Mäzen und Kerkermeister

Katar sponsert nicht nur die diesjährige Fußball-WM, sondern auch Jahr für Jahr den höchstdotierten Übersetzerpreis der Welt. Über die Literaturszene des Golfstaates ist allerdings fast nichts bekannt. Eine Spurensuche Von

Die Qatar National Library, ein Tempel der Literatur in Katar. Foto von Trevor Patt (flickr.com)
Kulturtempel oder Haftanstalt? Die Qatar National Library bezog 2018 ihren vom niederländischen Star-Architekten Rem Koolhaas entworfenen Neubau. Foto: Trevor Patt. CC BY-NC-SA 2.0

Trotz inten­si­ver Bericht­erstat­tung in allen Medi­en: Über das Land, das in weni­gen Tagen die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft der Män­ner aus­rich­tet, ist in Deutsch­land noch immer selt­sam wenig bekannt. Auch 12 Jah­re nach­dem Katar unter skan­da­lö­sen Umstän­den eines der größ­ten Sport­events der Welt zuge­spro­chen wur­de, domi­nie­ren Kli­schees und Vor­ur­tei­le hier­zu­lan­de das Bild von der dor­ti­gen Gesell­schaft, die sich in die­sem Zeit­raum so rasant ver­än­dert hat wie wohl nur weni­ge auf dem Planeten.

Die Tau­sen­den aus­län­di­schen Arbei­ter, die die Orga­ni­sa­to­ren mit ihrer ver­ant­wor­tungs­lo­sen Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on auf dem Gewis­sen haben, wird nichts und nie­mand mehr ins Leben zurück­brin­gen. Doch all jene, die die­ses Mar­ty­ri­um gera­de nicht unter den Tisch keh­ren wol­len, soll­ten eigent­lich ein Inter­es­se an einem tief­grei­fen­de­ren gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis haben. Gera­de das scheint aber kurz vor Beginn der Welt­meis­ter­schaft von der Katar-/FI­FA-PR („bes­te WM aller Zei­ten“) einer­seits und der Boy­kott­be­we­gung („WM der Schan­de“) ande­rer­seits in den Hin­ter­grund gedrängt zu werden.

Einen gewis­sen Anteil an die­ser Mar­gi­na­li­sie­rung hat auch der deut­sche Buch­markt. Denn wäh­rend es aus ara­bisch­spra­chi­gen Län­dern wie Ägyp­ten und Syri­en durch­aus eine rege Über­set­zungs­tä­tig­keit gibt, erschei­nen aus Regio­nen wie dem Maghreb oder eben den Golf­staa­ten so gut wie kei­ne Bücher in deut­scher Spra­che. Ein Umstand, über den sich die renom­mier­te Ara­bisch-Über­set­ze­rin Laris­sa Ben­der zuletzt im Inter­view mit der Online-Platt­form Ara­blit eini­ger­ma­ßen kon­ster­niert äußerte:

Aus die­sen Län­dern inter­es­sie­ren fast aus­schließ­lich Bücher über ver­folg­te oder ver­haf­te­te Journalist*innen oder über unter­drück­te oder der Unter­drü­ckung ent­kom­me­ne Frau­en. Und die­se Bücher wer­den dann mit einem ent­spre­chen­den Cover ver­se­hen, auf dem ver­schlei­er­te Frau­en zu sehen sind. Oder Frau­en, die wider Erwar­ten ihre Rei­ze zei­gen. Aber wel­che Lite­ra­tur in die­sen Län­dern geschrie­ben wird, ist hier völ­lig unbe­kannt. Da sehe ich lei­der auch kaum eine Entwicklung.

War­um ist das so? Und war­um hat sich in den letz­ten 12 Jah­ren fast nichts dar­an verändert?


Der kata­ri­schen Ara­bi­stin und Autorin Nou­ra Faraj begeg­nen im Aus­land immer wie­der die glei­chen Vor­ur­tei­le, schreibt sie im E‑Mail-Inter­view. Inner­halb der ara­bi­schen Welt, so die Schrift­stel­le­rin, die als Assis­tenz­pro­fes­so­rin an der kata­ri­schen Depen­dance der Car­ne­gie Mel­lon Uni­ver­si­ty lehrt, wer­de ihr Schrei­ben nicht ernst genom­men. Im Gegen­satz zu Sau­di-Ara­bi­en oder Kuwait sehe man Katar schlicht nicht als Pro­du­zent bedeu­ten­der ara­bi­scher Lite­ra­tur an.

Und außer­halb der ara­bi­schen Halb­in­sel sei es nur noch schlimmer:

Es gibt lei­der vie­le Ste­reo­ty­pen, Über­trei­bun­gen und Miss­ver­ständ­nis­se, so viel steht fest. Beson­ders, was die Rol­le der Frau betrifft. Da exis­tie­ren völ­lig unrea­lis­ti­sche Bil­der, die immer noch auf den Ansich­ten des Ori­en­ta­lis­mus beru­hen. Ich bin Pro­fes­so­rin an einer Uni­ver­si­tät, habe im Aus­land pro­mo­viert. Vie­le der Frau­en und Mäd­chen in mei­ner Fami­lie haben einen höhe­ren Uni­ver­si­täts­ab­schluss, vie­le sind auch wirt­schaft­lich selb­stän­dig, alle Frau­en gehen arbei­ten. Wenn eine Frau nicht arbei­tet, dann kommt uns das sehr merk­wür­dig vor.

Faraj selbst hat in Jor­da­ni­en stu­diert; ihre lite­ra­ri­schen Ver­öf­fent­li­chun­gen sind im Liba­non und in Sau­di-Ara­bi­en erschie­nen. Die Titel­ge­schich­te ihres Erzähl­ban­des „Üble Beschimp­fun­gen“ (al-Marāǧim) ist ins Eng­li­sche und 2021 von dem renom­mier­ten Über­set­zer Hart­mut Fähn­d­rich auch ins Deut­sche über­setzt wor­den. Als Femi­nis­tin sieht sich Faraj den­noch nicht. In „Üble Beschimp­fun­gen“ (wie auch in ande­ren Ich-Erzäh­lun­gen wie ihrem Roman „Rose Water“, der lei­der bis­her nur aus­zugs­wei­se ins Eng­li­sche über­setzt ist) lässt sie das Geschlecht der erzäh­len­den Figur bewusst offen.

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Die kata­ri­sche Schrift­stel­le­rin und Ara­bi­stin Nou­ra Faraj (*1979) lebt in Doha. Foto: Privat 

Doch auch wenn man ihrer Erzäh­lung „Üble Beschimp­fun­gen“ einen poli­ti­schen Sub­text nicht abspre­chen kann, weicht Faraj allen Fra­gen, die die anste­hen­de Fuß­ball-WM oder poli­ti­sche The­men berüh­ren, aus. Auch ihr Schrei­ben will sie als pri­va­te Akti­vi­tät, als Aus­druck per­sön­li­cher Gefüh­le und Gedan­ken ver­stan­den wissen

Die­se Vor­sicht ist ver­ständ­lich. For­sche­re poli­ti­sche Aus­sa­gen kön­nen für kata­ri­sche Intel­lek­tu­el­le näm­lich durch­aus erns­te Kon­se­quen­zen haben, wie die jün­ge­re Ver­gan­gen­heit des Lan­des unter Beweis gestellt hat.


Es war am 16. Novem­ber 2011, heu­te vor elf Jah­ren, als Moham­med al-Aja­mi, ein Stu­dent der ara­bi­schen Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät in Kai­ro, bei der Ein­rei­se am Flug­ha­fen Doha fest­ge­nom­men wur­de. Es dau­er­te drei Mona­te, die er in einer win­zi­gen Iso­la­ti­ons­zel­le ver­brin­gen muss­te, bis ihm über­haupt Kon­takt mit Freun­den und Ange­hö­ri­gen gestat­tet wurde.

Al-Aja­mi war zu die­sem Zeit­punkt weder vor­be­straft noch bewaff­net, er hat­te nie­man­den umge­bracht und heg­te kei­ner­lei ter­ro­ris­ti­sche Plä­ne. Was aus Sicht der Macht­ha­ber in Katar eine sol­che Behand­lung recht­fer­tig­te, waren sei­ne Gedichte.

Schon Mona­te vor dem Beginn der dama­li­gen Auf­stän­de in Tune­si­en und ande­ren ara­bi­schen Staa­ten, im Som­mer 2010, hat­te al-Aja­mi in Kai­ro im pri­va­ten Rah­men ein poli­ti­sches Gedicht vor­ge­le­sen – unter dem Titel „Kai­ro-Gedicht“ ver­brei­te­te es sich in den sozia­len Netz­wer­ken der gesam­ten ara­bi­schen Welt. Sein 2011 ent­stan­de­nes „Jas­min­ge­dicht“, das spä­ter auch in der Über­set­zung von Mah­moud Hassan­ein und Hans Thill auf Deutsch erschei­nen soll­te, erlang­te eine ähn­li­che Popu­la­ri­tät, wahr­schein­lich wegen Zei­len wie dieser:

War­um soll das Volk nicht ein­fach den als Herr­scher wäh­len, den es schätzt.
Und ver­gisst die Auto­kra­ten mit ihrem Geschwätz.
Sagen wir doch den Leu­ten, die nur nach ihrem Nut­zen schauen,
mor­gen wird ein ande­rer herr­schen und sei­ne Paläs­te bauen.

Als al-Aja­mi nach vier Mona­ten end­lich (wenn auch ohne ordent­li­chen Rechts­bei­stand) ein Gerichts­ver­fah­ren vor einem geheim tagen­den Straf­ge­richt in Doha bekam, warf man ihm wegen die­ser und ande­rer Zei­len „öffent­li­che Anstif­tung zum Sturz der Regie­rung“ und „Belei­di­gung des Emirs“ vor. 

Dass al-Aja­mi im Zusam­men­hang mit dem Pro­zess zu Pro­to­koll gab, Katar sei ein „gutes Land“ und der Emir Scheich Hamad ein „guter Mann, kein Sad­dam oder Gad­da­fi“, half ihm wenig. Auf Grund­la­ge sei­ner angeb­li­chen Straf­ta­ten wur­de Moham­med al-Aja­mi zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt. Wenn die kata­ri­sche Fuß­ball-Natio­nal­mann­schaft am 29. Novem­ber zu ihrem letz­ten Grup­pen­spiel gegen die Nie­der­lan­de auf­läuft, ist das zugleich der zehn­te Jah­res­tag die­ses skan­da­lö­sen, men­schen­rechts- und rechts­staats­wid­ri­gen Urteils.


Drei Jah­re spä­ter, im Jahr 2015, saß Moham­med al-Aja­mi noch immer in sei­ner Gefäng­nis­zel­le fest und die FIFA hat­te soeben dem inter­na­tio­na­len Druck nach­ge­ge­ben und die kata­ri­sche Fuß­ball-WM in die Win­ter­mo­na­te ver­legt – ein ers­tes Zei­chen, dass die inter­na­tio­na­le Kri­tik an der Ver­ga­be das Land und die Pla­nung der WM noch auf Jah­re beein­flus­sen und prä­gen würde.

In die­ser Pha­se ver­stärk­te Katar noch ein­mal sei­ne Bemü­hun­gen, durch geziel­te Invest­ments inter­na­tio­na­le Repu­ta­ti­on auf­zu­bau­en. Neben dem Sport – das umstrit­te­ne Enga­ge­ment der staat­li­chen Flug­li­nie Qatar Air­ways beim Fuß­ball-Bun­des­li­gis­ten FC Bay­ern Mün­chen ist das hier­zu­lan­de wohl bekann­tes­te Bei­spiel – wur­de auch die Kul­tur als geeig­ne­te Büh­ne aus­ge­macht, auf der sich Katar als welt­of­fe­ner Wohl­fahrts­staat insze­nie­ren konnte. 

Auf die­se Wei­se ent­deck­ten die Macht­ha­ber in Katar ihr Inter­es­se für Lite­ra­tur und hoben mit eini­gem Pomp zwei neue Lite­ra­tur­prei­se aus der Tau­fe. Neben einem auf die ara­bisch­spra­chi­ge Welt aus­ge­rich­te­ten Lite­ra­tur­preis, dem Kata­ra Pri­ze for Ara­bic Novel, lob­te man auch einen deut­lich höher dotier­ten inter­na­tio­na­len Über­set­zungs­preis aus: den Sheikh Hamad Award for Trans­la­ti­on and Inter­na­tio­nal Under­stan­ding. Mit einem Gesamt­preis­geld von zunächst 1 Mio. Dol­lar (das inzwi­schen sogar ver­dop­pelt wur­de, wohl um den kon­kur­rie­ren­den Sheikh Zay­ed Book Award in Abu Dha­bi zu über­trump­fen) war der Sheikh Hamad Award aus dem Stand der höchst­do­tier­te rei­ne Über­set­zer­preis der Welt.

Der Sheikh Hamad Award soll­te zu glei­chen Tei­len an Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer aus dem Ara­bi­schen und ins Ara­bi­sche ver­ge­ben wer­den. Neben dem Eng­li­schen, das seit 2015 immer Part­ner­spra­che war, wird Jahr für Jahr eine (oder meh­re­re) Schwer­punkt­spra­che aus­ge­wählt, dar­un­ter auch klei­ne bis win­zi­ge, wie Urdu, Bos­nisch oder Usbekisch.

Umrankt wur­de die Inau­gu­ra­ti­on des Prei­ses von einem Pro­gramm vol­ler blu­mi­ger Ver­spre­chun­gen:

Der Preis ehrt Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, die zur Freund­schaft und Ver­stän­di­gung zwi­schen den Völ­kern der Erde bei­tra­gen. Er soll exzel­len­te Ver­diens­te aus­zeich­nen, zur Krea­ti­vi­tät inspi­rie­ren, die höchs­ten ethi­schen und mora­li­schen Stan­dards anle­gen und einen Bei­trag zur Ver­brei­tung von Diver­si­tät, Plu­ra­lis­mus und Offen­heit leisten.

The Award seeks to honour trans­la­tors and ack­now­ledge their role in streng­thening the bonds of fri­end­ship and coope­ra­ti­on among­st peo­p­les and nati­ons of the world. It hopes to reward merit and excel­lence, encou­ra­ge crea­ti­vi­ty, uphold the hig­hest moral and ethi­cal stan­dards, and spread the values of diver­si­ty, plu­ra­lism and openness.

Die­se Wor­te muss­ten aus dem offi­zi­el­len Mun­de einer Regie­rung, die seit drei Jah­ren einen Dich­ter unter faden­schei­ni­gen Begrün­dun­gen in Haft hielt, ein­fach nur ver­lo­gen klin­gen. Und so konn­te es kaum über­ra­schen, dass es gleich bei der ers­ten Preis­ver­lei­hung zu einem Eklat kam: Der bri­ti­sche Ara­bist und Über­set­zer Hum­phrey Davies ver­ließ die Kon­fe­renz, in deren Rah­men der Preis erst­mals ver­ge­ben wer­den soll­te, aus Pro­test gegen die fort­dau­ern­de Inhaf­tie­rung von Moham­med al-Aja­mi

Im Febru­ar des Fol­ge­jah­res sorg­te Davies zusam­men mit zahl­rei­chen ande­ren nam­haf­ten Per­sön­lich­kei­ten der Ara­bi­stik-Sze­ne mit einem Boy­kott­auf­ruf für Auf­se­hen. Unter ande­rem hieß es dort:

Solan­ge die Macht­ha­ber in Katar Künst­ler ins Gefäng­nis ste­cken, wird man sie nicht als Kunst­mä­ze­ne respek­tie­ren. Das müs­sen sie ver­ste­hen. Sie kön­nen Mäzen oder Ker­ker­meis­ter sein – aber nicht bei­des zugleich.

Qatar’s rulers need to under­stand that they will not be respec­ted as patrons so long as they impri­son artists for prac­ti­cing their craft. Qatar’s rulers now face a clear choice: eit­her patron or jail­or, but not both.

Auf den Tag genau einen Monat spä­ter wur­de Moham­med al-Aja­mi begna­digt und freigelassen.

Auch wenn dafür das Emi­rat nie offi­zi­el­le Grün­de dafür angab, von einer Ent­schul­di­gung ganz zu schwei­gen, brach­ten Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten al-Aja­mis Frei­las­sung sofort mit der wach­sen­den inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit im Vor­feld der Fuß­ball-WM in Ver­bin­dung. Es ist jedoch durch­aus auch plau­si­bel, dass mit der Begna­di­gung der mil­lio­nen­schwe­re „Sheikh Hamad Award“, immer­hin eines der Flagg­schif­fe der inter­na­tio­na­len kata­ri­schen Kul­tur­po­li­tik, geret­tet wer­den sollte.


Zwei Jah­re nach dem Boy­kott­auf­ruf und der anschlie­ßen­den Frei­las­sung al-Aja­mis wur­de Deutsch als Schwer­punkt­spra­che des Sheikh Hamad Awards bestimmt. Die Wahl der Jury fiel neben sechs Über­set­zun­gen aus dem Deut­schen ins Ara­bi­sche (dar­un­ter phi­lo­so­phi­sche Wer­ke von Nietz­sche und Cas­si­rer, aber auch die ara­bi­sche Fas­sung von David Wag­ners Roman Leben) auf zwei Über­set­zun­gen klas­si­scher ara­bi­scher Lite­ra­tur ins Deut­sche: Ste­fan Weid­ners Gesamt­über­set­zung des Gedicht­zy­klus Turǧumān al-Ašwāq (unter dem pas­sen­den deut­schen Titel „Der Über­set­zer der Sehn­süch­te“) und Bere­ni­ke Metz­lers Über­set­zung des Kitāb Fahm al-Qurʾān von Ḥāriṯ b. Asad al-Muḥā­si­bī unter dem Titel „Den Koran ver­ste­hen“. Der bereits oben als Über­set­zer von Nou­ra Faraj erwähn­te Hart­mut Fähn­d­rich erhielt einen Son­der­preis für sein über­set­ze­ri­sches Lebenswerk.

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Fähn­d­rich (hin­te­re Rei­he, ganz rechts) und Weid­ner (hin­te­re Rei­he, Mit­te) bei der Preis­ver­lei­hung des „Sheikh Hamad Awards“ 2018. Vor­ne in der Mit­te Jas­sim und Tha­ni al-Tha­ni, zwei Brü­der des Emirs, als offi­zi­el­le Ver­tre­ter der Regie­rung. © Sheikh Hamad Award 

Die Preis­ver­lei­hung im Doha­er Ritz-Carl­ton-Hotel, die auch auf You­tube im Video fest­ge­hal­ten ist, beschrei­ben sowohl Fähn­d­rich als auch Weid­ner als unper­sön­li­che, bizar­re Ver­an­stal­tung – anstel­le der pri­vat ver­hin­der­ten Bere­ni­ke Metz­ler wur­de einer Platz­hal­te­rin namens Les­lie Tra­mon­ti­ni ihr Preis über­reicht, obwohl Frau Metz­ler Tra­mon­ti­ni nach eige­ner Aus­kunft gar nicht bekannt ist.

Die Wür­di­gung, so beschreibt es Fähn­d­rich am Tele­fon, sei trotz des enorm hohen, in bar aus­ge­zahl­ten Preis­gel­des von 100.000 US-Dol­lar pro Kopf ohne­hin nur ein Neben­schau­platz der Ver­an­stal­tung gewe­sen. Auch und vor allem gehe es dar­um, so Fähn­d­rich, „den Emir ins Ram­pen­licht zu rücken“. Er als Per­son sei aber von einer Jury aus­ge­wählt und für preis­wür­dig befun­den wor­den – der Preis sei eben kei­ne Beloh­nung für will­fäh­ri­ges Über­set­zen oder gar Verhalten.

Das Argu­ment, sein Ver­hal­ten stüt­ze das Regi­ment eines frag­wür­di­gen Herr­schers, las­se er gel­ten. Aber für ihn habe das „kei­ne Rol­le“ gespielt. „Ich kann mich nicht auf den Stand­punkt zurück­zie­hen, bestimm­ten Leu­ten nicht mehr die Hand zu schüt­teln“, so Fähn­d­rich, „denn dann wäre ich out und könn­te mei­nen Beruf nicht mehr aus­üben.“ Sein Lebens­werk sei es, ara­bi­schen Stim­men – ins­be­son­de­re auch unbe­que­men – Gehör im deut­schen Sprach­raum zu ver­schaf­fen, die­sen Stim­men gel­te sei­ne pro­fes­sio­nel­le Loyalität.

Auch Ste­fan Weid­ner teilt per E‑Mail mit, er hal­te die Vor­stel­lung, einen sol­chen Preis zu boy­kot­tie­ren, für eine „Qui­xo­te­rie“. Er selbst als „unbe­kann­ter Über­set­zer“ sei ange­sichts des Mil­li­ar­den-Busi­ness der Sport- und Medi­en­welt dafür nicht der richtige:

Wer das macht, dem wür­de ich mora­li­schen Grö­ßen­wahn vor­wer­fen, außer­dem ein wahn­wit­zi­ges, von Eitel­keit getrie­be­nes Sen­dungs­be­wußt­sein: Der Über­set­zer als Luther, der letz­te Auf­rech­te inmit­ten der sons­ti­gen gesamt­west­li­chen Wer­te­heu­che­lei. Und es hät­te sich ja bei uns noch nicht ein­mal jemand dafür inter­es­siert. Allen­falls die Kon­kur­renz der Qata­ris in Sau­di und UAE hät­te sich gefreut.


Mit ihrem Dilem­ma ste­hen die Preis­trä­ger aus Doha bei­spiel­haft für jeden ein­zel­nen Fuß­ball­spie­ler, ‑funk­tio­när oder ‑fan, den die­ses bei­spiel­los ver­korks­te Tur­nier vor die Wahl zwi­schen Boy­kott und schlech­tes Gewis­sen zu stel­len scheint.

Doch es gibt immer drit­te Wege, und viel­leicht bil­det die Lite­ra­tur einen guten Ein­stiegs­punkt für alle, die sich für die Umstän­de in Katar jen­seits der gro­ßen Poli­tik inter­es­sie­ren und weder der rigo­ro­sen Boy­kott­be­we­gung noch dem Völ­ker­ver­stän­di­gungs-Kitsch der FIFA etwas abge­win­nen können. 

Die bei­den 2018 in Doha prä­mier­ten Bücher von Ste­fan Weid­ner und Bere­ni­ke Metz­ler sind nach wie vor im Buch­han­del erhält­lich und wer sie liest, hat zwar vor­der­grün­dig nichts über Katar, aber dafür gleich so viel über die isla­mi­sche Kul­tur gelernt, dass er mit ande­ren Augen auf die Regi­on schau­en wird. Hart­mut Fähn­d­richs bereits erwähn­te Antho­lo­gie „Klei­ne Fes­tun­gen“ ent­hält nicht nur Nou­ra Fara­js Kurz­ge­schich­te in deut­scher Über­set­zung, son­dern bie­tet auch dar­über hin­aus einen beein­dru­cken­den Rund­um­blick über die gesam­te ara­bisch­spra­chi­ge Welt von Marok­ko bis zum Irak. Und kata­ri­sche Lite­ra­tur in deut­scher oder eng­li­scher Über­set­zung ist zwar nicht leicht zu fin­den, aber durch­aus erhält­lich – unter die­sem Bei­trag fin­det sich eine Literaturliste.

Die dies­jäh­ri­ge Fuß­ball-WM in Katar ist und bleibt ein Tief­punkt des Welt­fuß­balls, ein bizar­res, blut­be­fleck­tes Spek­ta­kel, ein ewi­ges Sym­bol für die Kor­rup­ti­on und Rück­grat­lo­sig­keit einer abge­ho­be­nen Eli­te. Aber da sie nun ein­mal statt­fin­det, soll­te von der gigan­ti­schen welt­wei­ten Auf­merk­sam­keit, die die­sem win­zi­gen Fleck Erde plötz­lich zuteil wird, ein klein wenig auch für die Lite­ra­tur die­ser Regi­on abfal­len, die viel rei­cher ist als wir es hier­zu­lan­de wahrnehmen.


Zum Wei­ter­le­sen

Al-Aja­mi, Moham­med: Jas­min­ge­dicht. In: all­men­de – Zeit­schrift für Lite­ra­tur 95/2015. S. 56–60. Aus dem Ara­bi­schen von Mah­moud Hassan­ein und Hans Thill. http://www.mitteldeutscherverlag.de/zeitschriften/allmende/allmende-zeitschrift‑f%C3%BCr-literatur-95–2015-detail

Al-Mah­moud, Abdu­la­ziz: The Cor­sair. Hamad bin Kha­li­fa Uni­ver­si­ty Press 2013. https://hbkupress.com/en/book/corsair

Fähn­d­rich, Hart­mut (Hrsg.): Klei­ne Fes­tun­gen. Geschich­ten über ara­bi­sche Kin­der und Jugend­li­che. Edi­ti­on Faust 2021. (Ent­hält die Kurz­ge­schich­te „Üble Beschimp­fun­gen“ von Nou­ra Faraj.) https://editionfaust.de/produkt/kleine-festungen/

Faraj, Nou­ra: Rose­wa­ter (Aus­zug). Aus dem Ara­bi­schen ins Eng­li­sche über­setzt von Jona­than Wright. In: Bani­pal – Maga­zi­ne of Modern Arab Lite­ra­tu­re 69. https://www.banipal.co.uk/back_issues/113/issue-69/

Fromm, Nico­las: Katar. Geld, Sand und Spie­le. C.H.Beck 2022. https://www.chbeck.de/fromm-katar/product/33743712

Ibn Ara­bi: Der Über­set­zer der Sehn­süch­te. Aus dem Ara­bi­schen von Ste­fan Weid­ner. Jung und Jung 2016. https://jungundjung.at/der-uebersetzer-der-sehnsuechte/

Metz­ler, Bere­ni­ke: Den Koran ver­ste­hen. Das Kitāb Fahm al-Qurʾān des Ḥāriṯ b. Asad al-Muḥā­si­bī. Dis­kur­se der Ara­bi­stik 22. Haras­so­witz Ver­lag 2016. https://www.harrassowitz-verlag.de/Den_Koran_verstehen/titel_1544.ahtml

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