Den Babel­fisch an der Angel?

Seit ChatGPT frei verfügbar ist, geht die Angst um: Übersetzen bald Maschinen Literatur? Wie künstliche Intelligenz die Literaturübersetzung verändert. Von

Zwei Roboter arbeiten an einem Computer und einem Laptop.
Bild: Brett Jordan via Unsplash

Stel­len Sie sich ein­mal vor, in Ihrem Gehör­gang wür­de eine win­zig klei­ne Krea­tur leben, mit der Sie alle Spra­chen der Welt pro­blem­los ver­ste­hen wür­den. Klingt ver­lo­ckend, oder?

Viel­leicht ken­nen Sie die­ses uni­ver­sal­über­set­zen­de Minia­tur­le­be­we­sen mit dem pos­sier­li­chen Namen Babel­fisch aus dem Dou­glas-Adams-Klas­si­ker „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“. Wenn man der Bericht­erstat­tung der ver­gan­ge­nen Wochen und Mona­te Glau­ben schenkt, dürf­ten wir dem Traum vom Babel­fisch näher sein denn je. Künst­li­che Intel­li­gen­zen wie ChatGPT und DeepL schei­nen uns Men­schen ab jetzt die läs­ti­ge Über­set­zungs­ar­beit abzu­neh­men. Was für die einen nach einem schö­nen Traum klingt, könn­te sich aber für die ande­ren als Alp­traum ent­pup­pen, denn mög­li­cher­wei­se könn­te dadurch ein gan­zer Berufs­zweig aussterben.

Zuge­ge­ben: Die­se Pro­gno­se klingt ziem­lich dra­ma­tisch – aber an ihr ist auch ein biss­chen was dran. Smar­te Maschi­nen haben ja schon längst Ein­zug in den Über­set­zungs­job gehal­ten: Wer medi­zi­ni­sche, juris­ti­sche oder tech­ni­sche Fach­tex­te über­setzt, arbei­tet jeden Tag mit Soft­ware wie „SDL Tra­dos Stu­dio“, „Memoq“ oder „Word­fast“. Die­se Pro­gram­me spu­cken, ver­ein­facht gesagt, eine Vor­über­set­zung aus, die die Übersetzer:innen dann nur noch gegen­le­sen und ver­bes­sern müs­sen. Die­ser Arbeits­schritt nennt sich Pos­t­editing.

Neu­ro­na­le Net­ze und sto­chas­ti­sche Papageien

Älte­re Ver­sio­nen die­ser Über­set­zungs­pro­gram­me arbei­ten mit Wahr­schein­lich­keits­rech­nung: Sie wer­den mit Daten gefüt­tert und errech­nen auf die­ser Grund­la­ge die wahr­schein­lichs­te Über­set­zung. Die­se Pro­gram­me wer­den gele­gent­lich aber als „sto­chas­ti­sche Papa­gei­en“ ver­spot­tet – um klar zu machen: So rich­tig gut funk­tio­nie­ren die­se maschi­nel­len Über­set­zun­gen noch nicht.

Moder­ne Soft­ware arbei­tet dage­gen mit neu­ro­na­len Net­zen: Pro­gram­me wie DeepL ana­ly­sie­ren meh­re­re Sät­ze oder gan­ze Text­pas­sa­gen, um einen grö­ße­ren Sinn­zu­sam­men­hang in ihre Wahr­schein­lich­keits­rech­nung ein­zu­be­zie­hen. Dadurch wer­den die Über­set­zun­gen prä­zi­ser, weil die Soft­ware nicht nur ein­zel­ne Wor­te und Sät­ze, son­dern auch den Kon­text berück­sich­ti­gen kann.

Ein gewal­ti­ger Fort­schritt zu den sto­chas­ti­schen Über­set­zungs­pro­gram­men – der aber auch Ängs­te schürt: Könn­ten jetzt auch Literaturübersetzer:innen zum Pos­t­editing ver­don­nert wer­den? Über­setzt DeepL bald mas­sen­haft Roma­ne, Gedich­te und Thea­ter­stü­cke? Ist der Babel­fisch jetzt end­gül­tig ins Netz gegangen?

Eine Illu­si­on, KI aus der Lite­ra­tur­über­set­zung zu verbannen

Dar­über ein Gespräch mit Ricar­da Ess­rich. Sie über­setzt aus den skan­di­na­vi­schen Spra­chen, vor allem Kri­mi­nal­ro­ma­ne und Koch­bü­cher. Außer­dem ist sie die Bun­des­re­fe­ren­tin des BDÜ für Lite­ra­tur­über­set­zung. Wie schätzt sie die Rol­le der künst­li­chen Intel­li­genz in der Lite­ra­tur­über­set­zung ein? „Es ist illu­so­risch, die KI aus der Lite­ra­tur­über­set­zung her­aus­zu­hal­ten“, ant­wor­tet sie.

Nicht alle Kolleg:innen sei­en bereit, damit zu arbei­ten, aber in der Mas­sen­pro­duk­ti­on kämen maschi­nel­le Über­set­zun­gen schon vor. Das habe auch öko­no­mi­sche Grün­de, sagt Ess­rich. Und ein­zel­ne Ver­la­ge set­zen inzwi­schen aus Zeit­druck lie­ber auf Pos­t­editing statt auf eine voll­stän­dig manu­el­le Übersetzung.

Na toll. Also über­nimmt jetzt DeepL die gan­ze Arbeit? Nicht ganz. Denn ganz so aus­ge­reift sind auch Über­set­zungs­pro­gram­me, die mit neu­ro­na­len Net­zen arbei­ten, noch nicht. Ess­rich sagt, bis­her loh­ne sich der Ein­satz von künst­li­cher Intel­li­genz nur bei Tri­vi­al­li­te­ra­tur. Je anspruchs­vol­ler die Tex­te sei­en, des­to mehr Zeit müs­se man fürs Pos­t­editing auf­wen­den. „In die­sen Fäl­len sind maschi­nel­le Über­set­zun­gen kei­ne Zeit­er­spar­nis“, sagt Ricar­da Essrich.

Mani­pu­la­tiv, trü­ge­risch, ermü­dend – wor­an es hakt

Das ver­deut­licht ein Selbst­ver­such der Über­set­ze­rin Miri­am Neid­hardt, den sie auf ihrem Blog doku­men­tiert hat. Sie muss­te zwei über­setz­te Roma­ne lek­to­rie­ren, einen von einer Fremd­über­set­ze­rin und eine Com­pu­ter­über­set­zung. Die Ergeb­nis­se: In das Lek­to­rat der Human­über­set­zung flos­sen 40 Stun­den Arbeits­zeit, das „Hor­ror­lek­to­rat“ der Com­pu­ter­über­set­zung bean­spruch­te dage­gen 186 Stunden.

Neid­hardts knap­pes Fazit: „Die Nut­zung von DeepL für die Über­set­zung von Roma­nen lohnt sich nicht. Sie spart kei­ne Zeit – und das Ergeb­nis wird schlech­ter. Ein kla­rer Fall von lose-lose“.

Aber wo genau lie­gen die Pro­ble­me beim Ein­satz von KI in der Lite­ra­tur­über­set­zung? Die­se Fra­ge schaut sich das Pro­jekt „Kol­lek­ti­ve Intel­li­genz“ etwas genau­er an. Dazu hat es 14 Übersetzer:innen mit DeepL expe­ri­men­tie­ren las­sen. Die Erfah­rungs­be­rich­te deu­ten auf drei Schwie­rig­kei­ten hin:

  1. Die KI beein­flus­se die Übersetzer:innen zu stark. Sie ver­lie­ßen sich dann womög­lich auf die Über­set­zung der Maschi­ne, sodass unge­len­ke For­mu­lie­run­gen im Text ste­hen blie­ben. Oder es tre­te das Gegen­teil ein: Die Übersetzer:innen zwei­fel­ten alles an, was die KI ihnen vor­set­ze. Sie möch­ten sich in die­sem Fall von der KI abhe­ben – das rau­be Ener­gie und len­ke vom Aus­gangs­text ab.
  2. Das lei­tet geschickt über zum nächs­ten Kri­tik­punkt, denn laut der Erfah­rungs­be­rich­te sei die lite­ra­ri­sche Über­set­zung mit KI ziem­lich anstren­gend. Das Pro­blem bestehe dar­in, die KI kön­ne sich in einem Satz für eine rich­ti­ge Über­set­zung ent­schei­den – aber im nächs­ten beim sel­ben Über­set­zungs­pro­blem dane­ben­lie­gen. Das Pos­t­editing bean­spru­che des­halb mehr Auf­merk­sam­keit als bei Humanübersetzungen.
  3. Das drit­te Pro­blem: KI-Über­set­zun­gen kämen zwar als fer­ti­ge Pro­duk­te daher, sei­en es in Wirk­lich­keit aber nicht. Sie behin­der­ten Literaturübersetzer:innen dabei, den Aus­gangs­text zu ver­in­ner­li­chen und zu inter­pre­tie­ren. Das gehe laut „Kol­lek­ti­ve Intel­li­genz“ auf Kos­ten der Krea­ti­vi­tät, doch gera­de die ist der Treib­stoff der Über­set­zung von Roman, Thea­ter­stü­cken und Gedichten.

Fazit die­ser Mini­stu­die: Für Lite­ra­tur eig­net sich künst­li­che Intel­li­genz in der Über­set­zung bis­lang noch nicht.

Schei­tern an klas­si­schen Übersetzungsproblemen

Ricar­da Ess­rich sieht das ähn­lich. Sie sagt: „Den Pro­gram­men fehlt oft noch Kon­text­wis­sen.“ Das habe sich zwar durch die neu­ro­na­len Net­ze ver­bes­sert, aber den­noch wüss­ten die künst­li­chen Intel­li­gen­zen oft nicht mehr in Kapi­tel 5, was in Kapi­tel 3 gesche­hen ist. So kann es zum Bei­spiel sein, dass Akro­ny­me, Gene­ra oder Anspra­chen mit Du oder Sie falsch über­setzt wür­den. Bei gro­ßen Text­men­gen wür­de DeepL erfah­rungs­ge­mäß auch manch­mal ein­zel­ne Sät­ze beim Über­set­zen igno­rie­ren, sagt Essrich.

Aber auch mit ande­ren Über­set­zungs­pro­ble­men tun sich die künst­li­chen Intel­li­gen­zen noch schwer, bei­spiels­wei­se mit Wort­spie­len, Humor oder Sprich­wör­tern. „Ins­ge­samt pro­du­ziert die KI vie­le Ergeb­nis­se, die man hin­ter­fra­gen muss“, sagt Ess­rich. Für einen pro­fes­sio­nel­len Umgang müs­se sich das Bewusst­sein für Sprach­phä­no­me­ne und maschi­nel­le Über­set­zung schärfen.

Ein ande­res Argu­ment gegen den Ein­satz von KI: Sie lohnt sich bei man­chen Autor:innen ein­fach nicht. Wenn Schriftsteller:innen zum Bei­spiel Stammübersetzer:innen haben, die die Hand­schrift des Ori­gi­nals genau ken­nen, kön­nen Über­set­zungs­pro­gram­me ein­fach nicht mit­hal­ten. Eine gute Über­set­zung kann außer­dem die lite­ra­ri­sche Ent­wick­lungs­his­to­rie von Autor:innen abbil­den. Einer KI gelingt das im Moment noch nicht.

Hilfs­mit­tel, aber mehr nicht – noch nicht

Auch wenn das alles sehr kri­tisch klingt: Ver­teu­feln soll­te man die künst­li­che Intel­li­genz in der Lite­ra­tur­über­set­zung nicht. Ricar­da Ess­rich selbst nutzt DeepL beim Über­set­zen bis­her nur für ein­zel­ne Sät­ze oder kur­ze Text­ab­schnit­te, zum Bei­spiel als Ver­ständ­nis­hil­fe oder als Quel­le für Inspi­ra­tio­nen. „Dabei bin ich manch­mal erstaunt, wie krea­tiv die Maschi­ne sein kann“, sagt sie.

Im Moment sei­en künst­li­che Intel­li­gen­zen wie DeepL oder ChatGPT des­halb nur Hilfs­mit­tel in der Lite­ra­tur­über­set­zung. Das ist die gute Nach­richt. Die schlech­te ist: Inwie­weit sie das Berufs­bild nach­hal­tig ver­än­dern wird, weiß zur­zeit schlicht und ergrei­fend nie­mand. Ricar­da Ess­rich sagt, sie habe für den BDÜ an Stel­lung­nah­men zur Digi­ta­li­sie­rung der Über­set­zungs­bra­che mit­ge­wirkt. „All unse­re Hypo­the­sen sind deut­lich frü­her ein­ge­tre­ten, als wir das erwar­tet hat­ten“, sagt sie dazu.

Die Arbeits­be­din­gun­gen wan­deln sich

Und auch schon jetzt stel­len sich im Zusam­men­hang mit der KI neue Fra­gen: Wel­che Aus­wir­kun­gen hat künst­li­che Intel­li­genz auf das Urhe­ber­recht? Soll­ten Ver­la­ge Roma­ne kenn­zeich­nen, die auch von KI über­setzt wur­den? Was bedeu­ten die neu­en Arbeits­pro­zes­se für das Honorar?

Damit Klar­heit in Sachen Arbeits­be­din­gun­gen ent­steht, haben sich die Gewerk­schaf­ten mit ver­schie­de­nen Berufs­ver­bän­den aus der Kul­tur- und Krea­tiv­wirt­schaft in den Kam­pa­gnen „KI, aber fair“ und „Initia­ti­ve Urhe­ber­recht“ zusam­men­ge­schlos­sen. Ricar­da Ess­rich sagt, sie begrü­ße sol­che Initia­ti­ven. Der BDÜ steht aller­dings nicht auf den Unterstützerlisten.

Hal­ten wir also fest: Noch ist künst­li­che Intel­li­genz kei­ne ernst­zu­neh­men­de Kon­kur­renz für Literaturübersetzer:innen. Sie kann aber, wenn sie bewusst ein­ge­setzt wird, ein nütz­li­ches Hilfs- und Recher­che­mit­tel sein, um zu krea­ti­ven Über­set­zungs­lö­sun­gen zu gelan­gen. Zumin­dest im Moment, denn ent­wi­ckelt sich künst­li­che Intel­li­genz wei­ter, könn­te sich das Berufs­feld in der Lite­ra­tur­über­set­zung grund­le­gend ändern.

Was aber nicht bedeu­ten muss, dass eine gan­ze Bran­che in der Arbeits­lo­sig­keit ver­sin­ken muss. Sie­he Mathe­ma­tik: Inzwi­schen füh­ren wir alle einen High­tech­com­pu­ter in der Hosen­ta­sche mit uns her­um, wir alle kön­nen einen Taschen­rech­ner bedie­nen und wir alle haben auch stan­dard­mä­ßig ein Tabel­len­kal­ku­la­ti­ons­pro­gramm auf dem Rech­ner instal­liert. All das hat die Arbeit in der Mathe­ma­tik ver­än­dert. Und trotz­dem gibt es immer noch Men­schen, die mit Zah­len, Glei­chun­gen und Sta­tis­tik ihr Geld verdienen.



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