Im Laby­rinth der Hochhäuser

Der Inhalt von Zaza Burchuladzes „Zoorama“ lässt sich nur schwer in Worte fassen. Aber eins ist klar: Sibylla Heinze hat den Roman des georgischen Schriftstellers eindrucksvoll ins Deutsche übertragen. Von

Zaza Burchuladzes Roman Zoorama, erschienen bei Tropen. Hintergrundbild: Kier in Sight via Unsplash

Was tun, wenn einem als Autor die Wor­te feh­len, wenn sie nicht pas­sen oder sich gar sper­ren? Wenn das, was man sagen will, unsag­bar ist. Wenn sich das, was man schreibt, einer Kri­tik stel­len muss und mög­li­cher­wei­se vom Publi­kum abge­lehnt wird? Wie soll dann alles wei­ter­ge­hen?
Zaza Bur­ch­ul­ad­zes post­mo­der­ner Roman Zoor­a­ma, über­setzt von Sybil­la Hein­ze, lässt sich nicht leicht in Wor­te fas­sen. Schon der Klap­pen­text ist recht kryp­tisch, dabei mutet die Hand­lung zunächst über­sicht­lich an: In zwei sich abwech­seln­den Erzähl­strän­gen wan­dern wir zwi­schen zwei Hoch­haus­kom­ple­xen in Ber­lin hin und her, in denen sich teils merk­wür­di­ge, absur­de und auch beängs­ti­gen­de Din­ge ereig­nen. In dem einen wohnt der Ich-Erzäh­ler Zaza, im ande­ren die Fami­lie Podes­wa. Die Kin­der gehen in den glei­chen Kin­der­gar­ten und im Lau­fe des Buches machen sich Zaza, sei­ne Freun­din Mari­ka und die Toch­ter Stel­la auf den Weg durch die Stadt, um die Podes­was zu besu­chen. Wäh­rend Milo Podes­wa in der zwei­ten Text­ebe­ne mit der „Wör­ter­aus­stel­lung“ das geschrie­be­ne Wort fei­ert, damit expe­ri­men­tiert und es aus­reizt, feh­len im ande­ren Hoch­haus der Roman­fi­gur Zaza die Worte.

Es gab eine Zeit, da hat man mit Wör­tern die Son­ne ange­hal­ten und gan­ze Städ­te zerstört.

Was zu Beginn phi­lo­so­phisch und melan­cho­lisch erscheint, ent­wi­ckelt sich zuneh­mend zu einem Laby­rinth aus Sur­rea­lis­mus und Auto­fik­ti­on, in dem ich zeit­wei­se den Über­blick ver­lor. Die Sät­ze rausch­ten irgend­wann an mir vor­bei, ohne dass ich mehr als einen Bruch­teil erfas­sen konn­te. Habe ich etwas ver­passt? Habe ich nicht auf­merk­sam genug gele­sen? Hät­te ich mehr reflek­tie­ren sol­len? Ich war über­for­dert, vom Inhalt, vom Stil, von der durch die Über­set­ze­rin über­tra­ge­ne Wort­ge­walt, der Schnel­lig­keit. Die bild­haf­te Spra­che, eine Anein­an­der­rei­hung von Para­beln, ließ regel­recht einen Film vor mei­nem inne­ren Auge ablau­fen, ohne dass ich alles, was es zu sehen gab, wirk­lich erfas­sen und ein­ord­nen konn­te. Somit lässt mich das Buch zwie­ge­spal­ten zurück. Die Lek­tü­re war anspruchs­voll durch den wir­ren Auf­bau der Geschich­te, die feh­len­de Struk­tur, die sei­ten­lan­gen Fuß­no­ten, deren Sinn ich nicht ansatz­wei­se ver­stand. Auf der ande­ren Sei­te kann Zaza Bur­ch­ul­ad­ze so wun­der­vol­le Sät­ze schrei­ben, sie blit­zen hier und da auf, sprach­lich vir­tu­os, melan­cho­lisch und fein­sin­nig, sie berüh­ren und sind exakt formuliert.

Dann wie­der­um fol­gen Pas­sa­gen, in denen durch die in mei­nen Augen zu gewoll­te, kunst­vol­le Spra­che der Inhalt so weit in den Hin­ter­grund tritt, dass der Sinn kaum noch zu deu­ten ist. Fremd­wor­te wer­den schein­bar wahl­los ein­ge­streut. Merk­wür­di­ge Ver­glei­che erzeu­gen in ihrer Bild­haf­tig­keit Rat­lo­sig­keit und las­sen den Roman mehr und mehr kon­stru­iert erscheinen.

Aus man­chen Türen tropf­te ros­ti­ges Öl, das aus­sieht, als hät­te ein Blau­wal sei­ne Tage.

Über­set­zun­gen aus dem Geor­gi­schen sind noch immer rar und fähi­ge Über­set­zen­de ver­mut­lich auch, sodass ich es beson­ders scha­de fin­de, dass der Ver­lag die Über­set­ze­rin nicht nament­lich auf dem Cover erwähnt. Es muss ein unglaub­li­cher Auf­wand für Sybil­la Hein­ze gewe­sen sein, in die­ses kaf­ka­es­ke Buch so tief ein­zu­tau­chen, dass sie es zu über­set­zen imstan­de war. 

Ich habe den Text inso­fern als über­setz­ten Roman wahr­ge­nom­men, als dass ein Ein­druck vom Sprach­rhyth­mus des geor­gi­schen Ori­gi­nals, ein beson­de­rer Klang erhal­ten geblie­ben ist, ohne, dass For­mu­lie­run­gen sper­rig oder unpas­send erschienen.

Und wozu braucht man jeman­des Hälf­te, wenn man ein gan­zer Spie­gel sein kann? Oder ein Tages­an­bruch. Was man will. Und das jeden Tag, solan­ge man atmet. So geht es uns, den Dich­tern Geor­gi­ens, wir ste­hen da, wo es stürmt und der blu­ti­ge Engel steht. Gib uns kein Brot zu essen, gib uns eine Meta­pher, eine ver­spiel­te. Wir haben kei­ne Angst, zu ver­hun­gern, wir haben Angst, eines Tages kei­ne Wör­ter mehr rei­men und kein Trau­er­lied mehr sin­gen zu können.

Man kommt nicht umhin, bei die­sem expe­ri­men­tel­len Stück Lite­ra­tur den Autor und sei­ne Ver­gan­gen­heit näher zu betrach­ten und mit sei­nem Werk in Ver­bin­dung zu sehen. Seit 1997 ver­öf­fent­lich­te Bur­ch­ul­ad­ze Essays, Zei­tungs­ar­ti­kel und Roma­ne in sei­nem Hei­mat­land Geor­gi­en, bis er – und sei­ne Bücher – 2014 atta­ckiert wer­den und ihn der dama­li­ge geor­gi­sche Prä­si­dent Saa­ka­schwi­li in einem Fern­seh-Inter­view öffent­lich beschimpft. Seit­her lebt er in Ber­lin. Das Trau­ma, ver­folgt, bedroht und auf offe­ner Stra­ße kör­per­lich ange­grif­fen zu wer­den, hat sich tief ein­ge­brannt. Da sei­ne Haupt­fi­gur Autor ist und sei­nen Namen trägt, betrach­te ich Zoor­a­ma – wenn auch inhalt­lich sur­re­al – ins­ge­samt als auto­fik­tio­nal. In die­sem Zusam­men­hang erscheint es wie ein Ein­blick in die See­le eines ori­en­tie­rungs­lo­sen, zutiefst ver­stör­ten Men­schen, der allen Halt ver­lo­ren hat, der Sehn­sucht nach sei­ner Hei­mat, sei­ner Spra­che hat, der nach Aner­ken­nung für sei­ne Tex­te sucht.

Die Ent­täu­schung und der Schmerz über die Ver­ach­tung und Ableh­nung sind ein ein­schnei­den­des Erleb­nis für den Künst­ler gewe­sen und sei­ne Über­for­de­rung wur­de durch die Rasanz und Wahn­haf­tig­keit der Geschich­te in Zoor­a­ma für mich bein­dru­ckend spür­bar. Daher ist die­ses Buch nicht ein­fach ein Sprach‑, Gedan­ken- oder Schreib­ex­pe­ri­ment eines abge­ho­be­nen Schrift­stel­lers, son­dern wahr­schein­lich sein per­sön­lichs­tes Werk, ein Abbild sei­nes Innen­le­bens, dass dank Sybil­la Hein­ze mit all den ent­hal­te­nen Emo­tio­nen ein­drucks­voll ins Deut­sche über­tra­gen wurde.


Zaza Bur­ch­ul­ad­ze | Sybil­la Hein­ze

Zoor­a­ma

Im geor­gi­schen Ori­gi­nal: ვარდის სურნელი

Tro­pen 2022 ⋅ 320 Sei­ten ⋅ 24 Euro


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