
Mich interessieren deine Anfänge als Literaturübersetzerin. Wann hast du mit dem Übersetzen begonnen?
TH: Ich bin tatsächlich eher durch Zufall zum Übersetzen gekommen, und zwar über die Theorie. Ich hatte in Aachen und Köln angefangen, Anglistik und Komparatistik zu studieren, und bin nach der Hälfte meines Studiums nach München gewechselt. Dort habe ich dann ein Seminar zu Übersetzungstheorien belegt und begonnen, mir Gedanken darüber zu machen, was Übersetzen eigentlich ist. Vorher hatte ich die Haltung, dass ich als Anglistik-Studentin ja ohnehin alles Englische im Original lesen kann – wozu brauche ich dann Übersetzungen? Geschweige denn, dass ich auf die Idee gekommen wäre, sie selbst anzufertigen. Aber im Rahmen dieses Seminars habe ich mir die verschiedensten Übersetzungstheorien angeschaut und angfangen, mich dafür wirklich zu interessieren. Außerdem habe ich mich mit dem Dozenten, der als Übersetzer im Bereich Kunstkatalogtext arbeitete, angefreundet, und irgendwann hat er mir einen Auftrag abgetreten, weil er keine Zeit hatte. So habe ich mit dem Übersetzen angefangen und festgestellt, dass ich das offenbar ganz gut kann und es mir vor allem große Freude macht. Danach dachte ich, dass ich das Übersetzen auch als Beruf in Erwägung ziehen könnte.
Wie hast du dann den Sprung in die Literatursparte geschafft? War das ein bewusstes Karriereziel oder ist das eher zufällig passiert?
TH: Ab einem gewissen Punkt war das tatsächlich mein Ziel. Zunächst aber wollte ich gerne wie damals jede gute Geisteswissenschaftsstudentin in einem Verlag arbeiten. Ich habe das auch eine Zeit lang gemacht, war da aber in der falschen Abteilung untergekommen. Danach bin ich – weil ich ja wusste, ich kann ganz gut übersetzen – zu einem Softwarelokalisierungsunternehmen gegangen und habe dort vor allem Technisches und Marketingtexte übersetzt. Als ich das Unternehmen nach ein paar Jahren verließ, beschloss ich, als Literaturübersetzerin Fuß zu fassen, aber so einfach ist das ja bekanntermaßen nicht. Also habe ich erst einmal den Studiengang Literarisches Übersetzen in München absolviert. Danach war ich vollständig angefixt und konnte mir gar nichts anderes mehr vorstellen als Literatur zu übersetzen. Einige schöne Zufälle haben mir damals in die Hände gespielt: Von einer Kommilitonin erfuhr ich, dass der Hörverlag jemanden sucht, der oder die Kurzfassungen von Agatha-Christie-Romanen zur reinen Veröffentlichung als Hörbuch übersetzt. Die Kommilitonin stellte den Kontakt her und nur wenige Tage später erhielt ich den Auftrag. Von diesen Kurzfassungen habe ich über die Jahre insgesamt zwölf übersetzt. Eine andere Kommilitonin arbeitete bei Rowohlt Taschenbuch und ich schrieb ihr, dass ich gerade versuche, mich als Literaturübersetzerin zu etablieren. Als sie sah, dass ich die Agatha-Christie-Hörbücher übersetzte, bot sie mir einen historischen Krimi an. Danach habe ich viele Jahre lang Krimis übersetzt.
Hat es dir Spaß gemacht, Krimis zu übersetzen?
TH: Ja, die Texte habe ich sehr gemocht und auch gerne übersetzt. Es war aber nicht das Genre, in dem ich arbeiten wollte. Ich war keine große Krimi-Leserin und bin es auch nicht geworden. Daher bin ich froh, dass ich jetzt Texte übersetze, die ich auch selber lesen würde. Das ist ein großes Glück.
Was waren die wichtigsten Dinge, die du über die Branche und über das Übersetzen auf dem Weg gelernt hast?
TH: Tatsächlich habe ich etwas sehr Wichtiges gelernt in den zwei Jahren bei der Softwarelokalisierungsagentur – nämlich mich auf den Hosenboden zu setzen und dranzubleiben. Das ist auch beim literarischen Übersetzen ganz wichtig: Man muss dranbleiben, sich fokussieren und am Text arbeiten. Wie ein Buch tatsächlich gemacht wird, habe ich von der Pike auf gelernt. Ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal Druckfahnen bekam, stand da „bitte eine Zeile einbringen“. Ich hatte keine Ahnung, was das heißt und musste die Lektorin fragen, die mir dann erklärt hat, dass es darum geht, den Text um eine Zeile zu kürzen, damit der Satzspiegel wieder stimmt. Mit der Zeit kam noch die Erkenntnis hinzu, dass ich mich ein bisschen mehr vom Originaltext emanzipieren muss. Oder anders gesagt: Man muss, um dem Original treu zu bleiben, sich manchmal davon entfernen, um in der Übersetzung die gleiche Wirkung erzielen zu können.
Aber wie hast du es letztendlich geschafft, Übersetzungsprojekte zu finden, die besser zu dir passen?
TH: Die kamen nach und nach. Die ersten acht Jahre habe ich Unterhaltungsliteratur im weitesten Sinne übersetzt, also viele Krimis und auch Liebesromane. Ich habe versucht, Präsenz zu zeigen, auf Buchmessen zu gehen und auf übersetzerische Veranstaltungen, beispielsweise vom VdÜ. Beim zehnjährigen Jubiläum des Deutschen Übersetzerfonds habe ich dann Helga Frese-Resch, Lektorin bei Kiwi, kennengelernt und sie hat mich in ihre Übersetzungskartei aufgenommen. Es dauerte dann zwar ein paar Jahre, aber irgendwann hat sie sich gemeldet und gesagt, dass sie etwas für mich hätte – es ging um den ersten Essayband von Zadie Smith. Die Übersetzenden ihrer ersten beiden Romane hatten alle keine Kapazitäten, den Band zu übernehmen. Deswegen suchte sie jemanden.
Hattest du Zadie Smiths Bücher zu dem Zeitpunkt schon gelesen?
TH: Ja, ich hatte eine Liste von Autorinnen, die ich gern übersetzen würde, wenn ich träumen darf, und sie stand ganz oben. Ich hatte ihr Debüt Zähne zeigen im Original gelesen, als es erschienen ist, und war völlig begeistert.
Weißt du noch, was genau dich an ihrem Roman so begeistert hat?
TH: Zum einen die Geschichte des Romans und wie sie es schafft, dieses sehr diverse, multikulturelle London zu porträtieren. Die Darstellung dieser Stimmenvielfalt, die sie ja auch in vielen ihrer anderen Romanen einfängt, ist eine ihrer großen Stärken. Zum anderen gefiel mir die Frische ihres Tons. Ich habe dieses Buch verschlungen und entdeckte darin eine unglaublich aufregende junge Autorin.
Im Herbst erscheint ja Zadie Smiths neuer Roman. Arbeitest du bereits an der Übersetzung?
TH: Ja, ich sitze gerade dran. Die Übersetzung soll tatsächlich mehr oder weniger zeitgleich mit dem Original erscheinen.
Das wird immer öfter so gehandhabt. Wie ist das für dich als Übersetzerin?
TH: Es ist ein Übersetzen unter enormem Zeitdruck. Bei so einem tollen Buch – es ist tatsächlich eines ihrer besten der letzten Jahre, möchte ich sagen – hätte ich gerne mehr Zeit, mich da noch weiter reinzuversenken. Aber es wird tatsächlich immer öfter gemacht und ich kann es durchaus auch verstehen: In den Medien werden zunehmend die Originale gleich bei Erscheinen besprochen, das gilt nicht nur für englische, sondern auch beispielsweise für französische oder italienische Titel, und die deutschsprachigen Verlage befürchten, dass die Übersetzungen dann etwas untergehen.
Hast du Angst um die Qualität deiner Übersetzung? Ich würde denken, dass Flüchtigkeitsfehler bei so einem Verfahren öfter auftreten.
TH: Ich tue mein Bestes und bemühe mich, so viel Zeit einzuplanen, dass die Qualität gesichert bleibt und wir auch noch genügend Zeit für ein ausführliches Lektorat am Ende haben. Es tut einem Text aber immer besser, wenn er zwischendurch so wie ein Schinken ein bisschen hängen darf. Er gewinnt dadurch an Aroma. Es wäre also schön, wenn ich meine Übersetzungen einfach auch mal liegen lassen und später wieder hervorholen und bearbeiten könnte. Das wären für mich ideale Bedingungen, die aber ohnehin selten gegeben sind. Oft muss ein Wochenende Pause reichen.
Zuletzt ist deine Übersetzung von Bernadine Evaristos Mr. Loverman erschienen. Du schreibst in deinem Toledo-Journal darüber, dass man in dem Roman auf verschiedene Varietäten des Englischen trifft. Das ist ja schon eine fremde Welt, in die man erst einmal eintauchen muss, oder?
TH: Letztlich macht man das bei jedem Buch, denke ich, aber hier kenne ich mich thematisch aus. Ich bin durch meine Lektüren und meine Beschäftigung mit den Einwanderungskulturen Großbritanniens gut vertraut mit den sprachlichen Besonderheiten wie beispielsweise karibischem Patois. Bei Zadie Smith spielt das ja auch immer eine große Rolle, und das hat mir bei Mr. Loverman geholfen, weil ich weiß, wo ich nachschauen muss. Natürlich muss ich mich trotzdem einarbeiten, aber es waren nur wenige Passagen dabei, wo ich wirklich nachfragen musste, was ein bestimmtes Wort genau bedeutet.
Hast du beim Übersetzen noch Berührungsängste?
TH: Ich würde nicht jeden Text annehmen. Ich weiß, wo meine Grenzen liegen und merke, wenn ich ein Buch lese, ob ich einen Zugang zum Text finden kann. Beispielsweise lehne ich meistens Autor:innen ab, die aus afrikanischen Ländern kommen, dort aufgewachsen und sozialisiert sind, aber auf Englisch schreiben. In solchen Fällen habe ich das Gefühl, dass mir Hintergrundwissen fehlt. Die Autor:innen, die ich übersetze, sind alle in Großbritannien oder in den USA aufgewachsen. Wenn sie sich dann zusätzliche Kulturräume erschlossen haben, sei es aus familiären oder aus anderen Gründen, kann ich mir diese in gewisser Weise auch als Übersetzerin erschließen. Mit Großbritannien und den USA kenne ich mich soweit aus, aber es gibt eben viele Länder, in denen auch auf Englisch geschrieben wird, die ich aber kaum kenne. Da würde ich mich dann beim Übersetzen unsicher fühlen und fände das auch verantwortungslos dem Text gegenüber. Es gibt für solche Texte kompetentere Menschen als mich.
Du hast auch Evaristos Roman Mädchen, Frau etc., für den sie 2019 den Booker Prize erhielt, ins Deutsche gebracht. Wie ist diese Übersetzung zustande gekommen? Die deutsche Übersetzung erschien ja erst, nachdem der Preis verliehen wurde.
TH: Ich war tatsächlich gerade dabei, den Roman zu lesen, als Tom Müller von Tropen mich anrief, um zu fragen, ob ich mir vorstellen könnte, das Buch zu übersetzen. Bernardine Evaristos Werk war bis dahin komplett unübersetzt, obwohl sie eine sehr produktive Autorin war und ist. Aber erst nach der Bekanntgabe des Booker Prize wurde sie für den internationalen Buchmarkt entdeckt. Noch in der Nacht sind wahrscheinlich alle Verlage aufgesprungen, um die Rechte zu ergattern. Es ist auch wirklich ein großartiges Buch.
Warst du von dem Erfolg hierzulande überrascht? Evaristo hatte zwar den Preis gewonnen, war aber im Prinzip eine Unbekannte.
TH: Der Erfolg hat mich sehr angenehm überrascht. Während des Übersetzens habe ich manchmal gedacht, dass der Roman schon recht britisch ist – ein großartiges Panorama Schwarzen, weiblichen, britischen Lebens – und ich war gespannt, wie er auf dem deutschen Markt laufen würde, aber offensichtlich ist er auf reges Interesse gestoßen. Die Debatten rund um Black Lives Matter und Rassismus haben den Erfolg vielleicht befördert, weil Evaristo eben eine Autorin ist, die all diese Themen offen verhandelt.
Bei Mädchen, Frau etc. wurde auch über die Übersetzung viel diskutiert und die Verwendung einiger Begriffe war umstritten. Hattest du beim Übersetzen von Mr. Loverman das Gefühl, dass man jetzt noch mehr auf politisch korrekte Formulierungen achten muss oder hat dich das nicht weiter beeinflusst?
TH: Es hat mich und den Verlag insofern beeinflusst, als wir jetzt mehr erklären. Schon bei dem autobiografischen Text Manifesto, den Evaristo nach Mädchen, Frau etc. geschrieben hatte, haben wir eine editorische Notiz eingefügt, in der wir erklären, dass wir uns in den Begrifflichkeiten nah am Original orientieren. Auch bei Mr. Loverman war das, glaube ich, notwendig. Denn der Ich-Erzähler ist keine Figur, die sich politisch korrekt äußert. Ich würde das Buch aber von Grund auf verändern und gewissermaßen zensieren, wenn ich ihm diese Dimension nähme. Der Roman ist urkomisch, aber dieser Ich-Erzähler schont einen nicht. Und die Autorin schont uns nicht, indem sie ihn so präsentiert.
Bei Mädchen, Frau etc. dachten wir alle, die an der Entstehung der Übersetzung beteiligt waren – ich, die Lektorin im Verlag, die Außenlektorin, die Testlesenden –, dass es sich von selbst erklärt, warum in der Übersetzung einige problematische Begriffe stehen. Es erklärt sich aus der Zeit, in der die jeweilige Passage spielt, aus der Figur, die gerade spricht und aus der Geschichte, die erzählt wird. Aber dem war nicht immer so – das ist die Lehre, die ich daraus gezogen habe. Vielleicht muss man daher einfach ein bisschen mehr einbetten, ein bisschen mehr erklären. Es gibt aber bestimmte Wörter, die ich nicht verwende und wo ich Grenzen setze: Zum Beispiel wird man das deutsche N‑Wort in meinen Übersetzungen nicht lesen.
Welche Alternative verwendest du in einem solchen Fall?
TH: Ich versuche eine neutrale Bezeichnung zu finden. Wenn es tatsächlich darum geht, eine rassistische Person darzustellen, die sich auch rassistisch äußert, dann lasse ich meistens in Absprache mit dem Verlag das englische Wort stehen. Auch das kann natürlich verletzend sein. Aber da kommt wieder das Erklären ins Spiel und die editorische Notiz. Ich bin da völlig offen und finde, man kann und sollte auch Triggerwarnungen verwenden.
Arbeitest du mit Sensitivity Readern zusammen?
TH: Ja, tatsächlich mache ich das zum Beispiel gerade bei meiner Arbeit an Toni Morrisons Romanen. Ich bin sehr froh, dass es ein Sensitivity Reading geben wird und finde es gut, solche Arbeitsgänge noch dazwischen zu schalten. Es gibt mir eine zusätzliche Sicherheit, weil ich als weiße Person vielleicht doch nicht vollständig ermessen kann, wie verletzend manche Begriffe oder Formulierungen sein können. In dem Fall ist es gut, wenn noch jemand auf den Text schaut, der oder die das kann.
Mit Toni Morrison übersetzt du eine Autorin, deren Romane bislang von ganz unterschiedlichen Übersetzer:innen ins Deutsche gebracht wurden. Schaust du dir auch die älteren Übersetzungen an?
TH: Wenn es welche gibt, auf jeden Fall. Bei Toni Morrison ist es so, dass die frühen Romane neu übersetzt werden sollen, um sie einerseits der Zeit anzupassen, andererseits aber auch, weil es ganz unterschiedliche Übersetzer:innnen waren, die ihre ersten sechs Romane übersetzt haben. Daher variiert der Ton. Nach mehr als dreißig Jahren ist es aber jetzt vielleicht auch einfach an der Zeit für eine Neuübersetzung. Ich sitze gerade an der Übersetzung von The Bluest Eye.
Gerade erschien Toni Morrisons Erzählung Rezitativ, die du auch übersetzt hast. War das quasi wie eine Probeübersetzung vor der Neuübersetzung?
TH: Sozusagen. Aber bei der Erzählung handelt es sich tatsächlich um eine Erstübersetzung. Der Text flog ein bisschen unter dem Radar, weil die Erzählung auch im Original vorher nie separat erschienen ist. Es ist ja die einzige Short Story der Autorin. Ich fand die Arbeit an dem Text großartig, weil ich dabei noch einmal feststellen konnte, was für eine unfassbar gute Autorin Toni Morrison war und welche große Kunstfertigkeit sie besaß, um so einen extrem reduzierten, aber doch poetischen Stil zu kreieren. Ihre Texte sind so durchdacht; jedes Wort sitzt an der richtigen Stelle. Das macht es natürlich unglaublich herausfordernd, sie zu übersetzen, weil man das nach Möglichkeit genauso machen möchte. Du siehst, ich fange gleich an zu schwärmen, wenn ich über diese Texte rede.
Interessiert dich die Rezeption deiner Übersetzungen oder konzentrierst du dich gedanklich eher auf das nächste Projekt?
TH: Mir liegt jedes Buch, das ich übersetzt habe, am Herzen. Und natürlich verfolge ich dann, wie es ankommt und wie die Leute darauf reagieren. Im Moment verfolge ich, ob es neue Rezensionen zu Mr. Loverman gibt und bin auch gespannt darauf, wie Evaristos kurze Lesereise sein wird.
Frustriert dich die begrenzte Sichtbarkeit von Übersetzer:innen? Es gibt ja auch Übersetzende, die sagen, dass sie gern in der zweiten Reihen stehen oder auf anderen Bühnen als ihre Autor:innen.
TH: Ich finde durchaus, dass wir übersetzenden Menschen sichtbarer sein sollten und ich bin auch dafür, dass man unsere Namen auf das Cover schreibt. Außerdem wäre es gut, wenn man Übersetzer:innen bei Lesereisen vermehrt auf die Bühne holen würde, weil niemand das Buch so gut kennt wie wir, außer natürlich die Autorin oder der Autor. Gleichzeitig gehören wir aber auch in die zweite Reihe, hinter die Autor:innen. Die stehen im Rampenlicht, denn sie haben die Bücher geschrieben, sich die Geschichten erdacht und ihre ganze Kreativität da reingesteckt. Ich als Übersetzerin und Urheberin des deutschen Textes sollte dann aber auch wirklich in der zweiten Reihe stehen, und nicht etwa in der dritten oder vierten. Sonst kann es tatsächlich frustrierend sein. Mit den Verlagen, mit denen ich zusammenarbeite, habe ich aber in der Hinsicht nur gute Erfahrungen gemacht.
Wie gehst du vor beim Übersetzen? Hast du einen Prozess, der bei jedem Buch ähnlich ist oder ist der Ablauf jedes Mal anders?
TH: Das Übersetzen läuft bei mir tatsächlich immer nach demselben Schema ab: Ich muss das Buch als erstes einmal lesen und zwar als Leserin, um den Text auf mich wirken zu lassen. Diesen Leseeindruck nehme ich dann auch mit in meine Übersetzung. Wenn das geschehen ist, fange ich vorne an und übersetze einmal durch. Früher habe ich diesen ersten Entwurf als Rohfassung bezeichnet. Damals ging es mir darum, das Buch so schnell wie möglich durchzuübersetzen und danach die Feinarbeit zu machen. Inzwischen ist es aber so, dass ich viel mehr Zeit mit der ersten Fassung verbringe. Ich feile von Anfang an mehr und das dauert eben länger, gleichzeitig ist der Text dann aber auch schon fertiger als früher. Nach dieser ersten Fassung mache ich eine zweite, bei der ich noch mal das Original daneben liegen habe und Absatz für Absatz vergleiche, um mich zu überzeugen, dass ich alles richtig verstanden und nichts vergessen habe. Und schließlich gibt es noch einen dritten Durchgang, bei dem ich nur noch meinen deutschen Text lese. Das ist dann der Arbeitsschritt, mit dem der Text richtig im Deutschen ankommt. Ich schaue dann nach Möglichkeit nicht mehr ins Original.
Arbeitest du beim Übersetzen mit bestimmten Tools?
TH: Ich bin recht altmodisch unterwegs. Als ich damals bei der Agentur gearbeitet habe, habe ich auch Übersetzungstools wie Trados oder Ähnliches kennengelernt. Aber in meiner literarischen Arbeit habe ich die nie verwendet und mache das bis heute nicht. Ich arbeite auch nicht mit DeepL. Außer Online-Wörterbüchern verwende ich eigentlich gar keine technischen Hilfsmittel und weiß auch nicht, ob das für mich funktionieren würde, weil ich mir den Text anverwandeln muss. Natürlich beobachte ich mit einem großen Interesse, aber auch mit einer zunehmenden Beklommenheit die KI-Entwicklungen. Ich bin keine Expertin, aber ich merke, wie ich noch vor einem Jahr gesagt hätte, ach was, wir literarischen Übersetzer:innen sind da doch nicht in Gefahr, was unsere Arbeit angeht. Aber bei der rasanten Entwicklung bin ich mir derzeit ehrlich gesagt nicht mehr ganz so sicher.
Hast du Vorbilder? Gab es Übersetzer:innen, die dich beeinflusst haben und auch prägend für deinen Stil waren?
TH: Als ich angefangen habe, mich für das Übersetzen zu interessieren, bin ich relativ bald auf Melanie Walz gestoßen, weil sie eine Autorin, die mich damals sehr interessierte, übersetzt hat – A. S. Byatt, über die ich auch meine Magisterarbeit geschrieben habe. Das war die erste Übersetzerin, die mir wirklich aufgefallen ist, bei der ich mir genauer angeschaut habe, was sie macht und wie sie vorgeht, und die ich sehr bewundert habe. Unglaublich viel gelernt habe ich auch von Frank Heibert, der mein Mentor war, als ich 2005 an der Übersetzerwerkstatt im LCB teilnahm, die ja bis heute jedes Jahr ausgeschrieben wird und eine tolle Einrichtung für junge Übersetzende ist. Frank Heibert als Mentor war ein großes Glück für mich, weil er mir viel eröffnet hat, was die Bereiche Freiheit und deutsche Idiomatik betrifft. Ich stehe aber grundsätzlich in regem Austausch mit vielen anderen Kolleg:innen und finde es schön, dass wir uns gegenseitig inspirieren und weiterbringen.
In München unterrichtest du auch Literaturübersetzen. Du hast ja erzählt, dass dich am Anfang die Übersetzungstheorien sehr interessiert haben. Ist das etwas, was dich noch immer beschäftigt?
TH: Es ist tatsächlich so, dass Übersetzungstheorien in der Praxis im Prinzip nicht anwendbar sind. Die Praxis funktioniert einfach ganz anders und eigentlich mache ich mir für jedes Projekt meine eigene Theorie, die nur für dieses Projekt gilt. Übersetzungstheorien interessieren mich aber trotzdem und ich lese auch immer wieder neue Publikationen zu dem Thema. Ich finde es wichtig – und das sage ich auch meinen Studierenden –, dass man weiß, was andere über das Übersetzen gedacht und geschrieben haben. Es ist auch einfach wichtig, das eigene Tun hin und wieder zu reflektieren.
In einem Toledo-Talk sprichst du von deinem übersetzerischen Instinkt. Wie hat sich dieser Instinkt über die Jahre entwickelt?
TH: Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht genau, wie er entstanden ist. Vielleicht hatte ich ihn auch schon immer, aber erst in den letzten Jahren habe ich ihn mir bewusst gemacht. Ich glaube, er entsteht, wenn man selbst übersetzt, aber auch andere Übersetzungen liest und im Idealfall, wenn die Zeit da ist, auch ein bisschen vergleicht und sich anschaut, wie andere beim Übersetzen vorgegangen sind. Ich meine damit nicht nur Übersetzungen aus dem Englischen, sondern auch aus anderen Ausgangssprachen, die ich vielleicht nicht beherrsche. Für mich ist das sehr lehrreich und all das füttert meinen Instinkt, mein inneres Lexikon, meine innere Idiomatik. Das spielt alles zusammen.
Also ist das Literaturübersetzen im Prinzip ein Learning-by-doing?
TH: Es gibt bestimmte handwerkliche Dinge, die man vorab erlernen kann. Um später bewusst Regeln brechen zu können, muss man erst einmal wissen, welche Regeln es überhaupt gibt. Bei jedem einzelnen Projekt lernt man etwas dazu und ich lerne auch unglaublich viel von meinen Kolleg:innen und meinen Autor:innen. Ich würde also schon sagen, dass das Literaturübersetzen ein Learning-by-doing ist. Vor allem aber ist es ein Lifelong-Learning, das niemals aufhört.
