„Es ist ein Über­set­zen unter enor­mem Zeitdruck“

Tanja Handels übersetzt Autorinnen wie Zadie Smith, Bernadine Evaristo und seit neuestem auch Toni Morrison aus dem Englischen. Im Gespräch gibt sie Einblicke in ihre Arbeit. Interview:

Die Übersetzerin Tanja Handels, fotografiert von Anja Kapunkt.

Mich inter­es­sie­ren dei­ne Anfän­ge als Lite­ra­tur­über­set­ze­rin. Wann hast du mit dem Über­set­zen begonnen?

TH: Ich bin tat­säch­lich eher durch Zufall zum Über­set­zen gekom­men, und zwar über die Theo­rie. Ich hat­te in Aachen und Köln ange­fan­gen, Anglis­tik und Kom­pa­ra­tis­tik zu stu­die­ren, und bin nach der Hälf­te mei­nes Stu­di­ums nach Mün­chen gewech­selt. Dort habe ich dann ein Semi­nar zu Über­set­zungs­theo­rien belegt und begon­nen, mir Gedan­ken dar­über zu machen, was Über­set­zen eigent­lich ist. Vor­her hat­te ich die Hal­tung, dass ich als Anglis­tik-Stu­den­tin ja ohne­hin alles Eng­li­sche im Ori­gi­nal lesen kann – wozu brau­che ich dann Über­set­zun­gen? Geschwei­ge denn, dass ich auf die Idee gekom­men wäre, sie selbst anzu­fer­ti­gen. Aber im Rah­men die­ses Semi­nars habe ich mir die ver­schie­dens­ten Über­set­zungs­theo­rien ange­schaut und ang­fan­gen, mich dafür wirk­lich zu inter­es­sie­ren. Außer­dem habe ich mich mit dem Dozen­ten, der als Über­set­zer im Bereich Kunst­ka­ta­log­text arbei­te­te, ange­freun­det, und irgend­wann hat er mir einen Auf­trag abge­tre­ten, weil er kei­ne Zeit hat­te. So habe ich mit dem Über­set­zen ange­fan­gen und fest­ge­stellt, dass ich das offen­bar ganz gut kann und es mir vor allem gro­ße Freu­de macht. Danach dach­te ich, dass ich das Über­set­zen auch als Beruf in Erwä­gung zie­hen könnte.

Wie hast du dann den Sprung in die Lite­ra­tur­spar­te geschafft? War das ein bewuss­tes Kar­rie­re­ziel oder ist das eher zufäl­lig passiert?

TH: Ab einem gewis­sen Punkt war das tat­säch­lich mein Ziel. Zunächst aber woll­te ich ger­ne wie damals jede gute Geis­tes­wis­sen­schafts­stu­den­tin in einem Ver­lag arbei­ten. Ich habe das auch eine Zeit lang gemacht, war da aber in der fal­schen Abtei­lung unter­ge­kom­men. Danach bin ich – weil ich ja wuss­te, ich kann ganz gut über­set­zen – zu einem Soft­ware­lo­ka­li­sie­rungs­un­ter­neh­men gegan­gen und habe dort vor allem Tech­ni­sches und Mar­ke­ting­tex­te über­setzt. Als ich das Unter­neh­men nach ein paar Jah­ren ver­ließ, beschloss ich, als Lite­ra­tur­über­set­ze­rin Fuß zu fas­sen, aber so ein­fach ist das ja bekann­ter­ma­ßen nicht. Also habe ich erst ein­mal den Stu­di­en­gang Lite­ra­ri­sches Über­set­zen in Mün­chen absol­viert. Danach war ich voll­stän­dig ange­fixt und konn­te mir gar nichts ande­res mehr vor­stel­len als Lite­ra­tur zu über­set­zen. Eini­ge schö­ne Zufäl­le haben mir damals in die Hän­de gespielt: Von einer Kom­mi­li­to­nin erfuhr ich, dass der Hör­ver­lag jeman­den sucht, der oder die Kurz­fas­sun­gen von Aga­tha-Chris­tie-Roma­nen zur rei­nen Ver­öf­fent­li­chung als Hör­buch über­setzt. Die Kom­mi­li­to­nin stell­te den Kon­takt her und nur weni­ge Tage spä­ter erhielt ich den Auf­trag. Von die­sen Kurz­fas­sun­gen habe ich über die Jah­re ins­ge­samt zwölf über­setzt. Eine ande­re Kom­mi­li­to­nin arbei­te­te bei Rowohlt Taschen­buch und ich schrieb ihr, dass ich gera­de ver­su­che, mich als Lite­ra­tur­über­set­ze­rin zu eta­blie­ren. Als sie sah, dass ich die Aga­tha-Chris­tie-Hör­bü­cher über­setz­te, bot sie mir einen his­to­ri­schen Kri­mi an. Danach habe ich vie­le Jah­re lang Kri­mis übersetzt.

Hat es dir Spaß gemacht, Kri­mis zu übersetzen?

TH: Ja, die Tex­te habe ich sehr gemocht und auch ger­ne über­setzt. Es war aber nicht das Gen­re, in dem ich arbei­ten woll­te. Ich war kei­ne gro­ße Kri­mi-Lese­rin und bin es auch nicht gewor­den. Daher bin ich froh, dass ich jetzt Tex­te über­set­ze, die ich auch sel­ber lesen wür­de. Das ist ein gro­ßes Glück.

Was waren die wich­tigs­ten Din­ge, die du über die Bran­che und über das Über­set­zen auf dem Weg gelernt hast?

TH: Tat­säch­lich habe ich etwas sehr Wich­ti­ges gelernt in den zwei Jah­ren bei der Soft­ware­lo­ka­li­sie­rungs­agen­tur – näm­lich mich auf den Hosen­bo­den zu set­zen und dran­zu­blei­ben. Das ist auch beim lite­ra­ri­schen Über­set­zen ganz wich­tig: Man muss dran­blei­ben, sich fokus­sie­ren und am Text arbei­ten. Wie ein Buch tat­säch­lich gemacht wird, habe ich von der Pike auf gelernt. Ich kann mich noch erin­nern, als ich das ers­te Mal Druck­fah­nen bekam, stand da „bit­te eine Zei­le ein­brin­gen“. Ich hat­te kei­ne Ahnung, was das heißt und muss­te die Lek­to­rin fra­gen, die mir dann erklärt hat, dass es dar­um geht, den Text um eine Zei­le zu kür­zen, damit der Satz­spie­gel wie­der stimmt. Mit der Zeit kam noch die Erkennt­nis hin­zu, dass ich mich ein biss­chen mehr vom Ori­gi­nal­text eman­zi­pie­ren muss. Oder anders gesagt: Man muss, um dem Ori­gi­nal treu zu blei­ben, sich manch­mal davon ent­fer­nen, um in der Über­set­zung die glei­che Wir­kung erzie­len zu können.

Aber wie hast du es letzt­end­lich geschafft, Über­set­zungs­pro­jek­te zu fin­den, die bes­ser zu dir passen?

TH: Die kamen nach und nach. Die ers­ten acht Jah­re habe ich Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur im wei­tes­ten Sin­ne über­setzt, also vie­le Kri­mis und auch Lie­bes­ro­ma­ne. Ich habe ver­sucht, Prä­senz zu zei­gen, auf Buch­mes­sen zu gehen und auf über­set­ze­ri­sche Ver­an­stal­tun­gen, bei­spiels­wei­se vom VdÜ. Beim zehn­jäh­ri­gen Jubi­lä­um des Deut­schen Über­set­zer­fonds habe ich dann Hel­ga Fre­se-Resch, Lek­to­rin bei Kiwi, ken­nen­ge­lernt und sie hat mich in ihre Über­set­zungs­kar­tei auf­ge­nom­men. Es dau­er­te dann zwar ein paar Jah­re, aber irgend­wann hat sie sich gemel­det und gesagt, dass sie etwas für mich hät­te – es ging um den ers­ten Essay­band von Zadie Smith. Die Über­set­zen­den ihrer ers­ten bei­den Roma­ne hat­ten alle kei­ne Kapa­zi­tä­ten, den Band zu über­neh­men. Des­we­gen such­te sie jemanden.

Hat­test du Zadie Smit­hs Bücher zu dem Zeit­punkt schon gelesen?

TH: Ja, ich hat­te eine Lis­te von Autorin­nen, die ich gern über­set­zen wür­de, wenn ich träu­men darf, und sie stand ganz oben. Ich hat­te ihr Debüt Zäh­ne zei­gen im Ori­gi­nal gele­sen, als es erschie­nen ist, und war völ­lig begeistert.

Weißt du noch, was genau dich an ihrem Roman so begeis­tert hat?

TH: Zum einen die Geschich­te des Romans und wie sie es schafft, die­ses sehr diver­se, mul­ti­kul­tu­rel­le Lon­don zu por­trä­tie­ren. Die Dar­stel­lung die­ser Stim­men­viel­falt, die sie ja auch in vie­len ihrer ande­ren Roma­nen ein­fängt, ist eine ihrer gro­ßen Stär­ken. Zum ande­ren gefiel mir die Fri­sche ihres Tons. Ich habe die­ses Buch ver­schlun­gen und ent­deck­te dar­in eine unglaub­lich auf­re­gen­de jun­ge Autorin.

Im Herbst erscheint ja Zadie Smit­hs neu­er Roman. Arbei­test du bereits an der Übersetzung?

TH: Ja, ich sit­ze gera­de dran. Die Über­set­zung soll tat­säch­lich mehr oder weni­ger zeit­gleich mit dem Ori­gi­nal erscheinen.

Das wird immer öfter so gehand­habt. Wie ist das für dich als Übersetzerin?

TH: Es ist ein Über­set­zen unter enor­mem Zeit­druck. Bei so einem tol­len Buch – es ist tat­säch­lich eines ihrer bes­ten der letz­ten Jah­re, möch­te ich sagen – hät­te ich ger­ne mehr Zeit, mich da noch wei­ter rein­zu­ver­sen­ken. Aber es wird tat­säch­lich immer öfter gemacht und ich kann es durch­aus auch ver­ste­hen: In den Medi­en wer­den zuneh­mend die Ori­gi­na­le gleich bei Erschei­nen bespro­chen, das gilt nicht nur für eng­li­sche, son­dern auch bei­spiels­wei­se für fran­zö­si­sche oder ita­lie­ni­sche Titel, und die deutsch­spra­chi­gen Ver­la­ge befürch­ten, dass die Über­set­zun­gen dann etwas untergehen.

Hast du Angst um die Qua­li­tät dei­ner Über­set­zung? Ich wür­de den­ken, dass Flüch­tig­keits­feh­ler bei so einem Ver­fah­ren öfter auftreten.

TH: Ich tue mein Bes­tes und bemü­he mich, so viel Zeit ein­zu­pla­nen, dass die Qua­li­tät gesi­chert bleibt und wir auch noch genü­gend Zeit für ein aus­führ­li­ches Lek­to­rat am Ende haben. Es tut einem Text aber immer bes­ser, wenn er zwi­schen­durch so wie ein Schin­ken ein biss­chen hän­gen darf. Er gewinnt dadurch an Aro­ma. Es wäre also schön, wenn ich mei­ne Über­set­zun­gen ein­fach auch mal lie­gen las­sen und spä­ter wie­der her­vor­ho­len und bear­bei­ten könn­te. Das wären für mich idea­le Bedin­gun­gen, die aber ohne­hin sel­ten gege­ben sind. Oft muss ein Wochen­en­de Pau­se reichen.

Zuletzt ist dei­ne Über­set­zung von Ber­na­di­ne Eva­ris­tos Mr. Lover­man erschie­nen. Du schreibst in dei­nem Tole­do-Jour­nal dar­über, dass man in dem Roman auf ver­schie­de­ne Varie­tä­ten des Eng­li­schen trifft. Das ist ja schon eine frem­de Welt, in die man erst ein­mal ein­tau­chen muss, oder?

TH: Letzt­lich macht man das bei jedem Buch, den­ke ich, aber hier ken­ne ich mich the­ma­tisch aus. Ich bin durch mei­ne Lek­tü­ren und mei­ne Beschäf­ti­gung mit den Ein­wan­de­rungs­kul­tu­ren Groß­bri­tan­ni­ens gut ver­traut mit den sprach­li­chen Beson­der­hei­ten wie bei­spiels­wei­se kari­bi­schem Patois. Bei Zadie Smith spielt das ja auch immer eine gro­ße Rol­le, und das hat mir bei Mr. Lover­man gehol­fen, weil ich weiß, wo ich nach­schau­en muss. Natür­lich muss ich mich trotz­dem ein­ar­bei­ten, aber es waren nur weni­ge Pas­sa­gen dabei, wo ich wirk­lich nach­fra­gen muss­te, was ein bestimm­tes Wort genau bedeutet.

Hast du beim Über­set­zen noch Berührungsängste?

TH: Ich wür­de nicht jeden Text anneh­men. Ich weiß, wo mei­ne Gren­zen lie­gen und mer­ke, wenn ich ein Buch lese, ob ich einen Zugang zum Text fin­den kann. Bei­spiels­wei­se leh­ne ich meis­tens Autor:innen ab, die aus afri­ka­ni­schen Län­dern kom­men, dort auf­ge­wach­sen und sozia­li­siert sind, aber auf Eng­lisch schrei­ben. In sol­chen Fäl­len habe ich das Gefühl, dass mir Hin­ter­grund­wis­sen fehlt. Die Autor:innen, die ich über­set­ze, sind alle in Groß­bri­tan­ni­en oder in den USA auf­ge­wach­sen. Wenn sie sich dann zusätz­li­che Kul­tur­räu­me erschlos­sen haben, sei es aus fami­liä­ren oder aus ande­ren Grün­den, kann ich mir die­se in gewis­ser Wei­se auch als Über­set­ze­rin erschlie­ßen. Mit Groß­bri­tan­ni­en und den USA ken­ne ich mich soweit aus, aber es gibt eben vie­le Län­der, in denen auch auf Eng­lisch geschrie­ben wird, die ich aber kaum ken­ne. Da wür­de ich mich dann beim Über­set­zen unsi­cher füh­len und fän­de das auch ver­ant­wor­tungs­los dem Text gegen­über. Es gibt für sol­che Tex­te kom­pe­ten­te­re Men­schen als mich.

Du hast auch Eva­ris­tos Roman Mäd­chen, Frau etc., für den sie 2019 den Boo­ker Pri­ze erhielt, ins Deut­sche gebracht. Wie ist die­se Über­set­zung zustan­de gekom­men? Die deut­sche Über­set­zung erschien ja erst, nach­dem der Preis ver­lie­hen wurde.

TH: Ich war tat­säch­lich gera­de dabei, den Roman zu lesen, als Tom Mül­ler von Tro­pen mich anrief, um zu fra­gen, ob ich mir vor­stel­len könn­te, das Buch zu über­set­zen. Ber­nar­di­ne Eva­ris­tos Werk war bis dahin kom­plett unüber­setzt, obwohl sie eine sehr pro­duk­ti­ve Autorin war und ist. Aber erst nach der Bekannt­ga­be des Boo­ker Pri­ze wur­de sie für den inter­na­tio­na­len Buch­markt ent­deckt. Noch in der Nacht sind wahr­schein­lich alle Ver­la­ge auf­ge­sprun­gen, um die Rech­te zu ergat­tern. Es ist auch wirk­lich ein groß­ar­ti­ges Buch.

Warst du von dem Erfolg hier­zu­lan­de über­rascht? Eva­ris­to hat­te zwar den Preis gewon­nen, war aber im Prin­zip eine Unbekannte.

TH: Der Erfolg hat mich sehr ange­nehm über­rascht. Wäh­rend des Über­set­zens habe ich manch­mal gedacht, dass der Roman schon recht bri­tisch ist – ein groß­ar­ti­ges Pan­ora­ma Schwar­zen, weib­li­chen, bri­ti­schen Lebens – und ich war gespannt, wie er auf dem deut­schen Markt lau­fen wür­de, aber offen­sicht­lich ist er auf reges Inter­es­se gesto­ßen. Die Debat­ten rund um Black Lives Mat­ter und Ras­sis­mus haben den Erfolg viel­leicht beför­dert, weil Eva­ris­to eben eine Autorin ist, die all die­se The­men offen verhandelt.

Bei Mäd­chen, Frau etc. wur­de auch über die Über­set­zung viel dis­ku­tiert und die Ver­wen­dung eini­ger Begrif­fe war umstrit­ten. Hat­test du beim Über­set­zen von Mr. Lover­man das Gefühl, dass man jetzt noch mehr auf poli­tisch kor­rek­te For­mu­lie­run­gen ach­ten muss oder hat dich das nicht wei­ter beeinflusst?

TH: Es hat mich und den Ver­lag inso­fern beein­flusst, als wir jetzt mehr erklä­ren. Schon bei dem auto­bio­gra­fi­schen Text Mani­festo, den Eva­ris­to nach Mäd­chen, Frau etc. geschrie­ben hat­te, haben wir eine edi­to­ri­sche Notiz ein­ge­fügt, in der wir erklä­ren, dass wir uns in den Begriff­lich­kei­ten nah am Ori­gi­nal ori­en­tie­ren. Auch bei Mr. Lover­man war das, glau­be ich, not­wen­dig. Denn der Ich-Erzäh­ler ist kei­ne Figur, die sich poli­tisch kor­rekt äußert. Ich wür­de das Buch aber von Grund auf ver­än­dern und gewis­ser­ma­ßen zen­sie­ren, wenn ich ihm die­se Dimen­si­on näh­me. Der Roman ist urko­misch, aber die­ser Ich-Erzäh­ler schont einen nicht. Und die Autorin schont uns nicht, indem sie ihn so präsentiert.

Bei Mäd­chen, Frau etc. dach­ten wir alle, die an der Ent­ste­hung der Über­set­zung betei­ligt waren – ich, die Lek­to­rin im Ver­lag, die Außen­lek­to­rin, die Test­le­sen­den –, dass es sich von selbst erklärt, war­um in der Über­set­zung eini­ge pro­ble­ma­ti­sche Begrif­fe ste­hen. Es erklärt sich aus der Zeit, in der die jewei­li­ge Pas­sa­ge spielt, aus der Figur, die gera­de spricht und aus der Geschich­te, die erzählt wird. Aber dem war nicht immer so – das ist die Leh­re, die ich dar­aus gezo­gen habe. Viel­leicht muss man daher ein­fach ein biss­chen mehr ein­bet­ten, ein biss­chen mehr erklä­ren. Es gibt aber bestimm­te Wör­ter, die ich nicht ver­wen­de und wo ich Gren­zen set­ze: Zum Bei­spiel wird man das deut­sche N‑Wort in mei­nen Über­set­zun­gen nicht lesen.

Wel­che Alter­na­ti­ve ver­wen­dest du in einem sol­chen Fall?

TH: Ich ver­su­che eine neu­tra­le Bezeich­nung zu fin­den. Wenn es tat­säch­lich dar­um geht, eine ras­sis­ti­sche Per­son dar­zu­stel­len, die sich auch ras­sis­tisch äußert, dann las­se ich meis­tens in Abspra­che mit dem Ver­lag das eng­li­sche Wort ste­hen. Auch das kann natür­lich ver­let­zend sein. Aber da kommt wie­der das Erklä­ren ins Spiel und die edi­to­ri­sche Notiz. Ich bin da völ­lig offen und fin­de, man kann und soll­te auch Trig­ger­war­nun­gen verwenden.

Arbei­test du mit Sen­si­ti­vi­ty Rea­dern zusammen?

TH: Ja, tat­säch­lich mache ich das zum Bei­spiel gera­de bei mei­ner Arbeit an Toni Mor­ri­sons Roma­nen. Ich bin sehr froh, dass es ein Sen­si­ti­vi­ty Rea­ding geben wird und fin­de es gut, sol­che Arbeits­gän­ge noch dazwi­schen zu schal­ten. Es gibt mir eine zusätz­li­che Sicher­heit, weil ich als wei­ße Per­son viel­leicht doch nicht voll­stän­dig ermes­sen kann, wie ver­let­zend man­che Begrif­fe oder For­mu­lie­run­gen sein kön­nen. In dem Fall ist es gut, wenn noch jemand auf den Text schaut, der oder die das kann.

Mit Toni Mor­ri­son über­setzt du eine Autorin, deren Roma­ne bis­lang von ganz unter­schied­li­chen Übersetzer:innen ins Deut­sche gebracht wur­den. Schaust du dir auch die älte­ren Über­set­zun­gen an?

TH: Wenn es wel­che gibt, auf jeden Fall. Bei Toni Mor­ri­son ist es so, dass die frü­hen Roma­ne neu über­setzt wer­den sol­len, um sie einer­seits der Zeit anzu­pas­sen, ande­rer­seits aber auch, weil es ganz unter­schied­li­che Übersetzer:innnen waren, die ihre ers­ten sechs Roma­ne über­setzt haben. Daher vari­iert der Ton. Nach mehr als drei­ßig Jah­ren ist es aber jetzt viel­leicht auch ein­fach an der Zeit für eine Neu­über­set­zung. Ich sit­ze gera­de an der Über­set­zung von The Bluest Eye.

Gera­de erschien Toni Mor­ri­sons Erzäh­lung Rezi­ta­tiv, die du auch über­setzt hast. War das qua­si wie eine Pro­be­über­set­zung vor der Neuübersetzung?

TH: Sozu­sa­gen. Aber bei der Erzäh­lung han­delt es sich tat­säch­lich um eine Erst­über­set­zung. Der Text flog ein biss­chen unter dem Radar, weil die Erzäh­lung auch im Ori­gi­nal vor­her nie sepa­rat erschie­nen ist. Es ist ja die ein­zi­ge Short Sto­ry der Autorin. Ich fand die Arbeit an dem Text groß­ar­tig, weil ich dabei noch ein­mal fest­stel­len konn­te, was für eine unfass­bar gute Autorin Toni Mor­ri­son war und wel­che gro­ße Kunst­fer­tig­keit sie besaß, um so einen extrem redu­zier­ten, aber doch poe­ti­schen Stil zu kre­ieren. Ihre Tex­te sind so durch­dacht; jedes Wort sitzt an der rich­ti­gen Stel­le. Das macht es natür­lich unglaub­lich her­aus­for­dernd, sie zu über­set­zen, weil man das nach Mög­lich­keit genau­so machen möch­te. Du siehst, ich fan­ge gleich an zu schwär­men, wenn ich über die­se Tex­te rede.

Inter­es­siert dich die Rezep­ti­on dei­ner Über­set­zun­gen oder kon­zen­trierst du dich gedank­lich eher auf das nächs­te Projekt?

TH: Mir liegt jedes Buch, das ich über­setzt habe, am Her­zen. Und natür­lich ver­fol­ge ich dann, wie es ankommt und wie die Leu­te dar­auf reagie­ren. Im Moment ver­fol­ge ich, ob es neue Rezen­sio­nen zu Mr. Lover­man gibt und bin auch gespannt dar­auf, wie Eva­ris­tos kur­ze Lese­rei­se sein wird.

Frus­triert dich die begrenz­te Sicht­bar­keit von Übersetzer:innen? Es gibt ja auch Über­set­zen­de, die sagen, dass sie gern in der zwei­ten Rei­hen ste­hen oder auf ande­ren Büh­nen als ihre Autor:innen.

TH: Ich fin­de durch­aus, dass wir über­set­zen­den Men­schen sicht­ba­rer sein soll­ten und ich bin auch dafür, dass man unse­re Namen auf das Cover schreibt. Außer­dem wäre es gut, wenn man Übersetzer:innen bei Lese­rei­sen ver­mehrt auf die Büh­ne holen wür­de, weil nie­mand das Buch so gut kennt wie wir, außer natür­lich die Autorin oder der Autor. Gleich­zei­tig gehö­ren wir aber auch in die zwei­te Rei­he, hin­ter die Autor:innen. Die ste­hen im Ram­pen­licht, denn sie haben die Bücher geschrie­ben, sich die Geschich­ten erdacht und ihre gan­ze Krea­ti­vi­tät da rein­ge­steckt. Ich als Über­set­ze­rin und Urhe­be­rin des deut­schen Tex­tes soll­te dann aber auch wirk­lich in der zwei­ten Rei­he ste­hen, und nicht etwa in der drit­ten oder vier­ten. Sonst kann es tat­säch­lich frus­trie­rend sein. Mit den Ver­la­gen, mit denen ich zusam­men­ar­bei­te, habe ich aber in der Hin­sicht nur gute Erfah­run­gen gemacht.

Wie gehst du vor beim Über­set­zen? Hast du einen Pro­zess, der bei jedem Buch ähn­lich ist oder ist der Ablauf jedes Mal anders?

TH: Das Über­set­zen läuft bei mir tat­säch­lich immer nach dem­sel­ben Sche­ma ab: Ich muss das Buch als ers­tes ein­mal lesen und zwar als Lese­rin, um den Text auf mich wir­ken zu las­sen. Die­sen Lese­ein­druck neh­me ich dann auch mit in mei­ne Über­set­zung. Wenn das gesche­hen ist, fan­ge ich vor­ne an und über­set­ze ein­mal durch. Frü­her habe ich die­sen ers­ten Ent­wurf als Roh­fas­sung bezeich­net. Damals ging es mir dar­um, das Buch so schnell wie mög­lich durch­zu­über­set­zen und danach die Fein­ar­beit zu machen. Inzwi­schen ist es aber so, dass ich viel mehr Zeit mit der ers­ten Fas­sung ver­brin­ge. Ich fei­le von Anfang an mehr und das dau­ert eben län­ger, gleich­zei­tig ist der Text dann aber auch schon fer­ti­ger als frü­her. Nach die­ser ers­ten Fas­sung mache ich eine zwei­te, bei der ich noch mal das Ori­gi­nal dane­ben lie­gen habe und Absatz für Absatz ver­glei­che, um mich zu über­zeu­gen, dass ich alles rich­tig ver­stan­den und nichts ver­ges­sen habe. Und schließ­lich gibt es noch einen drit­ten Durch­gang, bei dem ich nur noch mei­nen deut­schen Text lese. Das ist dann der Arbeits­schritt, mit dem der Text rich­tig im Deut­schen ankommt. Ich schaue dann nach Mög­lich­keit nicht mehr ins Original.

Arbei­test du beim Über­set­zen mit bestimm­ten Tools?

TH: Ich bin recht alt­mo­disch unter­wegs. Als ich damals bei der Agen­tur gear­bei­tet habe, habe ich auch Über­set­zungs­tools wie Tra­dos oder Ähn­li­ches ken­nen­ge­lernt. Aber in mei­ner lite­ra­ri­schen Arbeit habe ich die nie ver­wen­det und mache das bis heu­te nicht. Ich arbei­te auch nicht mit DeepL. Außer Online-Wör­ter­bü­chern ver­wen­de ich eigent­lich gar kei­ne tech­ni­schen Hilfs­mit­tel und weiß auch nicht, ob das für mich funk­tio­nie­ren wür­de, weil ich mir den Text anver­wan­deln muss. Natür­lich beob­ach­te ich mit einem gro­ßen Inter­es­se, aber auch mit einer zuneh­men­den Beklom­men­heit die KI-Ent­wick­lun­gen. Ich bin kei­ne Exper­tin, aber ich mer­ke, wie ich noch vor einem Jahr gesagt hät­te, ach was, wir lite­ra­ri­schen Übersetzer:innen sind da doch nicht in Gefahr, was unse­re Arbeit angeht. Aber bei der rasan­ten Ent­wick­lung bin ich mir der­zeit ehr­lich gesagt nicht mehr ganz so sicher.

Hast du Vor­bil­der? Gab es Übersetzer:innen, die dich beein­flusst haben und auch prä­gend für dei­nen Stil waren?

TH: Als ich ange­fan­gen habe, mich für das Über­set­zen zu inter­es­sie­ren, bin ich rela­tiv bald  auf Mela­nie Walz gesto­ßen, weil sie eine Autorin, die mich damals sehr inter­es­sier­te, über­setzt hat – A. S. Byatt, über die ich auch mei­ne Magis­ter­ar­beit geschrie­ben habe. Das war die ers­te Über­set­ze­rin, die mir wirk­lich auf­ge­fal­len ist, bei der ich mir genau­er ange­schaut habe, was sie macht und wie sie vor­geht, und die ich sehr bewun­dert habe. Unglaub­lich viel gelernt habe ich auch von Frank Hei­bert, der mein Men­tor war, als ich 2005 an der Über­setz­er­werk­statt im LCB teil­nahm, die ja bis heu­te jedes Jahr aus­ge­schrie­ben wird und eine tol­le Ein­rich­tung für jun­ge Über­set­zen­de ist. Frank Hei­bert als Men­tor war ein gro­ßes Glück für mich, weil er mir viel eröff­net hat, was die Berei­che Frei­heit und deut­sche Idio­ma­tik betrifft. Ich ste­he aber grund­sätz­lich in regem Aus­tausch mit vie­len ande­ren Kolleg:innen und fin­de es schön, dass wir uns gegen­sei­tig inspi­rie­ren und weiterbringen.

In Mün­chen unter­rich­test du auch Lite­ra­tur­über­set­zen. Du hast ja erzählt, dass dich am Anfang die Über­set­zungs­theo­rien sehr inter­es­siert haben. Ist das etwas, was dich noch immer beschäftigt?

TH: Es ist tat­säch­lich so, dass Über­set­zungs­theo­rien in der Pra­xis im Prin­zip nicht anwend­bar sind. Die Pra­xis funk­tio­niert ein­fach ganz anders und eigent­lich mache ich mir für jedes Pro­jekt mei­ne eige­ne Theo­rie, die nur für die­ses Pro­jekt gilt. Über­set­zungs­theo­rien inter­es­sie­ren mich aber trotz­dem und ich lese auch immer wie­der neue Publi­ka­tio­nen zu dem The­ma. Ich fin­de es wich­tig – und das sage ich auch mei­nen Stu­die­ren­den –, dass man weiß, was ande­re über das Über­set­zen gedacht und geschrie­ben haben. Es ist auch ein­fach wich­tig, das eige­ne Tun hin und wie­der zu reflektieren.

In einem Tole­do-Talk sprichst du von dei­nem über­set­ze­ri­schen Instinkt. Wie hat sich die­ser Instinkt über die Jah­re entwickelt?

TH: Wenn ich ehr­lich bin, weiß ich nicht genau, wie er ent­stan­den ist. Viel­leicht hat­te ich ihn auch schon immer, aber erst in den letz­ten Jah­ren habe ich ihn mir bewusst gemacht. Ich glau­be, er ent­steht, wenn man selbst über­setzt, aber auch ande­re Über­set­zun­gen liest und im Ide­al­fall, wenn die Zeit da ist, auch ein biss­chen ver­gleicht und sich anschaut, wie ande­re beim Über­set­zen vor­ge­gan­gen sind. Ich mei­ne damit nicht nur Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen, son­dern auch aus ande­ren Aus­gangs­spra­chen, die ich viel­leicht nicht beherr­sche. Für mich ist das sehr lehr­reich und all das füt­tert mei­nen Instinkt, mein inne­res Lexi­kon, mei­ne inne­re Idio­ma­tik. Das spielt alles zusammen.

Also ist das Lite­ra­tur­über­set­zen im Prin­zip ein Learning-by-doing?

TH: Es gibt bestimm­te hand­werk­li­che Din­ge, die man vor­ab erler­nen kann. Um spä­ter bewusst Regeln bre­chen zu kön­nen, muss man erst ein­mal wis­sen, wel­che Regeln es über­haupt gibt. Bei jedem ein­zel­nen Pro­jekt lernt man etwas dazu und ich ler­ne auch unglaub­lich viel von mei­nen Kolleg:innen und mei­nen Autor:innen. Ich wür­de also schon sagen, dass das Lite­ra­tur­über­set­zen ein Lear­ning-by-doing ist. Vor allem aber ist es ein Lifel­ong-Lear­ning, das nie­mals aufhört.


Tan­ja Han­dels lebt und arbei­tet in Mün­chen, wo sie vor allem zeit­ge­nös­si­sche Lite­ra­tur aus Groß­bri­tan­ni­en und den USA über­setzt, bei­spiels­wei­se Wer­ke von Zadie Smith, Ber­nar­di­ne Eva­ris­to, Toni Mor­ri­son, Char­lot­te McCo­nag­hy und Nico­le Flat­tery. Außer­dem unter­rich­tet sie ange­hen­de Literaturübersetzer*innen an ver­schie­de­nen Uni­ver­si­tä­ten und ist Vor­sit­zen­de des Münch­ner Über­set­zer-Forums. 2019 wur­de sie mit dem Hein­rich-Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet.


Ber­na­di­ne Eva­ris­to | Tan­ja Han­dels

Mr. Lover­man


Kiwi Ver­lag 2023 ⋅ 336 Sei­ten ⋅ 25 Euro


Toni Mor­ri­son | Tan­ja Han­dels

Rezi­ta­tiv


Rowohlt Ver­lag 2023 ⋅ 95 Sei­ten ⋅ 20 Euro


Buchcover des Romans Tiepolo Blau von James Cahill. Auf dem Cover ist eine Büste auf blauem Grund zu sehen, die an der Nasenwurzel abgeschnitten ist.

Das Blau des Himmels

In James Cahills Roman­de­büt „Tie­po­lo Blau“ wird ein zurück­ge­zo­gen leben­der Pro­fes­sor von einem moder­nen Kunstwerk… 
Cover von Pol Guaschs Roman Napalm im Herzen. Illustration eines jungen Menschen mit dunklen Haaren in grellen Rottönen.

Nach der Katastrophe

In „Napalm im Her­zen“ erzählt der kata­la­ni­sche Autor Pol Guasch eine que­e­re Lie­bes­ge­schich­te in einem… 
Cover von Samantha Harveys Roman Umlaufbahnen. Im Hintergrund ist ein Foto der Erdatmosphäre.

In eige­nen Sphären

In ihrem Roman „Umlauf­bah­nen“ hin­ter­fragt Saman­tha Har­vey die mensch­li­che Exis­tenz im Uni­ver­sum – und erhielt… 

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