Mein ers­tes Mal: Anna-Nina Kroll

Anna-Nina Kroll berichtet von ihrer ersten Übersetzung, die fast für immer in einer Schublade verschwunden wäre, es am Ende aber doch noch in die Buchläden geschafft hat. Von

Die Übersetzerin Anna-Nina Kroll. Foto: (c) Markus Laghanke

In der Rei­he „Mein ers­tes Mal“ berich­ten Übersetzer:innen von ihrer ers­ten lite­ra­ri­schen Über­set­zung. Sie plau­dern aus dem Näh­käst­chen, berich­ten von den Lei­den des jun­gen Übersetzer:innenlebens und ver­ra­ten, in wel­che Fal­le man als Anfänger:in bloß nicht tap­pen soll­te. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier nachzulesen.


Zum Über­set­zen kam ich durch Glück oder Zufall oder meh­re­re glück­li­che Zufäl­le. Nach dem bilin­gua­len Abitur woll­te ich am liebs­ten „irgend­was mit Büchern“ und „irgend­was mit Eng­lisch“ machen. Nur, was wird man da? Lek­to­rin? Autorin? Leh­re­rin? Ich war schon halb fürs Lehr­amts­stu­di­um ein­ge­schrie­ben, als eine Klas­sen­ka­me­ra­din erzähl­te, sie habe sich an der Uni Düs­sel­dorf für den Diplom­stu­di­en­gang Lite­ra­tur­über­set­zen bewor­ben. Davon hat­te ich noch nie gehört, aber es klang wie für mich gemacht. Ich wohn­te damals am Esse­ner Stadt­rand, muss­te also nicht mal umzie­hen und pen­del­te bald mit der Bahn zur Uni. Unter­wegs hat­te ich genug Zeit für Semi­nar­vor­be­rei­tun­gen und vor allem für eins: Lesen!

In neun Semes­tern Regel­stu­di­en­zeit gab es zwei ver­pflich­ten­de soge­nann­te „Prak­ti­ka“ im Euro­päi­schen Über­set­zer-Kol­le­gi­um Strae­len am Nie­der­rhein. Bei die­sen fünf­tä­gi­gen Semi­na­ren mit Über­set­zungs­pro­fis durf­ten wir unser theo­re­ti­sches und an Klas­si­kern geschul­tes Wis­sen prak­tisch anwen­den. Die Pro­fis brach­ten Tex­te aus ihrer eige­nen Werk­statt mit, und es ging end­lich nicht mehr dar­um, irgend­ei­ne gram­ma­ti­sche Form zu erken­nen und zu mar­kie­ren oder Satz­struk­tu­ren mög­lichst genau nach­zu­bil­den, son­dern dar­um, einen im Deut­schen funk­tio­nie­ren­den Gesamt­text zu schaffen.

Eins der Prak­ti­ka lei­te­te Ulrich Blu­men­bach. Er hat­te unter ande­rem Tex­te von Ste­phen Fry und David Fos­ter Wal­lace im Gepäck und kam am Ende des Semi­nars auf eine Kom­mi­li­to­nin und mich zu und frag­te, ob er uns an Ver­la­ge emp­feh­len dür­fe, da er mit unse­ren Über­set­zun­gen sehr zufrie­den gewe­sen sei. Natür­lich durf­te er, und so emp­fahl er uns gleich an zwei Schwei­zer Ver­la­ge: Dio­ge­nes und Kein & Aber. Doch dar­auf­hin herrsch­te erst ein­mal Schwei­gen im Wal­de, und wir stu­dier­ten wei­ter. Vier Mona­te spä­ter dann eine E‑Mail von Dio­ge­nes! Sie such­ten jun­ge Über­set­ze­rin­nen und woll­ten eine Pro­be. Wie gewünscht über­setz­te ich ein Stück aus einem Roman, der bald erschei­nen soll­te, und der Lek­to­rin gefiel die Pro­be zwar, nur hat­te sie gera­de kein kon­kre­tes Pro­jekt, das sie mir anbie­ten konn­te. Eine Ach­ter­bahn­fahrt der Gefüh­le, aber die nächs­te Chan­ce ließ nicht lan­ge auf sich war­ten. Zwei Wochen spä­ter saß ich, zu Besuch bei einer Freun­din, auf einer win­zi­gen kroa­ti­schen Insel im Café. Kei­ner in der Run­de hat­te ein Smart­phone, an Daten-Roa­ming war sowie­so nicht zu den­ken, und über­haupt war Kroa­ti­en der EU noch nicht mal bei­getre­ten. Ich check­te also über das Café-WLAN am Lap­top mei­nes Freun­des E‑Mails, und da war sie, die Mail. Kein & Aber hat­te zwei Debüts von jun­gen Autorin­nen ein­ge­kauft und such­te dafür zwei jun­ge Über­set­ze­rin­nen. Wie gemacht für mei­ne Kom­mi­li­to­nin und mich. Ulrich Blu­men­bach bot ein Vor­lek­to­rat an, um die Qua­li­tät für den Ver­lag zu gewähr­leis­ten, doch nach einer Pro­be­über­set­zung der ers­ten zwan­zig Sei­ten befand die zustän­di­ge Lek­to­rin das für überflüssig.

Mei­ne Debüt­au­to­rin war Rebec­ca Wait, Eng­län­de­rin und wie ich 1988 gebo­ren. The View on the Way Down hieß der Roman, der 2013 bei Pica­dor erschei­nen soll­te. Er han­delt von einer fünf­köp­fi­gen Fami­lie, die nach dem Tod des ältes­ten Soh­nes aus­ein­an­der­bricht. Ein­dring­lich, aber nicht ohne Witz beschreibt Wait dar­in Trau­er, Depres­sio­nen, Panik­at­ta­cken und Mob­bing-Erfah­run­gen. Bis heu­te sind mir die Brie­fe, in denen der jün­ge­re Sohn dem Vater beschreibt, wie er die psy­chi­sche Erkran­kung und den Tod sei­nes Bru­ders erlebt hat, im Gedächt­nis geblie­ben. Der Humor, der das düs­te­re The­ma immer wie­der auf­lo­ckert und ins­be­son­de­re in den Dia­lo­gen zum Tra­gen kommt, war eine der Schwie­rig­kei­ten, die es zu bewäl­ti­gen galt. Denn für zün­den­de Wit­ze muss das Timing stim­men, und idio­ma­tisch soll es dabei mög­lichst auch noch sein. Gar nicht so ein­fach, alles unter einen Hut zu bekom­men, merk­te ich. Die Bibel­ver­narrt­heit der Toch­ter stell­te mich zudem vor die Fra­ge, wel­che der vie­len Über­set­zun­gen denn nun die „rich­ti­ge“ sei. Oft war die Luther­bi­bel der eng­li­schen Fas­sung am nächs­ten, doch nach eini­gem Ver­glei­chen der zitier­ten Pas­sa­gen ent­schied ich mich für die Ein­heits­über­set­zung. Dass die Autorin und ich gleich alt waren, merk­te ich vor allem anhand von Rea­li­en wie Video­spie­len und Büchern, die ich selbst gespielt und gele­sen hat­te, und dar­an, dass die locke­re Umgangs­spra­che der jün­ge­ren Figu­ren mir beson­ders leicht von der Hand ging.

Die Arbeit an der Über­set­zung erfolg­te zum größ­ten Teil am Küchen­tisch, der neben Büro, Sofa und Bett auch heu­te noch mein liebs­ter Arbeits­platz ist. Für die fina­le Über­ar­bei­tung im Dezem­ber mel­de­te ich mich zusam­men mit mei­ner Kom­mi­li­to­nin für zwei Wochen im Euro­päi­schen Über­set­zer-Kol­le­gi­um an. Bei unse­ren Semi­na­ren hat­ten wir immer sehn­süch­tig ins Haupt­haus geschielt, und end­lich durf­ten wir auch ein­mal dort leben und arbei­ten, uns mit erfah­re­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus­tau­schen und in feucht­fröh­li­cher Run­de die Strae­len-Atmo­sphä­re genie­ßen. Ich weiß noch, dass in die­sen zwei Wochen der ers­te Schnee fiel und wir am Ende unse­res Auf­ent­halts tat­säch­lich die fer­ti­gen Über­set­zun­gen abgaben.

Kopf­über zurück, wie das Buch nach lan­ger Titel­su­che hei­ßen soll­te, ist für mich nicht nur eine beson­de­re Über­set­zung, weil sie mei­ne ers­te war, son­dern auch, weil sie nach Abnah­me durch die Lek­to­rin zunächst in der Ver­lags­schub­la­de ver­schwand. Aus pro­gramm­pla­ne­ri­schen Grün­den muss­te die Ver­öf­fent­li­chung mehr­fach ver­scho­ben wer­den, und es pas­sier­te wie­der ein­mal gar nichts – ein ziem­li­cher Dämp­fer nach der erfolg­reich bewäl­tig­ten Lang­stre­cke von über 300 Seiten.

Wie ver­ab­re­det mel­de­te ich mich nach der Abga­be wie­der bei Dio­ge­nes, und sie­he da, sie hat­ten in der Zwi­schen­zeit tat­säch­lich einen Roman akqui­riert, den ich über­set­zen soll­te: The Unknowns von Gabri­el Roth. Er han­delt von einem Nerd, der mit dem Ver­kauf eines selbst­ge­schrie­be­nen Com­pu­ter­pro­gramms reich wird und nach lan­ger Durst­stre­cke end­lich eine Freun­din fin­det. Doch plötz­lich stellt sich die Fra­ge, ob die­se wirk­lich eine trau­ma­ti­sche Kind­heit hat­te oder ob ihr die Erin­ne­run­gen dar­an in einer The­ra­pie ein­ge­pflanzt wur­den. Pro­gram­mie­rers­lang und Fach­be­grif­fe aus der Psy­cho­lo­gie waren dies­mal die Haupt­schwie­rig­kei­ten, denen ich mit Hil­fe aus­kunfts­wil­li­ger Infor­ma­ti­ker­freun­de und inten­si­ver Inter­net­re­cher­che zu Lei­be rück­te. Glei­chung mit einer Unbe­kann­ten, so der deut­sche Titel, wur­de mei­ne ers­te Über­set­zung, die es im Laden zu kau­fen gab. Auf­re­gend war das!

Zwei Jah­re lang tauch­te ich mit Haut und Haa­ren in die Pra­xis ein und ver­lor die Uni ziem­lich aus den Augen, doch kurz bevor der Diplom­stu­di­en­gang aus­lief und aufs neue Mas­ter-Sys­tem umge­stellt wur­de, ging ich schwe­ren Her­zens zurück. Mit­ten in den Prü­fungs­vor­be­rei­tun­gen tauch­te das in der Schub­la­de ver­schwun­de­ne Buch wie­der auf. Eine enga­gier­te jun­ge Lek­to­rin hat­te es über­nom­men, und wir schick­ten uns das Manu­skript einen Monat lang hin und her. Gegen Ende schrieb ich: „Inzwi­schen glau­be ich fast, es wäre schnel­ler gegan­gen, das gan­ze Buch neu zu über­set­zen“, was rück­bli­ckend betrach­tet natür­lich Quatsch ist – so viel gab es gar nicht zu tun. Doch ich hat­te beim Über­set­zen und Lek­to­riert­wer­den mitt­ler­wei­le dazu­ge­lernt, sodass ich nicht anders konn­te, als jedes Wort noch ein­mal unter die Lupe zu nehmen.

Wenn ich Kopf­über zurück heu­te auf­schla­ge, könn­te ich es mir wie­der Satz für Satz vor­neh­men und wür­de natür­lich jede Men­ge ändern. Ein biss­chen mehr Abstand vom Text hät­te sicher nicht gescha­det, hier und da hät­te ich mich wei­ter von der Satz­struk­tur des Ori­gi­nals lösen kön­nen, fal­len mir idio­ma­ti­sche­re Lösun­gen ein. Auch Wort­wie­der­ho­lun­gen, die mir heu­te ein Dorn im Auge sind, hat­te ich noch nicht so recht auf dem Schirm. Aber ins­ge­samt fin­de ich es doch erstaun­lich und erfreu­lich, wie zufrie­den ich nach wie vor bin.

Die­ses Jahr ist mei­ne ers­te Roman­über­set­zung zehn Jah­re her. Seit­dem bin ich zum Dau­er­gast im Über­set­zer-Kol­le­gi­um gewor­den und habe etwa 30 Bücher aus dem Eng­li­schen ins Deut­sche über­tra­gen. Aus zeit­li­chen Grün­den konn­te ich lei­der kei­nen wei­te­ren Text von Rebec­ca Wait über­neh­men, dabei erscheint die­sen Monat mit Mei­ne bes­se­re Schwes­ter schon ihr drit­ter Roman auf Deutsch. Die Über­set­zung stammt dies­mal übri­gens aus der Feder von Anna-Chris­tin Kra­mer, der Kom­mi­li­to­nin, mit der ich damals bei Kein & Aber und in Strae­len ange­fan­gen habe. Und so schließt sich der Kreis.


Anna-Nina Kroll


Anna-Nina Kroll, 1988 in Essen gebo­ren, stu­dier­te Lite­ra­tur­über­set­zen in Düs­sel­dorf und Cádiz und über­setzt seit­dem Roma­ne, Sach- und Kin­der­bü­cher aus dem Eng­li­schen. Sie ist die deut­sche Stim­me von Car­men Maria Macha­do, Donal Ryan und Anna Burns. Im Jahr 2020 war sie Trans­la­tor in Resi­dence am renom­mier­ten Tri­ni­ty Col­lege Dub­lin. 2021 erhielt sie den För­der­preis zum Strae­l­e­ner Über­set­zer­preis der Kunst­stif­tung NRW und war Men­to­rin beim ers­ten Nachwuchsübersetzer*innen-Stipendium der Frank­fur­ter Buchmesse. 


Rebec­ca Wait | Anna-Nina Kroll

Kopf­über zurück

Im eng­li­schen Ori­gi­nal: The View on the Way Down

Kein & Aber 2015 ⋅ 336 Sei­ten ⋅ 19,90 Euro



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