Wer sich auf die Suche nach einer deutschsprachigen Übersetzung von Virginia Woolfs Meisterwerk To the Lighthouse begibt, scheitert womöglich bereits am Titel. Denn der Roman ist im deutschsprachigen Raum unter zwei Titeln bekannt, die sich ähneln, aber keineswegs gleich sind. Je nachdem, welcher einem geläufiger ist, landet man entweder bei den älteren Übersetzungen, die als Die Fahrt zum Leuchtturm erschienen sind, oder bei den modernen Fassungen mit dem verkürzten und präziseren Titel Zum Leuchtturm.
In dem 2021 erschienen Roman Nevermore, dessen deutschsprachige Übersetzung von Anne Weber den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, jongliert Cécile Wajsbrots Erzählerin mit den verschiedenen Titeln von To The Lighthouse, die der Roman nicht nur im Deutschen, sondern auch im Französischen und Italienischen trägt: Ist es „ein Spaziergang zum Leuchtturm“ (La promenade au phare); „ein Ausflug zum Leuchtturm“ (Gita al faro) oder dann doch besser Die Fahrt zum Leuchtturm? Wajsbrot widmet ihren Roman solch stilistischen Fragen und thematisiert das Für und Wider einer Übersetzung, indem sie Sätze aus dem woolfschen Original in mehreren Varianten ins Französische überträgt und zeigt, wie schier unbegrenzt die Möglichkeiten beim Übersetzen sind. Kein Wunder also, dass ihre Erzählerin zu folgendem Fazit gelangt: „Übersetzung ist eine ungenaue Wissenschaft, ein immer neu nicht zum Scheitern, aber zur Unvollkommenheit verdammter Versuch“ (Ü: Anne Weber).
Neuübersetzungen sind im Prinzip nichts weiter als ein erneuter, „verdammter“ Versuch der Übertragung. Unvollkommen ist keine Übersetzung, im Idealfall eröffnet eine Neuübersetzung schlicht neue Interpretationsmöglichkeiten des Textes. Oder wie Alexandra Berlina auf Babelwerk schreibt: „Jede Übersetzung sollte etwas liefern, was die andere(n) Übersetzung(en) nicht haben.“
Obwohl To The Lighthouse als Virginia Woolfs Meisterwerk gilt, ist die Anzahl der deutschsprachigen Übersetzungen bislang überschaubar, vor allem im Vergleich mit Woolfs anderen Romanen wie Mrs. Dalloway oder Orlando. Es existieren lediglich zwei ältere Übersetzungen durch Karl Lerbs und das Übersetzerehepaar Herberth und Marlys Herlitschka sowie eine neuere Übersetzung durch Karin Kersten und die vor wenigen Wochen erschienene Übertragung durch Antje Rávik Strubel, die auch Joan Didion und Lucia Berlin übersetzt hat:
Virginia Woolf: Zum Leuchtturm, übersetzt von Antje Rávik Strubel (2022; Verlag: Anaconda)
Virginia Woolf: Zum Leuchtturm, übersetzt von Karin Kersten (1993; Verlag: Fischer)
Virginia Woolf: Die Fahrt zum Leuchtturm, übersetzt von Herberth Herlitschka und Marlys Herlitschka (1956; Verlag: Fischer)
Virginia Woolf: Die Fahrt zum Leuchtturm, übersetzt von Karl Lerbs (1931; Verlag: Insel)
Die Erstübersetzung durch Karl Lerbs für den Insel-Verlag erschien bereits 1931, nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Romans. Lerbs war ein recht bekannter Schriftsteller und Dramaturg, der in der Bremer Kulturszene aktiv war und während des Kriegs ins Allgäu flüchtete. Neben Virginia Woolf, deren Roman Orlando Lerbs ebenfalls ins Deutsche brachte, übersetzte er auch Texte von D. H. Lawrence und Herman Melville. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs machten Lerbs die Folgen des Krieges schwer zu schaffen und auch seine Mitarbeit bei der Nationalsozialistischen Parteikorrespondenz warf Fragen auf. Mehrmals kam es zu Verhaftungen; er nahm sich 1946 schließlich das Leben.
In den 1950er und ‑60er-Jahren nahm sich das Übersetzerehepaar Herberth und Marlys Herlitschka der Übertragung von Woolfs-Romanen für den Fischer-Verlag an. Die Herlitschkas hatten Österreich 1938 verlassen und waren nach England geflohen. Dort vertieften sie ihre Kontakte zu englischsprachigen Autor:innen, die sie bereits vor Kriegsbeginn in Wien übersetzt hatten. Nach Kriegsende widmeten sie sich weiter der Übersetzung von Werken des angloamerikanischen Modernismus. 1955 erschien zunächst ihre Übersetzung von Mrs. Dalloway; bald darauf folgten Übersetzungen von Die Wellen, Die Fahrt zum Leuchtturm und Orlando. Die Herlitschka-Übersetzungen wurden regelmäßig neu aufgelegt, bis Ende der 1980er-Jahre Klaus Reichert die Virginia-Woolf-Romane (neben anderen Woolf-Texten) für Fischer neu herausgab und sie neu übersetzen ließ – u. a. durch Karin Kersten, die auch Die Fahrt hinaus (1989) und Flush (1993) übertragen hat.
Bei der Besprechung der Mrs.-Dalloway-Übersetzungen hatte ich aufgrund der Vielzahl an Übertragungen die älteren Fassungen nicht berücksichtigt. Hier bietet es sich nun an, auch einen Blick in die Erstübersetzung durch Karl Lerbs und die Nachkriegsübersetzung von Herberth und Marlys Herlitschka zu werfen. Zum einen sind diese Übersetzungen noch im Umlauf, Lerbs Fassung ist auf Gutenberg sowie im Hofenberg-Verlag erhältlich und die Herlitschka-Übersetzung ist in den meisten Antiquariaten auffindbar. Zum anderen haben diese Übersetzer auch andere Woolf-Romane übertragen und die Rezeption ihres Werkes beeinflusst.
Da Virginia Woolf bereits zu Lebzeiten bekannt und erfolgreich war, wurden die Übersetzungsrechte für ihre bis dato erschienenen Romane bereits Ende der 1920er-Jahre ins europäische Ausland verkauft, und auch in Deutschland wurde ihr Werk fleißig übersetzt. Woolf soll aber insgesamt recht wenig Interesse an den Übersetzungen ihrer Bücher gehabt haben; sie äußerte sich kritisch, dass Übersetzungen dem Original oft nicht gerecht würden. Andererseits war sie, obgleich sie mehrere Sprachen lernte und zu beherrschen wusste, oftmals selbst auf Übersetzungen, beispielsweise antiker Texte, angewiesen. Zudem übersetzte Woolf auch Texte aus dem Russischen für ihren Verlag The Hogarth Press und zu Übungszwecken Texte aus dem Altgriechischen. Das Schreiben hatte für sie jedoch klaren Vorrang.
To The Lighthouse, Woolfs dritter Roman, wird oftmals als hochgradig autobiografisch gewertet; eine Lesart, der Virginia Woolf wenig entgegenzusetzen hatte und die ihre akribisch geführten Tagebücher bestätigen. Im Mittelpunkt des Romans steht das Ehepaar Ramsay, dem einige Charakteristika von Woolfs Eltern mitgegeben wurden. Mr. Ramsay ist, ähnlich wie Woolfs Vater Leslie Stephen, ein intellektueller Akademiker, der mit seinen insgesamt acht Kindern wenig anzufangen weiß und sich im Sommerurlaub auf der Isle of Skye eher langweilt. Dreh- und Angelpunkt des Romans ist ohnehin Mrs. Ramsay, bewundert gleichermaßen für ihre Schönheit (darin Woolfs Mutter Julia Stephen ähnelnd) als auch für ihre Sanftmut, die die Familie zusammenhält.
Im ersten Teil des insgesamt dreiteiligen Romans sind sich die Ramsays uneinig, ob eine Fahrt zum Leuchtturm, die sich ihr Sohn James wünscht, möglich ist. Das Wetter ist zu schlecht, sodass der Ausflug zum Leid der Kinder vertagt wird. Stattdessen verbringen die Ramsays den Tag in ihrem Sommerhaus, das sie und ihre Gäste, darunter die Malerin Lily Briscoe und Ramsays Student Charles Tansley, bewohnen. Der zweite Teil handelt vom Vergehen der Zeit – ein Sprung von zehn Jahren erfolgt. Das Sommerhaus wird für die Ankunft der Ramsay-Familie vorbereitet und es stellt sich heraus, dass Mrs. Ramsay und zwei ihrer Kinder inzwischen verstorben sind. Im letzten Teil unternimmt Mr. Ramsay zusammen mit seinen Kindern James und Cam schließlich die Fahrt zum Leuchtturm.
Veröffentlicht wurde der Roman im Jahr 1927, gute zwei Jahre nach Mrs. Dalloway, ihrem ersten größeren Erfolg. Der Roman verkaufte sich nicht nur gut, sondern bot der Autorin eine bereichernde Schreiberfahrung. Woolf erfreute sich an der Poetik der eigenen Sprache und dem intensiven Arbeitsprozess. Der Roman sei mit Sicherheit ihr bester, wird sie gern auf Verlagsseiten zitiert – und auch moderne Kritiker:innen scheinen dieser Einschätzung weitestgehend zuzustimmen. To The Lighthouse ist jedoch keine Lektüre, die sich bei einmaligem Lesen leicht erschließt. Es gibt die für Woolf typischen Perspektivwechsel, stetige Wechsel in die erlebte Rede sowie komplexe, sehr rhythmische und elegante Satzstrukturen. Der Übersetzer Karl Lerbs kämpfte sich durch den Text und schrieb in einem Brief: „Die Stilformung des Buches ist unendlich heikel. Das schattierungsreichste Englisch, das ich kenne, ein Schwelgen in Halbtönen und Zwischenwerten“. Kein Wunder, dass bei einem solchen Ausgangstext eine Rückversicherung notwendig war: „Wie liest sich mein Text?“, fragte er weiter.
Wie lesen sich also die Übersetzungen von To The Lighthouse? In dem folgenden Textbeispiel werden einige Unterschiede zwischen den einzelnen Übersetzungen deutlich. Aus der Perspektive von Mrs. Ramsay wird hier die Beziehung des Ehepaars genauer charakterisiert:
Auffällig ist hier bereits am Anfang des Satzes die Freiheit, die sich Karl Lerbs bei der Wortstellung nimmt. Während alle anderen dem englischen Satzbau folgen und den für Woolf typischen Einschub („this phrase-making“) beibehalten, integriert er „dies Gerede“ in den Satz und macht Mrs. Ramsay zum Subjekt, was die Aussage verstärkt.
Eine ganz ähnliche Strategie verfolgt Lerbs auch am Ende des zweiten Satzes, wo er die Nebensätze vertauscht. In dem Satz erfolgt ein angedeuteter Perspektivwechsel: Mrs. Ramsay stellt sich hier die Gedanken ihres Ehemanns vor, dem seine Bücher wichtiger sind als die Familie. Lerbs interpretiert also durchaus logisch, dass dieser Satz, gedacht von Mr. Ramsay, mit dem Verweis auf die Qualität der Bücher enden müsste. Im Original tut er das jedoch nicht – weil Mrs. Ramsay lediglich „ahnt“, was er denkt. Was er tatsächlich denkt, bleibt offen. In Lerbs Übersetzung sind solche minimalen Abweichungen typisch. Dennoch weicht auch er nie radikal vom Satzbau des Originals ab, sodass Leser:innen auch in seiner Übersetzung durchaus einen Eindruck des woolfschen Stils erhalten.
Ebenfalls interpretatorisch streitbar ist der von den Herlitschkas übersetzte Halbsatz „wenn er nicht verheiratet wäre“, der von den anderen Übersetzungen abweicht und den ehelichen Konflikt in die Gegenwart transportiert. Die Vergangenheitsform, die von allen anderen Übersetzerinnen verwendet wird, drückt die rückblickende Reue aus, das „wäre“ der Herlitschkas jedoch einen gegenwärtigen Wunsch. Damit verstärken sie den Eindruck, dass Mr. Ramsay in der Ehe nicht nur in der Vergangenheit möglicherweise unglücklich war, sondern es noch immer ist, was der Roman insgesamt suggeriert. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob diese Einschätzung der Sicht von Mrs. Ramsay, aus deren Perspektive hier erzählt wird, entspricht.
Auch Unterschiede in der Ausdrucksform stechen in diesem kurzen Auszug hervor. Das „Phrasenmachen“ („phrase-making“) der Herlitschkas ist beispielsweise sehr wörtlich übertragen. Unübersehbar sind aber auch die unterschiedlichen Übersetzungen von „guessed“ als entweder „ahnen“ oder „erraten“. Letzteres suggeriert die Treffsicherheit von Mrs. Ramsays Urteil, ersteres eine Einschätzung basierend auf einem vagen Gefühl – zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen. Auch die Übersetzungen von „in a matter-of-fact way“ sind interessant. Lerbs wie auch Rávik Strubel entscheiden sich für Präzision, indem sie das Adverb „nüchtern“ die Rede charakterisieren lassen, ohne einen Einschub vorzunehmen. Vor allem in Rávik Strubels Fall sicherlich eine elegante Lösung, da es bereits mit „dies Gerede“ einen Einschub in dem Satz gibt, obgleich hier eine Loslösung vom Satzbau des Originals stattfindet. Ist das an dieser konkreten Stelle ein Verlust? Wohl kaum.
Dass zwischen den einzelnen Übersetzungen mehrere Jahrzehnte liegen, wird tatsächlich oftmals durch die Wortwahl am deutlichsten. Antje Rávik Strubel setzt einige Akzente, die ihre Übersetzung merklich moderner erscheinen lassen, wie in dem folgenden Beispiel. Hier denkt Mrs. Ramsay über ihre Tochter nach:
Während das englische „tomboy“ als Begriff kaum gealtert ist, sind die deutschen Übersetzungen wie „Gassenbube“ oder „Range“, wie sie bei Lerbs oder den Herlitschkas auftreten, sehr altmodisch. Karin Kerstens Übersetzung aus den 90er Jahren verwendet mit „Wildfang“ die wohl gängigste, obgleich ebenfalls etwas steife deutsche Entsprechung. Im Gegensatz dazu entschied sich Rávik Strubel „tomboy“ stehenzulassen – eine interessante, wenn auch fragwürdige Entscheidung. Interessant, weil sich der Begriff „tomboy“ (nicht zuletzt dank der Gender Studies) immer mehr im Deutschen durchsetzt und vor allem jüngere Leser:innen wenig Probleme haben dürften, das Wort einzuordnen. Fragwürdig ist aber dennoch, inwieweit das Wort nicht nur zum Text passt, sondern auch zu der deutschsprachigen Version von Mrs. Ramsay. Eine englischsprachige Mrs. Ramsay würde den Begriff „tomboy“, der bereits seit Hunderten von Jahren im Englischen existiert, sicher benutzen. Dass aber eine deutschsprachige Mrs Ramsay, über sechzig Jahre alt und wenig progressiv, ihre Tochter so bezeichnen würde, ist unwahrscheinlich.
An anderen Stellen ist Rávik Strubels Wortwahl inhaltlich schlüssiger. Die „rather untidy boys“ werden bei ihr zu den „eher unordentlichen Jungen“, die beispielsweise bei den Herlitschkas als “recht schlampige Knaben“ auftauchen. Auch Karin Kersten hatte mit ihren „ziemlich unordentlich aussehenden Jungen“ bereits an dieser Stelle eine klare Modernisierung vorgenommen. Ein weiteres Beispiel, auch die Charakterisierung betreffend, ist die Übertragung von „ablest fellow in Balliol“ (gemeint ist hier das Balliol College der Universität Oxford). In Rávik Strubels salopper Übersetzung ist dort vom „fähigste[n] Typ am Balliol“ die Rede, bei den Herlitschkas handelt es sich um den „begabteste[n] Bursche[n] im Balliol College“.
Schauen wir uns noch ein etwas längeres Beispiel an. Mr. Bankes, ein Freund von Mr. Ramsay, denkt hier über Mrs. Ramsay nach und charakterisiert sie wie folgt:
Auffallend ist auch hier wieder die Modernität Rávik Strubels und Kerstens vor allem im direkten Vergleich mit der Herlitschka-Übersetzung. Die Herlitschkas hatten Mrs. Ramsay offenbar stärker als andere Übersetzungen als olive-grün gekleidete Britin mit entsprechendem „Jägerhut“ und “Galoschen” gedacht, die bei Rávik Strubel zu simplen „Gummischuhen“ werden. Klanglich treten in der Herlitschka-Übersetzung im ersten Satz zudem die Verben hervor. Mrs. Ramsay „rammt“ sich den Hut über den Kopf und „entreißt“ eins der Kinder einem Unfall.
Diese Tendenz zur Übertreibung (oder auch zu allzu wörtlichen Übertragungen wie beispielsweise „ein kurzes Bändchen Zeit“ für „a little strip of time“) kennzeichnet die Übersetzung der Herlitschkas. Während Rávik Strubel „[he] was an awful prig“ schlicht als „schreckliche[n] Streber“ übersetzt, schreiben die Herlitschkas, dass er ein „entsetzlicher pedantischer Tugendbold“ war. Und in ihrer Fassung wird aus dem ohnehin schon recht unheimlichen „birds dashed against the lamp“ das gruselige „wenn dann […] Vögel sich die Köpfe an der Laterne zerschmettern“. Vielleicht hatte man Angst, die Leser:innen würden sich sonst langweiligen bei einem Roman, der ohne nennenswerten Plot auskommt. Die neueren Übersetzungen haben an solchen Stellen einen fast schon lapidaren Tonfall, der durchaus zum Original passt – denn Woolf hatte zwar einen stark ausgeprägten Sinn für Stil, aber keinen Hang zur Dramatik.
Dass Rávik Strubel hingegen die Modernisierung keineswegs durchgängig umsetzt, wird ebenfalls in diesem kurzen Absatz gezeigt. Dort findet sich zum Beispiel die erstaunlich umständliche Formulierung „sich des Königlichen an ihrer Gestalt zu entledigen“, die Lerbs sehr viel ältere Übersetzung völlig frei als „ihre erhabene Schönheit abzulegen“ interpretiert. Zudem ist ihre Übersetzung mit „Hang zur Idiosynkrasie“ und dem recht originaltextnahen Satzbau kaum zugänglicher als die anderen Übertragungen. Interessant ist hier auch die Übersetzung von Karin Kersten, die den „Hang zur Idosynkrasie“ als „verrückt“ charakterisiert, sicherlich um das englische „freak“ anklingen zu lassen. Merkwürdig ist das „sie“, das durch den Einschub „was Männer von der Schönheit sagten“ von seinem Teilsatz getrennt wurde und direkt wiederholt wird. Vermutlich ist das die Gefahr, der man als Woolf-Übersetzerin ausgesetzt ist: Man gewöhnt sich so sehr an Einschübe, dass man sie auch dort einfügt, wo sie nicht sein müssten.
Rhythmisch besticht vor allem die Übersetzung von Antje Rávik Strubel kaum – im Gegenteil. Ihre Übersetzung ist an einigen Stellen äußerst unmusikalisch, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre, den Rhythmus des Originals auch im Deutschen stärker nachzuahmen. In dem folgenden Beispiel fühlt sich Lily Briscoe, die auch im letzten Teil bei den Ramsays zu Gast ist, von Mr. Ramsay, dessen Frau inzwischen verstorben ist, bedrängt:
Der Inhalt wird an dieser Stelle gezielt durch die Sprache intensiviert. Dafür sorgen vor allem die Wortwiederholungen und die repetitive Satzstruktur, die Lilis Gefühl der Bedrängnis und die Penetranz vonseiten Mr. Ramsays verstärken. Solche für Woolf typischen Wiederholungen sind das dreimalige „Let him“, das Lerbs mit „mochte er“ sehr anschaulich nachahmt. Auch die Herlitschkas haben versucht, mit der Wiederholung von „nicht einmal“ diese woolfsche Strategie zumindest anzudeuten.
Der erste Satz dieses Absatzes endet zudem mit einem weiteren Klimax, der im Englischen präzise und eingängig ist (auch wegen der p‑Konsonanten): „he permeated, he prevailed, he imposed himself“. Kerstens stakkatohaftes und verkürztes „er durchdrang, er bestimmte, er dominierte“ ahmt hier Woolfs Sprache wunderbar effizient nach. Auch Lerbs orientiert sich hier wieder recht eng an Woolfs Vorgaben, und auch wenn es bei ihm ein Wort zu viel gibt, ahmt er dennoch offensichtlich das Original nach. Im Vergleich dazu wirkt Rávik Strubels „drang er durch, bestimmte, drängte sich auf“ recht unbeholfen. Der Versuch einer Wiederholung wird durch „drang“ und „drängte“ zwar unternommen, aber die Struktur ist so unsauber und wirkt letztlich auch nur bedingt wie eine bewusste Wiederholung, dass der Effekt des Originals kaum ins Deutsche gerettet wird. Rávik Strubel setzt ab „she could“ zwar auch mit Wiederholungen ein, doch ihre Übersetzung hat klanglich insgesamt wenig zu bieten.
Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist die Übersetzung des folgenden Satzteils, der beschreibt, wie langweilig das Leben in einem Leuchtturm sein muss.
Auch hier wird durch Ähnlichkeiten im Klang der Gedanke illustriert, wie repetitiv das Leuchtturmwärterdasein wohl ist. In Rávik Strubels Übersetzung ist davon nur bedingt etwas zu spüren, zumal sie hier als einzige auch auf eine Nebensatzkonstruktion ausweicht, die kaum notwendig und in einem Roman, der ohnehin viel mit Nebensätzen arbeitet, wenig sinnvoll ist. Am elegantesten ist auch hier wieder die Lösung von Karin Kersten, die durch die nah beieinander platzierten Ws und die Wiederholung von e‑Lauten in den Verben ihr Gespür für Rhythmus unter Beweis stellt.
Andere Beispiele für den geglätteten Rhythmus in der Rávik-Strubel-Übersetzung sind Sätze wie „Es war immer richtig. Zu etwas Unwahrem war er nicht fähig […]“ – im Original ein wunderbares Wortspiel, das andere Übersetzer:innen auch so nachahmen, weil die deutsche Sprache dies mit den Wörtern „wahr“ bzw. „unwahr“ durchaus möglich hergibt: „What he said was true. It was always true. He was incapable of untruth“. Auch der schöne Relativsatz „which no woman could fail to feel or to find agreeable“ wird in der Übersetzung von Rávik Strubel nicht schlecht, aber doch stumpf mit „die jede Frau unweigerlich spürte oder als angenehm empfand“ übersetzt, was den Bedeutungsunterschied von „to feel“ und „to find“ nicht ganz einfängt. Kersten, die solche Nuancen kaum übergeht, macht daraus beispielsweise: „die eine Frau unweigerlich als angenehm empfinden oder angenehm finden mußte“.
Welche Übersetzung von To The Lighthouse soll man nun lesen? Nicht besonders gut gealtert und daher nur bedingt empfehlenswert, ist die Übersetzung der Herlitschkas, die phasenweise altmodisch und mitunter sehr aufgesetzt wirkt. Wer also in Antiquariaten nach Übersetzungen schaut, hält sich am besten an Karl Lerbs’ Übertragung. Dessen Übersetzung ist zwar an manchen Stellen freier, aber auch interessanter und melodischer. Wem die stilistischen Spielereien einer Virginia Woolf manchmal zu viel sind, mag sich an der geradlinigen, sich aufs Wesentliche konzentrierende Übersetzung durch Antje Rávik Strubel erfreuen. Aber man sei gewarnt – trotz einiger Modernisierungsversuche macht ihre Übersetzung den Roman nicht zwangsläufig zugänglicher. Rávik Strubel orientiert sich weitestgehend eng an der Vorlage, aber es fehlt der Übersetzung an klanglichem Flair und rhythmischer Genauigkeit, die Woolfs Romane im Englischen ausmachen. Besonders in dieser Hinsicht ist die Übersetzung von Karin Kersten, die im Vergleich keineswegs weniger modern ist, deutlich überlegen.