Wenn Über­set­zen­de die Welt retten

In Rebecca F. Kuangs historischem Fantasy-Roman „Babel“ legen sich Übersetzungsstudierende unter der Aufsicht von Heide Franck und Alexandra Jordan mit dem Britischen Weltreich an – und ändern den Lauf der Geschichte. Von

Babel-Roman von F. R. Kuang
Das Babel-Cover in Gold statt Silber. Hintergrundbild: Kier in Sight via Unsplash

Hin­weis: Die Rezen­si­on ent­hält klei­ne Spoiler.


Über­set­zen­de sind sel­ten die Held:innen der Geschich­te. Mit Aus­nah­me eini­ger Über­flie­ger wie Luther oder Eras­mus sind sie in der Geschichts­schrei­bung oft­mals Rand­fi­gu­ren, die zwar auf ihre Wei­se eine essen­ti­el­le Funk­ti­on haben, aber in vie­len Fäl­len im Schat­ten ande­rer Ent­schei­dungs­trä­ger agie­ren. Doch die Rol­le der Über­set­zen­den ver­än­dert sich zuneh­mend, nicht zuletzt weil auch die For­de­run­gen nach Sicht­bar­keit immer lau­ter wer­den. Im eng­lisch­spra­chi­gen Aus­land bei­spiels­wei­se, wo sich Tau­sen­de auf You­Tube Vide­os mit Emp­feh­lun­gen von über­setz­ten Büchern anschau­en, ist das Inter­es­se an über­setz­ter Lite­ra­tur und an der Arbeit an Über­set­zen­den merk­lich gewachsen.

Dass sich die jun­ge Fan­ta­sy-Autorin Rebec­ca F. Kuang also ent­schied, Über­set­zen­de zu den Protagonist:innen ihres neu­es­ten 700 Sei­ten lan­gen Romans zu machen, mag also mit Blick auf die Lite­ra­tur­ge­schich­te über­ra­schen, ist aber durch­aus nahe­lie­gend. Denn Kuang zeigt auf genia­le Art und Wei­se, wel­che the­ma­ti­sche Rele­vanz das The­ma Über­set­zung auch für jün­ge­re Gene­ra­tio­nen hat und wie das Über­set­zen von zen­tra­ler Bedeu­tung für aktu­el­le Dis­kur­se ist. In Eng­land und den USA wur­de ihr Ansatz begeis­tert rezi­piert, zumin­dest legt das der Best­sel­ler-Sta­tus des Buches nahe. 

Ihr his­to­ri­scher Fan­ta­sy-Roman Babel, über­setzt von Alex­an­dra Jor­dan und Hei­de Franck, mischt Dark-Aca­de­mia-Ästhe­tik mit Woke­ness und Über­set­zungs­theo­rien mit post­ko­lo­nia­len Debat­ten. Wer viel Zeit im Inter­net ver­bringt, ist all die­sen Ele­men­ten mit hoher Wahr­schein­lich­keit schon ein­mal begeg­net. In Kom­bi­na­ti­on funk­tio­nie­ren sie zumin­dest in der ers­ten Hälf­te des Romans erstaun­lich gut und sor­gen für einen höchst unter­halt­sa­men Ritt durch ein semi-fik­ti­ves Eng­land der 1830er-Jahre. 

Der Held des Romans, Robin Swift, wird als klei­ner Jun­ge von dem undurch­schau­ba­ren Pro­fes­sor Lovell aus Can­ton nach Eng­land gebracht, nach­dem sei­ne Mut­ter an Cho­le­ra gestor­ben ist. In Lon­don wird ihm inner­halb kur­zer Zeit Latein und Alt­grie­chisch ein­ge­prü­gelt, damit er in Oxford sein Stu­di­um am König­li­chen Insti­tut für Über­set­zung, Babel genannt, antre­ten kann. Dort lernt er drei Mit­stu­die­ren­de ken­nen – Ramy, der in Kal­kut­ta auf­wuchs, aber sein Hei­mat­land ver­ließ, um eine Aus­bil­dung in Eng­land zu erhal­ten; Vic­toire, die auf Hai­ti gebo­ren wur­de, aber mit ihrer Mut­ter nach Frank­reich flüch­ten muss­te, und Let­ty, Offi­ziers­toch­ter und die ein­zi­ge Britin.

Robin, Ramy und Vic­toire ver­eint nicht nur das Stu­di­um der Über­set­zung, son­dern auch die Erfah­rung des Auf­wach­sens in unter­schied­li­chen Kul­tu­ren und des Anders­seins im ver­meint­lich wei­ßen bri­ti­schen König­reich. Die Über­set­zungs­stu­die­ren­den exis­tie­ren in einer Art Zwi­schen­raum – Eng­land ist nicht ihr Hei­mat­land, aber Oxford ein Zuhau­se, und Frau­en und Peo­p­le of Colour dür­fen in Kuangs Welt (anders als im rea­len Oxford des 19. Jahr­hun­derts) zumin­dest im baby­lo­ni­schen Turm stu­die­ren, aber voll­wer­ti­ge Stu­die­ren­de sind sie den­noch nicht. In Oxford kön­nen eini­ge von ihnen hin und wie­der die dama­li­ge gesell­schaft­li­che Norm per­for­men (Robin geht manch­mal als Wei­ßer durch und Vic­toire ver­klei­det sich als Mann), aber sie sind natür­lich trotz­dem All­tags­ras­sis­mus und struk­tu­rel­ler Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt, die Babel als Insti­tut nicht beson­ders ernst nimmt. In Eng­land zu leben bedeu­tet für sie zu über­set­zen, also zwi­schen ver­schie­de­nen Kul­tu­ren und Iden­ti­tä­ten zu navigieren.

Das Über­set­zen hat in Babel jedoch nicht nur indi­vi­du­el­le Dimen­sio­nen. Das König­li­che Insti­tut für Über­set­zung steht klar im Diens­te der Kro­ne und deren impe­ria­len Ambi­tio­nen. Über­set­zen ist dem­nach ein hoch­po­li­ti­sches Unter­fan­gen, was Robin bereits als Kind in Kan­ton ler­nen muss. Dort soll er zwi­schen einem chi­ne­si­schen Arbei­ter, der einen Ver­trag mit dem Schiff hat, und dem Schiffs­per­so­nal, das ihn nicht an Bord las­sen will, ver­mit­teln: 

Pro­fes­sor Lovell was at his side, grip­ping his should­er so tight­ly it hurt. ‘Trans­la­te, plea­se.’ This all hin­ged on him, Robin rea­li­zed. The choice was his. Only he could deter­mi­ne the truth, becau­se only he could com­mu­ni­ca­te it to all par­ties. But what could he pos­si­bly say?

Pro­fes­sor Lovell war an sei­ner Sei­te, und sein eiser­ner Griff an Robins Schul­ter schmerz­te. »Bit­te über­set­ze.« Es hing alles von ihm ab, erkann­te Robin, und er hat­te die Wahl. Es lag an ihm, die Wahr­heit fest­zu­le­gen, denn nur er konn­te mit allen Par­tei­en kom­mu­ni­zie­ren. Doch was soll­te er sagen?

Über­set­zen wird für Robin zu einem mora­li­schen Dilem­ma, denn er ver­steht, dass dem chi­ne­si­schen Arbei­ter Unrecht getan wird. Gleich­zei­tig ist ihm aber sei­ne Abhän­gig­keit von Pro­fes­sor Lovell (der an vie­len Stel­len als Sym­bol­fi­gur für das bri­ti­sche Welt­reich fun­giert) bewusst. Das ist einer der Haupt­kon­flik­te des Romans: Auf wes­sen Sei­te steht Robin? Auf der sei­nes Hei­mat­lan­des, das vom bri­ti­schen König­reich aus­ge­beu­tet wird oder auf der sei­ner neu­en Hei­mat, die ihm Bil­dung, Nah­rung und eine Zukunft bie­tet – natür­lich nicht ohne dafür einen hohen Preis zu verlangen. 

In Oxford lernt Robin zunächst, was Über­set­zen in tech­ni­scher Hin­sicht bedeu­tet und wel­che beruf­li­chen Mög­lich­kei­ten es gibt (ja, auch Literatur:übersetzerinnen kom­men vor). Die Autorin reißt vor allem in der ers­ten Hälf­te eine Viel­zahl über­set­ze­ri­scher Fra­gen an, die sich flie­ßend in das uni­ver­si­tä­re Set­ting ein­bet­ten las­sen und vor allem über Pro­fes­so­ren­re­de ver­mit­telt wird: Wie stark muss ein Text ver­frem­det wer­den, um in einer ande­ren Kul­tur ver­stan­den zu wer­den? Wie sicht­bar soll­ten die Über­set­zen­den im Text sein? Wel­che Rol­le spielt Über­set­zung in der Gesell­schaft? Kuang scheut sich nicht davor, hin und wie­der etwas in die Tie­fe zu gehen und an eini­gen Stel­len auch ein wenig Über­set­zungs­ge­schich­te, die mit einem noch ertrag­ba­ren Name-Drop­ping ein­her­geht, einzustreuen.

Doch die Kunst des Über­set­zens bot der Autorin wohl nicht genug Stoff. Es stellt sich schnell her­aus, dass die Professor:innen in Oxford nicht nur über­set­zen, son­dern „sil­ber­wer­ken“: „Wir sind hier, um mit Wor­ten Magie zu wir­ken“, wird in der Ein­füh­rungs­ver­an­stal­tung ver­kün­det – und wie so vie­les in die­sem Roman meint Kuang das wort­wört­lich. Das bri­ti­sche Welt­reich stellt Sil­ber­bar­ren her, die magi­sche Funk­tio­nen besit­zen, sofern sie mit der rich­ti­gen Wort­kom­bi­na­ti­on aus ver­schie­de­nen Spra­chen ver­se­hen sind. Magie ent­steht, weil zwi­schen den Wort­paa­ren immer eine Art Rei­bung besteht, denn auch wenn sich Wör­ter in ihrer Bedeu­tung ähneln, haben sie in unter­schied­li­chen Spra­chen fast nie exakt die­sel­be Bedeu­tung. Auf die­ses Kon­zept müs­sen sich Leser:innen ein­fach ein­las­sen. Hier ein Beispiel:

‘Pocket,’ Grif­fin gas­ped. ‘Front pocket—’ Robin roo­ted through his front pocket and pul­led out a thin sil­ver bar. ‘Try that – I wro­te it, don’t know if it’ll—’ Robin read the bar, then pres­sed it against his brother’s should­er. ‘Xiū,’ he whispe­red. ‘Heal.’ 修. To fix. Not mere­ly to heal, but to repair, to patch over the dama­ge; undo the wound with bru­te, mecha­ni­cal repa­ra­ti­on. The dis­tor­ti­on was subt­le, but it was the­re, it could work.

»Tasche«, keuch­te Grif­fin. »Vor­de­re Tasche …« Robin durch­wühl­te sei­ne Tasche und zog einen dün­nen Sil­ber­bar­ren her­vor. »Versuch’s – hab ich geschrie­ben, weiß nicht, ob es …« Robin las die Inschrift, dann drück­te er sei­nem Bru­der den Bar­ren auf die Schul­ter. »Xiū«, flüs­ter­te er. »Heal.« Hei­le. 修. Repa­rie­ren. Nicht nur hei­len, son­dern das Loch fli­cken; die Wun­de mit stump­fer, mecha­ni­scher Aus­bes­se­rung besei­ti­gen. Es war nur eine unter­schwel­li­ge Bedeu­tungs­ver­zer­rung, doch sie war da, es konn­te klappen.

Die­ses Sil­ber­wer­ken dient nicht nur als Hilfs­mit­tel in brenz­li­gen Situa­tio­nen, son­dern der Auf­recht­erhal­tung der bri­ti­schen Infra­struk­tur – es lässt Uhren schla­gen, Züge rol­len und Krank­hei­ten hei­len. Nur Über­set­zen­de kön­nen mit die­ser Art von Magie umge­hen und die bri­ti­sche Insel begrün­det ihre Vor­macht­stel­lung mit dem Han­del von Silber. 

Durch ihre Arbeit sol­len die Stu­die­ren­den das bri­ti­sche König­reich als füh­ren­de Kolo­ni­al­macht zemen­tie­ren: „Der Turm ist eng mit dem Geschäft des Kolo­nia­lis­mus ver­wo­ben. Er ist das Geschäft des Kolo­nia­lis­mus“, erklärt ein älte­rer Stu­dent, der für einen Geheim­bund namens Her­mes arbei­tet. Die­sem schlie­ßen sich Robin und sei­ne Freund:innen an, um in der zwei­ten Hälf­te – wo der kon­kre­te Bezug zum Über­set­zen deut­lich nach­lässt – den baby­lo­ni­schen Turm zu Fall zu brin­gen und die Aus­beu­tung ande­rer Natio­nen zu stoppen.

In der bedach­ten Über­set­zung von Hei­de Franck und Alex­an­dra Jor­dan berei­tet Babel ein durch­aus kurz­wei­li­ges und unter­halt­sa­mes Lese­ver­gnü­gen. Die Über­set­ze­rin­nen fol­gen Kuangs ins­ge­samt moder­nem Schreib­stil, ohne über­trie­ben alt­mo­disch oder gegen­warts­nah zu klin­gen. Und auch die Dia­lo­ge klin­gen im Deut­schen, sofern es die Vor­la­ge her­gab, unge­küns­telt.  Eine Her­aus­for­de­rung sprach­li­cher Natur war bei die­ser Über­set­zung sicher­lich der Oxford-Jar­gon, der auch für eng­li­sche Muttersprachler:innen bis­wei­len befremd­lich und nicht immer ver­ständ­lich ist. Die über­set­ze­ri­schen Pas­sa­gen, wo mit chi­ne­si­schen, eng­li­schen, deut­schen und fran­zö­si­schen Wör­tern gespielt wird, sind im Deut­schen für Leser:innen, die kei­nen Über­set­zungs­be­zug haben, nach­voll­zieh­bar und über­frach­ten den Text kaum.

Tat­säch­lich lie­gen die gro­ßen Schwä­chen des Romans nicht in der deut­schen Über­set­zung oder gar im Umgang mit über­set­ze­ri­schen The­men. Viel­mehr sind sie erzäh­le­ri­scher und sti­lis­ti­scher Natur. Die Autorin fügt auf so stump­fe Art und Wei­se Erläu­te­run­gen und mit­un­ter tri­via­le Fak­ten ein, dass man ihr einen Schreib­rat­ge­ber rei­chen möch­te. Zum Bei­spiel an die­ser Stelle:

‘A wine par­ty, and then what?’ Ramy per­sis­ted. ‘You think they’ll make you one of the lads? Are you hoping they’ll take you to the Bul­ling­don Club?’ The club on Bul­ling­don Green was an exclu­si­ve eating and sport­ing estab­lish­ment whe­re young men could while away the after­noon hun­ting or play­ing cri­cket. Mem­ber­ship was assi­gned on mys­te­rious grounds that see­med to stron­gly cor­re­la­te with wealth and influence.

»Und was pas­siert danach?«, bohr­te Ramy nach. »Glaubst du, sie neh­men dich in ihren Zir­kel auf? Hoffst du, dass sie dich mit in den Bul­ling­don Club neh­men?« Der Club am Bul­ling­don Green war ein exklu­si­ves Restau­rant mit Sport­ver­ein, in dem jun­ge Män­ner den Nach­mit­tag auf der Jagd oder beim Cri­cket ver­brin­gen konn­ten. Die Mit­glied­schaft wur­de nach mys­te­riö­sen Kri­te­ri­en ver­ge­ben, die stark mit Reich­tum und Ein­fluss zusam­men­zu­hän­gen schienen.

Statt Anspie­lun­gen ein­fach Anspie­lun­gen sein zu las­sen, erklärt Kuang den Lesen­den, was es mit die­sem real exis­tie­ren­den Club, dem bekann­ter­ma­ßen ehe­ma­li­ge Pre­mier­mi­nis­ter wie Boris John­son ange­hör­ten, auf sich hat, ohne dass die­ser Club von Rele­vanz für die Hand­lung wäre. Sol­che Pas­sa­gen sind kei­ne Aus­nah­me: Offen­bar beherrscht die Autorin kei­ne ande­re Tech­nik, um die Lesen­den mit Zusatz­in­for­ma­tio­nen zu ver­sor­gen. An ande­rer Stel­le lässt die Autorin bei­spiels­wei­se eine Figur den Sinn und Zweck eines Sitz­streiks erläu­tern, was wie aus einem Geschichts­buch abge­schrie­ben klingt. Und weni­ge Sei­ten spä­ter erklärt ein Stu­dent komi­scher­wei­se, dass Frank­reich im 19. Jahr­hun­dert Vor­rei­ter auf dem Gebiet der Über­set­zung war, dabei spielt die Hand­lung des Romans in den 1830er Jahren. 

Noch viel frag­wür­di­ger ist aller­dings die ein­di­men­sio­na­le Figu­ren­zeich­nung, die sich auf zuwei­len absur­de Hand­lungs­mo­ti­ve stützt. Die blass gezeich­ne­te Let­ty bei­spiels­wei­se, die vor­her kei­ne gro­ßen Aggres­sio­nen gezeigt hat, greift in einem zwei­fel­haf­ten Plot­twist zur Waf­fe, weil Ramy nicht mit ihr auf einem Ball tan­zen woll­te und sie sich als „rei­ches wei­ßes Mäd­chen“ der eige­nen Ras­sis­men nicht bewusst ist: „Ein brau­ner Mann ver­schmäht eine eng­li­sche Rose. Das hat Let­ty nicht ertra­gen. Die Demü­ti­gung.“ Und ein Pro­fes­sor wird mit einem Sil­ber­bar­ren getö­tet, die er dem Täter vor­her prak­ti­scher­wei­se und in höchst offen­sicht­li­cher Manier in die Hand gedrückt hat, was auf­merk­sa­men Lesen­den mit Sicher­heit nicht ent­gan­gen ist.

Der Roman kaut sei­nen Leser:innen vor, was sie über die Figu­ren zu den­ken haben, ohne aber genü­gend Hand­lung zu bie­ten, aus der man eige­ne Schlüs­se zie­hen könn­te. Statt der Kom­ple­xi­tät Raum zu geben, die durch die engen Ver­wick­lun­gen per­sön­li­cher und poli­ti­scher Inter­es­sen, durch Eigen­ver­ant­wor­tung und Fremd­be­stim­mung ent­steht, bricht Kuang den Kon­flikt an vie­len Stel­len auf ein schwarz-weiß Sche­ma­ta her­un­ter. Wer hier die Guten sein sol­len und wer die Bösen, wird in dem Roman recht schnell klar. Wenn der rea­le Ver­lauf der Geschich­te tat­säch­lich immer so gerad­li­nig gewe­sen wäre und der Mensch kein wider­sprüch­li­ches Wesen – doch genau das macht Kuangs Roman zur Fan­ta­sy.

In die­ser Fan­ta­sie ist Gewalt die ein­zig ange­mes­se­ne Lösung, da das bri­ti­sche König­reich sei­ne Herr­schaft durch bru­ta­le Unter­drü­ckung und die Andro­hung von Krieg aus­wei­ten will. Der Feind ist nur durch sei­ne eige­nen Mit­tel zu schla­gen, denn „Gewalt zeigt ihnen, zu wel­chen Opfern wir bereit sind“, erklärt ein Mit­glied des Geheim­bunds dem mit­un­ter blau­äu­gi­gen Robin, der wie­der­um den Moment mit der Pis­to­le in der Hand genießt: „die Macht, die er mit einem Zucken sei­nes Fin­gers aus­üb­te – das fühl­te sich gut an“. Pas­send dazu lau­tet der gesam­te Titel der eng­lisch­spra­chi­gen Aus­ga­be wie folgt: Babel. Or the Neces­si­ty of Vio­lence: An Arca­ne Histo­ry of the Oxford Trans­la­tors’ Revo­lu­ti­on. In der deut­schen Fas­sung hat man getrost auf die­sen Zusatz verzichtet.

Nicht alle sind so gewalt­be­reit wie Robin, aber dass die Gewalt auch gegen­über der Zivil­ge­sell­schaft not­wen­dig ist, um über­haupt eine Chan­ce gegen­über dem Estab­lish­ment zu haben, wird kaum signi­fi­kant ange­zwei­felt. Robins mora­li­scher Kom­pass ist schließ­lich the grea­ter good. Dass er zwar in vie­ler­lei Hin­sicht Opfer, gewis­ser­ma­ßen aber auch Täter ist, scheint für ihn wie auch für die Autorin kein erwäh­nens­wer­tes Dilem­ma dar­zu­stel­len. Doch der Erz­feind, das böse bri­ti­sche Impe­ri­um, bleibt letzt­lich abs­trakt, weil sei­ne Repräsentant:innen schritt­wei­se vom Plot eli­mi­niert wer­den, bevor die eigent­li­che Action beginnt. Das Revo­luz­zer-Dasein kommt in Babel also ins­ge­samt schal daher. Bei so viel Ober­fläch­lich­keit konn­ten auch die Über­set­ze­rin­nen nichts mehr retten.


Rebec­ca F. Kuang | Hei­de Franck | Alex­an­dra Jor­dan

Babel


Eich­born 2023 ⋅ 736 Sei­ten ⋅ 26 Euro


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