„Ich den­ke die Über­set­zungs­leis­tung immer mit“

Zum Jahresabschluss verrät uns Insa Wilke, welche Tendenzen sie im gegenwärtigen Literaturbetrieb wahrnimmt und was sie an einer guten Übersetzung schätzt. Interview: und

Insa Wilke (c) Mathias Bothor

TraLaLit: Wie wür­den Sie – nach knapp 20 Jah­ren als Kri­ti­ke­rin, Pro­gramm­lei­te­rin, Mode­ra­to­rin und Jury­mit­glied bzw. ‑vor­sit­zen­de – die Wahr­neh­mung von Übersetzer*innen im Ver­lauf der Jah­re im deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur­be­trieb beschreiben?

Insa Wil­ke: Vor allem durch die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von Übersetzer*innen hat sich die Wahr­neh­mung in mei­nen Augen ver­än­dert. Es pas­siert immer noch, aber sel­te­ner, dass die Über­set­zungs­leis­tung nicht erwähnt wird. Der Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se hat da auch eini­ges bewirkt. Als Kri­ti­ke­rin muss ich sagen, dass die ver­än­der­ten Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen in der Lite­ra­tur­kri­tik (weni­ger Stim­men, weni­ger Platz, weni­ger Hono­rar) es nicht ein­fa­cher machen, in einer Rezen­si­on, die ver­schie­de­ne Din­ge leis­ten muss, auch noch auf die Über­set­zungs­leis­tung aus­führ­lich ein­zu­ge­hen. Das ist in der Regel kaum mög­lich, und ich bedau­re, dass es dafür wenig Raum gibt.

In Ihrer Tätig­keit als Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin haben Sie regel­mä­ßig mit über­setz­ten Tex­ten zu tun. Wel­chen Stel­len­wert hat die Bewer­tung der Über­set­zungs­leis­tung in Ihrer täg­li­chen Arbeit mit Literatur?

Ich den­ke das immer mit, da von der Über­set­zung ja nun ein­mal abhängt, ob der Text im Deut­schen eine Wir­kung ent­fal­ten kann oder nicht. Das kann ich ganz genau nur am Ein­zel­fall erklä­ren. Aber zum Bei­spiel, wenn die Über­set­zung zwar gram­ma­ti­ka­lisch genau ist, aber kei­nen Cha­rak­ter, kei­nen Ton ent­wi­ckelt. Dann bleibt es höl­zern, ent­wi­ckelt im Deut­schen kei­ne lite­ra­ri­sche Qua­li­tät. Ins­be­son­de­re bei Lyrik spielt das eine Rol­le. Was nützt es, wenn ich eine wort- und vers­ge­naue Über­set­zung habe, die aber kei­ne Ent­spre­chung für das Gemein­te im Deut­schen fin­det. Aber wie gesagt: Es lässt sich lei­der nicht abbil­den, wenn man 4000 Zei­chen zur Ver­fü­gung hat und das Buch, womög­lich eine nicht bekann­te Autorin, Kon­text und Urteil dar­stel­len muss.

Die Gewinner*innen des Prei­ses der Leip­zi­ger Buch­mes­se hat­ten alle einen star­ken Über­set­zungs­be­zug. War das beab­sich­tigt? Wie war die Jury­ar­beit im Vorfeld?

Wir haben nicht nach Büchern gesucht, die einen Bezug zur Über­set­zungs­kunst haben. Wir haben nach den her­aus­ra­gen­den Titeln in allen Spar­ten gesucht. Dass dabei Über­set­zung ein so star­kes Gewicht bekom­men hat, freut mich und spricht viel­leicht auch für sich und für unse­re Zeit, ihre ästhe­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Fragen.

Was waren Ihre High­lights des lite­ra­ri­schen Jah­res 2022?

Wirk­lich beglü­ckend für mich war zu sehen, auf wie hohem Niveau sich die deutsch­spra­chi­ge Lite­ra­tur bewegt, wie unter­schied­li­che Wege Autor*innen fin­den, ihren Fra­gen, Stof­fen, Kon­flik­ten eine sprach­li­che Form zu geben. Und mich hat gefreut, dass sich das in den Preis-Ent­schei­dun­gen in die­sem Jahr gespie­gelt hat: Zum Bei­spiel der Preis an Tomer Gar­di und indi­rekt ja auch Anne Bir­ken­hau­er, an dem ich als eine von sie­ben Juror*innen mit­wir­ken durf­te, aber auch die Prei­se an Emi­ne Sev­gi Özda­mar und Kim de l’Horizon. Es gibt ein Sen­so­ri­um für die Ener­gie, die gera­de in der Lite­ra­tur steckt und eine Offen­heit für ästhe­ti­sche Pro­zes­se. Such­be­we­gun­gen wer­den gewür­digt und die Ernst­haf­tig­keit lite­ra­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zung wird wahrgenommen.

Wel­che Über­set­zun­gen haben Sie beson­ders begeis­tert? Haben Sie eine Lieblingsübersetzung?

Ich habe kei­ne Lieb­lin­ge, son­dern immer wie­der alte und neue Begeg­nun­gen, die mich elek­tri­sie­ren, durch die ich etwas ler­ne, die mei­ne inne­re und äuße­re Welt erwei­tern. Dazu zäh­len so unter­schied­li­che Über­set­zun­gen wie Hin­rich Schmidt-Hen­kels Vesaas-Über­set­zung Die Vögel, Ant­je Rávik Stru­bels Über­set­zung von Fager­holms Roman Wer hat Bam­bi getö­tet oder Ste­fan Mos­ters wahn­sin­ni­ge Über­set­zung von Vol­ter Kil­pi, um jetzt nur mal im nor­di­schen Sprach­raum und bei der Pro­sa zu blei­ben. Die Rei­he nen­ne ich so, weil sie sprach­lich die Band­brei­te der Mög­lich­kei­ten zeigt, die natür­lich auch mit der Vor­la­ge zu tun hat: Hin­rich Schmidt-Hen­kels Über­set­zung besticht durch das Atmo­sphä­ri­sche, die sinn­li­che Genau­ig­keit und die unge­heu­re Lebens­kennt­nis, die sich in der Dar­stel­lung der Figu­ren und ihren Bezie­hun­gen unter­ein­an­der zeigt. Ant­je Rávik Stru­bel beein­druckt, weil sie die­ses hohe Tem­po, den Wech­sel der Sprach­re­gis­ter, das Frag­men­ta­ri­sche der Tex­te in ein Deutsch bringt, das einen ganz atem­los macht und es schafft, Dis­pa­ra­tes doch als aus einem Guss wahr­zu­neh­men. Ste­fan Mos­ter wie­der­um erhält die His­to­ri­zi­tät sei­nes Tex­tes und bringt ihn aber in Schwin­gung durch das unge­heu­er brei­te und genaue Voka­bu­lar die­ser spe­zi­fi­schen Welt, die er da vor unse­re Augen und Ohren bringt. Er macht einem den zeit­li­chen Abstand klar und gleich­zei­tig bringt er durch die sprach­li­chen Lösun­gen, die Moder­ni­tät und unse­re Zeit ver­bin­den, alles ins Heu­ti­ge. Da steckt unge­heu­re Recher­che und sehr genaue Ein­füh­lung und gro­ßes lite­ra­ri­sches Kön­nen hin­ter. Inter­es­sant wird es, wenn es um unter­schied­li­che Hal­tun­gen zur Fra­ge geht: Was ist Über­set­zung? Das kann man zum Bei­spiel sehr schön an Stef­fen Popps Ben Ler­ner-Über­set­zun­gen dis­ku­tie­ren, von denen ich begeis­tert bin und die genau das leis­ten, was ich oben beschrie­ben habe: kei­ne Vers- und Wort­ge­nau­ig­keit, aber zum Bei­spiel eine Über­tra­gung des Humors, der sich an kul­tur­spe­zi­fi­sche Refe­ren­zen bin­det, in den deut­schen Sprach- und Erfah­rungs­raum. Sehr sub­til, sehr ele­gant und klug.

Haben Sie schon ein­mal selbst etwas übersetzt?

Nein. Genau­so wenig, wie ich Gedich­te oder einen Roman geschrie­ben habe.

Haben Sie zu ande­ren Spra­chen, außer Deutsch, eine enge­re Beziehung?

Zum Ita­lie­ni­schen, vom Her­zen her.

Hin­weis: Das Inter­view mit Insa Wil­ke wur­de schrift­lich geführt.


Dr. Insa Wilke


Dr. Insa Wil­ke schreibt u.a. für die Süd­deut­sche Zei­tung. 2014 wur­de sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Lite­ra­tur­kri­tik aus­ge­zeich­net. Seit 2005 kon­zi­piert und mode­riert sie Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen, zwei Jah­re lang als Pro­gramm­lei­te­rin im Lite­ra­tur­haus Köln. Seit 2013 gehört sie zum Team von „Guten­bergs Welt“ (WDR3), 2016 hat sie die Pro­gramm­lei­tung des Mann­hei­mer Lite­ra­tur­fes­tes „lesen.hören“ von Roger Wil­lem­sen über­nom­men, des­sen Nach­lass sie ver­wal­tet. Seit 2017 ist sie fes­tes Mit­glied im „lesens­wert quar­tett“ des SWR Fern­se­hen, seit 2021 Vor­sit­zen­de der Jury für den Ingeborg-Bachmann-Preis.


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