In der Rubrik „Meisterwerk“ stellen Gastautorinnen und Gastautoren ihre Lieblingsübersetzung vor. Alle Beiträge der Reihe sind hier nachzulesen.
Es gibt das Ich, es gibt H, es gibt Promethea: Drei Frauen, die abwechselnd das Buch übernehmen, sie reden über Promethea, dann über H, dann über das Ich.
Es gibt keine Ordnung, es gibt keine Handlung, es gibt keinen Anfang: Der Text lebt in Dissonanzen.
Hélène Cixous hat sich von sich selbst entfremdet, um sich im gleichen Moment umarmen zu können. Der Text ist ein Bericht, ein Geständnis, ein Protokoll: eine Hymne an Promethea, an die Erschafferin. Sie ist es gewesen, die den Text geformt hat, aus dem das Ich entsteht.
(Viele Adjektive fallen mir ins Auge, ich fange an den Text zu lektorieren, schwärze mit einem Kugelschreiber alle Wörter und Sätze, die mir missfallen. Der Text fällt neu zusammen, die schwarzen Balken halten den neuen Sinn).
Es sei ist der erste Satz, der den Haupttext einleitet. Fragmentarisch geschrieben, ohne fragmentarisch zu wirken.
Dem Haupttext ist ein Geständnis vorangestellt, nämlich: Ich habe etwas Angst um dieses Buch. (Der Satz könnte auch lauten: Ich habe et Angst um dieses Buch.) Jede Schriftstellerin kann diesen Satz so nachempfinden. Die Angst um Bücher, die etwas Neues einleiten, betreut einige Schreibende, weil ihre Texte beispiellos und damit schutzlos dastehen.
Das Buch von Promethea genießt heute den Schutz eines großen Namens, den Schutz der Postmoderne, obwohl avantgardistischen Texten immer noch mit Ablehnung begegnet wird. An Ablehnung darf nicht gedacht werden, wenn man dabei ist, dem Schreiben das Schreiben zu überlassen, über die Gier zu schreiben und die Befriedigung, Sätze zu vollenden. Cixous fasst die Sprache hart an, beschreibt sie als Stute, als wilden Ritt, darüber, wie die Sprache einen nimmt und wieder abstößt, sie zu bändigen, widerspricht ihrer Natur, die Bändigung der Sprache ist ein Widerspruch, weil Sprache nicht besessen werden kann. Jeder Versuch, Sprache zu besitzen, scheitert, weil sie beim Einfangen deformiert wird. Wie kann man die Deformation mitübersetzen? Karin Rick folgt Cixous bei all ihren „gefährlichen Kunststücken“ – auch wenn dies bedeutet sich „alle Seelen zu brechen“. Die Idee, dass Sprache nur ein Werkzeug für unsere Kommunikation ist, ist so oberflächlich, wie die Idee, immer einen Vergleich zu ziehen.
Immer wieder befindet sich eine der Figuren in Ekstase, um einen Absatz später, auf metaphysischer Ebene, Scham zu empfinden über die eigene Prosa. Es ist – auch – ein Buch über das Scheitern der Sätze, durchzogen von kitschigen Adjektiven wie „sternenübersäte Nacht“, „wohlgeordnete Schubladen“, „schöne und süße Stuten“; der Übersetzerin Karin Rick blieb nichts anderes übrig als auch den wohlgeordneten, sternenübersäten Kitsch mitzuübersetzen, den Cixous provoziert. Sie ist nicht nur getrieben von dem Drang, Lyrik in Prosa zu übersetzen, sondern mit vereinten Kehlen ihrer Frauenfiguren einen großen hymnischen Lustschrei auszustoßen, um in das Leder dieser alten, verhornten Sprache ein Loch zu schlagen. Denn: ‚Ich bin eine Frau.‘ Wann? So oft wie möglich und notwendig.
Wenn es zum Beispiel darum geht, ein Buch wie ein Pfeil in die Welt zu schießen, sollte auf dem Schaft der Satz stehen: ‚Ich komme von einer Frau.‘ Wie sieht ein Schreiben aus, das die Weiblichkeit als Ursprung hat? Ich weiß es nicht.
Es passieren andere seltsame Dinge: Jede Seite, die ich schreibe, könnte die erste Seite des Buches sein. Jede Seite ist g im Recht, die erste Seite zu sein. Wie ist das möglich? Das liegt daran, daß dieses Buch sich in den Tag hinein schreibt, und jeder Tag ist der wichtigste, der der gerade abläuft. Ich brauche für jeden Tag die ganze Zeit. Weil wir in der Ewigkeit sind. … Dieses Buch ist eine Ansammlung von ersten Seiten.
Das Schreiben ist – wollte man es degradieren – auch eine Übersetzung der Vorstellung, eine Nachtgestalt von dem, was Sprache kann.
Dieses Buch müsste in viele Sprachen übersetzt werden – mit all seinen Fehlern und Verletzungen, seinen seltenen Sätzen versteckt zwischen schiefen Bildern und haltlosen Übertreibungen.
Das Drama der Übersetzung quält mich. Sich selbst übersetzen, ist bereits ein Drama – das Leben durch Worte hindurchgehen zu lassen, heißt manchmal fast, ‚es durch Waffen hindurchschicken‘, will ich damit sagen. Es hinrichten also, es verewigen, einbalsamieren n. Und jemand anderen übersetzen, verlangt den äußersten Stolz oder die größte Demut.
Mit der Übersetzung von Karin Rick fallen wir auf ihre Sprache, es gibt keine Anmerkungen, um eventuelle sprachliche Verluste vom Französischen ins Deutsche zu erklären wie zum Beispiel bei Cixous’ „Meine Homère ist tot“, von Claudia Simma für den Passagen Verlag übersetzt. Das Französische ist voller Doppeldeutigkeiten, sowohl in der Phonetik als auch in der Schrift. Das vermisse ich bei diesem Buch.
Warum habe ich mich entschieden, über dieses Buch zu schreiben – wenn es von mir nur mit geschlossenen Augen gelesen werden kann. Ich wusste nur, dass in diesem Buch die lineare Handlung nicht existiert – keine Handlung existiert. Ein banaler Grund, aber er reichte mir.
Es gibt Worte, die verpflichten. (. Wenn man gelogen hat, werden .. die Wörter zu Asche, und man fällt ins Nichts, .. Wer lügt und versucht, sie zu verwenden, wird sich das Genick brechen. :.. Ich suche nach diesen Worten, die verpflichten, aber alles, was ich vorfinde, ist Asche.
Das Buch von Promethea ist ein Romantagebuch, ein Schriftsteller*innenbuch, die Gedanken darin ausformuliert, kamen mir beim Nachdenken über meinen dritten Roman, so kehren Sätze in einer anderen Form zu mir zurück, die von Cixous stammen.
.. was Schreiben bedeutet: eine Gratwanderung auf der schwindelerregenden Stille, und währenddessen setzt man ein Wort nach dem anderen auf der Leere auf. Schreiben ist .. wie der Flug eines Vogels, der keine Flügel hat, sich trotzdem emporhebt, und die Flügel kommen erst mit dem Fliegen. .. Weil Schreiben bedeutet, daß man mit einer dämonischen Sicherheit arbeitet, allein, zerbrechlich, und trotzdem mit einem absoluten Vertrauen.
Es gibt darin auch Sätze, an die ich gerne gedacht und die ich gerne aufgeschrieben hätte, als wäre ich Promethea:
Man kann sich umbringen, wenn man nur in der Höhe eines dritten Stockwerks träumt.//
Wenn ich gewußt hätte, daß wir diesen Tag vor fünftausend Jahren in Mesopotamien verbrachten.//
Es ist, als lebten wir am Rand des Abgrundes g. Wir schlafen dort ein .. Genau dort träumt eine von der Hölle und die andere vom Paradies, ich könnte fallen, du könntest fallen.
Das Buch ist ein Liebesbrief an die absolute Fiktivität einer Figur und der Fiktionalität eines Textes. Selbst, wenn Körperstücke herausgerissen werden müssen. Denn ich kann dir nur das geben, was ich aus mir nehme.
Wie aufregend es ist, an einen Menschen zu denken, als gäbe es ihn. Wie an eine Freundin. Ich sehe eine Stimme gehen, durch eine dunkle Stadt, die Straßenlaternen ausgeschaltet. Wenn keine Stimme zu mir kommt, dann ist sie schon bei mir, dann schreibe ich mit meiner Stimme.
Man müßte .. schreiben können, mit verstörten Augen .. mit der Verstörtheit der Blicke, mit der Haut der Hände.