aus, das in Italien 2014 seine achte Auflage erlebte – im Original war es erstmals 2004 erschienen –, war aber nicht frei von Vorurteilen. Etwa wenn die größere Präzision des Deutschen – sowohl hinstellen als auch hinlegen sind im Italienischen mettere, Ausgang und Ausfahrt einfach uscita – mit der deutschen Mentalität und nicht mit den strukturellen Möglichkeiten der Sprache begründet wurde. Um die deutsche Leserschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, habe ich an manchen Stellen die Schärfe aus dem Text genommen und den Witz ein Stück weit geopfert. Diese Entscheidung würde ich heute wohl stärker hinterfragen.
Irgendwann war die Übersetzung trotz langer Sätze, Gedankensprüngen und Assoziationsketten fertig, ich war überzeugt, nach mehreren Korrekturdurchgängen einen guten deutschen Text geschrieben zu haben, und warf noch einen letzten Blick auf meine Arbeit. Doch plötzlich schien mir die Übersetzung seltsam. Ich fand keine grammatikalischen Fehler, keine Stolperfallen oder unlogischen Verknüpfungen, aber die Sätze stimmten für mein Gefühl nicht, es war, als kippte der ganze Text nach links.
Erst als ich alles noch einmal durchging, Satzglieder umstellte, adverbiale Bestimmungen vom Satzanfang in die Mitte rückte, Zusammenhänge durch ein weil oder daher verdeutlichte, las sich der Text wirklich gut. Das war für mich ein Aha-Erlebnis. Viel später erst sollte ich mich in der LCB-Übersetzerwerkstatt mit Judith Macheiner, linksverzweigenden und rechtsverzweigenden Sprachen und der Informationsverteilung in Sätzen beschäftigen.
So beginnt das Buch mit:
„Non ci posso credere.“ L’amico tedesco è stupefatto. „Veramente nelle altre lingue non c’è una parola come ‚Schadenfreude‘?“
Zunächst hatte ich relativ nah am Italienischen übersetzt:
„Das glaub ich nicht.“ Unser deutscher Freund ist erstaunt. „Andere Sprachen haben kein Wort für ‚Schadenfreude‘?“
Aber beim erneuten Lesen erschien mir „Unser deutscher Freund“ an dieser Stelle wie ein Überfall, für mein Sprachgefühl kam das Subjekt zu früh im Text und erzeugte damit eine Ironie und überhebliche Erzählperspektive, die im Italienischen so nicht dastand. Ich änderte den Anfang in:
„Das glaub ich nicht“, sagt unser deutscher Freund und blickt uns erstaunt an.
Wenn ich mir die Übersetzung heute anschaue, habe ich das Sprachregister gegenüber dem Original zweifellos an manchen Stellen angehoben. Im Jahr 2013 hielt ich das unter anderem durch die Leseerwartungen an ein Sachbuch und durch die größere Empfindlichkeit für Wortwiederholungen im Deutschen für gerechtfertigt. Meiner Ansicht nach hat sich der Stil deutscher Sachbücher in den letzten zehn Jahren stärker der Umgangssprache angenähert. Heute würde ich wohl näher am Sprachregister des Originals bleiben.
Einige Monate nach Abgabe brachte die Post das gedruckte Buch. Ich hatte kein Lektorat gesehen, auch keine Fahnen. Ich wusste damals nicht, dass das Usus ist. Ich habe das Belegexemplar nie Zeile für Zeile mit meiner Übersetzung verglichen, dafür hatte ich den Text schon zu lange hin- und hergewendet. Ich meine, es wurde nicht allzu viel verändert, doch natürlich fordere ich heute ein, Lektorat und Fahnen prüfen zu können – schließlich steht im gedruckten Buch mein Name.
Streng genommen gab es allerdings nicht nur ein erstes Mal. Riemann ist ein kleiner Verlag, der nicht sofort ein neues Projekt für mich hatte. Ich musste mich weiter bewerben. Doch nachdem ich nun ein erstes Buch übersetzt hatte, eine Referenz, hatte ich mit meinen Bewerbungen mehr Erfolg. Schon bald folgte Auftrag auf Auftrag. Meinen ersten Roman habe ich 2019 übersetzt.