Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird ins Deutsche übersetzt. Wir interviewen Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Alle Beiträge der Rubrik findet ihr hier.
Wie haben Sie Katalanisch gelernt?
Durch reinen Zufall und auf Umwegen, wie so vieles in meinem Leben. Seit ich vierzehn war, wusste ich, dass ich einmal Germanistik studieren und Verlagslektorin werden würde – dass es auch Menschen gibt, die Bücher übersetzen, war mir lange nicht bewusst, obwohl ich schon früh eine Leseratte war. Dass es eine Sprache namens Katalanisch gibt, hatte ich während einer Kursfahrt nach Barcelona zwar gehört, aber nicht wirklich wahrgenommen. Irgendwann habe ich meine (bis heute ungebrochene) Liebe zu Portugal entdeckt und angefangen, Lusitanistik, Germanistik und Anglistik zu studieren. Und in meinem Auslandsjahr in Lissabon saß dann dieser reizende Katalane in meinem Kurs …
Die Liebe hilft ungemein beim Sprachenlernen. Und so habe ich Katalanisch gelernt, erst an der Uni Hamburg, später direkt vor Ort: Ich habe sieben Jahre in Barcelona gelebt, war Literaturagentin, habe die Lizenzabteilung eines kleinen Verlags geleitet und bin schließlich Literaturübersetzerin geworden. Nur Verlagslektorin war ich nie.
Wie sieht die katalanische Literaturszene aus?
Erstaunlich bunt, lebendig und vielfältig für eine relativ kleine Sprache. Das ist unter anderem geschichtlich bedingt: Das eng mit dem Okzitanischen verwandte Katalanisch war schon im Mittelalter Literatursprache. Im 13. Jahrhundert gab es den berühmten Philosophen Ramon Llull, nach dem das katalanische Kulturinstitut benannt wurde (ähnlich dem deutschen Goethe-Institut), im 15. Jahrhundert entstand der Ritterroman Tirant lo Blanc (dt. Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc, übersetzt von Fritz Vogelgsang).
Im 19. Jahrhundert waren das Baskenland und Katalonien die Regionen Spaniens, in denen – im Gegensatz zum ländlich geprägten Rest des Landes – im Zuge der industriellen Revolution ein wohlhabendes, selbstbewusstes Bildungsbürgertum entstand, das wie in anderen Regionen Europas auch ein starkes Nationalbewusstsein entwickelte. Die katalanische Sprache und Kultur, die von Kastilien seit dem Spanischen Erbfolgekrieg im 18. Jahrhundert systematisch unterdrückt worden waren, erlebten einen neuen Aufschwung. Katalanische Textilbarone wie Eusebi Güell förderten Architekten, Maler und Schriftsteller.
Diese Entwicklung setzte sich bis ins 20. Jahrhundert hinein fort, vor allem in der kurzen Zeit der Zweiten Spanischen Republik (1931–1939) – bis ihr Franco ein jähes Ende setzte. Viele katalanische Intellektuelle gingen ins Exil und schrieben dort weiter. Seit dem Ende der Francodiktatur 1975 ist die katalanische Literaturszene wieder aufgelebt und vielfältiger als je zuvor. Natürlich gibt es Animositäten, wie überall, und die Geister scheiden sich vor allem an der Frage, wer sich zur katalanischen Literaturszene rechnen darf: ob nur die Autoren und Autorinnen, die auf Katalanisch schreiben, oder alle, die in Katalonien leben. Aber Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Auf jeden Fall Auf der Plaça del Diamant (übersetzt von Hans Weiss) von Mercè Rodoreda, der Grande Dame der katalanischen Literatur, und Solitud (übersetzt von Petra Zickmann, erschienen bei SchirmerGraf) von Victor Català. Im Mittelpunkt beider von Frauen verfassten Romane (Victor Català ist das Pseudonym der Schriftstellerin Caterina Albert i Paradís) stehen starke Frauengestalten, die sich unter widrigen Umständen – in der ländlichen Gesellschaft Kataloniens gegen Ende des 19. Jahrhunderts und in Barcelona während des Bürgerkriegs – ihren Platz im Leben erkämpfen.
Von den Büchern, die ich übersetzt habe, empfehle ich unbedingt Die Stimmen des Flusses von Jaume Cabré und Flüchtiger Glanz von Joan Sales, die sich beide auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Spanischen Bürgerkrieg und seinen verheerenden Folgen auseinandersetzen. Einer meiner (vielen) Lieblinge ist auch Eugeni Xammar, der während der Weimarer Republik und der Anfangszeit des Nationalsozialismus als Korrespondent für verschiedene katalanische Tageszeitungen aus Deutschland berichtete. Seine kenntnisreichen, pointierten Reportagen über die Inflation, das besetzte Rheinland oder den gescheiterten Hitlerputsch von 1923, erschienen 2007 beim Berenberg Verlag unter dem Titel Das Schlangenei, gehören meiner Meinung nach in jeden deutschen Geschichtsunterricht, sind aber leider bisher weitgehend unbeachtet geblieben.
Unter den jüngeren Autorinnen und Autoren ist Irene Solàs mit ihrem – mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichneten – Roman Singe ich, tanzen die Berge (übersetzt von Petra Zickmann) sehr empfehlenswert.
Was ist noch nicht übersetzt?
Vieles, auch wenn deutsche Verlage dank der großzügigen Förderpolitik des Instituts Ramon Llull glücklicherweise wenig Scheu haben, katalanische Literatur zu veröffentlichen. Aus dem 19. Jahrhundert gäbe es noch einige Schätze zu heben, unter anderem das große Epos La febre d’or von Narcís Oller über Aufstieg und Fall einer Textildynastie oder, kürzer und witziger, aber in seiner Gesellschaftsanalyse nicht weniger treffend, L’auca del senyor Esteve von Santiago Rusiñol, eine Satire über das katalanische Kleinbürgertum.
Die katalanische Literatur hat eine große Kurzgeschichten-Tradition, ein Genre, das im deutschen Sprachraum ja eher stiefmütterlich behandelt wird. Das ist vermutlich auch der Grund, warum der großartige Erzähler Pere Calders mit seinen surrealistischen Kurzgeschichten bislang noch keinen deutschen Verlag gefunden hat.
Mein persönlicher Liebling ist derzeit Aurora Bertrana. Die Tochter des im 19. Jahrhundert hoch geachteten Schriftstellers Prudenci Bertrana wollte ebenfalls Schriftstellerin werden, musste sich aber anfangs dem Willen ihres Vaters beugen und studierte am Konservatorium Cello. Mit den so erworbenen Kenntnissen gründete sie in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts die erste Frauen-Jazzband Europas und tingelte über den ganzen Kontinent. Später reiste sie mit ihrem Ehemann bis in die Südsee und schrieb einen faszinierenden Bericht über ihre Zeit in Tahiti. Als ihr Mann sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs auf die Seite der Franquisten schlug, trennte sie sich von ihm und ging, wie so viele andere, in die Schweiz ins Exil. Ihre Reportagen und Romane werden auch in Katalonien erst in letzter Zeit wiederentdeckt. Ich suche noch einen deutschen Verlag für sie.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Katalanischen? Wie gehen Sie damit um?
Es sind die üblichen Schwierigkeiten, die sich beim Übersetzen romanischer Sprachen ins Deutsche ergeben: Die Satzstruktur ist eine andere, in den romanischen Sprachen kann man viele Nebensätze aneinanderreihen, ohne dass es schwerfällig klingt. Im Deutschen klingt das furchtbar, weil das Verb am Ende der Nebensätze steht, was dem Ganzen einen völlig anderen Rhythmus verleiht. Mit der Zeit lernt man, das elegant aufzulösen. Da wird dann aus „Ahir dimarts a la nit, tornant de casa d’en Dalmau, mentre entomava el ruixat …“ (wörtlich: Gestern Abend, am Dienstag, als ich von Dalmaus Haus zurückkehrte, während der Regen auf mich niederprasselte …“ ein „Gestern Abend, als ich nach meinem Gespräch mit Doktor Dalmau im Regen nach Hause ging …“
Angenehm am Katalanischen ist, dass es – auch wenn das eine grobe Verallgemeinerung ist – weniger zur Blumigkeit neigt als das Portugiesische oder Spanische.
Eine Besonderheit katalanischer Romane ist, dass es beinahe immer eine Figur gibt, die aus irgendeinem Grund Spanisch spricht: weil sie aus einer anderen Region Spaniens kommt, der Obrigkeit angehört oder als besonders vornehm und weltgewandt gelten will. Das lässt sich natürlich nicht ins Deutsche übertragen, weil dieser gesellschaftliche Kontext schlicht und ergreifend nicht existiert. Da behelfe ich mir mit Notlösungen, von denen die einfachste ist, hinzuzufügen „sagte er/sie auf Spanisch“. Zufriedenstellend ist das nicht und immer wieder ein Thema unter Kollegen und Kolleginnen.
Was kann Katalanisch, was Deutsch nicht kann?
Kurz gesagt: nichts. Ich glaube, es gibt keine Sprache, die etwas kann, was eine andere Sprache nicht kann, sonst wäre Übersetzen unmöglich. Natürlich gibt es grammatikalische, lexikalische und kulturelle Eigenheiten, für die man kreative Lösungen finden muss. Das lässt einen manchmal verzweifeln, erfüllt einen aber mit ungeheurem Stolz, wenn man eine solche Lösung schließlich findet – die die Leser und Leserinnen, wenn sie richtig gut ist, überhaupt nicht wahrnehmen.
Vor einigen Monaten hatte ich das Privileg, zusammen mit meinem Kollegen Ramon Farrés die erste deutsch-katalanische ViceVersa-Werkstatt zu leiten. Diese Werkstätten werden vom Deutschen Übersetzerfonds veranstaltet und ermöglichen den Erfahrungsaustausch zwischen Übersetzern und Übersetzerinnen einer bestimmten Sprache ins Deutsche mit Kollegen und Kolleginnen, die vom Deutschen in die andere Sprache übersetzen. Wir hatten ein lange Liste der spezifischen Schwierigkeiten erstellt, die uns beim Übersetzen aus dem Katalanischen immer wieder begegnen: Nominal- versus Verbalstil, Umstellung von Satzteilen, Häufung von Nebensätzen. Und siehe da: Bei jedem einzelnen Punkt hieß es von der anderen Seite: Nein, nein – das macht eure Sprache, und wir haben die Probleme damit. Selbst für die oben erwähnte Besonderheit mit dem Gebrauch des Spanischen in katalanischen Romanen fanden sich genügend Beispiele, in denen in deutschen Texten Platt gesprochen oder ein bestimmter Soziolekt verwendet wurde. Eine äußerst lehrreiche Erfahrung, die meine Aussage bestätigt.
Wir suchen für die Rubrik „Große kleine Sprache“ Übersetzerinnen und Übersetzer, die Lust haben, ihre „kleine“ Sprache mit unserem Fragebogen vorzustellen. Wenn du dich angesprochen fühlst, melde dich gerne unter redaktion@tralalit.de.