Am 27. April werden die Preise der Leipziger Buchmesse vergeben, unter anderem in der Kategorie Übersetzung. Auf TraLaLit stellen wir die Nominierten vor. Alle Beiträge der Reihe sind hier zu finden.
Das Buch
In seinem autofiktionalen Roman Confidences nimmt Max Lobe uns mit auf eine Reise nach Song Mpeck, ein abgelegenes Dorf in den Wäldern Zentralkameruns. Am Anfang dieser Reise zurück in die Heimat – Max Lobe, der seit seinem 18. Lebensjahr in der französischsprachigen Schweiz lebt, ist in Duala, der größten Stadt Kameruns, geboren und aufgewachsen − steht eine Identitätssuche und die Frage nach der Bedeutung nationaler Identität: Was macht ihn zu einem Kameruner? Diese Frage treibt den Autor und Erzähler des Textes im doppelten Sinne um. Zum einen als jemand, der „dort auf der anderen Seite lebt bei den Weißen“, wie Mâ Maliga, die Protagonistin des Romans, ihm unverblümt vorhält. Zum anderen in einem grundlegenderen Sinn: Was macht das Land, in dem jemand lebt oder aufgewachsen ist, zu seinem Land, auch wenn man doch immer nur einen (manchmal recht kleinen) Teil davon kennt?
Die Suche nach Antworten auf diese Frage führt Max Lobe zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte Kameruns. Besonders interessieren ihn die Ereignisse der 1950er Jahre, über die kaum jemand spricht, und die Person Ruben Um Nyobès, der das Land, das Mitte des 19. Jahrhunderts von Deutschen kolonialisiert und nach dem Ersten Weltkrieg zwischen England und Frankreich aufgeteilt wurde, in die Unabhängigkeit führen und wiedervereinen wollte. Der Autor liest sich ein in die historische Fachliteratur und bricht dann auf nach Duala, besucht Verwandte und sucht nach Spuren Um Nyobès im Leben der Menschen heute. Jemand erzählt ihm von Mâ Maliga, einer der ältesten Bewohnerinnen Song Mpecks, dem Geburtsort Um Nyobès. Über ein paar Ecken stellt er Kontakt her zu deren Sohn, der ihn dann zu ihr bringt. Hier setzt die Erzählung ein.
Gleich nach seiner Ankunft erklärt ihm die über Achtzigjährige, was er da schon längst weiß:
„Tu sais, mon fils, ici-là, on ne veut toujours pas trop parler de Um Nyobè. Si tu poses des questions sur Um Nyobè et sur ce qui s’est vraiment passé avec lui, tous ceux qui ont vécu cela te diront seulement qu’il y eu des évènements. Les évènements. Jamais personne ne te dira exactement de quels événements il s’agit. Wuyè ! On te dira seulement qu’il y a eu trop de morts.“
„Weißt du, mein Sohn, hier bei uns will man immer noch nicht sehr über Um Nyobè sprechen. Wenn du Fragen zu Um Nyobè stellst und dazu, was wirklich mit ihm geschah, werden dir alle, die es erlebt haben, nur antworten, dass es Vorkommnisse gab. Die Vorkommnisse. Niemals wird irgendjemand dir genau sagen, um welche Vorkommnisse es sich handelte. Wuyè! Man wird dir nur sagen, dass es zu viele Tote gab.“
Aber Mâ Maliga wird erzählen. Einen ganzen Tag lang taucht die redselige alte Frau mit ihrem Gast in ihre Erinnerungen ein. Der Roman überlässt ihr fast vollständig das Wort. Nur gelegentlich wird ihre Erzählung von kurzen, notizhaften oder aphoristischen Anmerkungen des Autors unterbrochen.
Es ist eine ungewöhnliche Stimme, der wir in Confidences lauschen, und sie zieht uns sofort in ihren Bann, zieht uns ganz in die Gesprächssituation und ihren Bericht mit hinein. Ungebremst erzählt Mâ Maliga drauf los, schweift ab, spricht ihr Gegenüber an, stellt ihm Fragen, fordert ihn auf, auch ja gut zuzuhören, oder noch einen Schluck von dem Palmwein zu nehmen, den sie zur Feier des Tages aus ihrem Versteck geholt hat und von dem auch sie trinkt, und zwar reichlich! Sie redet, wie ihr der Mund gewachsen ist, hält nichts zurück, ist mal scherzhaft, spöttisch, auch empört, dann wieder ernst und tief bewegt.
In ihrer Erzählung geht es vor allem um die „Vorkommnisse“, die sich in ihrem Alltag abgespielt haben und die sie als junges Mädchen und junge Frau hautnah miterlebt hat. Nicht ohne einen gewissen Stolz sagt sie gleich zu Beginn, dass sie von dem „Politik-Politik-Dingsbumszeugs da“ nichts verstehe. Aber sie erinnert sich genau an den Tag, als sie endlich zum ersten Mal mit ihrer Tante nach Duala in die große Stadt fahren darf, um dort Maniok, Bohnen, Erdnüsse und Yamswurzeln auf dem Markt zu verkaufen, und sie dort mitten in ein Blutbad geraten; sie weiß noch genau, wer im Dorf wie zu Um Nyobè und seinen Anhängern stand und welche Konflikte das innerhalb der Gemeinde anheizte oder neu entfachte; sie erzählt stolz von ihrer Mutter, die zu Treffen von Frauengruppen der Bewegung um Um Nyobè ging, die ihrem Mann, der mit großem Eifer an der französischen Schule unterrichtete und die kolonialistische Rhetorik vollständig verinnerlicht hatte, die Stirn bot und sich schließlich sogar scheiden ließ; und sie weint noch immer bei der Erinnerung daran, wie sie am Tag ihrer Hochzeit die Feierlichkeiten verlassen und in ihrem schönen Brautkleid durch Staub und Schlamm fliehen musste.
Es ist ein Stück Geschichte im Kleinen, das Max Lobe seine Protagonistin Mâ Maliga in vielen alltäglichen Details auf sehr zugängliche Weise erzählen lässt. Es braucht keine historischen Vorkenntnisse, um ihr zu folgen. Auch sie sucht oft nach den richtigen Begriffen, kann sich nicht immer an Jahreszahlen erinnern und bringt Namen leicht durcheinander. Trotzdem fehlt es ihrem Bericht nicht an Genauigkeit und die Komplexität der politischen Verhältnisse materialisiert sich auf greifbare Weise in ihrer Lebenswelt fernab der politischen Zentren. Mâ Maligas Bericht bildet eine Kehrseite der großen Erzählung, die man in Geschichtsbüchern nachlesen kann; und wer angeregt von der Lektüre des Romans dann tatsächlich zu einem Geschichtsbuch greift, um noch mehr zu erfahren, wird Mâ Maligas Stimme und ihre Sicht der Dinge beständig im Ohr haben.
Das französische Original unter dem Titel Confidences ist 2016 bei Éditions Zoé erschienen. Es ist der zweite der insgesamt sechs Romane von Max Lobe, den Katharina Triebner-Cabald ins Deutsche übersetzt hat.
Die Jury-Begründung
Katharina Triebner-Cabald lässt in ihrer Übersetzung die deutschsprachigen Leser*innen an einem Stück kamerunischer Geschichte und den fatalen spätkolonialen Spuren Deutschlands darin teilhaben. Für die melodiöse und humorvolle Oralität der Stimme von Mâ Maliga und die pointierten Beobachtungen des Ich-Erzählers hat Katharina Triebner-Cabald überzeugende deutsche Entsprechungen gefunden.
Die Übersetzung
Mit der Übertragung einer so plastischen, so temporeichen und lebendigen Erzählstimme wie der von Mâ Maliga hatte Katharina Triebner-Cabald wirklich keine leichte Aufgabe vor sich, zumal sie mit Vertraulichkeiten erst ihre zweite Romanübersetzung vorlegt. Hinzu kommt noch eine weitere Schwierigkeit, die größtes übersetzerisches Feingespür erfordert: Die Stimme der Protagonistin ist auch in sprachlicher Hinsicht vielschichtig und bildet die wechselhafte, gewaltvolle (Kolonial-)Geschichte ihrer Heimat ab.
Ihre Alltagssprache ist Bassa, aber sie spricht Französisch mit ihrem Gast – das müssen wir zumindest annehmen, können aber nicht sicher sein, ob nicht zumindest stellenweise erst ihr Zuhörer ihren Bericht für uns übersetzt. Und Mâ Maliga lässt keinen Zweifel daran, dass sie nicht viel übrig hat für die Weißen, die Franzosen, und für ihre Sprache; beständig markiert sie beim Sprechen durch Partikel und Deiktika Nähe- und Distanzverhältnisse, zu ‚denen da‘, den Weißen und ihren komischen Vorstellungen auf der einen, und zu ihrer eigenen Lebenswelt auf der anderen Seite.
Diese andere Sprache hinter der Sprache der Erzählung bleibt spürbar: in einzelnen Ausdrücken, die übernommen werden, in sprachlichen Bildern, die ins Französische übertragen werden, im Rhythmus und der Melodie ihrer Rede.
„J’étais encore une jeune fille lorsque j’entendais Um Nyobè et ses camarades parler de leurs machins-trucs de politique-politique-là. Est-ce que tu m’écoutes ? Bien. À cette époque, personne n’y comprenait rien à rien. On pensait seulement qu’ils s’amusaient, eux. On pensait qu’ils faisaient trop de bruit dans le vide pour rien. On disait même, pour se moquer d’eux, qu’ils couraient en dedans d’un sac. Qu’ils n’allaient aboutir à rien, eux-là. Mais est-ce qu’on pouvait même s’imaginer que cette histoire-là, l’histoire de l’indépendance dont ils parlaient, allait devenir ce que ça a fini par devenir ? Est-ce qu’on savait que c’allait devenir un truc qui nous dépasserait en taille, nous ?
Est-ce que tu sais que les gens avaient fini par lui donner le nom de Mpodol ? Tu sais ce que ça veut dire ? Voooilààà ! C’est bien. C’est bien que tu n’aies pas oublié nos langes d’ici.“
„Ich war noch ein junges Mädchen, als ich hörte, wie Um Nyobè und seine Kameraden über ihr Politik-Politik-Dingsbumszeugs da sprachen. Hörst du mir zu? Gut. Zu dieser Zeit verstand niemand irgendetwas davon. Wir dachten einfach nur, dass sie Spaß daran hatten. Wir dachten, sie machten zu viel Lärm um nichts, ohne ein Ziel. Wir sagten sogar, um uns über sie lustig zu machen, sie hätten sich in etwas verrannt. Dass sie nichts erreichen würden. Aber hätten wir uns vorstellen können, dass diese Geschichte da, die Geschichte der Unabhängigkeit, von der sie sprachen, das werden würde, was sie letztendlich geworden ist? Wussten wir etwa, dass das ein Ding werden würde, dem wir bei Weitem nicht gewachsen sein würden?
Weißt du, dass die Leute ihm schließlich den Namen Mpodol gaben? Weißt du, was das heißt? Gaaanz genaaau! Das ist gut. Es ist gut, dass du unsere Sprachen von hier nicht vergessen hast.“
Auch ohne Französischkenntnisse bekommt man bei der Lektüre von Katharina Triebner-Cabalds Übersetzung schnell den Eindruck, dass sich die Sätze ganz nah am anderssprachigen Original einer eigensinnigen, ungewöhnlichen Erzählstimme entlang bewegen. Stellenweise mag man vielleicht in den Schachtelsätzen ein wenig stolpern, aber da klingt eine Erzählstimme durch, die fasziniert und lockt, und für die man vielleicht auch über ein paar grammatikalische Holperer hinwegliest. Und viel mehr kann man sich für die Übersetzung eines so komplexen, klanglich-sinnlichen Textes eigentlich nicht wünschen: Leser*innen, die bereit sind, das Ungewohnte, das Fremde auszuhalten und dafür im Vertrauen in die* Übersetzerin* beim Lesen der Übersetzung immer auch eine Ahnung, ein aus der Ferne durchklingendes Echo des fremdsprachigen Originals zu hören.
Spätestens bei einem vergleichenden Blick ins Original wird dieser Eindruck leider schnell getrübt. Tatsächlich bleibt die Übersetzung sehr nah an der französischen Satzstruktur, und stellenweise scheint das auf den ersten Blick vielleicht noch zu funktionieren. „Ich war noch ein junges Mädchen, als ich hörte, wie Um Nyobè und seine Kameraden über ihr Politik-Politik-Dingsbumszeugs da sprachen.“ – Da bekommt man doch eine gute Vorstellung von Mâ Maligas charakteristischer Redeweise. Trotzdem wollen Ton und Register der Übersetzung einfach nicht recht zum Original passen. Würde Mâ Maliga, spräche sie Deutsch, sagen, Um Nyobè und seine Kameraden „sprachen“? Würde sie sagen „zu dieser Zeit“, um uns von den Jahren zu berichten, die sie uns so greifbar und lebendig und in so flapsiger Ausdrucksweise vor Augen stellt? Würde sie in den Schachtelsätzen voller Infinitive und schulbuchmäßigem Konjunktiv sprechen, die bei der Wort-für-Wort-Übertragung des französischen Satzbaus entstehen? Wohl eher nicht.
„Ils ont dit dans leur télé-là un jour, et je les ai bien entendus avec mes deux oreilles-ci, qu’on peut même trouver chez eux de bons livres qui parlent de notre Um Nyobè avec leurs gros-gros français des Blancs. Le savais-tu ? Est-ce que tu as pu lire ces livres-là ? Bien. Qu’est-ce qu’ils racontent là-dedans ? S’il-te-plaît, une fois là-bas chez vous, fais-en une traduction en bassa. Tu m’entends ? Uhum. Comme ça, lorsque tu reviendras ici, si je suis encore en vie, tu pourras me le lire ; et je pourrai alors, moi Mâ Maliga, te dire si ce qu’ils ont écrit en dedans de leurs livres-là est vrai ou si c’est seulement un sac de mensonges.
Qu’est-ce que tu dis ? Qu’on ne peut pas traduire ça en bassa ? Mais mon fils, qui donc a traduit leur Bible à eux en bassa ? Ils n’ont qu’à retrouver celui qui l’a fait, et qu’il le fasse aussi pour ces livres-là que tu as lus. Tu m’entends ? Voooilààà.“
„Sie haben in ihrem Fernsehen da eines Tages gesagt, und ich habe es genau gehört mit meinen beiden Ohren hier, dass man bei ihnen sogar gute Bücher finden kann, die in ihrem feinen-feinen Französisch der Weißen da von unserem Um Nyobè sprechen. Wusstest du das? Konntest du diese Bücher da lesen? Gut. Was erzählen sie darin? Bitte, wenn du wieder dort bei euch bist, mach eine Übersetzung auf Bassa davon. Hörst du? Mhm. So kannst du sie mir dann vorlesen, wenn du hierher zurückkehrst und ich noch am Leben bin. Und ich, Mâ Maliga, werde dir dann sagen können, ob das, was sie da in ihre Bücher geschrieben haben, wahr ist oder ob es nur ein Sack voller Lügen ist.
Was sagst du? Man kann das nicht auf Bassa übersetzen? Aber mein Sohn, wer hat denn dann ihre Bibel auf Bassa übersetzt? Sie brauchen nur den wiederzufinden, der das gemacht hat, und er soll das dann auch für diese Bücher da machen, die du gelesen hast. Hörst du? Gaaanz genaaau.“
Je weiter man liest, desto mehr fällt auf, wie nah der deutsche dem französischen Satzbau folgt, ohne dass das Ergebnis eine präzise Übersetzung wäre. Die deutschen Sätze sind umständlich und wirken wenig mündlich, die Pointiertheit und der Rhythmus von Mâ Maligas stürmischer Erzählstimme gehen teilweise völlig verloren. Auch die Übersetzung der aus dem Bassa übernommenen Reduplikation von Adverbien oder Adjektiven klingt oft eher stumpf, wenn wie hier bei dem „feinen-feinen Französisch der Weißen“ für das „gros-gros français des Blancs“ statt ein- mehrsilbige Wörter verdoppelt werden. „So“ als Konjunktion für das mündliche, idiomatische „comme ça“ in „So kannst du sie mir dann vorlesen…“ klingt im Deutschen schräg und und im anschließenden „wenn“ verschmelzen zwei im französischen Text voneinander abgehobene Konditionalsätze, die sehr unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsgrade ausdrücken.
Das „Voooilààà“ am Ende dieses Abschnitts taucht im Text sehr häufig auf und ist ein gutes Beispiel dafür, wie Max Lobe einem die Sprecherin mit sehr einfachen Mitteln klar vor Augen treten lässt. Im Original schmunzelt man da vielleicht, weil sich in der leicht übertrieben schriftlichen Wiedergabe dieses „voooilààà“ auch ein wenig der amüsierte Blick des Erzählers auf die Protagonistin erkennen lässt. Die Übersetzerin hat sich für ein einheitliche Übersetzung dieses so charakteristischen, wiederkehrenden Elements im Text entschieden, was aber nicht aufgeht, weil „voilà“ semantisch mehr Spiel hat, flexibler ist als „ganz genau“. Hier zum Beispiel ist es weniger zustimmend im Sinne von ‚ja, das stimmt, da hast du recht‘ gemeint, sondern eher ein herablassendes, spöttisches ‚na siehst du, sag ich doch‘.
Gelegentlich tauchen in Mâ Maligas Bericht auch deutsche Ausdrücke auf, die sich im Sprachgebrauch der älteren Dorfbewohner erhalten haben und die sie zum Teil auch selbst verwendet. Auch bei der Einbindung dieser im Original klar als fremdsprachig erkennbaren Elemente hätte man sich in der Übersetzung etwas mehr Präzision gewünscht.
„Aaah, mon fils! Tu vas croire que je te raconte des histoires, pourtant c’est la vraie-vraie vérité que moi Maliga je te dis là: nous apportions aussi à manger aux surveillants de notre camp, surtout à ceux de notre couleur de peau… C’est-à-dire que… parce que nous, nous n’étions pas des Dummkopf, quand même. Nous savions bien ce que nous faisions. C’était une façon d’acheter un peu de leur pitié, pour avoir un peu de liberté. Les histoires de corruption dont on nous parle tous les jours matin-midi-soir dans ce pays-ci, ce n’est pas aujourd’hui que ca a commencé. Heureusement que je n’ai même plus la télé pour regarder leurs choses de corruption-là.“
„Aaach, mein Sohn! Du wirst glauben, dass ich dir Geschichten auftische, doch das ist die wahre-wahre Wahrheit, die ich, Maliga, dir hier erzähle: Wir brachten auch den Aufsehern unseres Lagers zu essen, vor allem denen, die unsere Hautfarbe hatten… Das heißt, dass… denn wir, wir waren schließlich keine Dummköpfe. Wir wussten genau, was wir taten. Es war eine Art und Weise, ein bisschen ihres Mitleids zu kaufen, um ein wenig Freiheit zu haben. Die Korruptionsgeschichten, von denen man uns in diesem Land jeden Tag morgens, mittags und abends erzählt, die gibt es nicht erst seit heute. Zum Glück habe ich keinen Fernseher mehr, um ihr Korruptionszeug da zu sehen.“
Durch die Kursivierung dürfte für die meisten Leser*innen klar werden, dass es sich hier um ein Wort handelt, das auch im französischen Original ein deutsches Wort ist. Das teilt sich in der Übersetzung allerdings nur noch über die Typographie, also in einer Form von Metakommentar mit. Kursiviert sind die Begriffe zwar auch im Original, schaut man genauer hin, fällt aber auf, dass „Dummkopf“, genau wie andere wiederkehrende deutsche Ausdrücke, zwar flüssig in den französischen Satz eingebunden, aber nicht dekliniert werden. Außerdem wechselt „Dummkopf“ in der Verwendung der Bassa gelegentlich auch die Wortart und wird zum Adjektiv. Damit hätte man auch in der Übersetzung gut arbeiten können.
Ist man bereit, sich auf die etwas mühsame Lektüre der recht schwerfälligen Übersetzung von Katharina Triebner-Cabald einzulassen, verliert die Erzählung ihren Reiz vielleicht trotzdem nicht ganz. Denn mit Vertraulichkeiten haben die Übersetzerin und der Akono-Verlag dem deutschsprachigen Lesepublikum einen wirklich herausragenden Roman zugänglich gemacht und es, wie es in der Jurybegründung heißt, „an einem Stück kamerunischer Geschichte und den fatalen spätkolonialen Spuren Deutschlands darin teilhaben“ lassen. Die Stimme, der man in der Übersetzung folgt, ist dabei aber eine merklich andere als im Original. Ein gelungenes Beispiel für die Übersetzung melodiöser und humorvoller Mündlichkeit ist die Übersetzung also leider nicht.
Lieblingsstelle
Beim Anblick meiner Tante, die mit so sicherem Schritt voranging, hätte man meinen können, dass nichts Schlimmes geschehen sei. Dass uns überhaupt nichts geschehen sei. Man hätte meinen können, wir hätten nicht mit eigenen Augen den Tod, Tote, Verletzte, Verletzte, die mit einer Machete erledigt worden waren, mit offenem Bauch, Kopf und Augen gesehen. Beim Anblick, wie sie so schnell-schnell voranging mit so schlanken Beinen wie die einer Antilope aus unseren Wäldern, hätte man sogar glauben können, dass nicht sie, die Macheten-Königin, eine leichenhafte Leiche mit ihrem großen Maniokmesser erledigt hatte, wie es die Männer in Zivil taten. Sie wirkte ruhig. Kein Ausdruck auf ihrem Gesicht. Nur Gelassenheit. Im Gleichgewicht auf ihrem Kopf der Korb mit Maniok. War es das Gewicht des Maniokkorbes auf ihrem Kopf, das sie so gelassen bleiben ließ? Oder war es die Wärme des schwarzen Hahnes, den sie jetzt mit ihrer rechten Hand an den Flügeln festhielt, der ihr ein kleines bisschen Leben zurückgab? Sie schritt geradeaus voran und drehte sich nicht um, um zu sehen, wo ich blieb. Sie sagte nur: „Lauf. Lauf schnell, meine Tochter. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“