Zum Vergleich: Hier die Antworten von Bernd-Jürgen Fischer.
Was haben Sie zuletzt über Marcel Proust dazugelernt?
Dass Agostinelli 1913 nicht bei Proust, sondern (zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anna) in einem Hotel bei der Gare de l’Est logierte und dass er, nach seiner Abreise im Dezember, im Januar 1914 nach Paris zurückkehrte, wo er bis Mitte April bei Proust wohnte und arbeitete.
Und was bleibt Ihnen immer noch ein Rätsel?
Ein Wort («Vivandi») im ersten Satz des Kapitels «Ein Diner bei Madame Marmet» von Jean Santeuil (S. 747).
Ihr Lieblingsschriftsteller (außer Marcel Proust)?
Weder Proust noch ein anderer.
Ihre Lieblingsfarbe?
Die rhetorische: color rhetoricus.
Ihre Lieblingsblume?
Die rhetorische: flos rhetorica.
Ihr Vorbild?
Habe keines.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Übersetzern am meisten?
Bescheidenheit und Hartnäckigkeit.
Worauf sind Sie stolz?
Auf die Frankfurter Ausgabe der Werke Marcel Prousts.
Und was ist Ihr grösster Fehler?
Stolz, Stolz auf anstatt Dankbarkeit für die Frankfurter Ausgabe.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten, ob beim Übersetzen oder im Leben?
Alle ausser Überheblichkeit.
Welche Rolle spielt das Übersetzen – als Thema oder Metapher – in der Recherche?
„Pflicht und Aufgabe eines Schriftstellers sind die eines Übersetzers.“ Gerne fühlt sich der Übersetzer durch diesen Satz aus der Wiedergefundenen Zeit (S. 294) nobilitiert; übersetzen meint hier aber „übertragen“ der inneren Welt in Literatur (oder eine andere Kunst).
Ihre Lieblingsfigur in der Recherche?
Ausser Marcels Grosmutter und vielleicht Saniette sind die Figuren der Recherche keine Sympathieträger. Als Geschöpfe ihres Schöpfers sind mir aber alle lieb, besonders die Spiegelfiguren Marcels und Marcel Prousts: Swann, Bloch, Andrée, Tante Léonie … und warum nicht auch der mit Marcel entfernt namensverwandte Morel.
Der schönste Satz der Recherche?
Irgendeiner, besonders aber die Schlusssätze mit ihren Pointen, die man in der Übersetzung oft nur mit Mühe an den Satzschluss bringt. Beispiel: der Schlusssatz der Passage über die Kirche von Combray in Swann (S. 99)
Und der schwierigste?
Dito. Beispiel: Der Schlusssatz über die Phrasen Chopins in Swann (S. 480) mit derselben Pointe (Herz) wie das vorangehende Beispiel, die ich aber mit Rücksicht auf den Satzfluss hier nicht an den Schluss gesetzt habe.
Was sagen Sie Menschen, die sich nicht an 6000 Seiten verlorene Zeit herantrauen?
Entweder: Nur Mut, es sind in der Frankfurter Ausgabe nur 4‘528 Seiten.
Oder: Lesen Sie einfach einmal eine Seite!
Welches Gericht sollte man zur Lektüre der Recherche kochen?
Dasselbe wie jenes zum Schreiben der Recherche: Milchkaffee + Hörnchen.
Welche Musik sollte man dazu hören?
Jene Prousts. Also laut lesen!
Das beste Buch über Proust?
Bescheidenheit verbietet mir eine Antwort.
Die beste Umsetzung der Recherche in andere Medien (Film, Hörspiel, Comic …)?
Percy Adlon: Céleste.
Was schätzen Sie an Bern-Jürgen Fischers Übersetzung der Recherche?
Dass in ihr für Albertines schreckliches me faire casser le pot jetzt – im Gegensatz zu den vorangehenden Übersetzungen – etwas dem Argot wirklich Entsprechendes, ebenso Schreckliches steht: mir ordentlich die Pfanne putzen lassen.
Und was an Ihrer eigenen Ausgabe?
Den Kommentar.
Mit Abstand von 20 Jahren: Haben Sie Rechel-Mertens irgendwo verschlimmbessert?
Ja. Im Drama des Zubettgehens erklärt Françoise, der maître d’hôtel könne Marcels Brief im Augenblick nicht übergeben. Eva Rechel-Mertens übersetzt mit Diener. In der Meinung, bei Tante Léonie gebe es keinen Diener und Françoise spreche ironisch von sich selber, übersetzte ich mit Haushofmeister (Swann, S. 45). Diener ist richtig!
Was würden Sie Marcel Proust gerne fragen? Was würden Sie ihm gerne sagen?
Persönliche Begegnungen mit Autoren sind oft enttäuschend. So verzichte ich lieber auf eine solche mit Monsieur Marcel Proust. Sollten sich unsere Wege aber trotzdem einmal kreuzen, würde ich ihn fragen: Was ist ein(e) Vivandi, würde mich für die Antwort bedanken und meines Weges weiterziehen.