Ant­je Rávik Stru­bel: die Wortgetreue

„Wer hat Bambi getötet“ erzählt von Kapitalismus, Klassenunterschieden, brüchiger Männlichkeit und sexualisierter Gewalt. Der deutschen Übersetzung fehlt allerdings oft die Vielstimmigkeit des Originals. Von

Die Autorin und Übersetzerin Antje Rávik Strubel. Foto: Zaia Alexander

Am 27. April wer­den die Prei­se der Leip­zi­ger Buch­mes­se ver­ge­ben, unter ande­rem in der Kate­go­rie Über­set­zung. Auf TraLaLit stel­len wir die Nomi­nier­ten vor. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier zu finden.

Das Buch

Moni­ka Fager­holm ist nicht nur in Finn­land, son­dern auch in Skan­di­na­vi­en ein Star. Das mag dar­an lie­gen, dass sie auf Schwe­disch schreibt, der zwei­ten Amts­spra­che Finn­lands, die von etwa 5,5 % der Bevöl­ke­rung gespro­chen wird. Ihre Wer­ke wur­den in der Ver­gan­gen­heit dem­entspre­chend nicht nur mit fin­ni­schen, son­dern auch mit schwe­di­schen Lite­ra­tur­prei­sen aus­ge­zeich­net. Mit Vem döda­de Bam­bi?, das 2020 mit dem Lite­ra­tur­preis des Nor­di­schen Rates geehrt wur­de, könn­te ihr der Durch­bruch nun auch im deutsch­spra­chi­gen Raum gelin­gen. Der Roman, der seit ver­gan­ge­nem Herbst in Ant­je Rávik Stru­bels Über­set­zung vor­liegt, erzählt von einem Gewalt­ver­bre­chen in einem noblen fin­ni­schen Vor­ort: Im Jahr 2008 ver­ge­wal­ti­gen vier Jungs aus wohl­an­ge­se­he­nen Fami­li­en eine Mit­schü­le­rin. Sechs Jah­re spä­ter kommt Cos­mo Brant, ein ehe­ma­li­ger Schul­ka­me­rad, zurück, um einen (Kunst-)Film über die Tat und ihre Auf­ar­bei­tung zu dre­hen. Das stößt natür­lich nicht auf Gegen­lie­be, denn obwohl die Täter ent­we­der frei­ge­spro­chen oder zu äußerst gering­fü­gi­gen Stra­fen ver­ur­teilt wur­den, haben das Ver­bre­chen – und das gesell­schaft­li­che Kli­ma, aus dem es her­vor­ge­gan­gen ist – tie­fe Spu­ren hinterlassen. 

Da ist zum einen die welt­wei­te Finanz­kri­se, zum ande­ren – damit ein­her­ge­hend – das Ende der gro­ßen Frei­heits- und Wohl­stands­er­zäh­lun­gen. Die­se wer­den per­so­ni­fi­ziert von der Öko­no­min Anne­li­se Häg­gert, die ihre schwie­ri­ge Kind­heit im Grawell’schen Mäd­chen­heim in ein kapi­ta­lis­ti­sches Erfolgs­mär­chen umge­dich­tet hat, mit dem Vil­len­vier­tel als Set­ting. Einst, mit 27 Jah­ren, zur Wirt­schafts­pro­fes­so­rin beru­fen, wird sie kurz vor der Tat zum CEO des nach einer Idee des ame­ri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phen Gayn Hand benann­ten neo­li­be­ra­len Think Tanks „Gold­fon­tä­ne“. Hands ver­quas­te Bücher, in denen Archi­tek­ten – oft als „Tita­nen“ beschrie­ben – in viel­fäl­ti­gen dienst­li­chen und sexu­el­len Stel­lun­gen mit­ein­an­der ver­keh­ren, gel­ten als Grün­dungs­my­then einer ent­fes­sel­ten Wirt­schafts- und Finanzpolitik. 

Das rea­le Vor­bild für Gayn Hand ist unzwei­fel­haft Ayn Rand, deren Schrif­ten liber­tä­ren Krei­sen auch heu­te noch „Denk“-Anstöße bie­ten. Sol­che Anspie­lun­gen auf phi­lo­so­phi­sche und pop­kul­tu­rel­le Tex­te sind typisch für Fager­holms Buch. Ange­fan­gen beim Titel, einem Song­zi­tat der Sex Pis­tols, hul­di­gen vie­le Figu­ren einer dif­fus ame­ri­ka­ni­schen, nekro­ka­pi­ta­lis­ti­schen Lebens­phi­lo­so­phie – und ver­wan­deln alles, wirk­lich alles in eine Ware: ihre eige­ne Auf­stiegs­ge­schich­te oder aber den Gerichts­pro­zess nach einer Ver­ge­wal­ti­gung. Auch das Pri­vat­le­ben bleibt von die­ser Ideo­lo­gie nicht ver­schont: Mit den sozia­len Medi­en lässt sich selbst aus geschän­de­ten Kör­pern Kapi­tal schlagen.

Aber es gibt auch Gegen­stim­men. Wäh­rend die Öko­no­min Anne­li­se Häg­gert den Neo­li­be­ra­lis­mus und die Ent­frem­dung des Ichs von der Gesell­schaft pro­pa­giert, ver­tritt ihre ehe­ma­li­ge Freun­din, die Opern­sän­ge­rin Ange­la Grip­pe, huma­nis­ti­sche Wer­te – und kann sich, allen hämi­schen Spit­zen gegen Anne­li­se zum Trotz, doch weder den Zumu­tun­gen des Kapi­ta­lis­mus noch ihrer eige­nen Ver­gan­gen­heit ent­zie­hen. Vor vie­len Jah­ren hat Anne­li­se ihr Albi­nus („Abbe“) aus­ge­spannt und mit ihm eine Fami­lie gegrün­det. Die­se Eifer­suchts­ge­schich­te wie­der­holt sich nun, 2008, mit Ange­las Sohn Gus­ten – aus des­sen Sicht gro­ße Tei­le des Romans erzählt sind – und Anne­li­ses Sohn Nathan, die bei­de Inter­es­se an Sascha Anckar bekun­den. Sascha, eine auf­stre­ben­de Schwim­me­rin, ist – wie schon vie­le Jah­re zuvor Anne­li­se – im Grawell’schen Heim auf­ge­wach­sen, einer Insti­tu­ti­on für „Mäd­chen aus schwie­ri­gen Ver­hält­nis­sen“, die eben­falls im Vil­len­vier­tel liegt und Mit­tel­punkt zahl­rei­cher Wohl­tä­tig­keits­in­itia­ti­ven und Steu­er­spar­maß­nah­men ist. Die Bezie­hung zu Nathan geht schnell in die Brü­che. Nach der Tren­nung stürzt Nathan in ein tie­fes Loch und fasst den Plan, sich an Sascha zu rächen. Gus­ten, der im Häggert’schen Haus­halt als eine Art Zieh­sohn ein- und aus­geht, ist mit von der Par­tie, ihm kommt bei der Auf­de­ckung – aber auch bei der Ver­schleie­rung – des Ver­bre­chens eine ent­schei­den­de Rol­le zu.

Erzählt wird die­se Geschich­te nicht chro­no­lo­gisch, son­dern in immer wie­der neu vari­ier­ten Frag­men­ten, die vie­le unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf die Ereig­nis­se zulas­sen und die Figu­ren mit all ihren Selb­staf­fir­ma­tio­nen, Aus­flüch­ten und Stär­ken dar­stel­len. Aller­dings beschränkt sich Fager­holm nicht auf eine blo­ße Wie­der­ga­be der Tat­sa­chen (wie frag­men­ta­risch die­se auch aus­fal­len mag), son­dern stat­tet ihren Text mit vie­len Ton­la­gen aus. Der gan­ze Roman ist von Angli­zis­men durch­setzt, wirkt aber nie­mals geküns­telt oder gar kum­pel­haft, schließ­lich gehö­ren die ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur und ihre Tex­te selbst­ver­ständ­lich zum Leben der Figu­ren dazu. Kurz, Fager­holms Roman hat sein eige­nes Tem­pe­ra­ment. Das stellt eine Über­set­zung natür­lich vor rie­si­ge Her­aus­for­de­run­gen – und Ant­je Rávik Stru­bel hat sich die­ser Auf­ga­be gestellt.

Die Jury­be­grün­dung

Fager­holms Gesell­schafts- und Medi­en­kri­tik zieht diver­se Sprach­re­gis­ter und arbei­tet mit rasan­ten Tem­po-Wech­seln. Genau das ist die Her­aus­for­de­rung an die Über­set­zung, und dar­über hin­aus: Jeder Epi­so­de und jeder Figur ihren eige­nen prä­zi­sen Ton zu geben und zugleich alles zu einem Gesamt­kunst­werk zu fügen, dem eine Grund­am­bi­va­lenz erhal­ten bleibt. Die Ver­un­si­che­rung der Lesen­den bei gleich­zei­ti­ger Sou­ve­rä­ni­tät der Erzähl­hal­tung ist die Stär­ke des Romans und muss auch die Über­set­zung leisten.

Die Über­set­zung

Ant­je Rávik Stru­bel hat nicht nur ein umfang­rei­ches, breit bespro­che­nes und viel­be­preis­tes Roman­werk vor­zu­wei­sen, son­dern ist auch als Über­set­ze­rin von Autorin­nen wie Joan Did­ion, Lucia Ber­lin, Karo­li­na Ram­q­vist oder Moni­ka Fager­holm bekannt. Zum Schwe­di­schen kam sie, wie sie auf ihrer Web­sei­te schreibt, durchs Rei­sen; außer­dem tau­chen auch in ihren Roma­nen immer wie­der schwe­di­sche Land­schaf­ten auf. Dass eine bekann­te Autorin auch als Über­set­ze­rin auf­tritt, ist erst ein­mal nichts Unge­wöhn­li­ches – Anne Webers Wajs­brot-Über­set­zung, die 2022 mit dem Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se für Über­set­zung aus­ge­zeich­net wur­de, ist ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel hier­für –, aber zunächst ein­mal (zumin­dest theo­re­tisch) ein Vor­teil, da sich hier­durch die Sicht­bar­keit des Berufs­stan­des erhö­hen lie­ße. Lei­der ver­gibt der Resi­denz Ver­lag die Chan­ce, Rávik Stru­bels Namen auf dem Cover zu nen­nen. Doch selbst ein grö­ße­rer Bekannt­heits­grad der Über­set­ze­rin ist noch kein Garant für einen gelun­ge­nen Text.

Auf den ers­ten Blick ist Rávik Stru­bels deut­sche Fas­sung von Fager­holms Roman inhalt­lich stim­mig: Sie ver­mei­det die übli­chen Fall­stri­cke (etwa nicht erkann­te idio­ma­ti­sche Aus­drü­cke), aber aus sti­lis­ti­scher Sicht sind vie­le ihrer Lösungs­an­sät­ze nicht nur für skan­di­na­vi­sche Spra­chen, son­dern auch für Über­set­zun­gen im All­ge­mei­nen frag­wür­dig. Sie han­gelt sich an der schwe­di­schen Syn­tax ent­lang und gibt oft wört­lich wie­der, was im Text steht. Dadurch kom­men die Stil­re­gis­ter, die so ent­schei­dend für den Per­spek­tiv­reich­tum der Geschich­te sind, nicht so zur Gel­tung, wie sie es eigent­lich soll­ten. Außer­dem glät­tet sie oft da, wo es gar nicht nötig wäre. Das Ergeb­nis ist ein im schlech­ten Sin­ne sprö­der und wider­stän­di­ger Text.

Ein typi­sches Phä­no­men skan­di­na­vi­scher Spra­chen ist der Spalt­satz. Damit kann man beto­nen, wer genau wel­che Hand­lung aus­führt. Auch Fager­holm ver­wen­det die­se Kon­struk­ti­on: „Och går­dar­na kring sjön – det var Gus­tens egen mam­ma Ange­la som hade för vana att utro­pa det“, das steht gleich am Anfang: „Und die Land­gü­ter am See – Gus­tens Mama war es, die die Gewohn­heit hat­te, das hier, auf die­sem Pfad, aus­zu­ru­fen“, schreibt Rávik Stru­bel und hält sich damit fast punkt­ge­nau an die schwe­di­sche Vor­la­ge. Da ein Rela­tiv- und ein nach­fol­gen­der Infi­ni­tiv­satz unnö­tig schwer­fäl­lig klin­gen, wür­de man den Satz eigent­lich etwas straf­fen, etwa das „som hade för vana att“, das Stru­bel zutref­fend mit „die die Gewohn­heit hat­te … zu …“ über­setzt, mit einer For­mu­lie­rung, die den Fokus auf die gewohn­heits­mä­ßig aus­ge­führ­te Hand­lung legt – „rief sie immer hier, auf die­sem Pfad, aus“ zum Bei­spiel. Im Schwe­di­schen ist der Spalt­satz nichts Unge­wöhn­li­ches, im Deut­schen klingt er bloß unge­lenk. Genau­so wie Relativsatzketten:

Saga-Lills hob­by var foto­graf­e­ring, hon hade en dyr­bar kame­ra och ett mör­krum som hon inrett åt sig i en av de tre toalet­ter­na i den sto­ra lägen­he­ten som låg i det fina stenhuset […] 

Foto­gra­fie war Saga-Lills Hob­by, sie hat­te eine teu­re Kame­ra und eine Dun­kel­kam­mer, die sie sich in einem der drei Bade­zim­mer der gro­ßen Woh­nung ein­ge­rich­tet hat­te, die in dem schö­nen Stein­haus war […].

An die­ser Stel­le beschwert nicht nur eine Rela­tiv­satz­ket­te die Über­set­zung, auch der wie­der­hol­te Geni­tiv und die blut­lee­ren Ver­ben („war“, „hat­te“). Es wäre ein Leich­tes gewe­sen, den Satz im Deut­schen etwas flüs­si­ger zu for­mu­lie­ren, zum Bei­spiel so: „Foto­gra­fie war Saga-Lills Hob­by; sie besaß eine teu­re Kame­ra und hat­te sich im schö­nen Stein­haus, und zwar in einem der drei Bade­zim­mer der (bzw. ihrer) gro­ßen Woh­nung, eine Dun­kel­kam­mer ein­ge­rich­tet“. Im Schwe­di­schen – wie auch in den ande­ren skan­di­na­vi­schen Spra­chen – sind Rela­tiv­satz­ket­ten häu­fi­ger anzu­tref­fen und sti­lis­tisch durch­aus eine Über­le­gung wert, im Deut­schen hin­ge­gen erwe­cken sie – wie Frank Hei­bert in einem Arti­kel für die Tell Review dar­ge­legt hat – „häu­fig den Ein­druck, dass Zusatz­in­for­ma­tio­nen aus­ge­brei­tet wer­den, die man auch knap­per haben könn­te“. Oft hängt Rávik Stru­bel auch nicht nur zwei, son­dern sogar drei Rela­tiv­sät­ze aneinander.

Ein Ent­lang­ar­bei­ten an der schwe­di­schen Syn­tax ist das Eine, wört­li­che Über­set­zun­gen das ande­re. Dadurch geht so man­che Nuan­ce ver­lo­ren. Ein Bei­spiel hier­für ist die Laut­ma­le­rei „Söguppsö­guppsö­gupp“, mit der Fager­holm einen (meta­pho­ri­schen) Staub­sauger beschreibt. Rávik Stru­bel über­setzt mit „Auf­sau­ger­auf­sau­ger­auf­sau­ger“. Das funk­tio­niert schon allei­ne des­halb nicht, weil Fager­holms Jam­bus deut­lich ele­gan­ter (und in gewis­ser Wei­se auch komi­scher) ist als Rávik Stru­bels zackig aus­grei­fen­der Dak­tylus – und zudem noch eine zwei­te, ziem­lich der­be Bedeu­tungs­ebe­ne unter­schlägt. Mit die­sem Neo­lo­gis­mus wird der spä­te­re Regis­seur Cos­mo Brant bedacht, der alles, was es an Ein­drü­cken so gibt, schlu­cken will wie ein Staub­sauger Staub („vill suga åt sig allt“) und in sei­ner Schul­zeit vom Ver­ge­wal­ti­ger in spe Nathan homo­phob belei­digt wird. Aller­dings wir­ken sich Rávik Stru­bels Inter­li­ne­ar­über­set­zun­gen nicht nur auf die viel­deu­ti­gen Wort­spie­le aus, son­dern auch auf die Figu­ren­spra­che. So ist an einer Stel­le von Cos­mos „geschäft­li­chen Unter­neh­mun­gen“ („affärs­verksam­he­ter“) die Rede. Wer, der – wie Cos­mo – „an entre­pre­neur at heart“ ist und daher auch den Jar­gon sei­nes Fach­be­reichs beherrscht, spricht so umständ­lich-tau­to­lo­gisch von der eige­nen Arbeit? Oder auch „det gam­la“, das Rávik Stru­bel buch­sta­ben­ge­treu und durch­weg mit „das Alte“ über­setzt, wo doch „die Ver­gan­gen­heit“ gemeint ist (und ihre Aus­wir­kun­gen auf die Gegenwart).

Zu Fager­holms cha­rak­te­ris­ti­schem Duk­tus gehört neben den Neo­lo­gis­men auch ein Gra­phik- und Ton­re­gis­ter. Vie­le Text­stel­len sind kur­siv oder fett mar­kiert, man­ches wird ein­ge­rückt. Oft über­nimmt Rávik Stru­bel die­se Mar­kie­run­gen auch, an eini­gen Stel­len lässt sie sie aller­dings weg – aus wel­chem Grund auch immer. 

„...En rik­tig high achie­ver, Gus­ten, och hen­nes namn var –
      Anne­li­se!

(Ein­rü­ckung des Namens „Anne­li­se“ i. O.)

„Eine rich­ti­ge high achie­ver, Gus­ten, und ihr Name war – Annelise!“

Fager­holms Mar­kie­run­gen, die oft auf komi­sche oder dras­ti­sche Effek­te abzie­len, sind nicht bloß Selbst­zweck, son­dern brin­gen Tem­po in den Text, heben Zeit­ebe­nen von­ein­an­der ab und lie­fern dem Publi­kum, das die ein­zel­nen Sze­nen zu einem Gan­zen zusam­men­schnei­den muss, Anhalts­punk­te. Da ist es erstaun­lich, dass Rávik Stru­bel eini­ge davon ein­fach aus­lässt. Man könn­te durch­aus ver­mu­ten, dass der Ver­lag sich aus gestal­te­ri­schen Grün­den gegen eine Ext­ra­kenn­zeich­nung ein­zel­ner Pas­sa­gen ent­schie­den hat, aber dafür ist das Vor­ge­hen zu inkonsequent.

Glei­ches gilt für die Angli­zis­men. Vie­le über­nimmt sie eins zu eins, man­che wie­der­um deutscht sie ein: „Btw, Gus­ten bjöd mig med till Wien“ wird zu „Übri­gens, Gus­ten hat mich nach Wien ein­ge­la­den“. Wie­so Rávik Stru­bel die Not­wen­dig­keit sieht, das in Chats weit­ver­brei­te­te Akro­nym „btw“ („by the way“) mit einem blas­sen deut­schen Wort erklä­ren zu müs­sen, ist nicht ersicht­lich. Auch an ande­ren Stel­len trifft sie frag­wür­di­ge Ent­schei­dun­gen: Sascha Anckar, die in Fager­holms Text als „Boy Toy“ bezeich­net wird, ver­wan­delt sich bei Rávik Stru­bel in ein „Toy girl“. Zwar ist auch Letz­te­res als Bezeich­nung schon zynisch genug, aber auch hier geht eine Nuan­ce ver­lo­ren: Die Ver­ge­wal­ti­ger geste­hen ihrem Opfer nicht ein­mal sein Geschlecht zu; sie wol­len Sascha zu einem Gegen­stand ihrer Ver­ach­tung machen und sie voll­stän­dig vernichten.

Ob man sich nun anschaut, wie Rávik Stru­bel mit gram­ma­ti­ka­li­schen Cha­rak­te­ris­ti­ka des Schwe­di­schen, mit Wort­spie­len, gestal­te­ri­schen Eigen­hei­ten oder Ton­la­gen von Fager­holms Roman umgeht, immer wie­der stellt sich her­aus, dass sie in ers­ter Linie den Inhalt, nicht aber den Stil über­setzt. Letz­te­res aber ist ent­schei­dend, wenn der deut­schen Fas­sung eine gewis­se Viel­deu­tig­keit erhal­ten blei­ben soll. Es ist daher erstaun­lich, dass die Leip­zi­ger Jury in ihrer Begrün­dung zwar alle Pro­ble­me benennt, die die Über­set­zung von Wer hat Bam­bi getö­tet? beglei­ten – mit der Figu­ren­spra­che als der viel­leicht größ­ten Her­aus­for­de­rung –, die deutsch­spra­chi­ge Ver­si­on aber kei­ne auch nur halb­wegs gelun­ge­nen Ent­spre­chun­gen fin­det. Gleich­wohl muss man der Leip­zi­ger Buch­preis­ju­ry eines zugu­te­hal­ten: Sie hat einen Roman aus­ge­wählt, der sei­nem Publi­kum im Rah­men einer fik­tio­na­len Geschich­te eine Mög­lich­keit zur Aus­ein­an­der­set­zung mit aktu­ell viel­dis­ku­tier­ten The­men bie­tet – von sexua­li­sier­ter Gewalt über Klas­sen­un­ter­schie­de bis hin zu fata­len Männlichkeitsbildern.

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Moni­ka Fager­holm | Ant­je Rávik Stru­bel

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