Als im Jahr 1830 die erste deutsche Übersetzung von Stolz und Vorurteil erschien, war Jane Austen hierzulande fast fünfzehn Jahre nach ihrem Tod noch eine Unbekannte. Nicht einmal ihr Name wurde auf dem Titelblatt vermerkt. Ob der Verlag C. H. F. Hartmann damit dem englischen Original folgte, das man zunächst anonym veröffentlicht hatte, oder ob der Name ihrer bekannteren Übersetzerin ein besseres Verkaufsargument war, lässt sich heute laut der englischen Literaturwissenschaftlerin Helen Chambers kaum mehr nachvollziehen.
Da sich der englische Roman Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa großer Beliebtheit erfreute, brachte die Übersetzerin Louise Marezoll viele Werke englischsprachiger Autor:innen ins Deutsche. Ihre Übertragung von Austens Stolz und Vorurteil erfolgte „frei nach dem Englischen“, was damals nicht unüblich war. Marezoll strich beispielsweise ganze Passagen und fasste an manchen Stellen Austens clevere Dialoge mittels indirekter Rede zusammen. Und ausgerechnet der viel zitierte erste Satz des Romans klingt in ihrer freien Übersetzung wie folgt:
It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune must be in want of a wife
Nichts ist leichter vorauszusetzen, als daß ein junger, reicher, unverheiratheter Mann vor allen andern Dingen eine (sic!) Frau bedarf.
Dass dieser erste Satz einmal zu den berühmtesten Anfangssätzen der englischsprachigen Literatur zählen würde, war vor gut zweihundert Jahren kaum absehbar. Heute wäre eine solche Übertragung wohl ein Todesurteil für jede Austen-Übersetzung, aber die übersetzerischen Konventionen waren damals eben andere. Und obgleich es die sogenannten Janeites (eine Bezeichnung für Austen-Fans, erfunden von dem Literaturkritiker George Saintsbury) bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab, hat der Hype um die Autorin erst in den letzten Jahrzehnten richtig Fahrt aufgenommen. Jane Austen ist inzwischen ein globales Business: Ihre Bücher werden nicht nur gelesen und übersetzt, sondern regelmäßig neu verfilmt – zuletzt erschien die polarisierende Netflix-Verfilmung von Überrredung. Während Austens Gesicht auf Jutebeuteln verewigt wird, sind ihre Figuren Gegenstand unzähliger literarischer Weiter- und Neudichtungen, von denen Stolz und Vorurteil und Zombies und auch Helen Fieldings Bridget Jones zu den bekanntesten zählen.
Austens Stolz und Vorurteil, erschienen 1813 als Pride and Prejudice, ist zum Liebling moderner Leser:innen avanciert. Zwar erfreuen sich auch ihr Debütroman Verstand und Gefühl (1811) und ihr letzter zu Lebzeiten veröffentlichter Roman Emma (1815) großer Beliebtheit, aber an die popkulturelle Signifikanz von Stolz und Vorurteil reichen sie bislang noch nicht heran. Dass der Roman so ein großer Publikumsliebling werden würde, hätte man Anfang des 19. Jahrhunderts kaum vorhersehen können. Austen musste zunächst selbst in die Tasche greifen, um die Veröffentlichung zu finanzieren, und obwohl ihre Bücher solide Verkaufszahlen hatten und sie selbst in bestimmten Kreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte, hat man ihre Romane nicht mit demselben Enthusiasmus rezipiert wie heute.
Wer Austen noch nie gelesen hat, mag ihre Bücher als Vorläufer moderner Liebesromane abtun. Ihre Popularität und die anhaltende Misogynie in der Literaturbranche sorgen seit jeher dafür, dass ihre Werke manchmal noch immer nicht ganz ernst genommen oder gar als trivial gesehen werden. Dabei verhandelt sie in ihren Romanen, die mit gelungenen Spannungsbögen ausgestattet sind, hoch komplexe Themen in mikrokosmischen Settings, darunter nicht nur Geschlechterrollen, sondern auch ökonomische Abhängigkeiten sowie Bildungs- und Klassenunterschiede.
Und auch sprachlich hat Austen einiges zu bieten: Sie ist eine scharfe Beobachterin und Stolz und Vorurteil ist an vielen Stellen sehr witzig. Dafür sorgen nicht nur die feine Ironie, die oft mitschwingt, aber in ernsteren Szenen heruntergefahren wird, sondern auch die geistreichen Schlagabtausche zwischen den einzelnen Figuren. Außerdem gilt Austen im englischsprachigen Raum als Pionierin, was die Verwendung der erlebten Rede angeht, in der sich die Perspektiven der Figuren und der Erzählinstanz vermischen. All diese Elemente sorgen dafür, dass der Roman auch in der heutigen Zeit viele Leser:innen findet.
In Stolz und Vorurteil erzählt Austen die Geschichte der Familie Bennet, die mit fünf Töchtern gesegnet ist, was aber in der Regency-Ära denkbar ungünstig war. Das ohnehin begrenzte Vermögen von Mr. Bennet geht aufgrund der damaligen Erbfolge an einen männlichen Cousin, seine Töchter sollen daher möglichst wohlhabende Ehemänner finden. Elizabeth Bennet, die Hauptfigur des Romans, nimmt aufgrund ihres eigenwilligen Wesens aber keineswegs jeden: Den albernen Mr. Collins weist sie mit dem Segen des Vaters ab und auch den unvermittelten Heiratsantrag durch Mr. Darcy – der zwar über 10.000 Pfund im Jahr verfügt, ihre Familie aber auch als seiner unwürdig wahrnimmt – lehnt sie zunächst ab. Um als eines der berühmtesten Paare in die englische Literaturgeschichte einzugehen, müssen sie und Mr. Darcy zunächst ihren Stolz zügeln und ihre Vorurteile überwinden. Und wenig überraschend werden ihnen dabei einige Hürden auf den Weg gelegt.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein solcher Klassiker von Weltrang mindestens einer soliden Übersetzung bedarf, um auch in anderen Sprachen sein volles Potenzial zu entfalten. Glücklicherweise gibt es vor allem von vielen englischsprachigen Romanen inzwischen dutzende Übersetzungen, von denen ein Großteil erst in den letzten fünfzig Jahren entstanden ist. Das ist auch bei Stolz und Vorurteil der Fall. Nach der ersten Übersetzung durch Marezoll sollte es über hundert Jahre dauern, bis eine deutschsprachige Neuübersetzung veröffentlicht wurde. Unter dem Titel Elisabeth and Darcy erschien 1939 die Übersetzung von Karin von Schwab. Anders als ihre Vorgängerin hat diese Übersetzung den Test der Zeit besser bestanden: Zwar sind inzwischen unzählige weitere Neuübersetzungen verlegt worden, aber Schwabs Übersetzung ist noch immer erhältlich und wird von Verlagen (beispielsweise von Aufbau und Anaconda) neu aufgelegt, wenngleich auch oftmals in überarbeiteter Fassung von Isabelle Fuchs.
Weitere deutschsprachige Übersetzungen erschienen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Der Züricher Manesse-Verlag brachte 1948 eine Übertragung von der Lyrikerin Ilse Krämer heraus. Zeitgleich wurde eine Übersetzung von Margarete Rauchenberger veröffentlicht, die der Frankfurter Insel Verlag bis heute in überarbeiteter Fassung durch Ursula Gräfe verlegt. 1951 erschien zudem eine Übersetzung durch Helmut Holscher im Hera Verlag. Erst in den 60er- und 70er-Jahren folgten weitere Übertragungen von Werner Beyer (List Verlag; später Kiepenheuer und Fischer Taschenbuch) und von dem Ehepaar Ursula und Christian Grawe (Reclam).
Letzterer gibt in seinem Nachwort von 1977 einen kurzen Einblick in die Austen-Rezeption in Deutschland, wo er kritisch bemerkt: „Deutschland hinkt nach“. Denn obwohl es zu dem Zeitpunkt einige Stolz-und-Vorurteil-Übertragungen gab, blieb Austens Gesamtwerk lange unvollständig übersetzt und auch die Veröffentlichungen über ihr Werk hielten sich in Grenzen. Folglich wurde Grawe selbst tätig und übertrug nicht nur gemeinsam mit seiner Frau alle weiteren Austen-Romane, sondern auch Briefe und andere Texte aus ihrem Nachlass. Zuletzt erschien bei Reclam seine Austen-Biografie Darling Jane.
Nach der Grawe-Übersetzung passierte viele Jahre nichts, bis man sich schließlich Anfang der 2000er wieder Stolz und Vorurteil widmete. Dass zwischen dem Erscheinen der Neuübersetzungen gut zwanzig bis dreißig Jahre liegen, ist normal. Die Übersetzung von den Grawes hatte Austens Klassiker gehörig entstaubt und oft muss ein bisschen Zeit vergehen, damit es sich für Verlage lohnt, in Neuübersetzungen zu investieren. Artemis & Winkler veröffentlichte 2002 eine Übersetzung von Helga Schulz, die inzwischen dtv verlegt, und Manesse brachte in diesem Zuge 2003 eine eigene Neuübersetzung von Andrea Ott heraus, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens sehr wohlwollend besprochen wurde und inzwischen auch als Penguin Edition erhältlich ist. 2016 erschien die jüngste Neuübersetzung durch Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié im S. Fischer Verlag.
Welche dieser Übersetzung soll man nun lesen? Ein Blick in die verschiedenen Übersetzungen soll diese Frage beantworten oder zumindest eine Empfehlung geben. Nicht berücksichtigt werden dabei die Übersetzungen von Louise Marezoll, Ilse Krämer und Helmut Holscher, weil diese entweder nicht vorlagen oder inzwischen nur noch antiquarisch erhältlich sind. Schauen wir uns zunächst den berühmten Anfang von Stolz und Vorurteil an:
Der erste Teil des berühmten Einstiegssatzes klingt in vielen Übersetzungen zunächst ähnlich: Die meisten Übersetzenden sind sich einig, dass es sich um eine „Wahrheit“ handelt, die verkündet wird, und dass diese in der Gesellschaft „allgemein anerkannt“ ist, also akzeptiert wird. Die Grawes und Alliés weichen davon ab, indem sie anstelle von Wahrheit „Tatsache“ verwenden. Der Begriff „Wahrheit“ ist näher am englischen „truth“, klingt im Deutschen aber weniger idiomatisch als „Tatsache“. Trotzdem ist „Wahrheit“ hier letztendlich das bessere Wort, weil der Roman den vermeintlichen Wahrheitsgehalt dieser Aussage letztlich ad absurdum führt, und das bereits in den darauffolgenden Zeilen. Denn es sind nicht die Männer, die unbedingt eine Frau brauchen, sondern die Frauen der Bennet-Familie, die einen Mann finden müssen.
Und um was für einen Mann handelt es sich? Einen „Junggeselle“ bzw. einen „alleinstehenden“ Mann übersetzen hier die meisten. Von Schwabs „unbeweibter Mann“ sticht an dieser Stelle als altmodisch hervor und ist ungewollt komisch. Austens wichtiger Zusatz: Er muss dabei auch noch vermögend sein. Wie sein „good fortune“ aussieht, bleibt aber unklar: Braucht er ein „gewisses“ (Allié) oder ein „beträchtliches“ (Schulz) Vermögen? Oder ist dieses Vermögen etwa „hübsch“ (Grawe), beziehungsweise „schön“ (Rauchenberger; Ott)? Letzteres ist ein besonders seltsames Attribut für ein Besitztum.
Das englische „in possession of“ haben die meisten mit der äquivalenten Formulierung „im Besitz von“ im Deutschen übersetzt. Lediglich Helga Schulz und Margarete Rauchenberger sind in die Falle getappt, die präzise englische Konstruktion in einen deutschen Relativsatz aufzulösen, der den Satz direkt überfrachtet. Am anderen Ende des übersetzerischen Spektrums steht Werner Beyer, der seinem „Junggesellen“ das Attribut „begütert“ voranstellt – eine pragmatische Lösung, bei der allerdings der stufenweise Aufbau des Originals verloren geht.
Interessant ist auch der letzte Teil des Satzes, in dem es heißt, der Junggeselle „must be in want of a wife“. Wie genau das zu verstehen ist, sorgt ebenfalls für Uneinigkeit: „Braucht“ (Grawe; Ott) er oder „bedarf“ (Schulz) er einer Frau? Oder „muss“ er „auf der Suche“ nach ihr sein (Allié) bzw. „Ausschau halten“ (Beyer)? Das Suchen und Ausschauhalten lässt merklich stärker als andere Varianten anklingen, dass die Männer hier aktiv werden. Und das „Muss“ in diesen Varianten suggeriert deutlich eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass zwangsläufig Männer auf der Jagd sein sollten.
Allerdings sind in diesem ersten Abschnitt nicht die Männer die Jagenden, sondern die Frauen – mit dieser Umkehrung des romantischen Ideals spielt Austen auch im nächsten Satz. Denn dort ist der Mann das „rechtmäßige Eigentum“ der jeweiligen Tochter, obgleich es in Wirklichkeit genau anders herum war. In der alten Übersetzung von Karin von Schwab wurde dieser Teil des zweiten Satzes völlig falsch übertragen und die Ironie überlesen; bei ihr wird der Mann zum „Besitzer“. Unnötig kompliziert klingt das Ganze hingegen ausgerechnet in neuesten Übersetzung der Alliés, wo der „Mann von Rechts wegen der einen oder anderen ihrer Töchter zufallen soll“.
Auffällig ist in diesem Absatz auch die unterschiedliche Verwendung des Siezens und Duzens. Im Englischen existiert das Dilemma, wer wen siezt, nicht. Im Deutschen wird es hingegen mitunter kompliziert und die Übersetzer:innen handhaben das in ihren Übersetzungen recht unterschiedlich. So siezt Mrs. Bennet in einigen Übersetzungen (Schulz; Rauchenberger) Charlotte Lucas, die beste Freundin ihrer Tochter Elizabeth. In den restlichen Übersetzungen wird geduzt, was angesichts der Tatsache, dass es sich um Kindheitsfreundinnen handelt, passend ist.
In Andrea Otts Übersetzung siezt sich hingegen, anders als in allen anderen Übersetzungen, das Ehepaar Bennet und auch die Kinder siezen ihren Vater. Das mag historisch angemessen sein, aber eigentlich ist es in der Welt von Jane Austen, die ihre Romane viel undeutlicher zeitlich und örtlich verankert als beispielsweise die Verfilmungen es tun, von geringer Relevanz. Zum einen wirkt es sprachlich unnötig steif, zum anderen entsteht in der Übersetzung eine gewisse Distanz zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, die dem herzlichen Umgang miteinander (beispielsweise zwischen Lizzy und ihrem Vater) insgesamt zuwiderläuft.
Einen ähnlichen Eindruck muss auch Rauchenberger (oder gar Ursula Gräfe, die ihre Übersetzung überarbeitet hat) gehabt haben, als sie die zweite emotionale Antragsszene zwischen Mr. Darcy und Elizabeth übersetzte. In ihrer Fassung beginnen sich die Liebenden zu duzen, was sie in ihrer Übersetzung durch einen geschmacklosen Satz markiert, der so nicht im Original zu finden ist: „Elizabeth errötete über das vertrauliche Du“. Der Beginn des Duzens markiert den Übergang zum verlobten Paar, lenkt hier jedoch vom Inhalt ab, weil der Tonfall mitten in der Szene umschlägt. Vielleicht entschlossen sich deshalb die anderen Übersetzer:innen, das Siezen bis zum Ende durchziehen.
Insgesamt zeichnet sich in diesem ersten Abschnitt aber schon eines ab: Alle Übersetzer:innen zeigen sich sehr bemüht, nah am Original zu übersetzen, obgleich es trotzdem Unterschiede zwischen den einzelnen Fassungen gibt. Gänzlich freie Übersetzungen wie etwa Beyers Satz „Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und begann“, der dennoch die Kernaussage einfängt, werden nur selten gewagt, wie auch der nächste Textauszug zeigen wird. An dieser Stelle macht Mr. Darcy seinen ersten Heiratsantrag:
Wer denkt, dass an dieser Stelle nun endlich der mit Austen zu Unrecht verbundene Kitsch einsetze, wird beim Lesen des restlichen Kapitals enttäuscht werden, denn Elizabeth lehnt seinen Antrag mit Härte und Bestimmtheit ab. Der beschriebene Gefühlsausbruch von Mr. Darcy ist auch völlig untypisch für seinen bis dahin gezeichneten Charakter – er ist ein zurückhaltender Mann, der lieber nichts sagt als das Falsche, weshalb Elizabeth zunächst von dem Antrag überrascht ist.
Um der Intensität von Darcys Gefühlen gerecht zu werden, ist es nur konsequent, den Satz mit „vergeblich“ oder „vergebens“ zu beginnen und der Wortstellung im Englischen zu folgen, was bis auf Ott und Rauchenberger auch alle gemacht haben. Etwas schwer tat man sich mit der Übersetzung des englischen Worts „ardently“, das beschreibt, dass jemand starke Gefühle hat. Dieses Wort ist wichtig, weil es den vorherigen Satz, in dem Darcy weiter von seinen Emotionen berichtet, unterstützt. Ein Teil der Übersetzer:innen hat an dieser Stelle ein „sehr“ verwendet, was einen gebührenden Effekt hat, aber in dem Satz kaum auffallen dürfte und der ungezügelten Leidenschaft, die hier zum Ausdruck kommen soll, nicht gerecht wird. Wer weniger Angst vor Pathos hatte, übersetzt „ardently“ im Deutschen mit „glühend“ – oder gar wie die Alliés mit „flammend“, was dann aber doch die Grenze zum Kitsch überschreitet.
Auf seine Liebeserklärung folgt die Reaktion Elizabeths, der zunächst die Worte fehlen, was sich auch in dem verkürzten, stakkatohaften Satzbau widerspiegelt. Dieser wird von fast allen Übersetzer:innen auch imitiert; lediglich Rauchenberger entschied sich aus nicht ersichtlichen Gründen, die Darstellung der körperlichen Reaktion zu verkürzen. Im Kontrast dazu werden die Sätze danach wieder länger und komplexer – denn Mr. Darcy sagt noch sehr viel mehr, was wir als Leser:innen aber nur in der Zusammenfassung präsentiert bekommen, weil der Roman vorrangig Elizabeths Perspektive einnimmt und hier nur die Quintessenz des Gesagten für ihre Reaktion am Wichtigsten ist.
Vieles von dem, was Mr. Darcy in der Vorbereitung auf seinen Antrag beschäftigt hat, wird von Austen also in diesem Absatz lediglich angedeutet. Dementsprechend müssen die Übersetzer:innen einige Lücken füllen und greifen in unterschiedlichem Maße interpretatorisch ein. So übersetzte von Schwab 1939, als der Roman nicht unter seinem Titel Stolz und Vorurteil, erschien, „pride“ sehr frei und ein wenig übertrieben mit „sein unmäßiger Standesdünkel“. Alle neueren Übersetzungen folgen mit Blick auf den Titel dem Original und übersetzen „pride“ hier und an anderen Stellen einfach als „Stolz“.
Auch der Satzteil „His sense of her inferiority, of its being a degradation […]“ wirft Probleme auf: Zum einen lässt sich dieser nur bedingt im Deutschen in seiner Kompaktheit nachahmen. Das führt dazu, dass Übersetzer:innen auf Nebensatzkonstruktionen ausweichen (Allié), Teile durch Gedankenstriche entzweien, um die Lesbarkeit zu erhöhen (Schulz), oder den Satz aufbrechen und von Grund auf neu konstruieren (Ott). Einige halten sich aber auch eng am Original, was die Wortstellung betrifft (Grawe; Beyer), ohne dass es ihrer Übersetzung unbedingt schaden würde.
Zum anderen ist die genaue Bedeutung einiger Wörter nicht auf den ersten Blick ersichtlich, weshalb einige Übersetzer:innen an dieser Stelle eingreifen. Es beginnt bereits mit dem Wort „inferiority“, das von Austen nicht weiter bestimmt wird: In welcher Hinsicht ist Elizabeth Darcy unterlegen? Der Roman bietet dafür eigentlich genug Erklärungen, wenn man sich an die höchst komischen, aber doch auch peinlich berührenden Szenen vom Anfang erinnert, in denen sich vor allem die Mutter in vornehmer Gesellschaft nicht angemessen verhält.
Trotzdem fügen einige Übersetzer:innen hier erklärende Hilfestellungen ein. In Otts Übersetzung ist es ihre „gesellschaftlichen Unterlegenheit“, die Mr. Darcy unvorteilhaft wahrnimmt, bei den Grawes ihre „soziale Unterlegenheit“ und Schulz spricht von seinem „Bewußtsein ihres geringeren Standes“. Noch komplexer wird es, weil sich „of its being a degradation“ als Teil der englischen Genitiv-Konstruktion direkt auf das vorherige „inferiority“ bezieht und als eine Folge dieser Unterlegenheit markiert wird. Nicht alle Übersetzer:innen retten diese entscheidende inhaltliche Verbindung ins Deutsche. Die Grawes beispielsweise schieben „sein gesellschaftlicher Abstieg“ in ihre Aufreihung, ohne dass der Zusammenhang deutlich wird, und auch Rauchenbergers Übersetzung verliert an dieser Stelle Nuancen.
Auch gegen Ende hin verliert der Satz nicht an Komplexität: Mr. Darcy, heißt es, schnitt all diese Hindernisse an mit einer „Heftigkeit (Allié)“ oder „Inbrunst (Ott)“ oder „Wärme“ (Rauchenberger; Beyer). Letzteres ist zwar auf den ersten Blick nah am englischen „warmth“, ruft aber im Deutschen andere Konnotationen wie „herzlich“ oder „freundlich“ hervor und passt daher kaum zum vor Leidenschaft erregten Gemüt Darcys.
Noch interessanter ist allerdings die – im Englischen clever angedeutete – Quelle dieser Hitze: „which seemed due to the consequence he was wounding“. An dieser Stelle mussten die Übersetzer:innen nun besonders kreativ werden, um den Sinn einzufangen. Am auffälligsten ist der von Ott eingefügte Nebensatz, dass seine „Inbrunst […] zwar zu der hierdurch beleidigten aristokratischen Stellung passen mochte“. Wenige Absätze später wird Darcy in Otts Übersetzung, wo er noch beleidigender auftritt als im Original, auch von Elizabeths „zweitklassigen Angehörigen“ (eine lose Übertragung von „the inferiority of your connections“) sprechen. In eine ähnliche Richtung, wenn auch nicht so offensiv, bewegt sich Beyer, bei dem die Wärme „wohl auf die Empfindung zurückzuführen war, daß er Standesvorurteile verletzte“.
Die Lösungen von Ott und Beyer sind zwar interpretatorisch richtig, lassen aber die Subtilität vermissen, die den Stil Austens im Original ausmacht. Der Standesunterschied ist zwar ein zentraler Konflikt in Stolz und Vorurteil und Kern vieler in dem Roman verhandelten Vorurteile. Trotzdem könnte man den Leser:innen mehr interpretatorische Eigenständigkeit zumuten. Originell ist im Vergleich die freie Übertragung der Grawes, die den Nebensatz nicht als Ursache seiner Leidenschaft deuten, sondern ihn nutzen, um Darcys Leidenschaft, „aus der seine ganze Selbsterniedrigung sprach“, zu charakterisieren. Diese „Selbsterniedrigung“ verstärkt eine andere Lesart der Szene – nämlich, dass Darcy den gesellschaftlichen Unterschieden viel mehr Gewicht gibt als sie in der Romanwelt tatsächlich haben.
Wie raffiniert Austen ihre zwei Hauptfiguren entlang der Standesunterschiede navigieren lässt, zeigt sich auch am Ende der Antragsszene. Mr. Darcy mag sich zwar an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie sehen – seine Manieren lassen allerdings zu wünschen übrig, wie ihm Elizabeth vorwirft:
Elizabeths Ansicht, dass sich Mr. Darcy ihr gegenüber nicht wie ein Gentleman verhalten habe, ist für den Roman ganz zentral. Für eine Figur, die ein so ausgeprägtes Standesbewusstsein hat wie Mr. Darcy, ist der Vorwurf, seiner gesellschaftlichen Rolle nicht gerecht zu werden, eine schwerwiegende Anschuldigung und daher auch Katalysator seiner weiteren Handlungen. Als er und Elizabeth am Ende des Romans zueinanderfinden, wird Mr. Darcy ihr erzählen, wie ihn dieser Satz verfolgt hat. Er wird den Satz zitieren und hinzufügen: „Sie wissen nicht, Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich das getroffen hat“ (Allié).
In den frühen Übersetzungen von Rauchenberger und von Schwab kann dieser Vorwurf seine Wirkung nicht ganz erzielen, weil der Begriff „Gentleman“ – und somit alles, was mit dieser Figur in England und Jane Austens Welt verbunden wird – in der Übersetzung gar nicht vorkommt, sondern durch Adjektive wie „vornehmer“ und „taktvoller“ umschrieben wird. In den neueren Übersetzungen wird der Begriff konsequent stehen gelassen, nicht zuletzt, weil man dem Publikum ohnehin inzwischen mehr Englisch zumuten kann. (In diesem Zusammenhang wirkt auch die Eindeutschung des Begriffs Mr. in älteren, unüberarbeiteten Übersetzungen wie Beyers, wo von Herrn Darcy die Rede ist, inzwischen albern.)
Ansonsten kann man hier nur bewundern, welchen Satz Austen zustande gebracht hat und wie sicher ihn Jennifer Ehle in der Verfilmung von 1996 vorträgt. In der deutschen Übersetzung klingt dieser mal mehr, mal weniger gut. Zunächst haben die Alliés Elizabeth diplomatischer aufgefasst und leiten den Vorwurf mit Verweis auf ein mögliches Missverständnis ein. In der Übersetzung von Beyer erreicht der Satz schnell die Grenzen der Verständlichkeit durch zu viele Nebensätze und das umständliche „haben würde“. Außerdem setzt er den Fokus auf die Ablehnung des Antrags und nicht auf die Anklage des eines Gentlemans unwürdigen Verhaltens. Eine Tendenz zu umständlich konstruierten Sätzen zeigt auch hier wieder die Übersetzung von Schulz, die aus unerfindlichen Gründen aus der „Ablehnung“ den Nebensatz „als ich Sie abwies“ macht. Am treffsichersten klingen an dieser Stelle Otts und Grawes Übertragungen.
Da sich Jane Austens Texte durch ihre Dialoge und Nachahmung mündlicher Rede auszeichnen, soll noch ein letztes Beispiel diskutiert werden. Es handelt sich dabei jedoch eher um einen Monolog als um einen Dialog. Dieser wird von Lydia, Elizabeths jüngster Schwester, gehalten:
Lydia ist zu Beginn des Romans fünfzehn Jahre alt und eine frivole Teenagerin, die (etwas überzeichnet) nichts anderes im Kopf hat als sich mit den vor Ort stationierten Offizieren zu vergnügen. Ihr Monolog, der doppelt so lang wie die zitierte Passage ist, gleicht einem atemlosen Redeschwall, der hier auf Elizabeth einbricht. Dementsprechend zeichnet er sich durch emphatische Ausrufe, rhetorische Fragen und Interjektionen aus. Austen übertreibt gehörig, denn Lydia ist eine leichtsinnige Figur, die sich wie ihre Mutter vor allem für den neuesten Klatsch und Tratsch interessiert. Zudem nimmt die Autorin an dieser Stelle einen entscheidenden Plot-Twists des Romans vorweg, denn Lydia wird tatsächlich die erste unter den Schwestern sein, die heiratet.
In welchem Maße die Übersetzer:innen an dieser Stelle ebenfalls übertreiben, ist recht unterschiedlich. Viele haben die Zahl der Ausrufezeichen – die im Deutschen ohnehin nur sparsam eingesetzt werden – etwas verringert, aber meistens noch ein paar übrig gelassen, sodass sie in einigen Übersetzungen immerhin auffallen könnten. Doch auch an der Übertragung und dem Einsatz der Interjektionen (Well, God!, dear me! etc.) zeigt sich, wie unterschiedlich die Übersetzenden die Zumutbarkeit solcher Stilmittel im Deutschen bewerten.
Die erste tatsächlich sichtbare Übertragung des einleitenden „Well“ beginnt mit der Übersetzung der Grawes, die den Satz mit einem „so“ gefolgt von einem Komma anfangen. In späteren Übersetzungen wird daraus ein „na“ (Ott; Allié). Daran anschließend wird auch die englische Syntax mit ihren Aneinanderreihungen durch „and“ in den neueren Übersetzungen viel stärker ins Deutsche gebracht – besonders rhythmisch von den Alliés. Beyer, der generell recht zurückhaltend übersetzt, war das später folgende „dear me“ nach dem zweimaligen „Lord!“ wohl zu viel, um es ins Deutsche zu retten, und auch die Alliés haben dafür eine indirekte, aber das Mündliche imitierende Lösung gefunden, indem sie das „dear me“ in dem Satzteil „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen […]“ aufgelöst haben.
Der Wandel der übersetzerischen Konventionen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zeichnet sich nicht nur am Satzbau ab, sondern auch an der Wortwahl. Die Grawe-Übersetzung ist sichtlich um Umgangssprachlichkeit bemüht. In ihrer Übersetzung ist davon die Rede, dass sich die Schwestern einen „Mann kapern“ (auch Beyer übersetzt hier „einen „Mann angeln“) und Lydia sich als ihr komischer „Anstandswauwau“ – in anderen Übersetzungen die „Anstandsdame“ – aufspielt. Und während Lydia in Rauchenbergers Übersetzung fragt, ob die netten Männer ihren Schwestern „den Hof gemacht“ hätten, zeichnet Grawes Lydia ihre Schwestern als Frauen, die ihr Schicksal selbst in der Hand haben: „Habt ihr geflirtet?“.
Ebenfalls um Ungezwungenheit bemüht ist auch immer wieder Otts Übersetzung. Ott übersetzt denselben Satz frei mit „Habt ihr ihnen schöne Augen gemacht?“, was allerdings wiederum eine recht überholte Formulierung ist. Ihre Bestrebungen nach mehr Mündlichkeit zeigen sich auch in den Verkürzungen, die man in ihrer Übersetzung oft findet. So erzählt Lydia beispielsweise ein paar Zeilen später: „[Was] hab’ ich gelacht!“. Kontraktionen sind im Englischen in der mündlichen Rede typisch und werden auch von anderen Übersetzer:innen ab und an verwendet (Beyer: „bald’ne alte Jungfer“). Seltsamerweise findet man sie aber in Otts Übersetzung auch da, wo sie im Original nicht stehen, zum Beispiel: „Aber er hat’s dann doch nicht gemacht“ („But, however, he did not“).
Insgesamt merkt man der Übersetzung von Ott stark an, dass der Versuch unternommen wurde, Austens Roman salopper und moderner wirken zu lassen. Mit Blick auf Rauchenbergers angestaubte Übersetzung und auch Beyers hin und wieder recht fromme Übertragung ist das sicher ein lobenswertes Unterfangen, würde die etwas unebene Übersetzung nicht an manchen Stellen über das Ziel hinausschießen. Ausdrücke und Höflichkeiten sind bei Ott „abgedroschen“ („worn out“), Elizabeths Freundin ist „hausbacken“ („plain“), an anderer Stelle wiederum „korrespondiert“ („correspends“) Jane mit ihrer Schwester und Mr. Collins ist „töpelhaft galant“ („awkward gallantry“). Ähnliches ließe sich an manchen Stellen auch über die Übersetzung von den Alliés sagen, wo Mr. Darcy lustigerweise als „schneidiger Kerl“ („a fine figure of a man“) auftritt.
Doch obgleich alle Übersetzungen ihre Eigenheiten haben, sind sie alle in hohem Maße um Werktreue bemüht. Auch wer die älteren Übersetzungen liest, wird einen Eindruck von Austens Ironie erhalten und ihre emotionale Tiefgründigkeit entdecken können. Trotzdem sind die neueren Übersetzungen, Otts eingeschlossen, vielen älteren Übertragungen vorzuziehen. Von Schwabs Übersetzung von 1939 ist nun fast hundert Jahre alt und immer noch lesbar, aber im Vergleich ist ihre Wortwahl altmodisch an Stellen, wo es das Original nicht ist (dasselbe gilt für Rauchenbergers Übertragung). Einige holprig übertragene Details sind schlicht Übersetzungsfehler und in manchen Passagen neigt Schwab nicht nur zu mehr Pathos, sondern lässt Figuren emphatischer sprechen als es im Original beabsichtigt war.
Die Übersetzung der Grawes, die, wie bereits erwähnt, sehr um die Übertragung von Austens Gesamtwerk bemüht waren, gab den Stolz-und-Vorurteil-Übersetzungen neue Richtung vor – hinzu mehr Lebhaftigkeit und weniger Förmlichkeit. Und es stellt sich mit Blick auf die seitdem erschienenen Übersetzungen tatsächlich die Frage, warum diese Neuübersetzungen der gut gealterten Grawe-Übersetzung vorzuziehen wären. Wenig herausragend ist die Übersetzung von Helga Schulz, was nicht unbedingt gegen sie spricht. Ihre Übertragung ist unaufgeregt, obgleich sie syntaktisch nicht immer die eleganteste ist. Andrea Otts zu explizite Ausdeutungen und der mitunter fragwürdige Tonfall stören in der ansonsten soliden Übersetzung. Und auch das Ehepaar Allié ist wie ihre Vorgängerin um sprachlichen Gegenwartsbezug bemüht, setzt aber mit ihrer gewissenhaften Übersetzung insgesamt wenig neue Akzente. Daher lässt sich der folgende Schluss ziehen: Wer Stolz und Vorurteil neu entdecken möchte, ist mit den Grawes noch immer gut bedient.