Diese Kritik basiert auf den online verfügbaren Texten der Skram-Gesamtausgabe von 1924, im Falle des Zweifels wurde zusätzlich die Gyldendal-Taschenbuchedition von 1996 herangezogen. Die Auflagen von 1978, 1979 und 1990, die den Übersetzungen von Christel Hildebrandt, Nora Pröfrock und Gabriele Haefs zugrunde liegen, waren dem Rezensenten nicht zugänglich.
Amalie Skrams vierbändiger Roman Hellemyrsfolket gilt als das Hauptwerk des norwegischen Naturalismus. Zwischen 1887 und 1898 veröffentlicht, erzählt die Autorin darin von insgesamt drei Generationen einer Familie aus Nordhordland an der Westküste Norwegens. Im ersten Band, Sjur Gabriel, geht es um das Fischerehepaar Sjur Gabriel und Oline, die mit ihren zahlreichen Kindern vor den Toren der Stadt Bergen im Felsenmoor leben, dem im Titel erwähnten „Hellemyr“. Ihr Auskommen gestaltet sich mehr schlecht als recht. Oline trinkt und wird regelmäßig von ihrem Ehemann verprügelt, der nur eine Freude kennt, nämlich seinen Sohn Klein-Gabriel. Dessen Tod ist die Urkatastrophe der Familie: Sjur Gabriel tut es seiner Frau gleich und beginnt zu trinken.
Jens’ rastloser Sohn Sivert, der im zweiten Roman, Zwei Freunde, auf dem titelgebenden Schiff anheuert und in Jamaika sein Glück als Seemann sucht, gelingt nach seiner Rückkehr nach Norwegen zwar scheinbar ein gesellschaftlicher Aufstieg – er heiratet die Tochter des Gerichtsdieners, wohnt in einem hübsch eingerichteten Häuschen in der Stadt und betreibt ein kleines Geschäft –, aber er ist zeit seines Lebens abhängig von der Gunst des reichen Konsul Smith, dem der Laden gehört, und muss zu allerhand illegalen Tricks greifen, um sein Überleben zu sichern. Auch wenn er, wie der Titel des dritten Buchs andeutet, irgendwann nur noch unter dem Namen „S. G. Myre“ auftritt, kann er seiner Herkunft nicht entfliehen, schon gar nicht, wenn er sich in Unternehmungen stürzt, die seine finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Auch seine Kinder schaffen den sozialen Aufstieg größtenteils nicht.
Die Figuren in Skrams Romanen sind von einem deterministischen Menschenbild geprägt. Wer einmal im Elend lebt, kommt nicht so schnell wieder auf die Beine, und wer einmal reich ist, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit auch bleiben. Das ist für naturalistische Literatur ganz typisch und wirkt mit dem Abstand eines guten Jahrhunderts doch arg überholt, zumal dieser Blick auf die Welt auch noch mit einem zeittypischen Puritanismus verknüpft wird: Wer sich über alle Maßen amüsiert, sich geschlechtlich austobt oder zu intensiv aufs Geld schaut, wird von Gott bestraft. Allerdings nimmt Skram auch zahlreiche Diskurse der heutigen Zeit vorweg. Sie beschreibt intergenerationale, durch Armut ausgelöste Traumata und ihre Folgen, erzählt von Abhängigkeiten, die sich aus wirtschaftlichen Zwängen ergeben, vom Klassismus, der die Beziehungen zwischen Menschen aus verschiedenen Schichten verunmöglicht, von den fatalen Versprechungen der romantischen Liebe und von den Zumutungen der bürgerlichen Ehe, in der die Frau dem Wohlwollen und dem Zorn ihres Mannes bisweilen völlig schutzlos ausgeliefert ist.
Obwohl Skrams Bedeutung für die norwegische Literatur heute unumstritten ist, haben ihr ihre sozialrealistischen Milieuschilderungen nicht nur Bewunderung eingebracht. A. H. Winsnes etwa warf ihr in seiner Norwegischen Literaturgeschichte von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg vor, sie bemühe sich nicht um die literarische Bearbeitung ihres Stoffs. Zwar sei er beeindruckt von dem Mitgefühl, das sie ihren Figuren entgegenbringe, den Text selbst halte er jedoch für kunstlos. Mit anderen Worten, beschuldigt Winsnes Skram, zu gefühlig zu sein, ein fadenscheiniger Vorwurf, der auch heute noch oft zur Diskreditierung von Autorinnen dient. Skrams künstlerische Stärke liegt weniger in wortmächtigen Schilderungen und hochfliegenden philosophischen Spekulationen als in den Dialogen, die sie ihren Figuren in den Mund legt. Skram lässt sie nämlich im Dialekt miteinander sprechen.
Damit geht sie weiter als viele andere norwegische Autor:innen vor oder nach ihr, denn sie schöpft ihre sprachlichen Möglichkeiten vollkommen aus: Sie verwendet nicht nur das Strilemål, die Mundart, die für die Küstenregion rund um ihre Heimat Bergen so typisch ist, sondern auch den Stadtdialekt und das Riksmål, die Sprache der Gebildeten, die auch in der Literatur verwendet wurde. Ausdrücke aus der Landwirtschaft, der Seefahrt und dem Wirtschaftsleben kommen noch dazu. Skrams reichhaltige Sprache ist also aus einer Kultur und Mentalität hervorgegangen, die das Land in und um Bergen bis ins 21. Jahrhundert hinein prägt – und für das deutsche Publikum ihrer Tetralogie zunächst vielleicht einmal gewöhnungsbedürftig ist.
Dass Amalie Skram ihren Dialekt literarisch urbar machte, störte viele Kritiker der damaligen Zeit. Ihr Strilemål stieß weder in der lokalen Presse noch in Dänemark, wo sie ab 1884 lebte, auf sonderliches Verständnis. Die Zeitung Politiken fragte etwa, wieso die Autorin ihre Figuren Dialekt miteinander sprechen ließe, schließlich sei Émile Zola in Die Erde auch ohne ausgekommen. Aber Skram hatte ihren eigenen Willen, sie kombinierte ihre individuelle, grenzübergreifende Sprachgeschichte mit einer sozialrealistischen Poetik. Das Strilemål kannte sie aus ihrer Kindheit, denn ihr Vater kam aus Nordhordland, wo sie als Kind oft den Sommer verbrachte. In ihrem Elternhaus in Bergen wurde vermutlich der Stadtdialekt gesprochen; wie sich die Gebildeten miteinander unterhielten, erfuhr sie in ihrer Schulzeit, als sie Freunde fand, die gesellschaftlich höher standen als sie. Und als sie nach Dänemark zog und sich dort eingelebt hatte, stellte sie fest: „Norwegerin bin ich und bleibe es bis zum Tag meines Todes. Aber eine norwegische Schriftstellerin bin ich nicht. Zur Schriftstellerin haben mich die Dänen gemacht.“
Woher das Wort stril stammt, lässt sich nicht abschließend klären, der Autor Kåre Fasting definiert es in einem Stadt- und Kulturführer so: „Ein ‚Stril‘ ist ein gewitzter und tollkühner Mann, der weiß, in welche Richtung er sich im Ernstfall drehen muss, ganz gleich, ob er sich auf dem Marktplatz der Stadt zwischen den feinen Damen seinen Weg bahnt oder beim Marsteinen-Leuchtturm oder bei Fedje über die schäumenden Brecher schippert.“ Das Territorium dieser Menschen, das der Dichter J. S. Welhaven als „eine eigene Welt“ bezeichnet hat, erstreckt sich laut der Lokalhistorikerin Nanna Ebbing über etwa siebzig Kilometer um Bergen herum. Mittwochs und donnerstags ruderten die Leute in die Stadt, um dort den ganzen Tag lang Fisch und landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen; Sjur Gabriel beginnt mit einer solchen Hafenfahrt. Um diese Strapazen durchzustehen, brauchte man natürlich eine reichhaltige Mahlzeit: Kartoffelklöße mit gesalzenem Hammelfleisch, gelbe Erbsen, Kohlrabimus und knusprig gebratenen Speck. Noch heute stehen in vielen Restaurants Bergens donnerstags Kartoffelklöße auf der Speisekarte; Erlend O. Nødtvedt widmet dieser Tradition in seinem Roman Durch das Westland (2017) eine ganze Szene.
Obwohl die Strile keine unerhebliche Rolle für die Wirtschaft spielten, war das Verhältnis zwischen ihnen und der Stadtbevölkerung eher angespannt. Wegen ihrer Kleidung und ihrer Sprache wurden sie häufig verlacht und mussten auch in der Literatur einiges einstecken. Zwar nimmt auch Skram gängige Stereotype über die ‚Strile‘ auf – Oline etwa ist eine durch und durch bärbeißige Zeitgenossin –, doch sie verspottet sie nie. Stattdessen macht sie ihren Dialekt für ihre sozialrealistische Schilderung literarisch nutzbar. Das geht nicht ohne Mühe vonstatten, wie das Manuskript des ersten Bandeszeigt: In fast jeder Replik finden sich Änderungen. Da Skram die Sprache der ‚Strile‘ nur unzulänglich kannte, brauchte sie vor allem bei den Verbendungen und den Artikeln Hilfe. Die fand sie unter anderem bei dem Lexikographen Hans Ross, der sie bei allen grammatikalischen Problemen unterstützte. „Der Däne versteht sich nämlich auf seine Sprache“, schrieb Ross, „bewegt sich darin wie ein Fisch im Meer; wohingegen wir das Dänische nicht richtig beherrschen, sondern zappelnd in den Pfützen japsen, die nach dem Eintritt der Ebbe am Meeresstrand zurückbleiben“ – und brachte damit nebenbei ein Hauptproblem der norwegischen Literatur auf den Punkt: Sie musste sich stets irgendwo zwischen dem Dänischen und den Volkssprachen einordnen. Und das muss auch ihr Publikum, denn Skrams Dialektrepliken sind immer noch schwer verständlich:
Statt stidl, edl eg flængje Stakkjen din!
Das sagt Sjur Gabriel zu Oline, als sie, im Hafen angekommen, aus dem Boot steigen will, um heimlich eine Flasche Schnaps zu kaufen: Er droht ihr, das Kleid zu zerreißen, wenn sie nicht stehenbleibt. Bereits diese eine Zeile lässt Rückschlüsse auf die typischen Kennzeichen dieses Dialekts zu. Der Doppelkonsonant ll wird oft zu dl (wie in stille und eller), das Personalpronomen jeg heißt – wie in vielen anderen norwegischen Dialekten auch – eg. Dazu noch ein auf den ersten Blick rätselhaftes Wort wie „Stakkjen“, das die Stril-Variante von „skjørtet“ ist.
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie vertrackt die Lektüre der Tetralogie sein kann: Ungewöhnliche grammatikalische Formen stehen neben wenig gebräuchlichen Vokabeln, oft tauchen daneben auch noch entlegene Fachbegriffe aus verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens auf. Aber das ist nicht die einzige Herausforderung, denn Skram gibt auch den charakteristischen Dialekt Bergens wieder. Dass die Einwohner:innen dieser Stadt große Stücke auf ihre Mundart halten, ist in Norwegen kein Geheimnis. Sie wird in allen sozialen Zusammenhängen verwendet, sogar von ranghohen Beamten und Kaufleuten. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Skrams Konsul Smith hin und wieder drauflos bergensert.
Typisch sind ebenfalls die vielen Lehnwörter aus anderen europäischen Sprachen, vor allem aus dem Deutschen, aber auch aus dem Französischen. Die Hanseaten nahmen eine wichtige Stellung im Handelsleben der Stadt ein, was für die sprachliche Entwicklung nicht ohne Folgen blieb. Beispiele für solche Einflüsse sind u. a. Wörter wie „treiskt“ (von mnd. tretzig), das u. a. „beschwerlich“ heißt, und „gesell“, eine Art Vorarbeiter, aber auch der „mossjø“ (von frz. monsieur), der oft als Anrede auftaucht, und auch „malesjøsk“ (von frz. malecieux) für „boshaft“. Spezifische Ausdrücke aus der Bergenser Gossensprache gibt es bei Skram auch noch, etwa den vieldeutigen Ausruf „Kipelam!“, der so viel wie „Schwächling“ bedeutet, und auf ein hilfloses Lämmchen verweist, das in einer Kiepe transportiert wird. Natürlich braucht es auch hier eine gewisse Zeit, ehe man sich an die Schreibweise gewöhnt hat:
No e‘ han daa nødt te holle sig litevette i Skjinne‘, Gu’skjelov
Der störrische Sivert, der hier während seiner Fahrt nach Jamaika aufgefordert wird, sich doch bitte mal zusammenzureißen, bekommt hier einen ganz typischen Satz im Bergen-Dialekt zu hören. Das Verb („er“) wird – wie so oft – auf „e“ verkürzt, das Adverb „til“, das von einer Infinitivkonstruktion gefolgt wird, auf „te“, und dann gibt es noch einen spezifischen Ausdruck, nämlich „litevette“, der so viel heißt wie „ein bisschen“. Ebenso charakteristisch für den Bergenser Dialekt sind Fragepronomen wie „kem“ (für „wer“) oder „ka“ (für „was“) – wie etwa in der folgenden Passage, wo diskutiert wird, wer für den schlechten hygienischen Zustand von Großvater Frimann verantwortlich ist: „Ja kem er det sin Skam? Di‘, saa ikkje ist holde ‘an rein.“ Auffällig sind nicht nur die Fragepronomen, sondern auch der Bastian-Sick-Dativ („wem seine Schuld“), das Personalpronomen „de“, das hier als „di‘“ auftaucht, das für Bergen typische Verb „idest“ („imstande sein“), das Personalpronomen „’an“ („han“) sowie das Relativpronomen „saa“ („som“).
Auch wenn der Bergen-Dialekt noch heute weitverbreitet ist – man hört ihn oft in Serien und den Fernsehnachrichten –, verwendet Skram viele Wörter und Begriffe, die heute nicht mehr gängig sind. Handlungsbeschreibungen allerdings sind leichter verständlich, denn sie sind allesamt im Riksmål verfasst, der norwegischen Schriftsprache, die bis 1929 der Gegenpart der Dialektform Landsmål war. Zu Skrams Zeit war das Riksmål noch sehr nah am Dänischen, wie diese Stelle aus einem Brief zeigt, in dem Fie ihrer Mutter Petra Vernachlässigung vorwirft:
Ransag dit Hjærte og bøj Dig engang sammen i Anger og Selvbekjendelse. Og jeg vil bede Dig om, at Du ikke handler saa ondt mod stakkels, værgeløse Lovise, som Du har handlet mod os andre.
Bis auf wenige Ausnahmen – etwa dem „kj“ in „Selvbekjendelse“, das im Dänischen ohne J geschrieben wird, und den teilweise angepassten Verbendungen („handlet“ anstelle von „handlede“ oder auch „handled“) – entspricht die norwegische Orthographie der dänischen. Auch sind die weichen dänischen Konsonanten b, d und g noch nicht den norwegischen p, t und k gewichen (sodass es zum Beispiel „ransak“ hieße anstatt „ransag“). Wo Sivert seinen Eltern noch in gebrochenem, mit kruden Rechtschreibfehlern durchmischtem Dänisch Seemannsgarn von seiner Reise nach Jamaika spann, hat Fie gelernt, wie sie ihr Anliegen rhetorisch überzeugend darlegen kann. Direkt am Anfang der zitierten Passage steht eine zur Redewendung gewordene Anspielung auf Psalm 139:23, ebenso wiederholt Fie im Laufe ihres Briefes bestimmte Wortkombinationen, um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen. Anders formuliert, ist sie in den gebildeten Ständen der norwegischen Hauptstadt Kristiania (heute Oslo) angekommen.
Wenn die Figuren in Skrams Tetralogie zu sprechen beginnen, weiß das norwegische Publikum also in der Regel sofort, zu welcher Gesellschaftsschicht sie gehören. Die Leute vom Hellemyr überzeugen als sozialrealistische Literatur vor allem deshalb, weil die Autorin so intensiv hinzuhören weiß und, wie Ingard Hauge schon 1946 in einem Artikel für die Zeitschrift Maal og Minne feststellte, die jeweils individuellen Sprachweisen ihrer Protagonist:innen überall einfließen lässt: in Schilderungen des täglichen Lebens, in die im Strilemålund im Bergensdialekt abgefassten Dialogpassagen und in die erlebte Rede, die die Prosa des 19. Jahrhunderts so oft kennzeichnet. Aber je vertrackter der Ausgangstext, desto schwieriger auch seine Übersetzung. Zwar erschienen der erste, der zweite und der vierte Band schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in einer deutschen Fassung – von Marie Kurella bzw. Mathilde Mann –, Skrams Hauptwerk konnte sich hierzulande jedoch nicht durchsetzen. Das wird sich jetzt, über 130 Jahre nach Veröffentlichung des letzten Buches, womöglich ändern, denn der Guggolz Verlag bringt Sjur Gabriel, Zwei Freunde, S. G. Myre und Die nächste Generation in einer gemeinschaftlichen Übersetzung von Christel Hildebrandt, Nora Pröfrock und Gabriele Haefs zeitgleich auf den deutschen Markt.
Die drei Übersetzerinnen mussten sich einer ungemein komplizierten Aufgabe stellen, gab es doch nicht nur einen, sondern sogar zwei Dialekte – Strilemål und Bergensdialekt – zu übertragen, die jeweils in unterschiedlichen historischen Entwicklungsstadien dargestellt werden. Wie Annette Kopetzki in einem Beitrag für Babelwerk darlegt, kommen bei der Verdeutschung von Dialekten alle Probleme des Übersetzens gebündelt zusammen: Redewendungen, Satzbau, Prosodie. Was die Übersetzung von Dialekten anbelangt, gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen, die Kopetzki folgendermaßen auf den Punkt bringt: „Dialekt mit Dialekt zu übersetzen, ist tabu. Dialekt mit Umgangssprache zu übersetzen, ist feige.“ Stattdessen, so führt sie aus, müssten Unterschiede zur Standardsprache gesondert markiert werden, etwa durch „eine Häufung von Modalpartikeln, vorwiegend Präsens, Wegfall des Konjunktivs und der Nebensatzinversion, Dativ statt Genitiv, außerdem kraftvolle Flüche und Redewendungen“ – und Verzerrungen von Begriffen und dergleichen, allerdings immer mit der Frage im Hinterkopf, welche Funktion die Dialektpassage in der Ausgangssprache erfüllt. Kopetzkis Ratschläge scheinen auch die drei Übersetzerinnen beherzigt zu haben, denn in ihrem Nachwort zu Sjur Gabriel schreibt Christel Hildebrandt:
Neben dem Problem, inwieweit die Leserschaft einen ähnlichen Dialekt aus dieser Gegend und dieser Zeit überhaupt noch versteht, stellte sich die große Frage, wie ihn ins Deutsche übersetzen. Einen bestehenden Dialekt aus dem deutschsprachigen Raum zu verwenden, war von vornherein ausgeschlossen, schließlich befinden wir uns in Norwegen und nicht in Sachsen oder Mecklenburg. Außerdem hätte dieser Dialekt dann auch noch zeitlich angepasst werden müssen.
Am Ende habe man sich „auf eine norddeutsch orientierte Sprache“ geeinigt, außerdem auf „bestimmte Marker, die immer wieder auftauchen sollten“. Norddeutsch deshalb, zumal es sinnlos wäre, einen Roman, der am Meer spielt, in die Eifel, ins Schwabenland oder in den Chiemgau zu verlegen. Auf eine der bereits zitierten Passagen bezogen, heißt das, dass Hildebrandt „Statt stidl, edl eg flængje Stakkjen din!“ mit „Bleibste wohl stehn, sonst zerreiß ick din Kleid“ übersetzt. Auffällig ist in der deutschen Version die Form „Bleibste“, in der die zweite Person Singular mit dem Verb „bleiben“ zusammengezogen wird, das höchstens mündlich verwendete Personalpronomen „ick“ (eine Wiedergabe des ebenfalls mündlichen „eg“) und das Possessivpronomen „din“, eine norddeutsch tönende Variante von „dein“.
Noch norddeutscher wird es einige Zeilen später, wenn Sjur Gabriel Oline fragt: „Wat haste in din Büttel?“ („Ka heve Du i Bylten din?“) – ein zweifellos erfundenes Wort für „Beutel“ oder „Bündel“, denn der Büttel ist normalerweise ein Ordnungswächter oder Gerichtsbote. Auch innerhalb der Dialoge gibt es Abstufungen: Als Oline verschwunden ist, taucht eine Magd auf, die mit Sjur Gabriel um dessen Fischfang zu feilschen beginnt. Sie kommt aus Bergen und weist sein Angebot rundheraus ab: „E Du galen Stri– nej ka eg ville seje: Man?“ („Drehste jetz total durch, du Strile – nein, ek wollt sagn: Mann?“) Zwar lassen Sjur Gabriel und die Magd beide hin und wieder Silben aus („wir kommn ausm Hellemyr“, „ek wollt sagn“), aber Hildebrandt markiert den Unterschied zwischen Strilemål und Bergensdialekt über das Personalpronomen, das in beiden Dialekten „eg“ und in ihrer Übersetzung „ick“ bzw. „ek“ lautet.
Hildebrandt, Pröfrock und Haefs kennen den gängigen Diskurs zu Dialekten, wissen, dass es Umgangssprache allein nicht bringt. Auf dieser Basis haben die drei Übersetzerinnen die Entscheidung getroffen, Skrams Dialekte mit einer Art Kunstsprache wiederzugeben. Zudem schreiben sie – wie übrigens oft auch Skram – gerne so, wie man spricht, und versuchen, den Figuren einen individuellen Akzent zu geben: Das –ig am Wortende wird zu –ich, man „tut“ etwas bereuen, verschafft sich „Reschpekt“, geht zum „Konditter“ oder ist „trübetümpelich“. Man könnte also sagen: Ja, das klappt. Nur: Ist es auch genug? Denn obwohl Skram mit ihrer Tetralogie Pionierinnenarbeit leistet, weil die sprachlichen Gegebenheiten ihrer Zeit es nun einmal so von ihr verlangen, greift sie sich ihre Sprache nicht aus dem luftleeren Raum, sondern hört ganz genau zu, wie die Leute miteinander reden, um dann abschätzen zu können, in welche sozialen Gruppen ihre Figuren sich einordnen und wie sie das, was sie da wahrnimmt, zu Papier bringen muss. Natürlich kommt auch die deutsche Fassung nicht aus dem Nirgendwo, aber mit ihrer auf Dauer angestrengten, weil gekünstelten Sprache macht sie es dem Publikum unnötig schwer – und gleichzeitig auch zu leicht, denn oft ist der norwegische Text nuancierter, als die Übersetzung vorgibt.
Auch wenn Skram, wie Ingard Hauge schreibt, als feine Stadtdame die Arbeiten der Landbevölkerung zweifelsohne nur als Zuschauerin kannte, lässt sie oft lokale Bezeichnungen einfließen. Der „Hallingkast“, der an einer Stelle des ersten Bandes erwähnt wird, gerät zu einem bloßen „Tanzsprung“; die kulturelle Referenz – diesen Volkstanz gibt es nur in Norwegen – fällt weg. Über die Hebamme, die Klein-Gabriel auf die Welt hilft, heißt es: „Og hele Tiden bevæged hun sin store, flade Mund og skratted indimellem som en Sjor, der venter Storm.“ Hier nennt Skram die Krähe nicht bei ihrem dänischen Namen („Skade“) oder dem ostnorwegischen „Skjære“, sondern bevorzugt das im Westnorwegischen verbreitete „Sjor“. Christel Hildebrandt macht daraus: „Und die ganze Zeit bewegte sie dabei ihren großen platten Mund und lachte ab und zu wie eine Krähe, die auf den Sturm wartet.“
Das ist natürlich völlig korrekt, nur geht hier ein wenig Kolorit verloren, wenn nur von einer „Krähe“ die Rede ist: Das Wörterbuch der Brüder Grimm kennt viele aus dem Gebrauch geratene Synonyme, vom „Kahlbacken“ bis zur „Kreie“. Oft, schreibt Hauge weiter, benutzt Skram Dialektwörter als verstärkenden Effekt, etwa hier: „Vinteren kom med Mørke og Snekave, Styggevejr og alskens Ufjælge.“ Hildebrandt übersetzt folgendermaßen: „Danach kam der Winter mit Dunkelheit und Schneegestöber, schlechtem und ungemütlichem Wetter.“ „Fjælg“ heißt so viel wie „behaglich“, „ufjælg“ ist das Gegenteil davon. Ein seltenes Wort, aber Hildebrandts „ungemütlich“ ruft nicht die gleiche Stimmung hervor wie Skrams „Ufjælg“. Grimms Wörterbuch listet „ungetrost“ in der seltenen Bedeutung „ungemütlich“, was deutlich besser zum norwegischen Gegenpart passen würde. Das sind nur ein paar zufällig herausgegriffene Beispiele; Skram bedient sich äußerst großzügig an lokal üblichen Fachbegriffen, Verben und anderem.
Gesetzt den Fall, dass die meisten dieser Eigenheiten sich retten ließen, stößt dieses Übersetzungsmodell hin und wieder auch an seine Grenzen. Denn es ist klar, dass diese vier Romane im 19. Jahrhundert entstanden sind und sich in der Zwischenzeit vieles getan hat. In Zwei Freunde etwa heuert Sivert auf einem Schiff nach Jamaika an. Dort angekommen, geht er ins Bordell, ist aber völlig ahnungslos, in welchem kulturellen Kontext er sich bewegt. Würde diese Szene heute genauso veröffentlicht, sie würde vermutlich einen Skandal auslösen, denn in der Beschreibung der Bordellmädchen und anderer Menschen, die in Jamaika leben, verwendet Skram das N‑Wort. Das stellt die Übersetzerin Nora Pröfrock vor ein großes Problem: Wie soll man mit Textpassagen umgehen, die schon zur Zeit ihrer Veröffentlichung rassistisch waren, und aus heutiger Sicht nicht mehr toleriert werden können? Pröfrock schreibt hierzu in ihrem Nachwort:
Überall dort, wo das N‑Wort zur Charakterisierung der Figuren beiträgt, etwa wenn Sivert in seiner unreflektierten Art von einem »schwarzen N****« erzählt oder »Mulattinnen« mit »N****mädels« vergleicht, ist es stehen geblieben. Hier den Wortlaut zu verändern, hätte meines Erachtens zu einer Verflachung des Ausgangstextes geführt. In den Passagen aber, in denen uns eine neutrale Erzählinstanz kommentarlos wie eine Kamera und trotzdem voller Einsicht ein detailliertes Bild der Wirklichkeit präsentiert, wurde das N‑Wort nach Möglichkeit umgangen oder durch Alternativen ersetzt, die wir heute als neutral empfinden.
Tatsächlich findet Pröfrock oft angemessene Lösungen für dieses Problem, zumal man einem Text aus dem 19. Jahrhundert die Erkenntnisse des 21. nicht einfach so überstülpen kann. Wenn es im norwegischen Text beispielsweise heißt, der Kapitän habe ein paar N**** für die Verladung des Schiffes engagiert, spricht Pröfrock von „Einheimischen“. Geht es um die Äußerlichkeiten der Jamaikaner:innen, übersetzt sie zum Beispiel folgendermaßen: „eine alte schwarze Frau“ („en gammel N****kjærring“) oder „ein fülliges schwarzes Mädchen“ („en omfangsrig N****pige“). Neutral, wie sie in ihrem Nachwort schreibt, ist natürlich auch diese Beschreibung nicht, denn dass die norwegische Schiffsbesatzung aus Weißen besteht, wird kaum erwähnt oder stillschweigend vorausgesetzt. Hin und wieder sind Pröfrocks Varianten allerdings auch fraglich. Sivert, der unreflektiert koloniale Denkweisen übernimmt, weil ihm schlicht und ergreifend das Korrektiv fehlt, schreibt in einem Brief nach Bergen folgendermaßen (das übrigens auch im Original kapitalisierte Adjektiv verdankt sich Siverts mangelhafter Rechtschreibung): „Unt innen drin läuft man über bunte Steinplatten anstatt Fußboden, unt ein Schwarzer N**** hat mir die Tür aufgemacht unt sich ferbeugt als wär ek ein Prins.“
Es wäre überhaupt nicht nötig gewesen, an dieser Stelle auf das N‑Wort zurückzugreifen, wäre doch „ein Schwarzer“ schon ausreichend, um Siverts Rassismus darzustellen. „Der Kunsel war von der Farbe wie bei uns zu hause,“steht nämlich im nächsten Satz – hiermit macht Sivert zwischen sich selbst, der auf der Seite der selbsternannten Kolonialherren steht, und den Kolonialisierten einen Unterschied. Hätte Pröfrock an dieser Stelle auf das N‑Wort verzichtet, wäre der Ausgangstext nicht nennenswert verflacht, seine Aussage gerettet worden. Auch bei Hildebrandt und Haefs kommt es manchmal vor. In S. G. Myre denkt Sivert an seine „Räubergeschichten“ zurück, denen zufolge „er sich mit siebzehn N**** auf einmal geprügelt und neun von ihnen getötet“ hat; und als Fredrik, Petras Neffe, sich Tinte ins Gesicht klatscht, bezeichnet ihn auch Haefs als N****. Zwar kann man auch hier streiten, inwieweit Sivert, der gerne übertreibt, und Fredrik, der ein Kind im Körper eines Mannes ist, überhaupt ein anderes Wort benutzen würden. Andererseits es ist nicht ersichtlich, weshalb Texttreue oft nur dann gefordert wird, wenn rassistische Stereotype reproduziert werden sollen und nicht dann, wenn es um eine wirkungsäquivalente Übersetzung lokaltypischer Ausdrücke geht, wie in dieser Dialogpassage aus Zwei Freunde, wo Strile- und Bergensdialekt direkt aufeinandertreffen. Hieran wird deutlich, wieso Skrams Tetralogie so schwierig ist:
«Ejen Skuld, likere aa’ste‘ – jou her e‘ go‘ Trøst aa faa!» – Madam Tønnesen var sprudende rød, og Ørendubberne formelig hopped. Naar hun blev sint, brød hun altid paa Bondedialekten, som hun og Jens ellers havde aflagt. – «Men da kudne eg sagt meg i Forvegjen. – Du heve alti fra Du va‘ Gut maskeperet og smisket me‘ ho Mor. Hadde Du ikkje vorre, saa kanskje ho va‘ bleven ejt annet Menneskje.»
«Du e‘ værre enn en Klapperslange,» satte Marthe i med langtrukket Eftertryk paa hver Stavelse, «for Klapperslangen, han hvisler daa, han ialtfald, før han stikker, men de‘ gjør‘kje Du.» Marthe havde rejst sig, slængt Strikketøjet paa Bordet og straks derpaa grebet det igjen med de skjælvende Hænder.
»Selber schuld, büsschen nachsichticher – dat is mir ja n schönen Trost!« Madam Tønnesen war puterrot im Gesicht, und ihre Ohrringe überschlugen sich förmlich. Wenn sie in Rage geriet, verfiel sie immer in den Bauerndialekt, den sie und Jens eigentlich längst abgelegt hatten. »Aber dat hätt ick mir auch denkn können. Du hast ja schon immer mit Muddern unter eener Decke steckt. Wärst du nich wesn, wär se heut vielleicht n ganz andrer Mensch.«
»Du bist schlimmer als ne Klapperschlange«, fuhr Marthe dazwischen und betonte jedes Wort einzeln. »Die zischt wenichstens, bevor se angreift, du aber nich.« Marthe war aufgestanden, hatte das Strickzeug auf den Tisch geworfen, nur um es kurz darauf wieder in die zitternden Hände zu
nehmen.
Ingeborg, Siverts Tante, kommt zu Besuch, um von einer peinlichen Begegnung mit Oline zu erzählen. Zwar lebt sie schon seit geraumer Zeit in Bergen, aber wenn sie sich aufregt, fällt sie, gerne in den Striledialekt, die Sprache ihrer Kindheit zurück. Auch in Nora Pröfrocks Übersetzung setzt sich Ingeborgs Rede von der Standardsprache ab: Sie sagt „ick“ statt „ich“ (und spricht damit genauso wie Sjur Gabriel und Oline auf den ersten Seiten der Tetralogie), lässt Vokale weg („denkn“) und Silben aus („wesn“ statt „gewesen“). Hinzukommen die bereits von Christel Hildebrandt verwendeten norddeutschen Marker („büsschen“, „Muddern“), sonstige Verfremdungen („nachsichticher“, „wenichstens“) und ein hapax legomenon: „maskepere“, ein (erfundenes) Verb zu „maskepi“ (vom mittelniederdeutschen „matschopie“: mit jemandem unter einer Decke stecken).
Aber während man in der norwegischen Passage deutlich hört, wie unterschiedlich die Figuren miteinander sprechen – Jens kommentiert Ingeborgs Anwürfe mit einem resignierten: „Du vet jo kaalissen hon e‘“, während seine Frau Marthe sich fragt, was ihre Schwägerin denn nun will: „Ka e‘ de‘ hon gaar her etter?“ – und obwohl sich die unwillkommene Besucherin eindeutig als Stril, das Ehepaar sich hingegen als Stadtbewohner:innen zu erkennen gibt, hört man davon in der deutschen Fassung zu wenig: Zwar sind Dialekte natürlich nicht bis ins Letzte übertragbar, denn dafür sind Ausgangs- und Zieltext zu unterschiedlich. Aber eine kompensierende Übersetzung wäre durchaus möglich: kurzzeitige Störmomente an derselben oder einer anderen Stelle, z. B. (pseudo-)phonetische Schreibweisen, denn Jens’ „kaalissen“ („wie“) und Marthes „ka“, beides charakteristische Wörter im Bergenser Dialekt, sind kaum ins Deutsche transportierbar. „Du weißt doch, wie se is“, sagt Jens, und Marthe: „Was will die öberhaupt hier?“ Jens Frage weicht nur in der verschriftlichten Form von der Standardsprache ab, wohingegen Marthes „öberhaupt“ deutlich hervorsticht. Solche unpassenden Verfremdungseffekte ziehen sich durch die ganze deutsche Fassung der Tetralogie: Ein I oder ein Ü taucht häufig als Ö auf („wörklich“).
Was derlei Verfremdungen allerdings mit dem Norddeutschen zu tun haben sollen, müssen die Übersetzerinnen noch erklären. Wo Skrams Norwegisch gar nicht ungewöhnlich klingt, weil man die betreffenden Wörter in dieser oder einer anderen Form schon mal gehört hat, lösen Hildebrandts Vorschläge nicht nur an dieser, sondern auch an anderen Dialogstellen ein unangenehmes Gefühl aus, da sie im Alltag nicht anzutreffen sind – und damit in einem entscheidenden Punkt von der sozialrealistischen Poetik der Autorin abweichen. Die Übersetzerinnen glätten da, wo eigentlich nicht geglättet werden sollte (oder müsste), und bauen dafür dort Störeffekte ein, wo keine hingehören. Auch geben sie die zwischen verschiedenen Stilregistern hin- und herspringenden Gedanken eines Protagonisten oft nicht wirkungsäquivalent wieder. Das deutet diese Stelle aus S. G. Myre an, die Willy Dahl in einem Artikel über die Sprache in Skrams Tetralogie zitiert:
Den Knistringen skulde han kjende. Ganske rigtig, der gik Porten op fra Pladsen hos Munthe sine, og – ja saa sandelig var det ikke Sine Kokketøs, som kom ud med to Bøtter i en Vassel ovre Skuldrene. Nu havde hun ikke ham til at gaa paa Bispegaar‘en for sig; nu fik hun sjøl gjøre det. – Saa Sine var der endnu. Ja, i saanne fine Huser hadde de jo Tjenerne længe; det var bare han, som ikke hadde kunnet skikke sig orntlig. End om han gav sig i Snak med Sine; hun kunde kanske ha inkvart te fortælle. Jysses, kaa hun skjeste ivej i Maaneskinne‘ paa Tesene sine; Bøtterne hang snubt og hopped.
Dieses Knistern kannte er doch. Ganz richtig, da ging die Pforte von Munthes Hof auf, und – ja, war es doch tatsächlich Sine, das Küchenmädchen, die mit zwei Eimern, an einem Joch über den Schultern hängend, herauskam. Jetzt hatte sie nicht mehr ihn, der er für sie zum Bispegår’en
ging, jetzt musste sie es selbst tun._– Sine war also immer noch dort. Nun, in solchen vornehmen Häusern blieben die Dienstboten lange, nur er hatte sich nicht ordentlich benehmen können. Und wenn er jetzt Sine ansprach; sie hatte vielleicht so einiges zu erzählen. Meine Güte, wie sie im Mondschein auf ihren Latschen dahineilte, die Eimer schaukelten hin und her.
Diese Passage ist ein typisches Beispiel für die erlebte Rede, ein Stilmittel, das Amalie Skram äußerst effektiv einsetzt: Sie gibt die Gedanken ihres Protagonisten im Indikativ der dritten Person wieder, wodurch sie auch dessen Dialekt miteinfließen lassen kann. Aus dem norwegischen Text stechen insbesondere Formen wie „orntlig“ und „inkvart te fortælle“ hervor. Das Adjektiv „orntlig“ ist (ungefähr) so geschrieben, wie es gesprochen wird, „inkvart“ eine Variante von „enkvart“ (so einiges) und das „te“ heißt „til“. All das bildet Christel Hildebrandt in ihrer Übersetzung nicht nach. Zwar sieht es im Deutschen nicht gut aus, wenn man nach dem Gehör schreibt, aber ein Registerwechsel hätte sich auch anders andeuten lassen, zum Beispiel durch einen treffenden idiomatischen Ausdruck für „sich ordentlich benehmen“. Das Gleiche gilt für „inkvart te fortælle“, eine Formulierung, die in all dem Riksmål doch sehr fremd wirkt. Hildebrandts Übersetzung ist insgesamt zu glatt: Aus dem norwegischen Text wird sofort klar, dass Sivert – von allen anderen Verfehlungen während seiner Zeit bei der Kaufmannsfamilie Munthe einmal abgesehen – ein Platz bei den Dienstboten auch deshalb verwehrt bleibt, weil sein Dialekt zu oft durchschlägt und er unwillkürlich verrät, wie niedrig er in der sozialen Rangordnung steht.
Glättungen sind das Eine, Auslassungen, Inkonsequenzen und zu wörtliche Übersetzungen das andere. Oft streichen Hildebrandt, Pröfröck und Haefs zum Beispiel die Gedankenstriche (– –) (– – –), ein Stilelement, mit dem Skram oft mitten im Text oder zu Beginn eines neuen Paragraphen einen neuen Bedeutungsabschnitt andeutet, und tauschen sie mit Absätzen aus – aber auch nicht immer. Und auch bei verschiedenen Schreib- und Zitierweisen herrscht Uneinigkeit. Als Sjur Gabriel wieder einmal in großer Beklemmung steckt, murmelt er einen dänischen Kirchenliedvers vor sich hin, dessen deutsche Fassung sich allerdings nicht zwischen alter und neuer Übersetzung entscheiden kann („dass“ vs. „Brod“ und „Noth“); und als die Seeleute im zweiten Band „Herre, hjelp os, vi forgaa!“ rufen, übersetzt Hildebrandt zu wörtlich „Herr, hilf uns, wir vergehen!“, wo doch die Stelle ein direktes Zitat aus Matthäus 8,25 ist: „Herr, hilf uns, wir kommen um!“.
Noch dazu fehlen bei Hildebrandt und Haefs ganze Textpassagen. Nun sind Streichungen in Übersetzungen nichts Ungewöhnliches, aber nicht in diesem Umfang. Schon auf den ersten Seiten von Sjur Gabriel ist ein ganzer Dialogabsatz verschwunden, was sich in S. G. Myre noch fortsetzt. Und in Die nächste Generation geht sogar ein ganzer Absatz verloren und wird durch einen darauffolgenden ersetzt; insgesamt fehlen etwa sieben Textstücke. Noch dazu sind viele Übersetzungen, z. B. von Bergenser Ausrufen wie „Jysses Pikijor“, nicht aufeinander abgestimmt (Pröfrock: „Was zur Hölle“, Hildebrandt: „Jetzt steh uns bei“) oder sogar ganz weggefallen (wie z. B. manchmal „Kipelam“). Ab und an findet sich in der Übersetzung auch eine Dialektpassage, wo im Ausgangstext keine steht („Jo Tak, Hr. Konsul. Det gaar sandelig bra.“ – Hildebrandt: „Ja, danke, Herr Kunsel. Es geht wörklich gut“), um dann, diesmal in einer echten Dialektreplik, den zuvor etablierten Neologismus („Kunsel“) fallenzulassen: „Ok kaa Konsulen graad den Natten hun var død.“ (Hildebrandt: „Ach, was hat der Konsul geweint in der Nacht, als sie gestorbn war.“) Und auch wenn der Dialekt in der deutschen Fassung insgesamt nicht zur Option steht, ja sogar verpönt ist, hin und wieder taucht sowohl bei Hildebrandt, Pröfrock als auch Haefs spezifisch norddeutsches Vokabular auf („trübetümpelich“, „duhn“, „bannich“, „Buren“).
Ein weiteres Problem sind zu wörtliche Übersetzungen. Das zeigt sich nicht nur in Gabriele Haefs‘ Fassung von Die nächste Generation, sondern häufig auch bei Pröfrock und Hildebrandt – oft mit unfreiwillig komischer Wirkung. Wenn es um ein Zimmer geht, das neu eingerichtet worden ist, steht da etwa: „Alting er blet omkalfatret“ (Haefs: „Alles ist umkalfatert worden“) – unverständlich, was ein Ausdruck, der ursprünglich aus der Schifffahrt kommt und im Deutschen so gar nicht gebräuchlich ist. „Severin konnte seine Bewegung nur mit Mühe unterdrücken“, heißt es an einer Stelle über Siverts emotional berührten Sohn („Severin havde Møje for at bekjæmpe sin Bevægelse“). Er hat „dieses totgeborene Büffeln von Griechisch und Latein“ („denne dødfødte Pugen af Græsk og Latin“) gründlich satt. Sein Vater, der erfolglose Geschäftsmann S. G. Myre, bekommt nichts von den Sorgen seines Jungen mit, weil er selbst zu viele Probleme hat, und wendete sich in schweren Stunden an seine Frau Petra, die er, wie damals üblich, mit „Mor“ anspricht. Das übersetzt Haefs oft wörtlich („Mutter“), was Myre ungewollt lächerlich macht. Wenn allerdings vom „Far“ – oder auch vom „-mann“ die Rede ist („Vater“, aber als Anrede auch: mein Liebster, Bester, Freund, etwa in „Sivert, Far“), übersetzt sie stets mit der jeweiligen Entsprechung.
Im Laufe von rund 1200 Seiten summieren sich alle diese Schwierigkeiten auf – Wortwahl, Dialekte in Dialogen und erlebter Rede, Auslassungen, Inkonsequenzen und Fehler. Es stellt sich die Frage, ob diese Übersetzung Amalie Skrams Sozialrealismus eigentlich gerecht werden kann. Sicher, auch wenn es hierzulande eine reiche Tradition an Dialektliteratur gibt – man denke nur an Fritz Reuters Niederdeutsch –, es wäre wenig zielführend gewesen, hätten Hildebrandt, Pröfrock und Haefs auch in ihrer Übersetzung einen Dialekt nachgebildet. Aber obwohl am Ende eine Lösung dasteht, die den gängigen Annahmen zu Dialekten in übersetzter Literatur entspricht – sie ahmt keine Mundart des Deutschen nach und ist auch keine 08/15-Umgangssprache –, funktioniert der deutsche Text nicht. Zum einen, weil er weniger mit der Realität zu tun hat, als er vorgibt (niemand spricht so, wie es die Figuren hier tun, Norddeutsche schon gar nicht), zum anderen, weil die Lösungen in sich oft so widersprüchlich und inkonsequent sind, dass der Text sich selbst zuwiderhandelt.
Nun ist die norwegische Dialektlandschaft so vielfältig, dass das Deutsche damit nicht Schritt halten kann – hierzulande hat man z. B. in den Medien wenig Kontakt mit Sprechweisen, die von der Standardsprache abweichen, aber alternative Lösungen zu einer verkrampften Kunstsprache hätte es sicherlich gegeben, z. B. eine den Protagonist:innen jeweils angepasste Redeweise. Wie spricht Sivert, der im Roman als „Tausendsassa“ bekannt ist? Wie der reiche, gebildete Konsul Smith? Und wie seine Frau? Die Dienstmägde? Mit so einer Figurensprache ließe sich dann spielen: unvollständige Sätze, hapax legomena, Modalpartikeln, Inversionen usw., aber immer nah an den Charakteren; auch wenn es erfunden wäre, es sollte so klingen, als würde man diese Figuren unentwegt beim angeregten Gespräch auf ihrer Bühne beobachten. Aus der vorliegenden Übersetzung gewinnt man allerdings nur schwer einen Eindruck von dem, was die Autorin hier entgegen aller sprachlichen Widerstände vollbracht hat.