Karosh Taha preist Karin Rick

Dass man sich in Hélène Cixous’ „Das Buch der Promethea“ vollends vertiefen kann, zeigt unsere Gastautorin Karosh Taha an ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Karin Ricks Übersetzung. Von

Eine Buchseite, auf der einige Worte geschwärzt sind
Karosh Tahas Bearbeitung von "Das Buch der Promethea", (c) Karosh Taha

In der Rubrik „Meis­ter­werk“ stel­len Gast­au­torin­nen und Gast­au­toren ihre Lieb­lings­über­set­zung vor. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier nachzulesen.


Es gibt das Ich, es gibt H, es gibt Pro­me­thea: Drei Frau­en, die abwech­selnd das Buch über­neh­men, sie reden über Pro­me­thea, dann über H, dann über das Ich.
Es gibt kei­ne Ord­nung, es gibt kei­ne Hand­lung, es gibt kei­nen Anfang: Der Text lebt in Dis­so­nan­zen.
Hélè­ne Cixous hat sich von sich selbst ent­frem­det, um sich im glei­chen Moment umar­men zu kön­nen. Der Text ist ein Bericht, ein Geständ­nis, ein Pro­to­koll: eine Hym­ne an Pro­me­thea, an die Erschaf­fe­rin. Sie ist es gewe­sen, die den Text geformt hat, aus dem das Ich entsteht.

(Vie­le Adjek­ti­ve fal­len mir ins Auge, ich fan­ge an den Text zu lek­to­rie­ren, schwär­ze mit einem Kugel­schrei­ber alle Wör­ter und Sät­ze, die mir miss­fal­len. Der Text fällt neu zusam­men, die schwar­zen Bal­ken hal­ten den neu­en Sinn).

Es sei ist der ers­te Satz, der den Haupt­text ein­lei­tet. Frag­men­ta­risch geschrie­ben, ohne frag­men­ta­risch zu wir­ken.
Dem Haupt­text ist ein Geständ­nis vor­an­ge­stellt, näm­lich: Ich habe etwas Angst um die­ses Buch. (Der Satz könn­te auch lau­ten:  Ich habe et Angst um die­ses Buch.) Jede Schrift­stel­le­rin kann die­sen Satz so nach­emp­fin­den. Die Angst um Bücher, die etwas Neu­es ein­lei­ten, betreut eini­ge Schrei­ben­de, weil ihre Tex­te bei­spiel­los und damit schutz­los daste­hen. 
Das Buch von Pro­me­thea genießt heu­te den Schutz eines gro­ßen Namens, den Schutz der Post­mo­der­ne, obwohl avant­gar­dis­ti­schen Tex­ten immer noch mit Ableh­nung begeg­net wird. An Ableh­nung darf nicht gedacht wer­den, wenn man dabei ist, dem Schrei­ben das Schrei­ben zu über­las­sen, über die Gier zu schrei­ben und die Befrie­di­gung, Sät­ze zu voll­enden. Cixous fasst die Spra­che hart an, beschreibt sie als Stu­te, als wil­den Ritt, dar­über, wie die Spra­che einen nimmt und wie­der abstößt, sie zu bän­di­gen, wider­spricht ihrer Natur, die Bän­di­gung der Spra­che ist ein Wider­spruch, weil Spra­che nicht beses­sen wer­den kann. Jeder Ver­such, Spra­che zu besit­zen, schei­tert, weil sie beim Ein­fan­gen defor­miert wird. Wie kann man die Defor­ma­ti­on mit­über­set­zen? Karin Rick folgt Cixous bei all ihren „gefähr­li­chen Kunst­stü­cken“ – auch wenn dies bedeu­tet sich „alle See­len zu bre­chen“. Die Idee, dass Spra­che nur ein Werk­zeug für unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on ist, ist so ober­fläch­lich, wie die Idee, immer einen Ver­gleich zu ziehen.

Immer wie­der befin­det sich eine der Figu­ren in Eksta­se, um einen Absatz spä­ter, auf meta­phy­si­scher Ebe­ne, Scham zu emp­fin­den über die eige­ne Pro­sa. Es ist – auch – ein Buch über das Schei­tern der Sät­ze, durch­zo­gen von kit­schi­gen Adjek­ti­ven  wie „ster­nen­über­sä­te Nacht“, „wohl­ge­ord­ne­te Schub­la­den“, „schö­ne und süße Stu­ten“; der Über­set­ze­rin Karin Rick blieb nichts ande­res übrig als auch den wohl­ge­ord­ne­ten, ster­nen­über­sä­ten Kitsch mit­zu­über­set­zen, den Cixous pro­vo­ziert. Sie ist nicht nur getrie­ben von dem Drang, Lyrik in Pro­sa zu über­set­zen, son­dern mit ver­ein­ten Keh­len ihrer Frau­en­fi­gu­ren einen gro­ßen hym­ni­schen Lust­schrei aus­zu­sto­ßen, um in das Leder die­ser alten, ver­horn­ten Spra­che ein Loch zu schla­gen. Denn: ‚Ich bin eine Frau.‘ Wann? So oft wie mög­lich und not­wen­dig.
Wenn es zum Bei­spiel dar­um geht, ein Buch wie ein Pfeil in die Welt zu schie­ßen, soll­te auf dem Schaft der Satz ste­hen: ‚Ich kom­me von einer Frau.‘ Wie sieht ein Schrei­ben aus, das die Weib­lich­keit als Ursprung hat? Ich weiß es nicht.
Es pas­sie­ren ande­re selt­sa­me Din­ge: Jede Sei­te, die ich schrei­be, könn­te die ers­te Sei­te des Buches sein. Jede Sei­te ist g im Recht, die ers­te Sei­te zu sein. Wie ist das mög­lich? Das liegt dar­an, daß die­ses Buch sich in den Tag hin­ein schreibt, und jeder Tag ist der wich­tigs­te, der der gera­de abläuft. Ich brau­che für jeden Tag die gan­ze Zeit. Weil wir in der Ewig­keit sind. Die­ses Buch ist eine Ansamm­lung von ers­ten Sei­ten.
Das Schrei­ben ist – woll­te man es degra­die­ren – auch eine Über­set­zung der Vor­stel­lung, eine Nacht­ge­stalt von dem, was Spra­che kann.

Die­ses Buch müss­te in vie­le Spra­chen über­setzt wer­den – mit all sei­nen Feh­lern und Ver­let­zun­gen, sei­nen sel­te­nen Sät­zen ver­steckt zwi­schen schie­fen Bil­dern und halt­lo­sen Über­trei­bun­gen. 
Das Dra­ma der Über­set­zung quält mich. Sich selbst über­set­zen, ist bereits ein Dra­ma – das Leben durch Wor­te hin­durch­ge­hen zu las­sen, heißt manch­mal fast, ‚es durch Waf­fen hin­durch­schi­cken‘, will ich damit sagen. Es hin­rich­ten also, es ver­ewi­gen, ein­bal­sa­mie­ren n. Und jemand ande­ren über­set­zen, ver­langt den äußers­ten Stolz oder die größ­te Demut.

Mit der Über­set­zung von Karin Rick fal­len wir auf ihre Spra­che, es gibt kei­ne Anmer­kun­gen, um even­tu­el­le sprach­li­che Ver­lus­te vom Fran­zö­si­schen ins Deut­sche zu erklä­ren wie zum Bei­spiel bei  Cixous’ „Mei­ne Homè­re ist tot“, von Clau­dia Sim­ma für den Pas­sa­gen Ver­lag über­setzt. Das Fran­zö­si­sche ist vol­ler Dop­pel­deu­tig­kei­ten, sowohl in der Pho­ne­tik als auch in der Schrift. Das ver­mis­se ich bei die­sem Buch.

War­um habe ich mich ent­schie­den, über die­ses Buch zu schrei­ben – wenn es von mir nur mit geschlos­se­nen Augen gele­sen wer­den kann. Ich wuss­te nur, dass in die­sem Buch die linea­re Hand­lung nicht exis­tiert – kei­ne Hand­lung exis­tiert. Ein bana­ler Grund, aber er reich­te mir.

Es gibt Wor­te, die ver­pflich­ten. (. Wenn man gelo­gen hat, wer­den .. die Wör­ter zu Asche, und man fällt ins Nichts, .. Wer lügt und ver­sucht, sie zu ver­wen­den, wird sich das Genick bre­chen. :.. Ich suche nach die­sen Wor­ten, die ver­pflich­ten, aber alles, was ich vor­fin­de, ist Asche.
Das Buch von Pro­me­thea ist ein Romant­a­ge­buch, ein Schriftsteller*innenbuch, die Gedan­ken dar­in aus­for­mu­liert, kamen mir beim Nach­den­ken über mei­nen drit­ten Roman, so keh­ren Sät­ze in einer ande­ren Form zu mir zurück, die von Cixous stam­men.
.. was Schrei­ben bedeu­tet: eine Grat­wan­de­rung auf der schwin­del­erre­gen­den Stil­le, und wäh­rend­des­sen setzt man ein Wort nach dem ande­ren auf der Lee­re auf. Schrei­ben ist .. wie der Flug eines Vogels, der kei­ne Flü­gel hat, sich trotz­dem empor­hebt, und die Flü­gel kom­men erst mit dem Flie­gen. .. Weil Schrei­ben bedeu­tet, daß man mit einer dämo­ni­schen Sicher­heit arbei­tet, allein, zer­brech­lich, und trotz­dem mit einem abso­lu­ten Ver­trau­en.
Es gibt dar­in auch Sät­ze, an die ich ger­ne gedacht und die ich ger­ne auf­ge­schrie­ben hät­te, als wäre ich Pro­me­thea:
Man kann sich umbrin­gen, wenn man nur in der Höhe eines drit­ten Stock­werks träumt.//
Wenn ich gewußt hät­te, daß wir die­sen Tag vor fünf­tau­send Jah­ren in Meso­po­ta­mi­en verbrachten.//
Es ist, als leb­ten wir am Rand des Abgrun­des g. Wir schla­fen dort ein .. Genau dort träumt eine von der Höl­le und die ande­re vom Para­dies, ich könn­te fal­len, du könn­test fallen.

Das Buch ist ein Lie­bes­brief an die abso­lu­te Fik­ti­vi­tät einer Figur und der Fik­tio­na­li­tät eines Tex­tes. Selbst, wenn Kör­per­stü­cke her­aus­ge­ris­sen wer­den müs­sen. Denn ich kann dir nur das geben, was ich aus mir neh­me.
Wie auf­re­gend es ist, an einen Men­schen zu den­ken, als gäbe es ihn. Wie an eine Freun­din. Ich sehe eine Stim­me gehen, durch eine dunk­le Stadt, die Stra­ßen­la­ter­nen aus­ge­schal­tet. Wenn kei­ne Stim­me zu mir kommt, dann ist sie schon bei mir, dann schrei­be ich mit mei­ner Stimme.

Man müß­te .. schrei­ben kön­nen, mit ver­stör­ten Augen .. mit der Ver­stört­heit der Bli­cke, mit der Haut der Hände.


Karosh Taha

Karosh Taha wur­de 1987 in Kur­di­stan gebo­ren. Heu­te lebt sie in Köln und Paris. Bis­her erschie­nen von ihr die Roma­ne Beschrei­bung einer Krab­ben­wan­de­rung (2018) und Im Bauch der Köni­gin (2020). Karosh Taha erhielt für ihr Werk bereits zahl­rei­che Sti­pen­di­en und Prei­se, dar­un­ter das Sti­pen­di­um Deut­scher Lite­ra­tur­fonds, den Hohen­em­ser Lite­ra­tur­preis und die Alfred-Döblin-Medaille.



Das Buch von Promethea

Im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal: Le liv­re de Pro­me­thea

Wie­ner Frau­en­ver­lag 1990 ⋅ 408 Sei­ten ⋅ 30 Euro


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