Young Mungo ist der zweite Roman des mit dem Booker Prize gekrönten, schottischen Autors Douglas Stuart und vor einigen Monaten beim Hanser-Verlag in der deutschen Übersetzung von Sophie Zeitz erschienen. Schauplatz der Erzählung ist, wie auch schon in seinem Auftaktroman Shuggie Bain (ebenfalls übersetzt von Sophie Zeitz), seine schottische Heimatstadt Glasgow.
Der Roman folgt der Geschichte des fünfzehnjährigen Mungo, der in den Mietskasernen im Glasgower East End aufwächst. Er lebt dort in einer Welt, in die er nicht zu passen scheint. Anders als sein Bruder, der die protestantischen Billys anführt und allgemein gefürchtet wird, ist Mungo sanftmütig und scheut die Gewalt. Außerdem hat er kein Interesse an Mädchen. Mungo lebt mit seiner Mutter und seiner Schwester in einer heruntergekommenen Wohnung und seine Zukunftsaussichten sehen düster aus. Sein Leben ist trostlos – zumindest so lange, bis er James Jamieson kennenlernt.
Der junge Mann beim Taubenschlag hat keine Hintergedanken und interessiert sich, anders als Mungos Familie, für das, was Mungo zu sagen hat. Schnell werden sie Freunde und entwickeln Gefühle füreinander. Gefühle, die sie auf den brutalen Straßen des East Ends niemals zeigen dürfen. Obwohl gleichgeschlechtliche Beziehungen in Schottland „bereits“ im Jahr 1980 entkriminalisiert wurden, halten die Leute aus Mungos Gegend Homosexualität immer noch für ansteckend und ein schreckliches Vergehen, das mit Ausgrenzung und Gewalt bestraft wird.
Die Erzählung spielt sich innerhalb weniger Monate ab, in denen in Mungos jungem Leben viel mehr passiert als bei anderen in einem ganzen Jahrzehnt. Regnerische Rückblenden und ein Maiwochenende, welches Mungo mit zwei fremden Männern an einem Loch verbringt – „der Mai danach“ – laufen alternierend aufeinander zu, um zum Schluss grauen- oder vielleicht sogar hoffnungsvoll zu kollidieren. Den chronologisch erzählten Rückblenden haftet eine Grausamkeit an, die einem immer wieder den Atem stocken lässt. Wenn das nächste Kapitel dann wieder in einen der vergangenen Monate zurückkehrt, fühlt sich das an wie eine Atempause, insbesondere in jenen Abschnitten, in denen James und Mungo zueinander finden.
In der Erzählung sprechen die meisten Charaktere im glaswegischen Dialekt. Dies stellt eine besondere Herausforderung für Übersetzer*innen dar. Doch Douglas Stuart verwendet nicht nur in Dialogen schottische Begriffe. So benutzt er im Fließtext unter anderem die Worte „lassie“, „weans“ und „wee“. Damit fügt sich die Erzählung räumlich ganz klar in Glasgow ein und die kulturellen sowie sprachlichen Besonderheiten der Gegend werden hervorgehoben. Welche Übersetzung hat Sophie Zeitz für diese Ausdrücke gewählt?
“Ach, ah’m sorry. A young gent like you. Ye must miss him.” Mungo couldn’t say just how much he missed him. It was too big a feeling to put into words. “I was only wee.”
„Oh, tut mir leid. Lütter Kerl wie du. Der fehlt dir sicher.“ Mungo konnte nicht ausdrücken wie sehr. Das Gefühl war zu groß für Worte. „Da war ich noch klein.“
Dieses Beispiel zeigt, dass Sophie Zeitz „wee“ schlichtweg mit „klein“ übersetzt hat. Jedoch hat sie sich in diesem Kontext auch für den norddeutschen Ausdruck „lütter Kerl“ entschieden, um „young gent“ zu übersetzen. „Weans“ hat sie grundsätzlich mit „Kinder“ übersetzt. Selten, wenn leicht abfällig über Kinder gesprochen wird, hat sie das Wort „Gören“ verwendet, wie an der folgenden Stelle zu sehen ist:
“See, I asked around and it turns out Jocky Dunbar has four weans of his own. […]”
„Schon komisch, weil ich mich erkundigt hab, und wie sich rausstellt, hat Jocky Dunbar selber vier Gören. […]“
Im nachstehenden Beispiel fragt Mungo James, ob er nicht mit einem Mädchen zusammen ist:
„I thought you had a bird?” asked Mungo, over the growl of a corporation bus. “A Doo?” “No‑o. A robin big breast, a pair of blue tits. A lassie.”
„Ich dachte, du hast ne Mieze?“, rief Mungo über das Rohren eines Omnibusses hinweg. „Ne Katze?“ „Ne Meise. Ne Tussi, meine ich.“
Hier fallen gleich mehrere Dinge ins Auge: Zunächst hat Sophie Zeitz „bird“ mit „Mieze“ übersetzt. Da James einen Taubenschlag besitzt und seine Frage „A Doo?“ sich damit auf eine Taube bezieht, geht diese Nuance in der Übersetzung leider verloren. Im nächsten Satz stellt Mungo klar, dass er „a lassie“, also „ne Tussi“ meint, eine Übersetzung, die Sophie Zeitz wiederholt für „lassie“ gewählt hat. „Tussi“ hat eine sehr herablassende Konnotation. Sophie Zeitz legt das Wort jedoch nur Männern und Jungen in den Mund, bei denen man sich eine solche Wortwahl vorstellen kann; etwa um cool zu wirken, wie Mungo vor James, oder weil sie Frauen gegenüber tatsächlich eine herablassende Haltung einnehmen.
Der Dialekt wird auch sonst immer wieder explizit angesprochen und scheint grundsätzlich von Bedeutung für die Identität der Glasweger und Glaswegerinnen zu sein. So wird abfällig über jene gesprochen, die das sogenannte „Queen’s English“ sprechen, und Leute wie Jodie, die vorhaben, aus den Mietskasernen herauszukommen und ihre alte Identität abzulegen, legen damit auch ihren Dialekt ab. (Jodie „würde an ihrer Aussprache arbeiten, sich den Knacklaut abgewöhnen.“)
“Now, son, do ye mean my sister or my mother? Because I know ye don’t mean my wife.”
„Wen meinst du, Junge, meine Schwester oder meine Mutter? Weil, dass du nicht meine Frau meinst, wissen wir beide.“
Da der glaswegische Dialekt einen so großen Anteil des Romans ausmacht, hat Sophie Zeitz versucht, den Sprachcharakter zumindest teilweise nachzuahmen. Beispielsweise hat sie die im alltäglichen Sprachgebrauch inzwischen übliche Syntax von weil-Sätzen übernommen, eine Sprechweise, die sich bei allen Generationen immer weiter verbreitet. Mit dieser kreativen Idee hebt sie die Mündlichkeit der Glasweger hervor.
Sophie Zeitz spielt mit modernen (Weil-Sätze) und altmodischeren (lütt) umgangssprachlichen Eigenarten und arbeitet außerdem mit Verkürzungen wie „ne“, „haste“, „nich“ etc., und entwickelt so eine bunte Mischung, aus der deutlich hervorgeht, dass die Menschen in diesem Buch einen besonderen Dialekt sprechen. Leider ist es nicht möglich, den Glasweger Dialekt des Ausgangstextes zu reproduzieren, bei dem fast alle der anglophonen Welt wissen „Aha, das sind Schotten“. Ein Umstand, der aber gar nicht stört, weil der Handlungsort immer wieder deutlich genannt wird.
Insgesamt liegt dieses Buch schwer im Magen und an manchen Stellen muss man es einfach mal zuklappen und durchatmen. Durch die vielen Trigger-Themen wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch ist Young Mungo nicht für alle Lesenden zu empfehlen. Themen, die sowohl ungeschönt bildlich als auch emotional aufreibend dargestellt sind.
The children knelt in the middle of the living room and listened as he swung his fists into her softness. He was hurting her. Each time he hit her, the woman cried out in pain. It was a tremulous squeak that ended in a chewed full stop, like she wanted to swallow the shameful cry as soon as it escaped her. Even as he was battering her, she worried about his good name.
Die Kinder knieten im Wohnzimmer und lauschten, wie er die Fäuste in ihr weiches Fleisch rammte. Er tat ihr weh. Bei jedem Schlag ächzte die Frau vor Schmerz. Es war ein kleinlautes Wimmern hinter zusammengebissenen Zähnen, als wollte sie den beschämenden Schrei verschlucken, bevor er ihr entkam. Selbst wenn er sie schlug, dachte sie an seinen Ruf.
In dieser Situation werden Mungo und Jodie Zeugen davon, wie ihre Nachbarin von ihrem Ehemann verprügelt wird. Sophie Zeitz hat es geschafft, dass ihre Übersetzung so wirkt, als würde man als Leser*in an einem sehr intimen Ereignis teilhaben. Feine nuancierte Übersetzungen wie „lauschten“ für „listened“, „ächzte“ für „cried out“, und „ein kleinlautes Wimmern hinter zusammengebissenen Zähnen“ geben dem Text eine solch persönliche Note, dass die Lesenden sich der Gewalt einfach nicht entziehen können.
Dennoch ist das Buch hoffnungsvoll und glücklicherweise erkennt Mungo zum Schluss, dass das, was die Männer ihm am See angetan haben, und das, was er mit seinem geliebten James macht, keinesfalls das gleiche ist.
His tears fell and distorted his reflection. He thought about James, and the lovely things they had done on his navy carpet. Three days of happiness, three days marked with Chinese burns and clumsy caresses. Greedy little kisses that were full of bumping teeth and shy apologies. It was wrong to compare their loveliness to the things the drunkards had forced on to him. They were not the same thing, Mungo reminded himself. They were not the same at all. They were not.
Seine Tränen fielen ins Wasser und verzerrten sein Spiegelbild. Er dachte an James, an die wunderschönen Dinge, die sie auf dem dunkelblauen Teppich getan hatten. Drei Tage des Glücks, drei Tage Teppichschrammen und stolpernde Zärtlichkeiten. Gierige kleine Küsse mit anstoßenden Zähnen und scheuen Entschuldigungen. Es war falsch, all das Schöne mit dem zu vergleichen, wozu die Säufer ihn gezwungen hatten. Es war nicht das Gleiche, ermahnte er sich. Das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun. Nicht einmal entfernt.
Manchmal wirkt die Übersetzung dann doch etwas komisch, was hin und wieder an der Wortwahl liegt. Die Lesenden bleiben zum Beispiel an den oben genannten „stolpernde(n) Zärtlichkeiten“ hängen, mit denen „clumsy caresses“ übersetzt wurde, wo „unbeholfene Zärtlichkeiten“ vielleicht etwas idiomatischer wäre. Das ist aber nur selten der Fall, denn der Übersetzerin ist es meist gelungen, idiomatische Formulierungen zu finden.
Man kann vor Sophie Zeitz nur den Hut ziehen, weil sie sich monatelang mit diesem Buch voller schwerer Themen auseinandergesetzt hat, Worte für die Gewalt, aber auch für die Schönheit in dieser Geschichte gefunden hat. Sie hat Young Mungo mit einer vermeintlichen Leichtigkeit übersetzt, die angesichts des Inhaltes und der Erzählweise im Ausgangstext alles andere als selbstverständlich ist.