Stellen Sie sich einmal vor, in Ihrem Gehörgang würde eine winzig kleine Kreatur leben, mit der Sie alle Sprachen der Welt problemlos verstehen würden. Klingt verlockend, oder?
Vielleicht kennen Sie dieses universalübersetzende Miniaturlebewesen mit dem possierlichen Namen Babelfisch aus dem Douglas-Adams-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“. Wenn man der Berichterstattung der vergangenen Wochen und Monate Glauben schenkt, dürften wir dem Traum vom Babelfisch näher sein denn je. Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT und DeepL scheinen uns Menschen ab jetzt die lästige Übersetzungsarbeit abzunehmen. Was für die einen nach einem schönen Traum klingt, könnte sich aber für die anderen als Alptraum entpuppen, denn möglicherweise könnte dadurch ein ganzer Berufszweig aussterben.
Zugegeben: Diese Prognose klingt ziemlich dramatisch – aber an ihr ist auch ein bisschen was dran. Smarte Maschinen haben ja schon längst Einzug in den Übersetzungsjob gehalten: Wer medizinische, juristische oder technische Fachtexte übersetzt, arbeitet jeden Tag mit Software wie „SDL Trados Studio“, „Memoq“ oder „Wordfast“. Diese Programme spucken, vereinfacht gesagt, eine Vorübersetzung aus, die die Übersetzer:innen dann nur noch gegenlesen und verbessern müssen. Dieser Arbeitsschritt nennt sich Postediting.
Neuronale Netze und stochastische Papageien
Ältere Versionen dieser Übersetzungsprogramme arbeiten mit Wahrscheinlichkeitsrechnung: Sie werden mit Daten gefüttert und errechnen auf dieser Grundlage die wahrscheinlichste Übersetzung. Diese Programme werden gelegentlich aber als „stochastische Papageien“ verspottet – um klar zu machen: So richtig gut funktionieren diese maschinellen Übersetzungen noch nicht.
Moderne Software arbeitet dagegen mit neuronalen Netzen: Programme wie DeepL analysieren mehrere Sätze oder ganze Textpassagen, um einen größeren Sinnzusammenhang in ihre Wahrscheinlichkeitsrechnung einzubeziehen. Dadurch werden die Übersetzungen präziser, weil die Software nicht nur einzelne Worte und Sätze, sondern auch den Kontext berücksichtigen kann.
Ein gewaltiger Fortschritt zu den stochastischen Übersetzungsprogrammen – der aber auch Ängste schürt: Könnten jetzt auch Literaturübersetzer:innen zum Postediting verdonnert werden? Übersetzt DeepL bald massenhaft Romane, Gedichte und Theaterstücke? Ist der Babelfisch jetzt endgültig ins Netz gegangen?
Eine Illusion, KI aus der Literaturübersetzung zu verbannen
Darüber ein Gespräch mit Ricarda Essrich. Sie übersetzt aus den skandinavischen Sprachen, vor allem Kriminalromane und Kochbücher. Außerdem ist sie die Bundesreferentin des BDÜ für Literaturübersetzung. Wie schätzt sie die Rolle der künstlichen Intelligenz in der Literaturübersetzung ein? „Es ist illusorisch, die KI aus der Literaturübersetzung herauszuhalten“, antwortet sie.
Nicht alle Kolleg:innen seien bereit, damit zu arbeiten, aber in der Massenproduktion kämen maschinelle Übersetzungen schon vor. Das habe auch ökonomische Gründe, sagt Essrich. Und einzelne Verlage setzen inzwischen aus Zeitdruck lieber auf Postediting statt auf eine vollständig manuelle Übersetzung.
Na toll. Also übernimmt jetzt DeepL die ganze Arbeit? Nicht ganz. Denn ganz so ausgereift sind auch Übersetzungsprogramme, die mit neuronalen Netzen arbeiten, noch nicht. Essrich sagt, bisher lohne sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz nur bei Trivialliteratur. Je anspruchsvoller die Texte seien, desto mehr Zeit müsse man fürs Postediting aufwenden. „In diesen Fällen sind maschinelle Übersetzungen keine Zeitersparnis“, sagt Ricarda Essrich.
Manipulativ, trügerisch, ermüdend – woran es hakt
Das verdeutlicht ein Selbstversuch der Übersetzerin Miriam Neidhardt, den sie auf ihrem Blog dokumentiert hat. Sie musste zwei übersetzte Romane lektorieren, einen von einer Fremdübersetzerin und eine Computerübersetzung. Die Ergebnisse: In das Lektorat der Humanübersetzung flossen 40 Stunden Arbeitszeit, das „Horrorlektorat“ der Computerübersetzung beanspruchte dagegen 186 Stunden.
Neidhardts knappes Fazit: „Die Nutzung von DeepL für die Übersetzung von Romanen lohnt sich nicht. Sie spart keine Zeit – und das Ergebnis wird schlechter. Ein klarer Fall von lose-lose“.
Aber wo genau liegen die Probleme beim Einsatz von KI in der Literaturübersetzung? Diese Frage schaut sich das Projekt „Kollektive Intelligenz“ etwas genauer an. Dazu hat es 14 Übersetzer:innen mit DeepL experimentieren lassen. Die Erfahrungsberichte deuten auf drei Schwierigkeiten hin:
- Die KI beeinflusse die Übersetzer:innen zu stark. Sie verließen sich dann womöglich auf die Übersetzung der Maschine, sodass ungelenke Formulierungen im Text stehen blieben. Oder es trete das Gegenteil ein: Die Übersetzer:innen zweifelten alles an, was die KI ihnen vorsetze. Sie möchten sich in diesem Fall von der KI abheben – das raube Energie und lenke vom Ausgangstext ab.
- Das leitet geschickt über zum nächsten Kritikpunkt, denn laut der Erfahrungsberichte sei die literarische Übersetzung mit KI ziemlich anstrengend. Das Problem bestehe darin, die KI könne sich in einem Satz für eine richtige Übersetzung entscheiden – aber im nächsten beim selben Übersetzungsproblem danebenliegen. Das Postediting beanspruche deshalb mehr Aufmerksamkeit als bei Humanübersetzungen.
- Das dritte Problem: KI-Übersetzungen kämen zwar als fertige Produkte daher, seien es in Wirklichkeit aber nicht. Sie behinderten Literaturübersetzer:innen dabei, den Ausgangstext zu verinnerlichen und zu interpretieren. Das gehe laut „Kollektive Intelligenz“ auf Kosten der Kreativität, doch gerade die ist der Treibstoff der Übersetzung von Roman, Theaterstücken und Gedichten.
Fazit dieser Ministudie: Für Literatur eignet sich künstliche Intelligenz in der Übersetzung bislang noch nicht.
Scheitern an klassischen Übersetzungsproblemen
Ricarda Essrich sieht das ähnlich. Sie sagt: „Den Programmen fehlt oft noch Kontextwissen.“ Das habe sich zwar durch die neuronalen Netze verbessert, aber dennoch wüssten die künstlichen Intelligenzen oft nicht mehr in Kapitel 5, was in Kapitel 3 geschehen ist. So kann es zum Beispiel sein, dass Akronyme, Genera oder Ansprachen mit Du oder Sie falsch übersetzt würden. Bei großen Textmengen würde DeepL erfahrungsgemäß auch manchmal einzelne Sätze beim Übersetzen ignorieren, sagt Essrich.
Aber auch mit anderen Übersetzungsproblemen tun sich die künstlichen Intelligenzen noch schwer, beispielsweise mit Wortspielen, Humor oder Sprichwörtern. „Insgesamt produziert die KI viele Ergebnisse, die man hinterfragen muss“, sagt Essrich. Für einen professionellen Umgang müsse sich das Bewusstsein für Sprachphänomene und maschinelle Übersetzung schärfen.
Ein anderes Argument gegen den Einsatz von KI: Sie lohnt sich bei manchen Autor:innen einfach nicht. Wenn Schriftsteller:innen zum Beispiel Stammübersetzer:innen haben, die die Handschrift des Originals genau kennen, können Übersetzungsprogramme einfach nicht mithalten. Eine gute Übersetzung kann außerdem die literarische Entwicklungshistorie von Autor:innen abbilden. Einer KI gelingt das im Moment noch nicht.
Hilfsmittel, aber mehr nicht – noch nicht
Auch wenn das alles sehr kritisch klingt: Verteufeln sollte man die künstliche Intelligenz in der Literaturübersetzung nicht. Ricarda Essrich selbst nutzt DeepL beim Übersetzen bisher nur für einzelne Sätze oder kurze Textabschnitte, zum Beispiel als Verständnishilfe oder als Quelle für Inspirationen. „Dabei bin ich manchmal erstaunt, wie kreativ die Maschine sein kann“, sagt sie.
Im Moment seien künstliche Intelligenzen wie DeepL oder ChatGPT deshalb nur Hilfsmittel in der Literaturübersetzung. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Inwieweit sie das Berufsbild nachhaltig verändern wird, weiß zurzeit schlicht und ergreifend niemand. Ricarda Essrich sagt, sie habe für den BDÜ an Stellungnahmen zur Digitalisierung der Übersetzungsbrache mitgewirkt. „All unsere Hypothesen sind deutlich früher eingetreten, als wir das erwartet hatten“, sagt sie dazu.
Die Arbeitsbedingungen wandeln sich
Und auch schon jetzt stellen sich im Zusammenhang mit der KI neue Fragen: Welche Auswirkungen hat künstliche Intelligenz auf das Urheberrecht? Sollten Verlage Romane kennzeichnen, die auch von KI übersetzt wurden? Was bedeuten die neuen Arbeitsprozesse für das Honorar?
Damit Klarheit in Sachen Arbeitsbedingungen entsteht, haben sich die Gewerkschaften mit verschiedenen Berufsverbänden aus der Kultur- und Kreativwirtschaft in den Kampagnen „KI, aber fair“ und „Initiative Urheberrecht“ zusammengeschlossen. Ricarda Essrich sagt, sie begrüße solche Initiativen. Der BDÜ steht allerdings nicht auf den Unterstützerlisten.
Halten wir also fest: Noch ist künstliche Intelligenz keine ernstzunehmende Konkurrenz für Literaturübersetzer:innen. Sie kann aber, wenn sie bewusst eingesetzt wird, ein nützliches Hilfs- und Recherchemittel sein, um zu kreativen Übersetzungslösungen zu gelangen. Zumindest im Moment, denn entwickelt sich künstliche Intelligenz weiter, könnte sich das Berufsfeld in der Literaturübersetzung grundlegend ändern.
Was aber nicht bedeuten muss, dass eine ganze Branche in der Arbeitslosigkeit versinken muss. Siehe Mathematik: Inzwischen führen wir alle einen Hightechcomputer in der Hosentasche mit uns herum, wir alle können einen Taschenrechner bedienen und wir alle haben auch standardmäßig ein Tabellenkalkulationsprogramm auf dem Rechner installiert. All das hat die Arbeit in der Mathematik verändert. Und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die mit Zahlen, Gleichungen und Statistik ihr Geld verdienen.