Was tun, wenn einem als Autor die Worte fehlen, wenn sie nicht passen oder sich gar sperren? Wenn das, was man sagen will, unsagbar ist. Wenn sich das, was man schreibt, einer Kritik stellen muss und möglicherweise vom Publikum abgelehnt wird? Wie soll dann alles weitergehen?
Zaza Burchuladzes postmoderner Roman Zoorama, übersetzt von Sybilla Heinze, lässt sich nicht leicht in Worte fassen. Schon der Klappentext ist recht kryptisch, dabei mutet die Handlung zunächst übersichtlich an: In zwei sich abwechselnden Erzählsträngen wandern wir zwischen zwei Hochhauskomplexen in Berlin hin und her, in denen sich teils merkwürdige, absurde und auch beängstigende Dinge ereignen. In dem einen wohnt der Ich-Erzähler Zaza, im anderen die Familie Podeswa. Die Kinder gehen in den gleichen Kindergarten und im Laufe des Buches machen sich Zaza, seine Freundin Marika und die Tochter Stella auf den Weg durch die Stadt, um die Podeswas zu besuchen. Während Milo Podeswa in der zweiten Textebene mit der „Wörterausstellung“ das geschriebene Wort feiert, damit experimentiert und es ausreizt, fehlen im anderen Hochhaus der Romanfigur Zaza die Worte.
Es gab eine Zeit, da hat man mit Wörtern die Sonne angehalten und ganze Städte zerstört.
Was zu Beginn philosophisch und melancholisch erscheint, entwickelt sich zunehmend zu einem Labyrinth aus Surrealismus und Autofiktion, in dem ich zeitweise den Überblick verlor. Die Sätze rauschten irgendwann an mir vorbei, ohne dass ich mehr als einen Bruchteil erfassen konnte. Habe ich etwas verpasst? Habe ich nicht aufmerksam genug gelesen? Hätte ich mehr reflektieren sollen? Ich war überfordert, vom Inhalt, vom Stil, von der durch die Übersetzerin übertragene Wortgewalt, der Schnelligkeit. Die bildhafte Sprache, eine Aneinanderreihung von Parabeln, ließ regelrecht einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen, ohne dass ich alles, was es zu sehen gab, wirklich erfassen und einordnen konnte. Somit lässt mich das Buch zwiegespalten zurück. Die Lektüre war anspruchsvoll durch den wirren Aufbau der Geschichte, die fehlende Struktur, die seitenlangen Fußnoten, deren Sinn ich nicht ansatzweise verstand. Auf der anderen Seite kann Zaza Burchuladze so wundervolle Sätze schreiben, sie blitzen hier und da auf, sprachlich virtuos, melancholisch und feinsinnig, sie berühren und sind exakt formuliert.
Dann wiederum folgen Passagen, in denen durch die in meinen Augen zu gewollte, kunstvolle Sprache der Inhalt so weit in den Hintergrund tritt, dass der Sinn kaum noch zu deuten ist. Fremdworte werden scheinbar wahllos eingestreut. Merkwürdige Vergleiche erzeugen in ihrer Bildhaftigkeit Ratlosigkeit und lassen den Roman mehr und mehr konstruiert erscheinen.
Aus manchen Türen tropfte rostiges Öl, das aussieht, als hätte ein Blauwal seine Tage.
Übersetzungen aus dem Georgischen sind noch immer rar und fähige Übersetzende vermutlich auch, sodass ich es besonders schade finde, dass der Verlag die Übersetzerin nicht namentlich auf dem Cover erwähnt. Es muss ein unglaublicher Aufwand für Sybilla Heinze gewesen sein, in dieses kafkaeske Buch so tief einzutauchen, dass sie es zu übersetzen imstande war.
Ich habe den Text insofern als übersetzten Roman wahrgenommen, als dass ein Eindruck vom Sprachrhythmus des georgischen Originals, ein besonderer Klang erhalten geblieben ist, ohne, dass Formulierungen sperrig oder unpassend erschienen.
Und wozu braucht man jemandes Hälfte, wenn man ein ganzer Spiegel sein kann? Oder ein Tagesanbruch. Was man will. Und das jeden Tag, solange man atmet. So geht es uns, den Dichtern Georgiens, wir stehen da, wo es stürmt und der blutige Engel steht. Gib uns kein Brot zu essen, gib uns eine Metapher, eine verspielte. Wir haben keine Angst, zu verhungern, wir haben Angst, eines Tages keine Wörter mehr reimen und kein Trauerlied mehr singen zu können.
Man kommt nicht umhin, bei diesem experimentellen Stück Literatur den Autor und seine Vergangenheit näher zu betrachten und mit seinem Werk in Verbindung zu sehen. Seit 1997 veröffentlichte Burchuladze Essays, Zeitungsartikel und Romane in seinem Heimatland Georgien, bis er – und seine Bücher – 2014 attackiert werden und ihn der damalige georgische Präsident Saakaschwili in einem Fernseh-Interview öffentlich beschimpft. Seither lebt er in Berlin. Das Trauma, verfolgt, bedroht und auf offener Straße körperlich angegriffen zu werden, hat sich tief eingebrannt. Da seine Hauptfigur Autor ist und seinen Namen trägt, betrachte ich Zoorama – wenn auch inhaltlich surreal – insgesamt als autofiktional. In diesem Zusammenhang erscheint es wie ein Einblick in die Seele eines orientierungslosen, zutiefst verstörten Menschen, der allen Halt verloren hat, der Sehnsucht nach seiner Heimat, seiner Sprache hat, der nach Anerkennung für seine Texte sucht.
Die Enttäuschung und der Schmerz über die Verachtung und Ablehnung sind ein einschneidendes Erlebnis für den Künstler gewesen und seine Überforderung wurde durch die Rasanz und Wahnhaftigkeit der Geschichte in Zoorama für mich beindruckend spürbar. Daher ist dieses Buch nicht einfach ein Sprach‑, Gedanken- oder Schreibexperiment eines abgehobenen Schriftstellers, sondern wahrscheinlich sein persönlichstes Werk, ein Abbild seines Innenlebens, dass dank Sybilla Heinze mit all den enthaltenen Emotionen eindrucksvoll ins Deutsche übertragen wurde.